Herr Opdenhövel, Lena Meyer-Landrut sagte in einem Interview über ihre Siegchancen beim diesjährigen Eurovision Song Contest: „Ich rechne mit nichts, ich hoffe auf nichts.“ Womit rechnen Sie persönlich – und worauf hoffen Sie?
Opdenhövel: Ich rechne mit einem richtig guten Abend – was auch immer das am Ende heißen mag. Ich würde nicht sagen, alles was unter Platz Eins ist, wäre eine Enttäuschung. Ich finde es wahnsinnig mutig, dass Lena das macht. Der andere Weg, nämlich mit dem Siegerticket durchs Leben zu surfen, wäre für sie sicherlich der leichtere gewesen. Aber leicht ist ja nicht immer sexy. Und da ich auch ein sportaffiner Mensch bin, finde ich die Entscheidung sehr nachvollziehbar. Wenn Jürgen Klopp mit seiner jungen Truppe dieses Jahr deutscher Meister wird, wird er die Jungs ja auch nicht vom Spielbetrieb abmelden und sagen: ‚Was sollen die jetzt noch Großartiges erreichen?’ Ich finde es logisch, dass man mit einem Pokal in der Hand versucht, diesen auch zu verteidigen.
Wäre dieses „nichts“, von dem Lena da spricht, dennoch nicht viel zu wenig?
Opdenhövel: Natürlich würde niemand von uns jubelnd auf den Knien liegen, wenn sie den letzten Platz macht. Aber Lena hat ja im vergangenen Jahr die Leute in ganz Europa begeistert, ohne dass andere Länder viel von der „Unser Star für Oslo“-Hysterie mitbekommen haben. Die Menschen in Dänemark oder in der Türkei hatten nur diese dreieinhalb Minuten Lena auf der Bühne. Das hat ausgereicht, um von ihr angetan zu sein. Mit welcher Begründung also sollten dieselben Leute Lena in diesem Jahr blöd finden? Dazu müsste der Vortrag schon richtig schlecht sein, und so viel kann ich versprechen: Wir werden kein schlechtes Lied am Ende des Vorentscheids gefunden haben. Die Voraussetzungen, dass sie einen guten Platz in den Top Ten holt, sind schon ganz in Ordnung.
Marius Müller-Westernhagen, bekennender Lena-Fan, sagte hingegen dem "Spiegel": „Ich fürchte, Lena ist die Einzige, die dabei verlieren wird.“ Und weiter: „ Lena tut mir Leid, weil sie gar keine andere Wahl hat, als da zu gewinnen. 99 Prozent sprechen dagegen. Und wenn sie verliert, gilt sie als Loser. Niemand sonst, nur sie.“ Haben Sie und Stefan Raab keine Angst um Lena?
Opdenhövel: Ich persönlich sehe das erst mal anders. Ich rechne nicht mit der Titelverteidigung, das wäre viel zu ambitioniert. So geht keiner von uns da rein, auch nicht Lena. Aber ich könnte mir persönlich auch nicht vorstellen, was für ein Szenario aufkommen müsste, damit Lena nach dem 14. Mai als Verliererin dasteht. Daran glaube ich nicht.
Sie haben den sportlichen Wettkampf angesprochen. Würden Sie nicht lieber „Unser Star für Deutschland“ anstatt „Unser Song für Deutschland“ moderieren – also ein paar neue Kandidaten gegeneinander antreten lassen?
Opdenhövel: Ich finde beides spannend. „Unser Star für Oslo“ hat mir im letzten Jahr sehr viel Spaß gemacht, weil wir viele tolle Künstler und Charaktere gefunden haben, von denen man auch in Zukunft noch etwas hören wird. Damit meine ich nicht nur Lena, sondern zum Beispiel auch einen Christian Durstewitz. Insofern hatte diese Sendung eine ganz andere emotionale Dramaturgie.
Trotzdem finde ich die Idee eines Song-Contests statt eines Castings spannend. Da ich aber genauso wenig eine Glaskugel besitze wie Marius Müller-Westernhagen, kann ich nicht sagen, was passieren wird. Grundsätzlich finde ich es gut, dass man sich nicht wiederholt, und dass die Sendungen jetzt eine andere Farbe haben als die aus dem letzten Jahr.
Einige mögen verwundert sein, dass nicht Sie und Sabine Heinrich, sondern Anke Engelke, Judith Rakers und Stefan Raab das Finale des ESC in Düsseldorf moderieren werden. Hat man Sie nicht gefragt?
