Mario Galla

Für uns Männer ist es echt entspannter.

Model Mario Galla über Karriere auf dem Laufsteg, seine Beinprothese, Heidi Klums „Topmodels“ und warum Frauen im Modelbusiness für mehr Geld härter arbeiten müssen

Mario Galla

© Paul James Hay

Mario, du wurdest in einem Hamburger Imbiss von einem Modelscout entdeckt. Was war dein erster Gedanke, nachdem du angesprochen wurdest?
Galla: Ich war sehr skeptisch, weil man ja von vielen Gaunern in der Branche hört. Trotzdem dachte ich einfach mal, dass ich es versuche, unabhängig von meinem Handicap natürlich. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich nie vermutet hätte, mit meinem Aussehen Geld verdienen zu können.

Das ist mittlerweile drei Jahre her. Du hattest danach deinen ersten Job für Hugo Boss und bist dieses Jahr auf der Fashion Week in Berlin für den Designer Michalsky gelaufen. Was hat sich nach diesem Auftritt für dich verändert?
Galla: Einiges! Ich werde als die Person Mario Galla wahrgenommen und liege nicht mehr in irgendeiner Kartei herum, die Leute kommen jetzt direkt auf mich zu und wollen mich buchen. Das ist schon ein gewisser Bonus, den ich jetzt habe.

Und wie sieht die Kehrseite deines Ruhmes über Nacht aus?
Galla: Es ist halt gleichzeitig auch ein Nachteil, da viele Kunden in Deutschland sehr konservativ eingestellt sind und es ein gewisses Risiko birgt, mich mit meiner Beinprothese zu buchen.

Was hat sich sonst noch verändert?
Galla: Ich bekomme ungefähr 80 Mails am Tag von Leuten, denen es im Leben wohl ähnlich ging. Manche schreiben mir, dass ich mit meinem Auftritt Mut gemacht habe und ihnen ein Stück geholfen habe. Das war mir vorher nie so bewusst, vor dieser Show habe ich nie darüber nachgedacht, anderen damit helfen zu können. Eigentlich wollte ich nur einmal mit einer kurzen Hose für einen bekannten Designer auf den Laufsteg.

Meinst du, du bist für andere Menschen eine Art Vorbild?  
Galla: Ja, das ist irgendwie heftig. Das war mir vorher wirklich nicht bewusst, weil ich ohnehin schon immer sehr selbstbewusst war. Es ehrt mich aber total, dass sich so viele Menschen von mir inspiriert fühlen. Ich versuche bei Facebook auch die meisten Mails und Freundschaftsanfragen zu beantworten aber ich komme da manchmal nicht hinterher, sonst würde ich ja den ganzen Tag vor meinem PC sitzen.

Hast du nach diesem ganzen medialen Hype der Fashion Week nicht die Sorge, nur auf dein Handicap reduziert zu werden?
Galla: Ja, teilweise schon. Aber auf der anderen Seite ist es ja genau die Story, die mich auszeichnet. Es stört mich nicht, denn es ist schließlich ein Teil von mir! Was aber nicht bedeutet, dass ich ständig mein Carbon-Bein in die Linse halten möchte. Es gibt aber auch viele Kunden, die mich wegen meines Aussehens buchen und meine Beinprothese total außer Acht lassen. Andere wissen vielleicht nicht mal, dass ich dieses Handicap habe. Ich hatte mal einen Kunden, der hatte zwar von der Story gehört, wusste allerdings nicht, dass ich derjenige bin.

Wie klärst du denn so eine Situation am Set auf? Bist du angespannt wegen der Reaktion des Kunden?
Galla: Nein, eigentlich gar nicht, das ist mir ehrlich gesagt auch egal. Denn ich bin zu dem Zeitpunkt ja ohnehin schon gebucht. Eigentlich müssten es die Leute vorher auch wissen. Ganz am Anfang, bei meinem ersten Laufjob bei Hugo Boss, da grummelte natürlich der Magen vor Angst, aber heute kann ich damit gut umgehen.

Hattest du seit Beginn deiner Modelkarriere jemals schlechte Erfahrungen mit den Medien?
Galla: Ja, ich wurde dieses Jahr auf der Fashion Week von gewissen Medien zum „Schock-Model“ gekürt! Im Nachhinein war das irgendwie ein Albtraum. Der Tag war relativ relativ stressig und nach der Show fing mich auf dem Weg zum Hotel ein Kamerateam von RTL ab. Die waren soweit auch total nett, allerdings stellte sich dann später heraus, dass der Bericht meiner Ansicht nach total verzerrt wurde. Meine Antworten wurden nicht so ausgestrahlt, wie ich es mir gedacht hätte.

