Martin Hetterich

Der Wahl-O-Mat bildet einen Gegenpol zum personalisierenden Wahlkampf

Der Politologe Martin Hetterich betreut bei der Bundeszentrale für politische Bildung den Wahl-O-Mat. Im Interview spricht er über die Nutzung des Online-Tools, die erhobenen Daten und warum Kanzlerkandidaten bei den Wahl-O-Mat-Fragen keine Rolle spielen.

Martin Hetterich

© Ulf Dahl

Herr Hetterich, bei der anstehenden Landtagswahl in Hessen hat der Wahl-O-Mat zuletzt für Streit gesorgt: Ein Wahl-O-Mat wurde für die Wahlen nicht entwickelt, dann wollte die Piratenpartei zunächst ein ähnliches Angebot schaffen, ist jedoch wieder zurückgerudert. Was war da los?
Martin Hetterich: In Hessen kam keine Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung zustande, deshalb hat es keinen Wahl-O-Mat gegeben. Dann gab es Teile der Piratenpartei in Hessen, die selbst einen Wahl-O-Mat erstellen wollten. Allerdings wollten die ihn auch Wahl-O-Mat nennen, was mit uns als Bundeszentrale für politische Bildung/bpb zu einem Konflikt geführt hat. Der Name „Wahl-O-Mat“ ist markenrechtlich geschützt und unsere Nutzer verbinden ihn mit Überparteilichkeit und einer großer Sorgfalt bei der Erstellung der Inhalte. Da wollten wir keiner Partei erlauben, ihn zu benutzen. Auch die anderen Parteien in Hessen haben da nicht mitmachen wollen – der fehlenden Überparteilichkeit der Piraten wegen.

Warum kam denn keine Kooperation mit der hessischen Landeszentrale für politische Bildung zustande?
Hetterich: Das müssen sie die Landeszentrale fragen. Wir bieten das den Landeszentralen immer an. In dem Fall hat die hessische Landeszentrale zu einer Kooperation Nein gesagt, und das mit einer anderen Schwerpunktsetzung bei der Wahlinformation begründet.

Die Frankfurter Rundschau schrieb, Geld- und Personalmangel seien der Grund…
Hetterich: Wie gesagt: Für die genauen Gründe müssen Sie die Landeszentrale fragen.

und bot dann selbst ein vergleichbares Programm im Netz an.
Hetterich: Das kann sein. Es ist der Vergangenheit schon ab und zu mal vorgekommen, dass es auf Landesebene keinen Wahl-O-Mat gab. Beispielsweise im Superwahljahr 2011. Da gab es sieben Landtagswahlen und nur fünf Wahl-O-Mate. In solchen Fällen entwickeln dann manchmal Medienhäuser etwas Ähnliches.

Bei der anstehenden Bundestagswahl wird der Wahl-O-Mat nicht nur auf den Internetseiten der bpb, sondern auch eingebunden in die Internetpräsenzen vieler großer deutschen Zeitungen und Zeitschriften angeboten. Insgesamt haben ihn schon rund neun Millionen Menschen genutzt. Was passiert eigentlich mit den Daten der Nutzer?
Hetterich: Wir sind eine Bundesbehörde und halten uns da an die gesetzlichen Bestimmungen. Und die heißen: Wir werten die Daten nicht aus. Das interessiert uns auch nicht. Für uns ist das ein Tool der politischen Bildung und kein Meinungsforschungsangebot. Und wir verpflichten auch unsere Medienpartner – also die Zeitschriften und Zeitungen – dazu, dass sie die Daten nicht auswerten und nicht an Dritte weitergeben. Kurz: Dazu, dass sie das Ganze nicht für irgendwelche Statistiken nutzen.

Das heißt, Sie wissen gar nicht, wer den Wahl-O-Maten nutzt?
Hetterich: Das ist eine andere Geschichte. Eine willkürliche Anzahl von Usern bekommt nach der Nutzung eine optionale Umfrage angeboten, die aber mit den politischen Inhalten nichts zu tun hat. Darin fragen wir zum Beispiel, ob das Ergebnis in Ordnung war und stellen Fragen zum Nutzer, zum Beispiel nach seinem Alter.

