Herr Giordano, einerseits sind Sie vor allem durch Ihr Buch "Blackbox" bekannt geworden, das als "Das Experiment" verfilmt wurde, andererseits schreiben Sie Kinderbücher. Viel unterschiedlicher könnten die Genres ja gar nicht ausfallen.
Giordano: Nun, ich habe als Autor mit Kinderbüchern angefangen, wobei ich mich auch viel wohler fühle. Ich kann locker eine Abenteuergeschichte oder ein erzählendes Kinderbuch schreiben und muss nicht als Retter der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts auftreten. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass das auch mit Büchern für ein erwachsenes Publikum funktioniert und ich diese Lockerheit immer noch hatte. Ich erzähle eben gerne Geschichten und das ist unabhängig vom Alter des Publikums. Sicher wirkt das wie ein Bruch, wenn man Blackbox und meine Kinderbücher nebeneinander stellt. Aber so sehe ich das gar nicht. Denn letztendlich geht es doch immer um das gleiche, nämlich darum, wie Menschen zueinander finden und wie Menschen miteinander umgehen. In Kinderbüchern geht es zum Beispiel oft um den Wert von Freundschaft und darum, wie Freundschaft brechen kann. "Blackbox" ist zwar ein Extrem, aber erzählt ja auch, wie fragil solche Gebilde oft sind. Und das muss man auch erzählen.
Aber die Rolle des Retter der deutschen Literatur gefiele Ihnen gar nicht?
Giordano: Nein… Ich denke zum Beispiel beim Schreiben nicht über Literatur nach. Ich bin Autor geworden, weil ich gerne schreibe und erzähle und auch schon immer geschrieben und erzählt habe. Anfangs waren das Geschichten, die man sich auf dem Schulhof weitergegeben hat, jetzt sind das Geschichten in Buch- oder Drehbuchform. Ich glaube, es ist fatal beim Schreiben an Literatur zu denken. Und wenn es denn gelingt, wenn man sich Mühe gibt und man eine persönliche Sprache findet – dann müssen das immer noch andere beurteilen. Wenn ich beim Schreiben über Literatur nachdenke raubt mir das komplett die Lockerheit und wird nur zum Krampf. Man fängt man an, andere Autoren zu imitieren usw. Ich bin eigentlich ganz glücklich in der Unterhaltungsecke, da bin ich lieber. Georgio Strehler hat mal gesagt, ihn würde es gar nicht interessieren, ob das, was er macht irgendeinen Wert hat – er wollte nur gehört werden. Und wenn es nur eine Bühne auf der Welt gäbe, er würde dort stehen und spielen, nur für das Publikum und um überhaupt Publikum zu haben. Auch mir geht es darum, ein Publikum zu haben und dem etwas zu geben. Das Publikum muss dann sagen, was es bekommen hat.
In Ihren Kinderbüchern "Pablos Geschichte" und "Der Mann mit der Zwitschermaschine" erzählen Sie vom leben Picassos und Paul Klees. Steckt da ein bisschen der Wunsch dahinter, dem Desinteresse bei Kindern gegenüber Kunst, entgegenzuwirken?
Giordano: Ich behaupte es gibt kein Desinteresse bei Kindern, viel eher gibt es das bei den Erwachsenen. Kinder sind unglaublich neugierig. Ich mache übers Jahr sehr viele Lesungen an den unterschiedlichsten Schulen, in unterschiedlichsten Altersstufen und begegne immer sehr großem Interesse. Auch bei Schülern die mir als sehr schwierig versprochen werden, an sozialen Brennpunkten, in Haupt- und Gesamtschulen – das Interesse ist sehr, sehr groß. Bei Erwachsenen gibt es aber eine große Bequemlichkeit, man geht nicht mit den Kindern ins Museum und man setzt sich nicht mit Kunst auseinander. Mir geht es aber auch nicht darum, auf eine pädagogische Art und Weise Kunst zu vermitteln. Ich mache diese Bücher weil mir persönlich diese Maler sehr viel bedeuten und weil ich Lust machen will auf ihre Kunst. Man soll einfach Blut lecken, deswegen vermeidet der Text ja auch jede Art von Interpretation und Beschreibung des Werks selbst. Die Kinder sollen einfach gucken.
Und Sie verfolgen als Kinderbuchautor keine pädagogischen Ziele?
