Matthias Goerne

Kunst ist nicht an Alter gebunden, sondern an eine innere Erfahrung an Reife.

Sänger Matthias Goerne über sein Verhältnis zur Oper, Bergs Wozzeck und verschiedene Zugänge zum Barock, zur Romantik und der Neuen Musik

Matthias Goerne

© Decca

Herr Goerne, sind Sie als Bariton eigentlich glücklich mit Ihrer Stimmlage, steht man da nicht oft im Schatten der glamourösen Tenöre…
Matthias Goerne: Nein, vor allem für das Liedrepertoire, welches ich singe, halte ich die Baritonlage für die geeignetste Stimmlage aus dem Grund, dass die Nähe zur Sprechstimme im Baritonfach relativ gegeben ist. Natürlich gibt es die ein oder andere beneidenswerte Tenor-Partie, aber ich bin mit meiner Stimme schon sehr zufrieden.

Kein Neid auf Ihre Tenor-Kollegen, Heldenarien, Frauenschwarm…?
Goerne: …nein, ich kann mich da nicht beklagen. Das ist überholt und wir leben heute in einer anderen Zeit. Heute gibt es ja auch nicht mehr die großen Diven und Superstars, die mit 20 Koffern unterwegs sind, wie noch vor 20-30 Jahren. Es gibt noch ein paar Dinosaurier, deren Namen sind allen bekannt, aber das stirbt aus und die junge Generation ist anders drauf. Ich glaube, die Anforderungen und die Schnelllebigkeit heutzutage erlauben einem gar nicht mehr, sich irgendwelchen Eskapaden hinzugeben. Das ist vergeudete Zeit und wird einem mittlerweile auch übel genommen. Ich bin wirklich glücklich mit meiner Stimme, alles andere wäre undankbar gegenüber meinem Schicksal und der Natur, ich habe sehr viel Glück gehabt.

Sie singen relativ selten in der Oper, liegt das auch am Rollenrepertoire?
Goerne: Nein, das Repertoire ist groß, aber mein Interesse an dem Repertoire ist nicht so groß. Mittlerweile mache ich schon mehr Oper, eine Produktion im Jahr. Das sind dann etwa 15-20 Abende im Jahr, also etwa ein Drittel meiner Auftritte. Wenn man 35 Liederabende im Jahr zu singen hat und im Schnitt 6 neue Programme, bedeutet das zwischen 120 und 160 Lieder jedes Jahr lernen, also 15-20 Stunden neue Musik lernen. Da liegt auf der Hand, dass für Oper nicht mehr viel Zeit übrig bleibt. Das ist eine Entscheidung die ich getroffen habe zumal mir die Entfaltungsmöglichkeiten im Lied und Konzert sehr wichtig sind. Ich möchte die Oper nicht missen, aber die Möglichkeiten, sich individuell zu betätigen sind im Liedrepertoire natürlich viel größer, als wenn ich mal hier den Papageno, dann mal den Danilo und mal da den Barbier gebe. Ich halte nichts von diesem Mischmaschrepertoire-Theater. Die Orte, wo ich singe, ob nun Salzburger Festspiele, Metropolitan Opera oder Zürich, sind außerdem so gut – wenn ich da die richtige Oper mache, bedeutet mir das schon viel. Das ist auch davon abhängig, wer dirigiert, hat man wirklich Proben, ist es eine Neuinszenierung oder Wiederaufnahme. Ich habe nichts gegen Wiederaufnahmen, wenn man eine Möglichkeit hat, nicht nur Mayer-Schulze hinterher zu singen, der ein paar Jahre vorher die Premiere gesungen hat, sondern man sich selbst mit neuen Ideen einbringen kann, man muss variieren können. Ich möchte Stücke auf eine Art und Weise erarbeiten, dass das Resultat auch mit mir zu tun hat und möchte nicht der 20. Sänger in einer 15 Jahre alten Inszenierung sein, wo eigentlich keiner mehr die Berechtigung hat, zu fragen, ‚was machen wir hier eigentlich und warum‘ – die Antwort kann einem dann keiner mehr geben.

Und die Lust auf das Schauspielen?
Goerne: Die ist sehr groß, Schauspielen macht mir viel Spaß. Aber das funktioniert auch nur, wenn das Umfeld stimmt, wenn wirklich gut gearbeitet wird, wenn man einen guten Regisseur hat und wenn genügend Zeit ist für Proben.

