Die eine lebt in München, die andere in Schleswig-Holstein, kurz vor der dänischen Grenze. Obwohl Martina Borger und die dreizehn Jahre ältere Maria Elisabeth Straub an die tausend Kilometer voneinander entfernt wohnen, sind die beiden Autorinnen seit fast 25 Jahren ein erfolgreiches Duo. Kennen gelernt haben sie sich Mitte der Achtzigerjahre, als Hans W. Geißendörfer sie ins Autorenteam der „Lindenstraße“ holte. Nach über zehn Jahren und rund 500 Drehbüchern entschlossen sie sich, der Serie den Rücken zu kehren und sich auf das gemeinsame Schreiben von Romanen zu verlegen. Mit ihren raffiniert ausgetüftelten Beziehungsgeschichten und treffsicheren Analysen der menschlichen Psyche sind Borger & Straub inzwischen längst zu einem literarischen Begriff geworden. In ihrem aktuellen Buch „Sommer mit Emma“, dem eine Kritikerin bescheinigte, es sei „wie Sommerkino mit Gänsehaut“, gerät der Sommerurlaub einer Münchner Familie zur Katastrophe. Wir trafen Martina Borger, die eine Hälfte des Autorenduos, zum Interview.
Frau Borger, seit 2001 bilden Sie gemeinsam mit Maria Elisabeth Straub im Diogenes Verlag ein sehr erfolgreiches Autorinnen-Duo. Sie beide kennen sich ja aber schon viel länger, waren ab Mitte der Achtzigerjahre mehr als zehn Jahre im Autorenteam der „Lindenstraße“. Erinnern Sie sich denn noch an Ihre allererste Begegnung?
Borger: Sehr gut sogar, das war im Dezember 1985 bei der „Lindenstraße“. Ich war dort zunächst als Dramaturgin tätig und habe erst später mit dem Drehbuchschreiben angefangen, während Marie damals schon für die Serie geschrieben hat. Wir sind uns auf einem der ewig langen Flure auf dem Studiogelände in Köln-Bocklemünd begegnet und mochten uns von Anfang an, es war gleich gegenseitige Sympathie da. Ich war zu jener Zeit gerade mit meinem Sohn schwanger und Marie macht heute noch gerne nach, wie ich damals gelaufen bin – angeblich wie eine Ente (lacht). Später haben wir dann zufällig festgestellt, dass wir über sechs oder noch mehr Ecken sogar miteinander verwandt sind.
Von wem ging eigentlich die Initiative aus, sich zu zweit an einen Roman zu wagen?
Borger: Wir haben natürlich schon bei der „Lindenstraße“ zusammengearbeitet, indem wir – gemeinsam mit dem Produzenten Hans W. Geißendörfer – die Storylines für die Serie entwickelt haben. Die einzelnen Drehbücher haben wir in der Regel aber jeweils alleine geschrieben – bis auf zwei Mal. Zwei Drehbücher haben wir zusammen geschrieben und haben dabei festgestellt, dass das sehr gut funktioniert. Als wir 1998 bei der „Lindenstraße“ aufgehört haben, haben wir uns überlegt, ob wir nicht versuchen sollten, auch einmal gemeinsam einen Roman zu schreiben. Es war eher ein Versuchsballon und wir wussten am Anfang selbst nicht, ob dabei etwas herauskommen würde oder nicht.
In Ihrem aktuellen Buch „Sommer mit Emma“ geht es um den Hausboot-Urlaub einer Familie, der zu einem totalen Fiasko gerät. Wie kamen Sie auf diesen Stoff?