Was kommt dabei heraus?
Hetterich: Wir wissen, dass der Wahl-O-Mat zu gut einem Drittel von Menschen unter dreißig Jahren genutzt wird. Das ist im Vergleich zur gesamten Gesellschaft ein größerer Anteil. Gleichzeitig nutzen immer mehr ältere Menschen den Wahl-O-Mat. Dieser Trend verhält sich ja ähnlich in der Entwicklung der Internetnutzung in Deutschland.

Wie verlässlich ist das Tool eigentlich darin, jene Partei die mir als Nutzer nahe steht, zu erraten? Die Präsidentin des bayerischen Landtags Barbara Stamm, ist CSU-Mitglied. In einem Fernsehbeitrag war sie beim Nutzen des Wahl-O-Maten zu sehen. Und da kam heraus, dass sie inhaltlich der SPD nahe steht. Ist die jetzt eine verkappte Sozialdemokratin?
Hetterich: Ich war bei den Aufnahmen zu dem Beitrag dabei, konnte das aber nur aus der Ferne beobachten. Und ich glaube, sie hat den Wahl-O-Maten gemeinsam mit dem SPD-Politiker, der ebenfalls in dem Beitrag vorkommt, benutzt. Jedenfalls habe ich gesehen, dass die beiden gemeinsam an dem Rechner standen. So falsch war das Ergebnis also dann in dem Fall vermutlich doch nicht. Das entspräche dann auch unseren Statistiken: Die sagen ziemlich deutlich, dass neun von zehn Nutzern mit einer klaren Meinung in den Wahl-O-Mat hineingehen – also eigentlich wissen, welcher Partei sie nahe stehen. Und davon kommen wiederum 92 Prozent mit einem Ergebnis hinaus, das sie quasi erwartet haben oder ihrer Selbsteinschätzung entspricht.

Inwiefern taugt der Wahl-O-Mat dann dazu, Nichtwähler zu Wählern zu machen oder für Politik zu interessieren?
Hetterich: Wir wissen zumindest, das zwei Drittel unserer Nutzer im Anschluss das Bedürfnis haben, mit Freunden, Kollegen oder Verwandten über das Wahl-O-Mat-Ergebnis und damit über Politik zu sprechen. Das heißt, der Wahl-O-Mat wirkt auch in die Gespräche hinein. Und das ist eigentlich das, was wir auch erreichen wollen.

Zitiert

Der Wahl-O-Mat ist ein kleines Steinchen im großen Mosaik der Wahlentscheidung.

Martin Hetterich

Eine häufige Kritik an dem Wahl-O-Maten ist, dass er nur Parteien und nicht die zur Wahl stehenden Personen thematisiert. Im Falle der Bundestagswahl wären das die Kanzlerkandidaten. Warum ist das so?
Hetterich: Die meisten Wähler werden außer in Frau Merkels Wahlkreis oder in ihrem Bundesland nie Frau Merkel wählen können. Und auch nur selten Herrn Steinbrück. Sondern in der Regel die jeweiligen Parteien, also CDU oder SPD. Und auch im Bundestag sitzen später die Vertreter der Parteien und nicht nur deren Spitzenkandidaten.

Aber der Wahlkampf wird sehr personenbezogen geführt. Und auch die Politiker inszenieren sich im Rahmen des Wahlkampfes sehr bewusst, um die Menschen auch emotional zu erreichen. Sollte der Wahl-O-Mat das nicht auch abbilden?
Hetterich: Nein. Darüber, wie die Kandidaten in der Öffentlichkeit rüberkommen muss sich jeder selbst eine Meinung bilden – wenn er sich die Kanzlerduelle im Fernsehen anschaut oder an einem Infostand der Parteien die Direktkandidaten seines Wahlkreises trifft. Bei der Fokussierung auf die Kandidaten bleiben aber manchmal die Themen auf der Strecke: zum Beispiel, wenn nach dem Kanzlerduell nicht über die Inhalte sondern die Kette von Frau Merkel diskutiert wurde…