Würden Sie theoretisch jede Rolle annehmen, die Sie angeboten bekommen?
Goerne: Nein, es gibt Stücke, die ich mir zwar gerne anschaue, aber nicht unbedingt der Meinung bin, dass ich sie unbedingt singen muss. Das ist ja auch eine Frage des Typs – Typisierung und Spezialisierung sind maßgebend für unsere Zeit, auch global gesehen. Speziell beim Gesang ist es auffällig, dass jemand, der ein guter Graf ist, kein fantastischer Barbier sein muss. Doch dies wird eher selten berücksichtigt. Es geht nur danach: derjenige könnte es singen, weil er so tief, so hoch, so laut und so leise singen kann, deshalb sollte er es singen. Die Frage, ob derjenige überhaupt Lust hat, es zu singen, was ist er für ein Typ und ist er eine Person, die mit der Rolle auf irgendeine Art und Weise auch zusammenfindet, wird oft gar nicht gestellt. Ich finde manche Partien zwar fantastisch, die mir vom Typ her aber nicht liegen und ich bin gut beraten, wenn ich nicht gegen diesen Instinkt angehe und versuche es irgendwie trotzdem zu singen. Das wäre nicht Sinn der Sache. Musiktheater bedeutet eben, dass die inhaltliche Konzeption in einem völlig ausgewogenen Verhältnis mit den musikalischen Fähigkeiten der Beteiligten stehen muss.

Der Wozzeck von Alban Berg ist wohl derzeit Ihre Lieblingsrolle, was begeistert Sie an diesem Werk?
Goerne: Das ist nun eine Jahrhundertoper, für den Beginn unseres Jahrhunderts wahrscheinlich das Schlüsselwerk und ich kenne kaum Stücke, die darüber hinauskommen. Ich glaube, wenn man Musikentwicklung als Fortschritt begreift, gegenüber einem anderen Stil, dass etwas neues hinzugekommen ist, dann würde ich sagen, hat der Wozzeck bereits eine Qualität, die es vorher nicht möglich war zu finden. Natürlich sind Epochen an sich immer unvergleichbar, weil jede eine andere Qualität hat. Aber dieses Stück ist derartig gut, das Libretto ist so komprimiert – für mich eine der fantastischsten Opern mit einer unglaublichen Wucht. Und mich als Sänger muss man verstehen: nach Wozzeck hat man nicht mehr Lust auf jede Rolle.

So manch einer meinte, Matthias Goerne wäre für den Wozzeck noch zu jung, was die stimmliche Bewältigung anbelangt.
Goerne: Das hat damit zu tun, dass man sicher anderes gewohnt ist, von Franz Grundheber und ähnlichen Stimmen, die das sehr gut machen. Aber man darf nicht die Kenntnis von jemandem wie den Dohnanyi unterschätzen und letzten Endes auch nicht meinen sängerischen Instinkt. Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich mir nicht sicher gewesen wäre, dass es funktioniert hätte und der Erfolg gab mir schließlich Recht. Der Erfolg gab auch Bo Skovhus Recht, der von der stimmlichen Vorraussetzung wahrscheinlich ein noch viel mehr in die Höhe orientierter Bariton ist als ich und der Wozzeck ist eine enorm tiefe Partie, mit vielen tiefen Stellen zu sprechen. Der hat es fabelhaft gemacht und bewiesen, dass es funktioniert, er ist in etwa meine Generation. Sicherlich haben wir den Rekord gebrochen vom Alter her. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die eigentliche Uraufführung ein junger Sänger um die 30 singen sollte, der ist damals erkrankt und ein älterer ist eingesprungen. Tatsache ist, wer die Uraufführung macht, der bestimmt das Stück und so wurde hier eine Tradition gesetzt, die sich nicht zwangsläufig aus dem Notentext ergibt. Das muss nicht die wuchtige, eher ins ältliche und ins Heldenfach gehende Stimme sein, überhaupt nicht. Und vom Alter her ist es perfekt, was die Handlung anbelangt, genau richtig für mich.