Borger: Vor fünf Jahren habe ich mit meinem Mann und meinen beiden Kindern, die jeweils noch einen Freund bzw. eine Freundin mitnehmen durften, eine einwöchige Bootsfahrt in England gemacht. Als ich zurückkam, habe ich Marie natürlich davon erzählt und sie war der Meinung, dass man so eine Reise, bei der die Leute auf einem Boot aufeinandersitzen und nicht voneinander wegkönnen, doch eigentlich einmal in einem Roman aufgreifen müsste. Wir haben dann einfach meine Schiffsreise als Ausgangspunkt genommen und uns überlegt, wie daraus eine dramatische Geschichte entstehen könnte. Sechs Leute auf engstem Raum, da passiert natürlich immer etwas. Und mit pubertierenden Kindern zu verreisen, ist nie ein Spaß (lacht). Selbstverständlich ist mein Urlaub nicht so tragisch verlaufen wie der Urlaub im Buch, wenngleich auch er sehr anstrengend war. Aber im Nachhinein hat es sich gelohnt, denn ich konnte meine Erlebnisse ja nun literarisch verarbeiten.
Eine Stelle im Buch ist mir besonders nachdrücklich in Erinnerung geblieben, vielleicht ist es sogar meine Lieblingsstelle. Als die Bootstoilette verstopft ist, bleibt der Familie nichts anderes übrig, als die sich darin befindlichen Exkremente mit Schöpfkellen aus dem Tank zu holen, in Eimer zu füllen und an Land auszukippen…
Borger: Ich habe das leider erlebt (lacht).
Oh, nein.
Borger: Doch. Aber nicht, dass Sie glauben, dass die Kinder – wie im Roman – mitgeholfen haben, den Tank zu leeren! Es war zwar einer von ihnen, der meinte „Man müsste da mal…“, im entscheidenden Moment waren sie dann aber merkwürdigerweise alle verschwunden. Mein Mann und ich mussten also alleine ran und es war entsetzlich! Als wir fertig waren, sind wir erst einmal unter die Dusche und dann gleich in einen Pub, um Schnaps zu trinken. Als unsere Kinder zurückkamen, war deren erste Frage natürlich gleich: „Kann man jetzt wieder drauf?“ (lacht)
Wenn Sie gemeinsam mit Maria Elisabeth Straub einen Roman schreiben, wie muss man sich das vorstellen? Sie sitzen ja nicht gemeinsam vorm Computer.
Borger: Genau, das ginge auch gar nicht, da ich in München wohne und Marie in Norddeutschland, kurz vor der dänischen Grenze. Wir kommunizieren also hauptsächlich per E-Mail und Telefon. Zu Beginn eines neuen Romans treffen wir uns jedoch für drei, vier Tage, um den Plot festzulegen; den Inhalt und die Figuren schon so genau wie möglich. Anschließend trennen wir uns wieder, einer fängt an zu schreiben und der andere setzt diesen Text fort. Das geht dann immer in Blöcken von etwa 20 bis 30 Seiten hin und her. Jeder darf aber auch in den Texten des anderen Änderungen vornehmen.
Und trotzdem wirkt am Ende alles wie aus einem Guss, man merkt beim Lesen überhaupt keine Übergänge.
Borger: Die soll man ja auch nicht merken! Am Anfang merkt man sie natürlich schon, weil jeder ein bisschen anders schreibt oder formuliert. Die zeitintensivste Arbeit ist es daher, den Roman am Ende in mehreren Durchgängen so zu polieren, dass man keine Übergänge mehr merkt. Das geht manchmal so weit, dass Marie und ich teilweise selbst nicht mehr genau wissen, wer welchen Teil ursprünglich geschrieben hat.
Gibt es in dieser Phase auch leidenschaftliche Diskussionen um einzelne Sätze?
Borger: Um einzelne Sätze nicht unbedingt, aber es gibt nach der ersten Fassung schon Diskussionen, wenn wir uns zum Beispiel nicht einig sind, wie eine Figur geführt ist oder wir denken, dass bestimmte Teile ein bisschen redundant sind und wir da noch ein bisschen Action rein bringen müssten. Um einzelne Sätze streiten wir nicht, da sind wir relativ uneitel, es geht mehr um die größeren Bögen.
Was ist für Sie die schönste Phase im Entstehungsprozess eines Romans?
