Herr Prof. Prinz, wie viel von dem, was in der Zeitung steht, glauben Sie?
Berufsbedingt bin ich recht kritisch.
Gibt es noch ein Medium Ihres Vertrauens?
Meine Morgenlektüre ist die Herald Tribune. Aber auch da zweifle ich mitunter.
Woran liegt das?
Extreme Sparmaßnahmen in den Redaktionen verursachen einen Qualitätsabfall. Für gründliche Recherche ist kaum noch Zeit und Manpower vorhanden.
Wie verträgt sich die Pressefreiheit mit dem Recht auf Schutz der Privatsphäre?
Wenn die Presse in ihrer Funktion als "public watch dog" auftritt, also im öffentlichen Interesse informiert oder Missstände anprangert, ist der Schutz der Pressefreiheit besonders wichtig. Wenn es nur um Unterhaltung geht, ist der Schutz des Einzelnen vor Eingriffen in seine Privatsphäre wichtig. Man muss sich jeden Einzelfall genau ansehen und abwägen. Grundsätzlich gilt, dass jeder Mensch ein Recht hat sein Privatleben unbeobachtet und in Ruhe zu führen. Wenn die Medien ihn gegen seinen Willen ins Rampenlicht zerren und private Dinge offenbaren, ist das nach der Menschenrechtskonvention nur möglich, wenn ein berechtigtes öffentliches Interesse vorliegt.
An welchen Personen besteht so ein „berechtigtes öffentliches Interesse“?
Früher gab es im deutschen Recht die „Person der Zeitgeschichte“, an der immer öffentliches Interesse bestand. Wer das war, haben die Richter ganz unterschiedlich bewertet. Häufig galt der als besonders wichtig, der lokal interessant war: Das Landgericht Nürnberg hat z.B. entschieden, dass der Ersatztorwart vom 1. FC Nürnberg eine Person der Zeitgeschichte ist. Und beim Landgericht München war’s Gustl Bayrhammer. Also eine durchaus vage Kategorie (lacht).
Stimmt es, dass die „Person der Zeitgeschichte“ in Deutschland nicht mehr existiert?
Ja, im Prinzip hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seiner Caroline – von Monaco – Entscheidung 2004 diese Kategorie abgeschafft.
2005 musste die Bundesrepublik Prinzessin Caroline 115.000 Euro Entschädigung für die Veröffentlichung von Fotos zahlen, die sie beim Fahrrad fahren, Einkaufsbummel oder beim Reiten zeigten. Ist das ein einmaliger Fall?
Nein, der EGMR, hat eine Menschenrechtsverletzung festgestellt und dafür einen Schadensersatzbetrag festgelegt.
Den doch die Verlage hätten zahlen müssen?
In diesem Fall nicht. Es ging nicht mehr um das Verhalten der Medien, sondern um das Verhalten der deutschen Gerichte, die Urteile gefällt haben, die der europäischen Menschenrechtskonvention widersprechen. Die deutschen Gerichte haben argumentiert, dass Prinzessin Caroline eine „Person der Zeitgeschichte“ sei, und daher immer ein öffentliches Interesse an Fotos von ihr bestünde. Die „Person der Zeitgeschichte“ ist aber in der Menschenrechtskonvention nicht vorgesehen. Dort sind alle Menschen gleich geschützt. Bloße Unterhaltungsinteressen der Medien rechtfertigen keinen Eingriff in das Menschenrecht auf Privatleben. Denkbar ist aber ein berechtigtes öffentliches Interesse beispielsweise bei Politikern.
Das würde bedeuten, dass beispielsweise ein Präsident Bill Clinton weniger geschützt ist als der Sportler Tiger Woods?
In Deutschland hätte Tiger Woods eine geschützte Privat- und Intimsphäre, und Berichte über sein Privatleben wären unzulässig, solange er sich nicht selbst offenbart. Bei einem regierenden Präsidenten oder Bundeskanzler ist das möglicherweise anders, da kommt es u. a. darauf an, ob die privaten Details die Amtsführung beeinflussen.