Und Sie stoßen nicht manchmal an Grenzen aufgrund ihres jungen Alters?
Goerne: Nein, wenn jemand fragt, warum singt der schon die Winterreise, der ist doch erst 33 Jahre, dann kommen immer Argumente wo ich merke, die Leute haben das Stück nie genau gehört. Ein Lied wie ‚Der greise Kopf‘ zum Beispiel setzt doch voraus, dass es ein junger Mann ist, denn er hat schwarze Haare und nicht graue. Ich denke, Kunst ist nicht an Alter gebunden, sondern an eine innere Erfahrung an Reife. Entweder man hat etwas zu sagen oder nicht. Wenn das Alter die wesentliche Komponente wäre, würde doch mein Verhältnis zu jemandem wie Alfred Brendel – uns trennen 37 Jahre – auch nicht funktionieren. Dann wäre ich sein Diener und er mein Meister, aber das ist gewiss nicht so.

Sie arbeiten öfters mit Pianisten zusammen, die nur kaum Liedbegleitung machen, wie eben Brendel oder Vladimir Ashkenazy. Prägt das die Zusammenarbeit?
Goerne: Man kann wirklich sagen, dass das etwas sehr spezielles ist, aber generell mache ich die großen Konzerte mit großen Solisten. Eine Ausnahme ist der Eric Schneider, ein atemberaubend guter Liedbegleiter, mit dem ich durch die ausschließliche Zusammenarbeit über die vielen Jahre eine sehr gute Kenntnis habe. Und trotzdem ist eine Zusammenarbeit, wie die mit Brendel doch eine andere, weil dessen Herangehensweise viel energischer und auch eine solistische ist. Auf einmal erscheint ein Stück in einem anderen Licht, für bestimmte Phrasen habe ich weniger Zeit, ich muss bestimmte Details weglassen und merke, dass sich durch das Weglassen von Details etwas anderes und neues erschließt und man trotzdem zum Kern des Stückes gelangt. Das ist für mich eine ganz wesentliche Erfahrung, sehr viel anstrengender zwar, weil man etwas entgegen gesetzt bekommt, an Entschiedenheit und Unverrückbarkeit in der Auffassung, aber dazu muss einem auch etwas einfallen.

Sie sagten, wer die Uraufführung singt setzt den Standard und bestimmt die Tradition, ist das etwas, was sie auch reizt?
Goerne: Das reizt einen schon und das hat natürlich mit dem jeweiligen Stück zu tun. Wenn man ein Stück von Komponisten wie Henze, Rihm, Reimann oder Berio uraufführt ist das natürlich schon ein Ereignis mit einer speziellen Atmosphäre, welches man gespannt erwartet. Und wenn es vielleicht für einen selber geschrieben ist, kommt auch die Ehre dazu, da reagiert man vollkommen menschlich und freut sich. Aber in erster Linie ist ausschlaggebend, ob einem das Stück liegt und ob man dem Stück gerecht werden kann. Wenn das gewährleistet ist, kann es vielleicht ein Erfolg werden.

Ist es im Konzertalltag leicht umzusteigen, erst einen Liederabend mit Schubert und kurz darauf den Wozzeck zu singen?
Goerne: Ich komme jetzt gerade aus Athen von zwei Konzerten mit Schubert-Programm und hatte vorher drei Vorstellungen gesungen vom Wozzeck in Zürich, dazwischen lag nur ein Tag für die Reise. Da ist die erste Frage, wie reagiert die Stimme auf diesen riesigen Unterschied, man sollte sich dazwischen eigentlich ein paar Tage Ruhe gönnen. Aber auch ohne die Pause ging es sehr gut. Von der Technik her singe ich beim Wozzeck auch nicht viel anders, nur ein bisschen ruppiger, ein bisschen lauter und brutaler. Ich glaube nicht, dass man mehrere oder verschiedene Arten haben sollte, etwas zu singen. Entweder man singt richtig, oder man singt falsch, es gibt nicht viel dazwischen. Konditionell ist das natürlich sehr anstrengend und stilistisch bewegt man sich in einer vollkommen anderen Welt. Solche Programmwechsel haben auch viel mit Erfahrung zu tun.