Borger: Ich weiß nicht, wie es für Marie ist, aber ich selbst mag die Korrekturen am Ende nicht besonders, weil ich sie sehr mühsam finde. Ich mag das Planen am Anfang sehr gerne, wo wir unserer Fantasie keine Zügel anlegen müssen und einfach so drauflos spinnen können. Das Schreiben selbst mag ich dann natürlich auch gerne. Es ist immer sehr schön, wenn ich von Marie etwas geschickt bekomme. Ich schicke ihr einen Text und nach drei, vier Wochen bekomme ich dann von ihr die Fortsetzung. Das ist immer superschön, weil ich natürlich auch gespannt bin, was sie aus meinem Teil macht, wie sie daran anknüpft. Dadurch verändert sich die Geschichte ja auch immer wieder.
Fällt Ihnen das Schreiben leicht?
Borger: Ich weiß, es hört sich immer sehr schön an, wenn man als Schriftsteller sagt, dass man ständig kämpfen muss, um etwas aufs Papier zu bringen, aber ich selbst kenne diesen Kampf nicht. Ich bin ausgebildete Journalistin und wenn ich da bei jedem Artikel hätte kämpfen müssen, wäre das schrecklich gewesen (lacht). Dann hätte ich mir möglichst schnell einen anderen Beruf gesucht. Das Schreiben fällt mir überhaupt nicht schwer, es ist wirklich Spaß.
Aber es gibt doch sicherlich auch Tage, an denen Sie innerlich aufgewühlt sind, eigene Sorgen und Probleme haben und nicht unbedingt schreiben möchten. Wie schaffen Sie es an solchen Tagen dennoch, sich aufs Schreiben zu konzentrieren?
Borger: Ich kann das eigentlich sehr gut trennen. Es gibt ein Buch von Steven King über das Schreiben, das heißt „On Writing“, in Deutschland ist es unter dem Titel „Das Leben und das Schreiben“ erschienen. King sagt darin, man soll sich, auch wenn es einem schwer fällt, jeden Tag hinsetzen und schreiben – auch wenn man vielleicht schon weiß, dass man das Geschriebene hinterher wegwerfen wird. Man soll es einfach machen, nicht lange darüber nachdenken. Und an diesen Ratschlag halte ich mich. Man darf nicht gleich aufgeben, man muss dranbleiben. Man muss das Schreiben als tägliche Aufgabe sehen.
Bedeutet das gemeinsame Schreiben mit einer Co-Autorin vielleicht auch mehr Motivation?
Borger: Mit Sicherheit. Man weiß, da wartet jemand auf meinen Text, ohne ihn geht es nicht weiter. Man kann nicht einfach sagen: jetzt fällt mir sechs Wochen lang nichts ein. Aber es ist natürlich auch ein schönes Gefühl, weil man – wenn man stecken bleibt – weiß, da ist jemand, dem fällt dazu schon noch was ein. Das ist eine gegenseitige Arbeitserleichterung, die ich sehr angenehm finde. Wir haben beide ja auch schon alleine geschrieben, können also auch ohneeinander, aber es ist schon sehr schön, dass da noch jemand ist.
Man muss natürlich etwas erleben, um etwas erzählen zu können.
Wie sieht Ihr Alltag aus, wenn Sie an einem Roman arbeiten? Tauchen Sie für Monate komplett ab oder sind lediglich ein paar Stunden am Tag fürs Schreiben reserviert?
Borger: Letzteres. Gerade habe ich im „Spiegel“ einen interessanten Artikel über die Schriftstellerin und Lyrikerin Ulla Hahn gelesen. Sie sagt, dass sie, wenn sie an einem Projekt arbeitet, für den Alltag und auch ihre Familie nicht zu gebrauchen ist. So scheint es bei vielen Autoren zu sein, bei mir ist es jedoch überhaupt nicht so. Ich kann mir das auch gar nicht vorstellen. Ich habe ein bestimmtes Pensum, das ich am Tag erledigen möchte und wenn das geschafft ist, höre ich auf. Der Stoff geht einem danach natürlich immer noch im Kopf herum – selbst beim Bügeln oder Einkaufen hat man den Roman immer dabei und oftmals hat man dann ja sogar die besten Einfälle. Man denkt weiter oder sagt sich „da habe ich einen blöden Satz geschrieben, den ändere ich, wenn ich wieder zuhause bin“. Aber es ist nicht so, dass ich während des Schreibens aus dem normalen Leben raus und nicht mehr zu gebrauchen bin.