In der „Bild“-Zeitung vielleicht.
Hetterich: Auch anderswo wurde eher Banales thematisiert : Wer schaut sympathischer? Wer unterbricht häufiger oder lässt sich häufiger unterbrechen? Wer war angriffslustiger? Deshalb finde ich es gut, dass der Wahl-O-Mat zu einem sich immer mehr personalisierenden Wahlkampf einen kleinen Gegenpol bildet, der heißt: Das sind die Themen, schaut sie euch an. Und damit sind wir wieder beim Auftrag der bpb: einen überparteilichen und vergleichenden Blick auf die Themen zu werfen und junge Wähler für Politik zu interessieren.

 

Jeder Ihrer Mitarbeiter und Kollegen hat eigene politische Vorstellungen, inwiefern können diese mit den Aufgaben bei der BpB kollidieren?“
Hetterich: Es geht mir da wie vielen Kollegen hier im Haus: Nämlich, dass ich eine persönliche politische Meinung habe und am Wahltag irgendjemanden wählen werde. Gleichzeitig ist es Teil meiner Arbeit, nicht eine Partei zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Politische Bildner können und sollen sich natürlich privat auch für Politik interessieren und engagieren. Etwas anderes ist aber das Verhalten im professionellen Umfeld: hier sind wir dem Beutelsbacher Konsens verpflichtet und damit der Überparteilichkeit.

Was kommt denn bei Ihnen raus, wenn Sie den Wahl-O-Maten benutzen?
Hetterich: Ich habe ihn so oft durchgespielt, dass alles schon einmal herausgekommen ist, dazu bin ich ja schon als Projektleiter verpflichtet, der testen muss, ob denn auch alles funktioniert.

Der Kabarettist Volker Pispers hat mal vorgeschlagen, man solle den Wahl-O-Maten doch gleich in der Wahlkabine aufstellen. Der Wähler könnte ihn dann benutzen und der Wahl-O-Mat würde das Kreuz bei der Partei mit dem präferierten Parteiprogramm machen. Wäre das nicht in Ihrem Sinne? Die Wahl würde entpersonalisiert und es stünden die wichtigsten Themen im Vordergrund.
Hetterich: Ein gelungener Gag, aber eben ein Gag. Der Wahl-O-Mat ist ein kleines Steinchen im großen Mosaik der Wahlentscheidung, in die ganz, ganz viele Aspekte mit hineinspielen oder hineinspielen können. Eine Wahlentscheidung braucht natürlich die Auseinandersetzung mit den Themen. Aber erstens sind ja vielleicht speziellere Themen, von denen der ein oder andere seine Wahlentscheidung abhängig macht, nicht im Wahl-O-Mat dabei. Zweitens entscheiden natürlich auch Dinge wie Sympathien zu Spitzenkandidaten mit über die Wahl. Drittens spielen folgende Dinge vielleicht eine Rolle: Inwiefern vertraue ich einer Partei? Inwiefern tut eine Partei für mich persönlich etwas Gutes bzw. für einen kleineren Personenkreis, dem ich zugehörig bin?

Etwas Anderes, was im ‚Vorschlag‘ des Kabarettisten Pispers indirekt angesprochen wird, ist ja ein Trend hin zur Digitalisierung der Demokratie. Werden wir Bürger schon bald über das Internet unsere Stimme abgeben können?
Hetterich: An den jüngsten Skandalen sieht man ja: Online ist vieles nicht so sicher, wie man sich das gerne wünscht. Auch deshalb denke ich: Wir sind davon, eine Wahl über eine Onlineplattform abzuwickeln noch sehr, sehr weit entfernt.

Martin Hetterich, geboren 1982 in Schweinfurt, studierte Politologie an der Universität Erlangen. Nach Stationen als Praktikant bei der CDU-Bundestagsfraktion, sowie der Konrad-Adenauer-Stiftung war er Community-Moderator beim Projekt mehr

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