In den USA ist also der Schutz der Privatsphäre geringer?
Dort hängt es vom Bundesstaat ab. Generell ist der Schutz so genannter „Public figures“ vor Enthüllungen aus dem Privatleben geringer, das stimmt. Dafür ist der Schutz gegen unwahre Berichterstattung sehr viel größer, weil die Schadensersatzsummen viel höher sind als bei uns.
Besteht im Fall Jörg Kachelmann ein berechtigtes öffentliches Interesse?
Die Verhandlung vor Gericht ist mittlerweile so kontrovers öffentlich diskutiert worden, dass an dem Gesamtverfahren schon wegen der Justizschelte ein besonderes öffentliches Interesse entstanden ist. Der Bürger hat ein Recht sich ein eigenes Bild zu machen. In der Phase vor der Hauptverhandlung war das anders. Da war der Schutz von Herrn Kachelmann noch höher und die Berichterstattung teilweise rechtswidrig.
Wie würden Sie als Jörg Kachelmanns Anwalt vorgehen, um seine Privatsphäre zu schützen?
Es ist schwierig eine effektive Strafverteidigung und einen konsequenten Schutz der Privatsphäre zugleich zu erreichen. Meistens leidet das eine oder andere. Und die Strafverteidigung muss in solchen Fällen vorgehen.
Angenommen Jörg Kachelmann wird am Ende freigesprochen ‑ lässt sich die Öffentlichkeit durch einen Freispruch überhaupt noch überzeugen?
Der Freispruch bedeutet nur, dass das Gericht nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Ein Freispruch ist nicht dazu da, die Öffentlichkeit von irgendetwas zu überzeugen.
Eine Zeugin schließt einen Exklusiv-Vertrag mit der „Bunten“ ab, Alice Schwarzer muss als Zeugin gehört werden, weil ein Therapeut verdächtigt wird, Prozessdetails an die „Bild“-Zeitung weitergegeben zu haben usw. ‑ sind die Medien im Fall Kachelmann zu weit gegangen?
Vieles hat zur Boulevardisierung dieses Verfahrens beigetragen. Man kann kaum noch feststellen, wer eigentlich angefangen hat und wer zu weit gegangen ist.
In vielen Kommentaren wird der Prozess inzwischen als absurd beschrieben. Droht der deutschen Justiz durch den Kachelmann-Prozess ein Image-Schaden?
Manche Medien sind mit der Prozessführung nicht einverstanden. Die Kachelmann-Anwälte auch nicht. Und wahrscheinlich auch das angebliche Opfer nicht. Das Gericht scheint aber bemüht zu sein, keine Fehler zu machen, jedem Ansatz nachzugehen und den Fall in allen Details zu überprüfen. Da kann man zwar einzelne Entscheidungen kritisieren aber im Grundsatz ist das richtig.
Inwiefern hat Litigation-PR von Seiten des Angeklagten und der Nebenklage zur Absurdität des Kachelmann-Prozesses beigetragen?
Am besten laufen Prozesse, wenn man keine Litigation-PR benötigt. Am besten ist Litigation-PR, wenn man sie nicht bemerkt. Hier ist das offensichtlich ganz anders und das führt natürlich zu schrillen Tönen in den Medien.
Erinnern wir uns an den Fall Andreas Türck: ihm hat der Freispruch im Jahr 2005 nicht genutzt, die Fernseh-Karriere war zerstört.
Ja, eigentlich ist eine mediale Vorverurteilung nicht reparabel. Deswegen ist Berichterstattung über Ermittlungsverfahren auch nur selten zulässig. Aber das hat in der Wirtschaft manchmal noch schlimmere Konsequenzen als im Boulevardbereich.
Weil es beim Boulevard den Einzelnen beschädigt und in der Wirtschaft ein ganzes Unternehmen?