Opdenhövel: Ich kann doch nicht Stefans Jugendtraum torpedieren. (lacht) Außerdem finde ich es durchaus legitim, denn er hatte damals auch die Idee für den deutschen Vorentscheid. Und wenn Sie sich dann angucken, wo die Sendung ausgestrahlt wird, nämlich in der ARD, ist die Wahrscheinlichkeit auch relativ groß, dass nicht die kompletten Prime-Time-Moderatoren von ProSieben dafür ausgewählt werden, diesen Abend zu moderieren. Es war klar, dass sich die Besetzung mit einer Person von ProSieben auch erledigt haben würde.
Sie hätten es schon gerne gemacht, oder?
Opdenhövel: Ich habe ich in der 7. Klasse leider für Latein und gegen Französisch entschieden, womit die Chancen für eine Moderation auf Französisch leider gegen Null gehen. Dadurch sind die Chancen für Anke Engelke natürlich deutlich gestiegen. Und Stefan ist einfach das Mastermind dieser ESC-Sendereihe, deshalb hatte ich überhaupt kein Problem damit zu sagen: ‚Okay Junge, dann zeig uns dein Moderationstalent.’ Ich werde im Rahmen des Eurovision Song Contests aber auch oft genug auftauchen. Es gibt schöne Sendungen drum herum, die ich begleiten darf.
Sie sind in recht freien Formaten und in der Improvisation groß geworden. Muss jemand wie Stefan Raab Sie auch manchmal bremsen – damit aus Ihnen am Ende kein Alleinunterhalter wird?
Opdenhövel: Wir bremsen und puschen uns gegenseitig. Die „Schlag den Raab“-Konstellation zum Beispiel hat ja auch dadurch ihren Reiz, dass Stefan an dem Abend zwar der Star ist, aber der Host der Show bin ich. Deshalb muss er sich in einigen Fällen auch von mir ein bisschen was anhören lassen, wenn er gedanklich gerade irgendwo ganz anders ist und nicht zugehört hat. Ich habe die Bremse für ihn öfter in der Hand als umgekehrt.
Sie haben mal in einem Interview mit „TV Today“ gesagt, wenn Fehler bei einer Moderation passieren, müsse man offensiv damit umgehen. Warten Sie auf solche Fehler geradezu?
Opdenhövel: Ich bin nicht darauf erpicht, dass irgendetwas Schlimmes passiert. Ich meinte damit nur, dass man aus der Not auch eine Tugend machen kann – und auch sollte. Ich finde nichts schlimmer, als den Zuschauer für dumm zu verkaufen und so was zu sagen wie: ‚Hier ist zwar gerade zum 75-mal etwas stehengeblieben, aber schaltet nicht ab – der Weltrekord ist immer noch in greifbarer Nähe!’ Das habe ich beispielsweise bei der Kipp-Roll-Fall-Show eben nicht gemacht, denn sowas finde ich unterirdisch. Damit muss man dann offensiv und mit einer gesunden Portion Selbstironie umgehen. Man kann auch Fehler dankbar annehmen, wenn man sich treu bleibt und nicht plötzlich zu Staub zerfällt, nur weil eine schöne Idee auf dem Papier sich in der Sendung nicht durchsetzen konnte. Das heißt aber auch nicht, dass ich etwas gegen eine perfekt durchlaufende Show habe. Die kann auch unterhaltsam und spontan sein. Ich bin weit davon entfernt, irgendwelche Fehler herauf zu beschwören, um daraus irgendetwas machen zu können. Das wäre nur ein Konstrukt.
Mit Stefan Raab haben Sie bereits diverse Formate moderiert – entwickeln Sie die teilweise auch mit ihm zusammen? Etwa „Schlag den Raab“ oder „Unser Star für Oslo“?
Opdenhövel: Die Grundideen hat Stefan. Aber da wir uns schon sehr lange kennen und ich die Sendungen zum größten Teil als Host begleite, sprechen wir auch über vieles. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie mir Stefan vor fünf Jahren „Schlag den Raab“ vorgestellt hat. Bis nachts um Vier haben wir an dem Format herumdiskutiert und auch noch später daran gefeilt. Das tun natürlich nicht nur wir, sondern auch viele andere kreative Köpfe hinter den Kulissen. Und wenn es darum geht, die Köpfe zusammen zu stecken, bin ich immer gerne dabei.
Ich finde nichts schlimmer, als den Zuschauer für dumm zu verkaufen.