Sie singen Henze, Berg, Bach, Mozart, Schubert – haben Sie zu allen Epochen den gleichen Zugang?
Goerne: Sicher ist es nicht so, dass einem jeder Komponist gleich liegt. Sogar innerhalb eines Komponisten gibt es verschiedene Epochen, wo man auch Jahre findet, die einem nicht so liegen. Auch bei Schubert gibt es eine Epoche, die von der griechischen Antike geprägt ist, die zwar sehr intellektuell ist, sich aber schwer dem Interpreten und auch dem Publikum erschließt. Und wenn die Vorraussetzung ist, dass man das Lexikon der griechischen Antike im Konzert dabei hat, dann ist das schon schwierig für eine entspannte Atmosphäre, wenn die Leute doch eigentlich berührt werden sollen durch die Musik. Ich kann auch mit der französischen Musik nicht so viel anfangen und würde nie wirklich in die Versuchung kommen, französische Musik, ob das Rameau, Debussy oder Faure ist, zu singen. Ab und zu ein Stück ja, aber zu mehr hätte ich nicht den Ehrgeiz, solange ich noch so viel Repertoire habe, was noch aus meinem unmittelbaren Kulturkreis kommt.

Liegt das auch an der Sprache?
Goerne: Sicher, meine Art zu singen hat weniger mit der Art des Singens an sich zu tun, sondern mit der Verbindung von Sprache und Gesang und ich fühle mich sofort unwohl, wenn dabei etwas unklar bleibt. Für mich ist das leichter im Italienischen und im Englischen als im Französischen. Die Partie des Pellheas aus Debussys Pelléas et Mélisande ist eine Partie, die mir laufend angeboten wurde, aber das wäre in etwa genauso gewesen, als würde ich die Christus-Rezitative mit jemandem besetzen, der nicht deutsch spricht, das wird dann absurd. Ich glaube schon, dass die Frage, wo man her kommt – und glücklicherweise komme ich aus einem deutschsprachigen Land – ein ganz ausschlaggebender Punkt für die Gestaltung eines Stücks ist.

Wenn man sich also wohlfühlt in der deutschen Romantik und auch bei Wagner, wie stehen Sie da zur Diskussion um Inhalte und Ideologie bei Wagner, die immer wieder neu entbrennt?
Goerne: Ich kann das schwer beurteilen und sehe seine Musik getrennt von seiner Zeit. Antisemitismus gab es schon immer auf der Welt seit tausenden von Jahren, auch Wagner hat sehr unschöne Äußerungen gemacht. Dass ich diese nicht gut finde ist klar, aber ich versuche das zu trennen von den Kunstwerken, die er geschaffen hat und die zweifellos den Gipfel der Spätromantik darstellen. Ohne Wagner wäre kein Abschluss dieser Epoche geschaffen worden. Er war ein grandioser Komponist und ein unglaublicher Librettist, jemand, der wahnsinnig etwas von Theater und Oper verstanden hat, der ein Werk geschaffen hat wie kein anderer zu seiner Zeit. Seine Auseinandersetzung mit den Mythen und den Sagen wäre nicht so gut gewesen, hätte er nicht die Sagen gewählt, die ihn am meisten faszinierten, und die stammten eben aus dem Germanischen Reich. Das irgendwie in den Zusammenhang mit einer politischen Deutung zu bringen halte ich für müßig. Sicherlich ist er einer der Komponisten, der am leichtesten für die Nazis zu missbrauchen war, aber letztendlich kann man jedes Stück zurechtbiegen und mit ihm eine Ideologie ausüben, wenn man genügend Fantasie und Kreativität hat.

Wie ist Ihr Zugang zum Barock?
Goerne: Ich würde nicht sagen, dass der Zugang zum Barock für mich schwieriger ist als der zur Romantik, aber das ist ein Repertoire wo man wieder entweder Tenor oder Bass sein muss, weil es das Baritonfach an sich gar nicht gibt. Es gibt so die oder andere Partie, die man machen kann. Aber beim Barock gibt es so viele Eigengesetzmäßigkeiten, da müsste ich mich damit in dem Umfang beschäftigen, wie es zum Beispiel Emma Kirkby, oder Andreas Scholl machen, die den Barock sehr pflegen. Ich habe da keine emotionalen Schwierigkeiten, sondern es ist wirklich eine vollkommen andere Stilistik, die auch sängerisch vollkommen andere Mittel benutzt und die müsste ich richtig studieren. Da ist bezüglich der Interpretation mittlerweile derartig viel zu Tage getreten an erwiesenen Dingen, die man machen muss, ansonsten ist es falsch. Ich kann zwar auch ein Weihnachtsoratorium singen, aber hört man sich von Cecilia Bartoli die Vivaldi-Cd an, merkt man, dass dies eine Welt für sich ist. Da gibt es auch nur ganz wenige, denen diese Welt offen steht und da müssen ganz bestimmte stimmliche Spezialbegabungen vorhanden sein, um die Musik auf die Art und Weise zu realisieren, wie sie gemeint ist.