Sondern wie?
Galla:. In dem ausgestrahlten Bericht war die Kernaussage eher die, dass ich nur aufgrund meiner Behinderung gebucht wurde. Obwohl ich genau das Gegenteil beschrieben hatte! Es war echt nicht schön, als das „Schock-Model“ hingestellt zu werden. Später saß ich aber mit meiner Freundin vor dem Fernseher und wir haben gemeinsam über den Bericht gelacht. Letzen Endes muss man damit rechnen, wenn man sich mit solch einem Handicap in die Öffentlichkeit stellt.

Die Sängerin Beth Ditto lief kürzlich für Gaultier – ist das nur eine Ausnahmeerscheinung, oder wird die Modewelt tatsächlich toleranter gegenüber Menschen, die dem Ideal nicht so entsprechen?
Galla: Das ist schwierig. Ich denke, dass es ein bis zwei Leute gibt, die mit ihrem Makel überleben können. Nehmen wir als Beispiel Shaun Ross, der ist Albino und eben aufgrund seines Aussehens im Modelbusiness sehr erfolgreich. Ich selbst hatte ja erst dieses Jahr quasi mein „Coming Out“, nach drei Jahren – vorher habe ich es ja eher verheimlicht.

Also keine große Trendwende?
Galla: Insgesamt ist die Industrie dafür einfach zu eitel. Letzten Endes kommt es aber auf den Designer an; Eine Vivienne Westwood oder ein Jean-Paul Gaultier sind sicher dafür prädestiniert, mal etwas Extravagantes auszuprobieren. Ein Armani hingegen würde niemals ‚komische’ Leute in seine Show lassen. Ich bin mir sicher, dass Michael Michalsky und ich mit meinem Auftritt auch vielen auf den Schlips getreten sind. 

Wie eitel bist du denn selber? Was tust du für dein Aussehen?
Galla: Mit dem Job bin ich ehrlich gesagt uneitler geworden, früher wäre ich niemals ohne gestylte Haare aus dem Haus gegangen. Heute mache ich meine Haare nur zu besonderen Anlässen und trage auch gern einfach nur Joggingklamotten. Was meine Fitness angeht, da lege ich viel Wert drauf, die kommt nur jetzt durch die Uni etwas zu kurz.

Bist du modebewusster geworden, seitdem du als Model arbeitest?
Galla: Auf jeden Fall! Heute trage ich zum Beispiel einen Cardigan, früher habe ich einfach nur schlichte Rundhals-Pullover getragen, es war mir schlichtweg egal. Mittlerweile interessiere ich mich auch für besondere Modeschnitte, schon aus dem Grund, sich dem Kunden besser präsentieren zu können. Ich bin auf jeden Fall, was Mode anbelangt, mutiger geworden.

Zitiert

Eigentlich wollte ich nur einmal mit einer kurzen Hose für einen bekannten Designer auf den Laufsteg.

Mario Galla

Was musstest du eigentlich fürs Modeln lernen? Wie guckt man als Model – welcher Gesichtsausdruck ist ein „gängiger“?
Galla: Es gibt ja den schönen Film „Zoolander“ mit Ben Stiller, so oder so ähnlich gucke ich (lacht). Also, am Anfang, vor meinen ersten zwei oder drei Shootings habe ich das ein wenig geübt – wie wirke ich, wie sieht das aus, wie überträgt sich die gefühlte Mimik nach außen?
Es ist ja so, umso mehr man den Fotografen anbieten kann, desto zufriedener sind sie. Ich denke mal, dass ich aber wegen meinem ernsteren Blick gebucht werde und nicht wegen meinem Lachen. Das ist nämlich nicht kommerziell genug.

Was ist denn ein kommerzielles Lachen?
Galla: Ich meine damit das berühmte Zahnpasta-Lächeln, es muss halt gut aussehen wenn man lacht und zum Typ passen.