Schreiben Sie zu einer festen Tageszeit?
Borger: Ja, ich schreibe gern am Vormittag, damit ich am Nachmittag weiß, dass ich es erledigt habe. Ich würde nicht gerne erst am Nachmittag schreiben, weil ich es dann immer noch vor mir hätte. Mir ist es lieber, ich mache es gleich.
Das sagen viele Autoren – und dennoch existiert hartnäckig das Klischee, dass viele Schriftsteller erst am späten Abend oder gar nachts besonders kreativ werden.
Borger: Ich könnte überhaupt nicht abends oder nachts schreiben. Mag sein, dass es wirklich Autoren gibt, die bis nachts um drei – mit oder ohne Rotwein – am Computer sitzen; ich könnte das allerdings nicht, ich bin kein Nachtarbeiter. Selbstverständlich klingt es schön und geheimnisvoll, wenn man als Autor erzählen kann, dass man immer dann schreibt, wenn die anderen schlafen, aber das entspricht nicht meiner Art. Das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass ich schon geschrieben habe, als ich noch familiäre Pflichten hatte. Da war der Vormittag, wenn meine Kinder in der Schule waren, die einzige Zeit, zu der ich wirklich Ruhe hatte. Also hatte ich gar keine andere Wahl: ich musste gleich morgens an den Schreibtisch und loslegen. Das ist bis heute so geblieben, wenngleich die Kinder natürlich längst aus dem Haus sind.
Ihre Romane sind stets psychologisch ausgefeilt, humorvoll und bitterböse zugleich. Über „Im Gehege“ schrieb eine Kritikerin: „Borger & Straub schießen ihren Helden mit straffen Handlungsbögen ins (…) Verderben – für ihn nicht schön, für uns sehr unterhaltsam.“ Haben Sie manchmal Mitleid mit Ihren Figuren?
Borger: Nein, ganz und gar nicht. Und ich würde auch nicht sagen, dass der Lateinlehrer Jon Ewermann, die Hauptfigur in „Im Gehege“, eine böse Figur ist. So wurde sie ja von vielen wahrgenommen. Eigentlich ist er eine sehr menschliche Figur. Natürlich ist er arrogant und hält sich für besser als alle anderen Menschen, aber ertappen wir uns nicht oftmals selbst dabei, so zu denken wie er? Trotzdem ist von Anfang an klar, dass er an seinem Verhalten zwangsläufig zugrunde gehen muss. Und trotzdem mochte ich die Figur. Ich mag jede Figur, die ich schreibe, auch Emma in gewisser Weise. Viele Leser sagen, sie sei so grässlich, ich empfinde sie aber gar nicht so.
Das ist ohnehin ein interessanter Kniff. „Sommer mit Emma“ wird abwechselnd aus der Sicht der einzelnen Figuren erzählt, nur Emma, die Tochter des Vaters aus einem Jahre zurückliegenden Seitensprung, kommt nicht zu Wort.
Borger: Die Figur setzt sich aus den Beobachtungen der Menschen zusammen, jeder sieht sie anders und sie kann sich nicht rechtfertigen. Der Vater sieht sie als armes, vernachlässigtes Kind, was sie natürlich auch ist. Aber sie ist selbstverständlich auch noch etwas anderes.
Ihre Romane sind allesamt sehr realistisch, ich habe beim Lesen oft gedacht: ja, genauso könnte das passiert sein. Beobachten Sie viel in der wirklichen Welt?
Borger: Ja, und das muss man als Autor auch, sonst kann man nicht beschreiben. Aber beobachten nicht eigentlich alle Menschen gerne? Im Zug, beim Einkaufen, in der Stadt?