Fällt es Ihnen schwer, zeitgenössische Stücke zu lernen und zu singen?
Goerne: Nein, überhaupt nicht, das ist eine Frage des Fleißes und der Konzentration. Natürlich lernt man das vierte Stück zeitgenössische Musik schon leichter als das erste. Am Anfang muss man sich ein bisschen Zeit geben um eine bestimmte Tonsprache zu entdecken, die sich auch wiederholt. Eine bestimmte Reibung, eine bestimmte Spannung, die einem zum Beispiel bei Alban Berg am Anfang wahnsinnig vorkommt, begegnet einem auf Seite 40 wieder und man empfindet sie schon als vollkommen normal. Leider wird sich selten die Mühe gemacht, wirklich genau zu lernen und viele glauben, man könnte über Ungenauigkeiten hinwegtäuschen, weil es keiner nachvollziehen kann. Trotzdem merkt man das sofort, und sobald etwas nicht stimmt kommt Unruhe in den ganzen Apparat, und darunter leiden alle. Ich merke das bei Aufführungen des Wozzeck, wenn der Dohnanyi nicht da ist weil er absagen musste und ein anderer Dirigent einspringt, der das Stück lange nicht gemacht hat. Da kommt ein Unsicherheitsfaktor während der Proben rein, der alle sofort betrifft, auch wenn sie die Partie können und eine Unschärfe tritt auf einmal zutage, die alles verschiebt, und die jeder merkt. Auch wenn man dann nicht genau sagen kann, was nicht stimmt, weil die Musik zu komplex ist, spürt das der Musiker und auch der Zuschauer. Und auch wenn der Zuschauer weniger involviert und viel weniger geschult ist, spürt er auch bei zeitgenössischen Opern, ob das musikalisch sauber oder nicht sauber ist – vorrausgesetzt es ist gute Musik. Wenn es gute Musik ist, ist sie für mich leicht einzustudieren auch wenn der Schwierigkeitsgrad sehr hoch ist. Wenn es aber schlechte Musik ist und der Schwierigkeitsgrad ist hoch, dann ist es viel schwerer als bei wirklich guten, gekonnten Kompositionen.

Sie haben ein mal gesagt, wenn bei der Zusammenarbeit Regisseur, Ensemble, Dirigent keine Reibung entsteht, wird die Inszenierung nicht gut. Verhält sich das Ihrer Meinung nach generell so?
Goerne: Ich denke schon, nichts ist fürchterlicher, als dass eine Inszenierung nur ein sich einziges Ergänzen ist, wo die erste Lösung immer die beste ist. So ein Stück gibt es gar nicht. Generell ist das Anderssein und Andersempfinden überhaupt kein Nachteil, sondern Ausdruck dafür, dass jemand sich Gedanken macht und auf bestimmte Stimmungen individuell reagiert. Demzufolge stößt man auf Widerspruch oder auf Akzeptanz, und wenn die Reaktion gegenteilig ausfällt, muss man sich damit auseinandersetzen. Das bringt meistens mehr hervor als wenn jeder nur sagt: ‚gut, ich mache alles, wie der Regisseur es will und frage nicht, warum‘. Ich halte eine produktive Form von Reibung bei der Erarbeitung eines Werks für sehr wichtig.

Zwei Ihrer Lehrer waren Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau – wie wichtig waren diese Einflüsse für Sie?
Goerne: Das wird natürlich immer so überliefert. Die beiden waren aber nicht meine wichtigsten Lehrer. Der wichtigste Lehrer ist für mich der, bei dem man das singen lernt und das war mein Lehrer Hans Beyer in Leipzig, der mir einfach das Singen beigebracht hat, glücklicherweise mit guter Technik und der sehr Obacht gegeben hat, dass ich nicht zu zeitig irgendwelches Repertoire singe. Dass dann Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau, die dieses Jahrhundert enorm geprägt haben, natürlich sehr wichtig für mich waren und sind, ist klar, aber ohne den Beyer wäre ich gar nicht zu denen gekommen.

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