Und das Laufen, hast du das Laufen auf dem Catwalk lernen müssen?
Galla: Ich glaube, dass ich es Zuhause vor der ersten großen Show vielleicht zweimal vor dem Spiegel geübt habe. Das war es dann allerdings auch schon! Außerdem humpele ich ja sowieso, ob jetzt privat oder auf dem Catwalk, egal wie sehr ich mich anstrenge (lacht). Nichtsdestotrotz ist es schon wichtig, wie man sich präsentiert aber das schaut man sich einmal an und dann kann man es. Bei uns Männern spielt der Walk glücklicherweise keine so große Rolle, wie bei den Frauen.

Wir sprechen die ganze Zeit darüber – aber empfindest du deine Beinprothese überhaupt als Handicap?
Galla: Nein, nicht wirklich. Ich war auch noch nie gehandicapt und konnte physisch eigentlich immer alles machen. Von Snowboard fahren bis hin zum Schwimmen hatte ich nie Probleme. Die einzige Einschränkung, die ich habe ist, dass ich beim Autofahren kein Schaltgetriebe fahren darf. Außerdem wurde meine damalige Bewerbung zum Kriminalkommissar bei der Polizeihochschule abgelehnt. Worüber ich heute aber eigentlich ganz froh bin.

Wie gesund ist deiner Meinung nach das Modelbusiness, wie wird da miteinander umgegangen?
Galla: Klar fragt der Kunde nicht: Wer bist du, welcher Mensch steht dahinter? Der fragt nur: Wie sieht der aus, kann ich den gebrauchen? So ist oft die Einstellung der Kunden. Meine Erfahrungen waren aber eigentlich immer relativ gut, auch unter Modelkollegen. Es gibt natürlich immer Kunden, die arrogant und unfair sind und mit einem nicht menschlich umgehen, weil sie es eben nicht müssen.

Ist dir der Job als Model aber nicht zu oberflächlich und inhaltslos?
Galla: Doch, ja. Genau aus diesem Grund studiere ich ja auch. Du kannst halt als Model sehr schnell, sehr viel Geld verdienen. Und entweder man kann damit umgehen oder man lässt es dann lieber. Das merkt man nach ein paar Wochen, ob man mit dieser Oberflächlichkeit umgehen kann.

Wie ist deine Meinung zu Magermodels?
Galla: Die tun mir einfach nur extrem leid. Natürlich ist der Anspruch an die extrem, aber ich kann nicht verstehen, wie sie diesem Wahn verfallen. Ich habe das bei uns Jungs ganz anders erlebt. Wenn ich da an meine Zeit in Mailand denke, da waren wir jeden Tag bei McDonalds und abends gab es dann noch eine große Pizza.

Frauen verdienen als Models bekanntlich mehr als Männer. Warum ist das so?
Galla: Die gesamte Industrie spricht vielmehr die weibliche Kundschaft an und es gibt auch weitaus mehr Modestrecken für Frauen als für Männer. Männermode und Magazine sind sicherlich immer mehr im Kommen aber der Markt ist für Frauen einfach größer. Das rechtfertigt dann auch, dass weibliche Models knapp zwei Drittel mehr an Gage bekommen. Dafür haben die auch einen größeren Konkurrenzdruck und laufen den ganzen Tag in High-Heels herum, zudem brauchen sie gewisse Lauftechniken. Für uns Männer ist es im Vergleich echt entspannter. Wir laufen auf dem Laufsteg fast genauso, wie auf der Straße.  

Die Zeitschrift „Brigitte“ hat vor einiger Zeit dem Trend der makellosen Models abgeschworen. Was hältst du von der Brigitte-Kampagne "ohne Models"?
Galla: Ich empfinde das eher als Quatsch. Die Idee basiert ja auf der Geschichte des Magerwahns, dabei gibt es ja auch Models, die völlig normal sind. Es ist ja nicht so, dass jedes Model zu mager ist und etwas dazu retuschiert werden muss. Jetzt nimmt die Brigitte die ‚normale’ Frau, die meistens aber so schön ist und kein Pfund zuviel hat, so dass sie auch als Model arbeiten könnte! Dadurch fallen dann ja für die richtigen Models eigentlich Jobs weg und das finde ich nicht gut.

Wie konsumierst du Magazine, guckst du da besonders genau hin?
Galla: Ich ertappe mich oft, wie ich danach gucke, welcher Kollege welche Kampagne gemacht hat(lacht). Manchmal gucke ich mir in Magazinen erst mal die Seiten  mit den Werbeanzeigen an. Dadurch, dass ich in der Modeindustrie arbeite, kann ich damit einfach etwas mehr anfangen.  