Spielt vielleicht auch die Lebenserfahrung eine Rolle? Hätten Sie vor zwanzig Jahren anders geschrieben?
Borger: Bestimmt, ganz sicher sogar. Ich habe manchmal auch ein bisschen Mitleid mit den ganz, ganz jungen Autoren, die oft ein Buch schreiben, das wirklich toll und das oft auch autobiographisch ist. Dann werden riesige Erwartungen in sie hineingesetzt, diese Autoren haben aber meistens nicht wahnsinnig viel mehr zu erzählen. Sie landen ein Mal einen großen Erfolg, haben dann aber das Problem, dass sie nicht wissen, worüber sie als nächstes schreiben sollen. Denn man muss natürlich schon etwas erleben, um etwas erzählen zu können. Man kann ja nicht nur alles aus dem Kopf holen. Deshalb halte ich es auch für wichtig, dass man, bevor man hauptberuflicher Autor wird, zunächst in anderen Berufen arbeitet, um Einblicke in verschiedene Lebensbereiche zu erhalten und Erfahrungen zu sammeln.
Wenn Sie einen Roman abschließen, mit welchem Gefühl tun Sie dies? Wehmut? Erleichterung?
Borger: Wehmut habe ich überhaupt keine. Wenn ich ein gutes Buch lese, habe ich dieses Gefühl manchmal. Man sieht, es sind nur noch dreißig Seiten bis zum Ende und man ist traurig und verärgert, weil man eigentlich nicht möchte, dass das Buch bald zu Ende ist. Beim Schreiben kenne ich dieses Gefühl hingegen gar nicht. Natürlich ist das Gefühl beim ersten Buch auch noch einmal anders als beim dritten, vierten oder fünften. Die Freude, die man beim Abschluss des ersten Buches noch empfindet, geht mit der Zeit leider verloren. Durch die mühseligen Korrekturen überwiegt bei mir am Ende dann doch eher Erleichterung (lacht).
Komischerweise ist der Leserkreis Ihrer Romane überwiegend weiblich, obwohl Sie alles andere als typische Frauenromane schreiben. Haben Sie eine Ahnung, warum das so ist?
Borger: Dazu muss man zunächst einmal sagen, dass alle Leute, die Romane lesen, hauptsächlich weiblich sind. 70 zu 30 ist das ungefähre Verhältnis. Wenn Männer zu Büchern greifen, dann wohl eher zu Sachbüchern und vielleicht interessieren sich Männer auch nicht so sehr für solche zwischenmenschlichen Dinge, über die wir schreiben. Vielleicht mag es auch Männer geben, die nicht so gerne Bücher lesen, die von Frauen geschrieben wurden? Ich glaube – und das halte ich für ein Problem –, Romane gelten generell als Frauenliteratur, wenn sie von Frauen geschrieben werden. Man müsste mal zehn Bücher auf einen Tisch legen und beobachten, zu welchem Buch die Männer greifen würden. Ob sie eher zu einem Buch von einem Mann greifen würden, weil sie denken, dass der ihnen mehr zu erzählen hat?
Wenn ich einen Blick in meinen Bekanntenkreis werfe, habe ich den Eindruck, dass viele Männer auch vorzugsweise Fantasyromanen lesen.
Borger: Solche Romane könnte ich im Leben nicht schreiben! Ich kann sie ja nicht einmal lesen (lacht). Momentan stehen ja wieder einige Romane aus der Fantasyecke auf den Bestsellerlisten und ich habe mir erst kürzlich überlegt, dass ich eigentlich einmal einen dieser Romane lesen müsste, um zu sehen, was die Leute daran so fasziniert. Ich habe dieses Vorhaben dann aber gleich wieder über Bord geworfen – ich kann solche Romane nicht lesen, sie langweilen mich furchtbar (lacht).
Sie waren – eingangs hatten wir es schon kurz angesprochen – über zehn Jahre im Autorenteam der „Lindenstraße“ und haben die Serie und ihre Charaktere maßgeblich geprägt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Arbeit?
