Herr Stadtfeld, wenn Sie auf der Bühne am Flügel sitzen, nehmen Sie da eigentlich die Leute im Publikum wahr?
Martin Stadtfeld: Nein, eigentlich gar nicht. Da ist man schon sehr versunken in seiner eigenen Sphäre. Wobei man natürlich schon mitkriegt, ob das Publikum ruhig oder unruhig, aufmerksam oder unaufmerksam ist.
Aber den Blick haben Sie immer fest in die Tasten gesenkt.
Stadtfeld: Ja, manchmal auch nach oben, aber im Prinzip schon sehr tastenorientiert. Das hat jetzt nichts damit zu tun, dass man sich selbst auf die Finger gucken muss, sondern dass man für sich diese abgeschlossene Situation haben möchte: verbunden, verschmolzen mit dem Instrument, wo einen auch gar nichts mehr tangiert, was von außen reinkommt. Das ist eigentlich auch etwas sehr Intimes.
Wie bereiten Sie sich auf ein Konzert vor?
Stadtfeld: Ich versuche einfach, sehr entspannt zu sein, mich am Konzerttag auszuruhen. Vielleicht gehe ich im Kopf noch einmal das Stück durch, aber auf andere Tätigkeiten versuche ich zu verzichten. Damit ich abends in der Lage bin, es wirklich auf den Punkt zu bringen und dabei ganz gelöst und entspannt bin.
Und die Noten, werden die vor einem Konzert nochmals studiert?
Stadtfeld: Nein, das ist in der Regel nicht mehr nötig, weil man das jeweilige Stück zu dem Zeitpunkt ja schon ganz verinnerlicht hat. Im Gegenteil: es ist so, dass man versucht, ganz von den Noten loszukommen, man muss sich darauf verlassen können, dass man ein Stück beherrscht. Man muss sich frei machen von allen anderen Dingen und sich ganz auf die Musik konzentrieren. Und das kann man am besten im Kopf, völlig losgelöst vom eigentlichen Notentext.
Wann gelingt Ihnen ein Konzert am besten – wenn im Alltag alles perfekt läuft oder eher dann, wenn man gerade bewegte, konfliktreiche Zeiten durchlebt?
Stadtfeld: Das ist jetzt schwer auf den Punkt zu bringen. Ein Konzert ist ja immer eine Art Momentaufnahme. Wenn ich beispielsweise ein Klavierkonzert mit Orchester spiele, dann sind das 20-30 Minuten, in denen alles gesagt werden muss. Und diese Situation auf der Bühne, die setzt sich aus ganz vielen verschiedenen Faktoren zusammen. Unter Umständen kann es helfen, emotional bewegt zu sein, genauso hilft es aber auch, ganz entspannt zu sein. Es geht am Ende darum, dass man in dem Moment des Konzerts eine gewisse emotionale Bewegung verspürt, wie auch immer die jetzt entstanden ist; die kann mit deiner tatsächlichen Lebenssituation zu tun haben, die kann aber auch einfach aus der Musik herauskommen. Wichtig ist eine große Gelöstheit beim Spielen, dass man keine Angst hat, keine zu große Anspannung. Dann kann die Musik anfangen zu fließen und man kann sich richtig fallen lassen in die Musik. Wenn einem das gelingt, dann sind das die besten Konzerte.
Und sind die fehlerfreien Konzerte auch meistens die besten?
Stadtfeld: Also, es ist per se nicht schlecht, ein fehlerfreies Konzert zu spielen. Das sollte man vielleicht auch mal betonen, weil man heutzutage häufig hört, die Pianisten früher wären alle viel großartiger gewesen, hätten zwar schrecklich viele falsche Noten gespielt, aber emotional viel rübergebracht. Aber es ist ja eben nicht so, dass, wenn man viele Fehler spielt, automatisch die Interpretation emotional besonders beeindruckt. Es ist nur nicht so entscheidend, wenn eine Stelle mal nicht ganz so geglückt ist, wie man es wollte. Viel wichtiger ist die Aussage, die Idee, die ich in meinem Kopf habe und die ich übertragen will, durch das Medium Klavier, auf ein Publikum. Wenn das funktioniert, dann spielen auch drei, vier falsche Noten keine Rolle. Ärgerlich sind nur Fehler, die entstehen, weil man zu sehr angespannt und nervös ist.
Kommt das denn bei Ihnen noch vor?
Stadtfeld: Beim Spielen eigentlich nicht. Manchmal habe ich vor Konzerten so Momente, wo ich in der Tat ein bisschen leide. Aber kurz vor dem Auftritt wandelt sich dieses Gefühl und es ist dann irgendwie auch ein absolut starker Kick, raus auf die Bühne zu gehen, nach dem Motto: „Hier bin ich jetzt, spiele meinen Rachmaninow, meinen Liszt oder meine Goldberg-Variationen, ich spiele es für euch, die ihr da sitzt und ich werde selber dabei etwas erleben.“
Wenn Sie ein Klavierkonzert spielen, wie gestaltet sich für Sie die Zusammenarbeit mit Dirigent und Orchester? Sind Sie da mehr der auf sich selbst gestellte Solist oder sehen Sie sich eher als Mitglied eines großen Ensembles?
Stadtfeld: Es muss am Ende natürlich ein ganzheitliches Ergebnis sein. Aber das kann es eigentlich nur, wenn man als Solist den Dirigenten ein bisschen vergisst, wenn man wirklich nur bei sich ist und sich nicht mehr darauf konzentrieren muss, was das Orchester macht – weil man bereits aufeinander eingespielt ist. Das Orchester umgibt einen mit so einem Mantel der Sicherheit, einer Umgebung, die einerseits anregend sein muss aber eben auch sicher. Weil dann kann ich mich völlig treiben lassen und mich ganz auf die Sache konzentrieren.
2006 ist Mozart-Jahr, inwiefern haben Sie die Befürchtung, dass die Mozart-Mania in diesem Jahr mehr Kommerz und weniger eine wirkliche Ehrerbietung vor dem Komponisten ist?
Stadtfeld: Ich glaube, diese Befürchtung hat jeder, der Mozart liebt, dass das alles in eine bestimmte Richtung ausschlägt, die dann nicht nur mit der Musik zu tun hat. Die Beschäftigung mit Mozart ist für mich etwas ganz Individuelles, etwas sehr Subjektives. Insofern sehe ich das schon kritisch, wenn Mozart zu sehr breit getreten wird. Andererseits lasse ich mich davon auch nicht entmutigen – für mich ist sowieso jedes Jahr ein Mozart-Jahr.
Und Mozartkugeln, mögen Sie die?
Stadtfeld: Also, bei Mozartkugeln ist es doch so, dass man immer denkt, die würden so wahnsinnig toll schmecken. Aber wenn man dann mal wieder eine probiert, ist man eigentlich ein bisschen enttäuscht – weil, so doll sind die dann doch wieder nicht.