Anfang 2011 beginnt die sechste Staffel von „Germany´s next Topmodel“. Wie findest du die Idee, in einer TV-Castingshow Models zu suchen?
Galla: Sehr unterhaltsam. Ich habe mir das sogar oft mit mehreren Freunden zusammen angesehen, das waren sehr lustige Abende! Ich selber hätte dort aber nie mitgemacht.

Das klingt nicht so, als würdest du das Format als ernsthaftes Sprungbrett für Models ansehen?
Galla: Primär geht es in dem Format um Unterhaltung, der wirkliche Gewinner dabei ist und bleibt Heidi Klum und der Sender Pro 7. Wobei am Ende ja immerhin eine dabei herauskommt, die den Titel und den Job wirklich bekommt. Wie nachhaltig die Modeljobs dann später sind, das weiß ich nicht. Das spielt aber eigentlich auch keine so große Rolle, immerhin hat die Kandidatin dann erst einmal 250.000 € auf der hohen Kante. Bei dem Rest der Kandidatinnen sieht das anders aus, die haben es als Show-Nebenprodukt sicherlich nicht so leicht.

Hältst du die Sendung für gefährlich, was die Beeinflussung des Selbstbildes junger Mädchen anbelangt?
Galla: Es kommt darauf an, wie reflektiert die jungen Mädchen sind. Ich denke, allgemein gesprochen ist es für einige Charaktertypen nicht ungefährlich, was für ein Bild der Frau in den Medien glorifiziert wird. Aber wenn ein Mädchen dann dem Magerwahn verfällt, dann hat das meiner Meinung nach noch viel mehr Gründe, als die Darstellung der Frau in den Medien.

Würde es eine männliche Version der Castingshow „Germany´s next Topmodel“ geben, würdest du dich da heute bewerben?
Galla: Nein, weder damals noch heute. Es war ja auch nie mein Ziel mit meinem Aussehen Geld zu verdienen und ich hatte keine Ambition Model zu werden, deswegen hätte ich da auch niemals mitgemacht. Würde ich allerdings gefragt werden, ob ich in die Jury um Heidi Klum herum möchte, dann würde ich zusagen. Darauf hätte ich total Lust, das stelle ich mir sehr lustig vor!

Du arbeitest nebenbei als Redaktionsassistent beim NDR. Wirst du in der Redaktion nicht schon ein wenig behandelt wie ein echter Star?
Galla: Ja, ich musste dort auch schon ein paar Dienste absagen. Was natürlich total ungünstig ist, wenn man am gleichen Tag dann abends in der NDR-Talkshow sitzt (lacht). Letzte Woche kam die Hauszeitung an meinem Arbeitsplatz und hat mich fotografiert und interviewt. Das war auch total lustig und die Kollegen haben dann natürlich viele Fragen zu meinem Modeljob gestellt, mir persönlich ist es aber eher unangenehm.  

Kunden, die dich buchen, wissen, dass du durch deine Prothese eingeschränkter bist. War es trotzdem schon einmal Thema für einen Designer oder Fotografen dir nach einem Shooting deine Prothese wegzuretuschieren?
Galla: Ja, also von mir aus immer gern (lacht). Es war tatsächlich auch schon einmal so, also zumindest so ähnlich. Es ging um ein Editorial in Frankreich, da hatte ich Stiefel an und die bekomme ich wegen meiner Prothese oft nicht zu. Bei dem Shooting haben sie dann den Stiefel offen gelassen und später das Foto entsprechend bearbeitet. Ich finde es toll, wenn die sich die Mühe machen und mich trotzdem buchen, weil der Kunde dadurch ja einen größeren Kosten- und Zeitaufwand hat.

Du modelst jetzt seit vier Jahren. Was ist das Anstrengendste am Modelbusiness?
Galla: Vor allem die Warterei. Manchmal sind Jobs für acht Uhr angesetzt und man wartet bis 15 Uhr, bis man überhaupt dran ist. Da denke ich mir oft, dass die sich einfach mal organisieren sollten. Es sind halt viele Kreative in der Branche und denen eilt ja auch das Klischee voraus, dass sie leider etwas verplant sind.

Der gebürtige Niedersachse Mario Galla wird mit 22 Jahren in einem Hamburger Schnellimbiss als Model entdeckt. Trotz seiner Beinprothese nimmt ihn seine heutige Modelagentur PMA Models unter Vertrag, wenig später bekommt er den ersten Job für Hugo mehr

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