Borger: Das war eine sehr schöne, aber auch extrem arbeitsintensive Zeit. Es gab Jahre, in denen wir wirklich nonstop geschrieben und ansonsten nicht mehr viel anderes gemacht haben. Für meinen Beruf waren es aber in jedem Fall gewinnbringende Jahre, denn sehr viel von dem, was ich bei der „Lindenstraße“ gelernt habe, fließt auch heute noch in meine Romane ein. Man lernt bei so einer Serie hervorragend, wie man lebendige Figuren entwickelt, Dialoge schreibt und eine Handlung von der Dramaturgie her spannend und stimmig aufbaut. Nach 13 bzw. 12 Jahren gab es letztlich aber trotzdem den Moment, wo Marie und ich gesagt haben: jetzt reicht’s dann auch mal. Ich weiß auch nicht, ob ich 25 Jahre für die „Lindenstraße“ schreiben wollte.
Wie lange haben Sie denn damals an einem Drehbuch geschrieben?
Borger: Na ja, man müsste eher fragen: wie lange konnten wir? (lacht) In dem Moment, wo wir den Auftrag zum Losschreiben hatten, hatten wir im Normalfall nicht mehr als sechs bis acht Wochen, um alles abzugeben. Da wir häufig bis zu zwölf Drehbücher am Stück geschrieben haben, mussten wir zum Teil mehr als ein Buch pro Woche schreiben. Das war Fließbandarbeit, acht Stunden am Tag.
In letzter Zeit haben Sie sich dann fast vollkommen auf das Schreiben von Romanen verlegt. Würden Sie das Romanschreiben im Vergleich zum Drehbuchschreiben als Luxus bezeichnen?
Borger: Dazu muss ich sagen, dass das Schreiben bei der „Lindenstraße“ innerhalb dessen, was im deutschen Fernsehen möglich ist, schon Luxus war! Wir hatten unheimlich viele Gestaltungsmöglichkeiten, es hat uns keiner reingequatscht, es wurde kaum korrigiert. Insofern war es schon Superluxus. Aber das Schreiben von Romanen ist natürlich noch einmal etwas anderes, weil man einen Roman ja erst vorlegt, wenn er komplett fertig ist und man auch nicht unter einem so großen Zeitdruck steht, wie es bei der „Lindenstraße“ war.
Haben Sie vielleicht auch die Lust am Drehbuchschreiben verloren?
Borger: Ja, ein bisschen. Es hat sich herausgestellt, dass das Arbeiten bei der „Lindenstraße“ ungewöhnlich angenehm war. Bei anderen Projekten sieht das häufig ganz anders aus. Nach unserem Ausstieg aus der „Lindenstraße“ haben Marie und ich die ARD-Serie „CityExpress“ konzipiert. Das sollte die erste Dauerserie weltweit werden, die in einem Zug spielt. Die Serie war dann leider ein ziemlicher Flop und wurde nach 40 Folgen abgesetzt – allerdings nicht ganz zu Unrecht, denn das, was da über die Bildschirme lief, hatte so gut wie überhaupt nichts mehr mit der ursprünglichen Idee von Marie und mir zu tun. Wir haben uns dann auch noch vor Ausstrahlungsbeginn öffentlich von der Serie distanziert. Das war eine ziemliche Enttäuschung und vielleicht schreibe ich seitdem auch deshalb nicht mehr so gerne Drehbücher.
Im vergangenen Jahr haben Sie jedoch trotzdem Ihren Roman „Im Gehege“ fürs Fernsehen adaptiert. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Im Roman wird vieles über Gedanken vermittelt und diese sind ja visuell nur schwer darstellbar.