Hätten Sie Lust, selbst mal gegen Raab bei „Schlag den Raab“ anzutreten
Opdenhövel: Die Idee hat ihren Charme – aber auch einen großen Nachteil. Denn danach könnte ich die Show nicht mehr moderieren. Zwei Monate später die Treppe runter zu kommen und zu sagen, ‚so, jetzt machen wir’s wieder, wie Sie es von früher kennen!’ ginge nicht. Wenn wir das Ding in 20 Jahren wegen Rheumaschwierigkeiten von Stefan beenden müssen, werden wir uns aber sicher damit beschäftigen.
Nach Ihnen als Gegner wäre also keine Steigerung mehr möglich?
Opdenhövel: Nein, das ist die falsche Interpretation. Wenn ich selber aktiv war, wäre es ein Fehler, die Sendung danach noch zu moderieren. Man kann natürlich mal vom Host zum Akteur werden. Dann aber wieder zurück zum Host zu springen, wäre eine schwierige Dramaturgie. Ich meinte auch nicht, dass ich Stefan an die Wand spielen würde. Das glaube ich nicht – aber ich würde auch nicht untergehen.
In welcher Disziplin würden Sie ihn denn definitiv schlagen?
Opdenhövel: Ich glaube nicht, dass er mir in Tennis und Fußball in irgendeiner Form gefährlich werden könnte – um nur zwei Disziplinen zu nennen (lacht).
Sie moderieren derzeit ja nicht nur Raab-Formate, sondern auch große Abende wie den der „Echo“-Verleihung. Warum glauben Sie, werden Sie ständig für große Unterhaltungssendungen engagiert?
Opdenhövel: Keine Ahnung, da fragen Sie den Falschen. (lacht) Vielleicht weil ich eine gewisse Grundentspanntheit bei Live-Sendungen mitbringe. Das ist allerdings auch etwas, das man lernt. Sicherlich haben mir dabei die großen Shows geholfen, die ich in den letzten vier, fünf Jahren moderiert habe. Es gab ja mal so einen Trend, dass man jedem zweiten Comedian ein Mikro in die Hand gegeben und gesagt hat: ‚Moderier’ doch mal eine Abendsendung!’ Das halte ich für genauso schwierig, wie einen Moderator auf eine Stand-Up-Tournee zu schicken. Das sind einfach zwei unterschiedliche Berufe, und ich mache meinen Beruf schon seit 17 Jahren. Inzwischen ist es erfreulicherweise so, dass ich mich auf ‚20-Uhr-15-live’ ziemlich zu Hause fühle.
Es rücken in Deutschland nur wenige gute Live-Moderatoren nach. Fehlt denen einfach die richtige Ausbildung? Oder ist eine verändert Fernsehwelt daran Schuld?
Opdenhövel: Was heute fehlt, sind experimentelle Spielwiesen wie wir aus der ersten VIVA-Generation, sie Gott sei Dank bekommen haben. Wir konnten uns damals noch frei schwimmen und ganz viele Sachen ausprobieren, ohne dabei unter dem Drängler der Quote agieren zu müssen. Das ging dann auch weiter in Sendungen wie „Weck Up“, die ich vier Jahre lang mit Barbara Schöneberger gemacht habe. Da hatten wir einen der wunderbarsten medialen Sandkästen. Wir konnten rumspinnen, ohne dass es irgendjemanden sonntagmorgens um Acht aufgeregt hätte. Dadurch, dass es VIVA und MTV mit wirklichen Moderationsformaten nicht mehr gibt, hat die nachrückende Generation natürlich nicht mehr die Möglichkeit, als Mensch vor der Kamera einigermaßen behütet groß zu werden. Viele werden ins kalte Wasser geworfen, und wenn ihre Sendung dann nicht rated, müssen sie den Schlüssel wieder abgeben. Das liegt also leider an der Konstellation der Sender, die es im Moment gibt – beziehungsweise der Sender, die es leider nicht mehr gibt.
Schlechte Moderatoren erkennt man auch daran, dass sie angestrengt wirken. Aber ist eine Moderation an sich wirklich anstrengend, oder ist es eher das Umfeld, etwa das Leben in TV-Produktionshallen?
Opdenhövel: Es ist nicht so, dass man samstagabends um Viertel nach Acht die Treppe runter kommt und eine Attitüde mitbringt, als würde man mal eben einen Kasten Bier aus dem Keller holen. Es ist ein Kompliment, wenn man gesagt bekommt, dass man unangestrengt über den Schirm kommt. Ich möchte als Zuschauer auch nicht mit dem Moderator mitfiebern und hoffen, dass er die Show irgendwie unfallfrei über die Bühne bringt. Dann kann man sich beim Gucken auch nicht entspannen.
