Herr Dornford-May, Sie haben Ihren Opernfilm „U-Carmen eKhayelitsha“ in einem südafrikanischen Township gedreht. Wann sind Sie das erste Mal nach Südafrika gekommen und wie waren Ihre ersten Eindrücke eines Townships?
Dornford-May: Das war vor etwa vor fünf Jahren. Und wie viele Europäer oder Amerikaner hatte ich eine Sichtweise auf Südafrika, die sehr von der politischen Vergangenheit des Landes geprägt war, ich selbst habe früher als Student sehr aktiv gegen die Apartheid protestiert. Die Vorstellungen, die ich von den Townships hatte, waren vor allem Vorstellungen von Gewalt und Chaos. Insofern war ich sehr nervös, als ich das erste Mal dort hingereist bin und sehr gespannt, was ich erleben würde. Ich war dann bei meinem ersten Besuchs eines Townships sehr schockiert. Ich meine, ich bin Brite, arbeite als Theaterregisseur, mir geht es also einigermaßen gut. Zu sehen, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben müssen, war insofern sehr schockierend für mich. Andererseits wusste ich, dass die schlechte Lebenssituation nicht automatisch bedeuten würde, dass auch der Geist und die Moral der Menschen beeinträchtig wäre.
Hat sich denn die Situation in den Townships in den vergangenen fünf Jahren verändert?
Dornford-May: Ja, Townships sind heut ganz andere Orte, als sie es noch vor fünf Jahren gewesen sind. Zum einen ist die Stabilität größer geworden, zum anderen ist man auch Teil einer großen Stadt geworden. Townships wurden ja früher immer als separate Gebiete, betrachtet. Wenn man über Kapstadt gesprochen hat, meinte man natürlich nicht die Townships, sondern nur den weißen Teil der Stadt. Das ist heute anders, wenn die Leute über Kapstadt reden, dann beziehen sie heute auch ein Township wie Khayelitsha mit ein. Das war ja auch ein Ziel unseres Films, den Leuten zu sagen: Wenn ihr nach Südafrika kommt, dann schaut euch nicht nur bestimmte Teile des Landes an, sondern seht Südafrika als Ganzes. Das Township Khayelitsha haben wir in unserem Film auch wie eine eigene Figur behandelt, mit all ihren Eigenheiten. Eben weil alle Townships sehr unterschiedlich sind und man sie nicht einfach alle in einen Topf werfen kann.
Seit mehreren Jahren gibt es auch Bustouren für Touristen durch die Townships. Von Europa aus gesehen wirkt dies wie eine große Geschmacklosigkeit – wie empfindet man das vor Ort?
Dornford-May: Also, ich kenne das von Johannesburg, wo man diese Touren machen kann und die Leute dann wohl einmal da durchfahren. Das ist an sich keine gute Sache, andererseits: es ist gut, wenn Touristen mal ein Township gesehen haben. Und es hilft den Townships auch ökonomisch, denn diese Rundfahrten wurden ja vor allem von schwarzen Taxifahrern ins Leben gerufen, die das Geld auch in die Townships fließen lassen.
Dem Kinozuschauer bietet sich in „U-Carmen eKhayelitsha“ ein zunächst ungewohntes Bild: ein komplett schwarzes Ensemble stellt Bizets Oper in der eigenen, alltäglichen Umgebung dar und singt sie zudem in der eigenen Sprache, der Xhosa. Inwiefern glauben Sie, haben die Europäer von einer Opernaufführung ein viel zu vorgefertigte Vorstellung?
Dornford-May: Ich denke schon, dass viele Opernbesucher eine sehr stereotype Sichtweise auf die Oper und Inszenierungen haben. Und ich bin der Meinung, dass dieses Genre entführt wurde, von einer Glitzer-Gesellschaft, welche die Oper jetzt für sich beanspruchen will. Unser Ensemble hingegen sieht die Oper als eine ganz natürliche, musikalische Ausdrucksform. Wissen Sie, es gibt in Südafrika um die 10.000 Chöre. Die würden alle einen traditionellen, südafrikanischen Song und einen Chor aus einer italienischen Oper hintereinanderweg singen. Da gibt es keinen Sänger, der sagen würde, das eine Stück Musik ist besser als das andere, weil es vielleicht zu einer „höheren“ Kultur gehört.
Ihre Akteure haben die „Carmen“ also auch nicht als ein europäisches Werk aufgefasst?
Dornford-May: Nein, überhaupt nicht. Sie würden höchstens sagen, dass es eine Oper ist, das ja. Und sie wissen, dass sie genauso wie die Europäer das Recht haben, so ein Werk aufzuführen.
Die sängerischen Leistungen im Film sind sehr außergewöhnlich und dürften selbst hiesige Opernkritiker überzeugen. Die Sänger stammen alle aus dem Ensemble „Dimpho Di Kopane“, welches Sie im Jahr 2000 in Südafrika gegründet haben. Haben alle Ihrer Sänger eine Gesangsausbildung hinter sich und konnten sie Noten lesen, als sie in das Ensemble aufgenommen wurden?
Dornford-May: Nein, es gibt auch im Film zwei Sänger, die nicht Noten lesen können. Aber diese Leute sind halt unglaublich musikalisch. Letztendlich ist die Notation ja auch nur eine Technik, ein Verfahren ist, Klang zu verschriftlichen, was aber nicht direkt etwas mit der Musik zu tun hat. Und um Klang hervorzubringen, ist es nicht unbedingt notwendig, dieses System zu verstehen.
Und die Hauptdarstellerin Pauline Malefane…
Dornford-May: Ja, viele haben mich gefragt, wie sie diese Rolle singen kann, weil man allein diesen Tonumfang nicht singen könnte, ohne richtig dafür ausgebildet zu sein. Pauline singt aber schon seit ihrem dritten oder vierten Lebensjahr. Sie hat vielleicht keine herkömmliche Ausbildung gehabt, wie man sie in Europa oder Amerika am Konservatorium bekommt. Aber wie Sie gesehen haben, Pauline ist heute gerade mal 25 Jahre alt und sie ist imstande, die Rolle der Carmen zu singen.
Was denken Sie, wird Ihr Film beim heutigen Opernpublikum bewirken?
Dornford-May: Ich glaube, dass wir mit diesem Film das Verständnis von Oper schon ein bisschen vorangetrieben, erweitert haben. Denn in der Art, wie wir den Opernstoff behandelt haben, wurde er glaube ich noch in keinem Film behandelt.