Borger: Das Drehbuch zum „Gehege“ habe ich geschrieben, weil ich einfach Lust darauf hatte. Natürlich musste sehr viel gestrichen werden, die Handlung im Film ist unheimlich gerafft und zusammengezogen. Ich muss auch sagen, dass ich es mir ein bisschen leichter vorgestellt hatte, den Stoff zu adaptieren, weil ich die Geschichte ja schon hatte. Aber die Adaption hat dann noch einmal ihre eigenen Tücken. Ich habe versucht, die Dinge aus dem Roman rauszunehmen und ins Drehbuch zu übernehmen, die ich für wesentlich halte. Ob das geglückt ist, weiß ich nicht. Der Film war im Rohschnitt viel zu lang, sodass er noch einmal gekürzt werden musste. Und so sind dann zum Beispiel die Nachbarn von Jon Ewermann fast komplett rausgefallen, was ich sehr schade fand.
Würden Sie einen Roman zu einem Thema schreiben, das Sie vielleicht gar nicht interessiert, von dem Sie und der Verlag sich aber einen großen Erfolg erhoffen?
Borger: Wenn man mit anderen Autoren bei einem Glas Wein zusammensitzt, spricht man natürlich schon darüber, wie ein Bestseller unter Umständen aussehen könnte. Aber ich glaube, man kann einen Beststeller nicht konstruieren, das funktioniert nicht. Oder gibt es Beispiele, wo ein Autor einen Erfolg von Anfang an einkalkuliert hat?
Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ vielleicht. Oder „Der Turm“ von Uwe Tellkamp? Ost-West-Stoffe haben momentan wieder Hochkonjunktur.
Borger: Den „Turm“ habe ich zum Beispiel nicht gelesen, weil mich die Dicke abschreckt.
Aber er wurde ja trotz der Dicke sehr erfolgreich.
Borger: Wobei ich mich dann aber auch frage, ob die Leute das Buch wirklich gelesen haben oder ob sie es nur als Coffeetable-Book verwenden, das man sich ins Wohnzimmer legt und der Besuch zwangsläufig dazu genötigt wird zu sagen: „Ah, du liest gerade den Tellkamp?“ – „Ja, ich bin aber noch nicht weit.“ (lacht) Es gibt meiner Meinung nach Bücher, die von den Leuten nur gekauft werden, um sie repräsentativ ins Bücherregal zu stellen. Ich weiß auch nicht, ob mich persönlich die Thematik von Tellkamps „Turm“ ansprechen würde – und wie gesagt: mich schreckt die Dicke ein bisschen ab.
Mögen Sie keine dicken Bücher?
Borger: 500 bis 600 Seiten, das geht vielleicht gerade noch, wenn einen die Geschichte interessiert. Aber es gibt ja zum Beispiel gerade diesen neuen Roman aus dem Nachlass von David Forster Wallance. Der würde mich theoretisch interessieren, aber er hat 1550 Seiten. Und so ein dickes Buch kann ich einfach nicht lesen. Ich wüsste nicht einmal, wie man es hält; man kann sich mit so einem Schinken ja nicht einfach gemütlich ins Bett legen. 1550 Seiten, der arme Übersetzer.
Ich bin einer von den 30 (30:70 Männer/Frauen Leser*innen) und über 80 Jahre alt. Vor ca. einem Vierteljahr habe aus dem Grabbeltisch meines Buchhändlers „Im Gehege“ für 1 € mitgenommen. Und nun habe ich es endlich gelesen – mit Genuss. So etwa zur Hälfte des Buches habe ich gedacht: Die (Julie) hat noch woanders etwas am Laufen und so etwa ab letzten Drittel hatte ich ganz stark Timo im Verdacht, was sich dann ja schließlich bestätigte. Ich lese gern „Frauenliteratur“, sie schreiben gefühlvoller als Männer. Ebenfalls vom „Grabbeltisch habe ich „Die Falle“ von Melanie Raabe – super! Von Nino Haratischwili habe ich mir „Das achte Leben“ und „Mein dritter Zwilling“ zu Gemüte geführt. „Das achte Leben“, eins der schönsten Bücher, die ich in meinen 63 Lesejahren gelesen habe. Allerdings habe ich auch alle Bücher von Robert Harris gelesen, besonders gern die „Cicero-Trilogie“ in einem Rutsch. Ich werde weitere Bücher von Borger & Staub lesen und genießen. Glückwunsch, sehr gelungen!