Aber wie ist es bei Ihnen mit der Anstrengung heute?
Opdenhövel: Bei mir selbst hat sich das entwickelt. Es ist klar, dass man beim 27sten „Schlag den Raab“ mehr Entspanntheit an den Tag legen kann, als bei der ersten Sendung um diese Uhrzeit und in dieser Länge. Dabei hilft dann auch wieder die Erfahrung. Grundsätzlich ist so eine Sendung aber auch nicht unanstrengend. Rudi Carell hat schon mal den passenden Satz gesagt: „Wenn es so aussieht, als wäre es aus dem Ärmel geschüttelt, dann muss man halt vorher auch was in den Ärmel rein getan haben.“ Das sind die ganz normalen Hausaufgaben, die man erledigen muss, wenn man eine Show moderiert. Was meine Aufgaben angeht, möchte ich mich sicher nicht beschweren. Es gibt durchaus anstrengendere Berufe. Aber es ist auch nicht so, dass ich nach einem fünfstündigen „Schlag den Raab“ noch mal eben einen Halbmarathon hinlegen möchte. Man weiß danach schon, was man getan hat.
Schon länger sind sie auch als Sportmoderator für diverse Sender tätig. Viele sehen Sie in ein paar Jahren als Moderator der „Sportschau“. Sie sich auch?
Opdenhövel: Ich würde mich auf jeden Fall darüber freuen, wenn es so wäre. Diese Sendung ist der heilige Gral. Die Sportberichterstattung macht mir mindestens genauso viel Spaß wie die Show. Ich bin sehr glücklich, dass das seit geraumer Zeit parallel funktioniert. Das war auch immer mein Bestreben. Wenn ich in meiner Biografie zurückblicke, war der Wunsch, Sportreporter zu werden, auch der Grund, weshalb ich mein zweiwöchiges BWL-Studium beendet habe. Damals habe ich mich dann ganz normal bei einer Tageszeitung für ein Praktikum beworben und bin dann zum Radio. Damit hat alles angefangen. Ich genieße es heute, am Wochenende in einem Bundesligastadion zu stehen und spannende Leute wie Felix Magath und Uli Hoeneß zu interviewen. Wenn mir einer die ganz fiese Frage stellen würde, wie ich mich zwischen Sport und Show entscheiden würde, wüsste ich keine Antwort darauf.
Würden Sie als „Sportschau“-Moderator denn viel an der Sendung ändern wollen?
Opdenhövel: Nein, überhaupt nichts. Das wäre der größte Fehler, den man machen könnte. So wie sie jetzt ist, ist sie perfekt. Ich bin aber froh, dass sich mit der Zeit etwas geändert hat. Als kleiner Junge bin ich immer tausend Tode gestorben, wenn Ernst Huberty den Satz sagte: ‚Und nun zu den Spielen, über die wir nicht ausführlich berichten.’ Wenn darunter eine Begegnung war, auf die ich mich besonders gefreut hatte, war für mich der Samstagabend gelaufen. Dass man irgendwann alle Spiele in größter Ausführlichkeit sehen konnte, finde ich an Revolution aber auch absolut ausreichend. Alles andere würde ich genauso lassen, wie es ist: kurze Anmorderation, fünf Minuten eines Spiels sehen, ein paar Spieler und Trainer hören, und ab zum nächsten Spiel – genau so soll es sein.
Zum Schluss: Wie würden Sie jemandem, der noch keinen Fernseher hat, dazu bewegen, sich einen zu kaufen?
Opdenhövel: Grundsätzlich war ich immer weit davon entfernt, Mitglied einer Drückerkolonne zu sein. Und auch hier möchte ich nicht derjenige sein, der auf die Klingel drückt und sagt: ‚ Guten Tag, ich habe etwas ganz Vorzügliches für Sie!’ Allerdings kann ich diesen haltlosen Vorwurf, Fernsehen mache doof, auch an die Wand nageln. Denn Fernsehen potenziert nur den eigenen Anspruch. Man kann durchs Fernsehen wahnsinnig schlau werden, indem man die richtigen Sendungen guckt. Historische Sendungen zum Beispiel oder Dokumentationen – dass es die gibt, wissen ja leider immer noch nicht alle. Man kann durchs Fernsehen natürlich auch abstumpfen. Das liegt an der leidigen Erfindung der Fernbedienung. Wenn man es schafft, in der richtigen Sekunde den richtigen Knopf zu drücken, kann ich nur jedem zum Kauf raten.
Das Interview mit Matthias Opdenhövel entstand Ende Januar 2011.