Giordano: Nein. Sicher transportiert jedes Buch – und das gilt ja nicht nur für Kinderbücher – in irgendeiner Weise eine Botschaft. Aber mit der Botschaft fängt man nicht an. Nie… das ist eine sehr deutsche Haltung, die aber Gott sei dank auch im Kinderbuch weitgehend überwunden ist. Mich persönlich hat das als Kind in den 70er Jahren sehr genervt, dass es in den Kinderbüchern immer um die kleine Anna und den bösen Hausmeister ging und es eigentlich nie erzählte Abenteuergeschichten waren – mir fehlte ganz einfach der Unterhaltungsfaktor. Mir geht es darum, unterhaltsame Geschichten für mein Publikum zu erzählen. Und ich glaube daran, was Billy Wilder mal über die 10 Gebote für einen guten Regisseur gesagt hat: 1.Gebot: Du sollst nicht langweilen, 2.Gebot: Du sollst nicht langweilen. 3.Gebot: Du sollst nicht langweilen … Es ist fatal das Publikum zu langweilen. Man muss eine spannende Geschichte erzählen. Und wenn die auch noch in irgendeiner Weise über die Welt des Publikums erzählt und mit der Welt des Publikums zu tun hat – dann wird es auch ein gutes Buch.
Schreiben Sie zur Zeit lieber Drehbücher oder Geschichten?
Giordano: Beides, es gibt da zwar zum Teil große Unterschiede aber auch viele Gemeinsamkeiten. Und mir macht beides Spaß, weil es immer wieder etwas anderes ist, weil es auch immer ein über-den-Tellerrand-gucken ist. Wenn man ein Drehbuch schreibt hat man es mit einem ganz anderen Arbeitsprozess zu tun, es ist auch sehr viel mehr Team-Arbeit. Ich habe dabei sehr viel übers Bücher-Schreiben gelernt – und umgekehrt nutze ich meine Erfahrung vom Bücher-Schreiben für die Drehbücher, da gibt es durchaus Synergie-Effekte.
Mich persönlich hat als Kind sehr genervt, dass es in den Kinderbüchern immer um die kleine Anna und den bösen Hausmeister ging - da fehlte mir der Unterhaltungsfaktor.
Und wie stehen Sie zur Verfilmung von Kinderbüchern? Es gibt ja die negativen Beispiele bei Michael Ende wie "Momo", "Die unendliche Geschichte"…
Giordano: Ich habe bei "Blackbox – Das Experiment" gemerkt, dass generell eine Verfilmung eine unglaubliche Aufgabe ist. Es ist viel schwieriger, etwas zu verfilmen als ein Drehbuch als Originalstoff zu entwickeln. Ich hatte bei "Blackbox" gedacht, das würde wie ein Spaziergang, da ich das Buch schon sehr szenisch gearbeitet und filmisch angelegt war. Aber es war trotzdem unglaublich schwierig. Verfilmungen sind schwierig und deswegen gibt sehr wenig gelungene. Eben weil viele sich in mit dem Drehbuch kaum Mühe geben. Andererseits gibt es auch Beispiele für gelungene Literatur-Verfilmungen, wie die "Pippi Langstrumpf"-Filme. Und bei Michael Ende, da war das so wie die Verletzung eines Heiligtums, weil so viele Leute diese Bücher gelesen haben und ihre eigenen Welten hatten. Und diese Welten – da kann man machen was man will – werden durch jedes Bild beschädigt. Trotzdem gibt es eine große Sucht, ein großes Bedürfnis, dann auch die Bilder wirklich mal zu sehen, auf einer Leinwand. Deswegen rennen ja auch alle Harry-Potter-Leser in den Film obwohl sie sich bereits ihr eigenes Bild geschaffen haben.
Und Sie – auch ein Harry-Potter-Fan?
Giordano: Ich bezeichne mich nicht als Fan, ich mag die Bücher, das eine mehr als das andere, bin aber kein Harry-Potter-Junkie.
Kleiner Themensprung, Stichwort 11. September. Wie, glauben Sie, kann man Kindern erklären, was an diesem Tag geschehen ist?
Giordano: Tja, den eigenen Kindern zu Hause diese Dinge zu erklären halte ich für eine außerordentlich schwierige Aufgabe. In der Lage bin ich allerdings nicht, da ich keine Kinder habe. Ich beschäftige mich eher mit der Frage, wie ich damit als Autor umgehe. Ich finde tatsächlich, dass man mit bestimmten Stoffen, die von zwischenmenschlicher Gewalt geprägt sind irgendwie erzählerisch umgehen muss, auch um dem allgemeinen Populismus vorzubeugen und eine differenziertere Sicht der Welt wiedergibt. Es gibt ja auch bei Kindern und Jugendlichen ein großes Bedürfnis, solche Geschehnisse in Geschichten reflektiert zu sehen. Nur bitte nicht mit dem pädagogischen Holzhammer.
Das Leben ist ein Comic – welche Comic-Figur sind Sie?
Giordano: Ich erinnere mich gar nicht mehr so gut an Comics. Ich habe aber einen Liebling gehabt und das war Luc Orient, ein Science-Fiction-Comic. Allerdings bin ich das nicht. Ich wäre viel lieber Snoopy. Der war immer mein Held und Alleskönner, der alles leicht und locker nimmt.