Wir leben in einer Zeit, in der dauernd unberechtigte Strafanzeigen erstattet werden, häufig anonym. Diese Strafanzeigen werden den Medien zugespielt, in der Absicht, Personen oder Unternehmen zu schädigen und beispielsweise den Aktienkurs zu manipulieren. Es gibt Fälle, in denen der Kurs plötzlich um 30 % wegsackt.
Wer steckt hinter den Strafanzeigen?
Entweder Leerverkäufer, die vorher Aktien verkauft haben und so ihr Geld machen, oder Leute, die Teile des Unternehmens und der Aktien billig übernehmen wollen. Das sind konsequente Strategien, und die Medien helfen kräftig mit, wenn sie bereitwillig Falschmeldungen verbreiten, ohne gründlich zu recherchieren. Sie nehmen das angebotene Material und setzen sich auch gleich die Brille des Lieferanten auf.
Wie kann ich als Unternehmen dagegen vorgehen?
Ganz schnell reagieren, sonst entstehen Schäden, die nicht mehr reparabel sind.
Wie schnell können Sie eine Berichterstattung untersagen?
Wenn alle Voraussetzungen vorliegen, haben wir in zwei Stunden eine einstweilige Verfügung. Das geht schnell. Aber die Voraussetzungen müssen vorliegen, das ist nicht immer einfach.
Ein Freispruch ist nicht dazu da, die Öffentlichkeit von irgendetwas zu überzeugen.
Welche Voraussetzungen sind das?
Kommt drauf an, ob man gegen unwahre Berichterstattung vorgeht oder gegen Verletzung der Privat- oder Intimsphäre.
Aber meistens ist es sowieso zu spät…
Nein. Das stimmt nicht.
Wie stoppt man Berichterstattung? Geht eine Meldung des Gerichts an die Redaktionen raus?
Man kann die Medien vorab vor rechtswidriger Berichterstattung warnen. Wenn trotzdem berichtet wird kann man einstweilige Verfügungen beantragen, die dann vom Gerichtsvollzieher zugestellt werden.
Verliert man seinen Schutz, wenn man sich ständig in die Medien drängt?
Ja, und das halte ich auch für berechtigt. Themen und Fakten, die ich selbst in die Medien trage, kann ich nicht am nächsten Tag wieder raus filtern. Wenn ich mich zu Johannes B. Kerner oder Reinhold Beckmann setze und über meine Eheprobleme berichte, kann ich nicht am nächsten Tag der BILD Zeitung verbieten, darüber zu schreiben. Dann ist der Schutz der Privatsphäre durch eigenes Verschulden weg.
In jedem Fall?
Gegen unwahre Berichterstattung kann man sich immer wehren, niemand muss hinnehmen, dass falsche Informationen verbreitet werden. Egal, wie ich mich sonst verhalte. Ob ich Medien zu mir einlade oder Homestorys mache, spielt dabei keine Rolle. Bei wahren Geschichten kann sich der Schutz der Privatsphäre reduzieren, wenn man selbst Geschichten aus dem Privatleben preisgibt.
Was halten Sie von dem Satz: “There is no such thing as bad publicity”?
Für Hollywood-Stars mag das gelten. In der Wirtschaftsberichterstattung bedeutet es unter Umständen das Ende einer Firma.
Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu BILD Zeitung?
Generell kann man zu BILD sagen, dass die Qualität dort heute viel besser ist, als noch vor 10 Jahren. Das ist auch ein Grund dafür, dass es dort heute weniger Prozesse gibt. Bei anderen Medien ist die Entwicklung genau umgekehrt.
In Deutschland hat man ein „Recht am gesprochenen Wort“, d.h. Tonbandmitschnitte dürften nicht veröffentlicht werden. Hätte es bei uns einen Fall wie die heimlich mitgeschnittenen Telefonate von Charles und Camilla nicht gegeben?
Doch, aber in Deutschland wär es strafbar.
Für wen?
Für den der mitschneidet und für den der es veröffentlicht.
Der Journalist oder der Chefredakteur?
Die Staatsanwaltschaft sucht die persönliche Verantwortlichkeit des Einzelnen, das können eine Menge Leute sein. In einem Verlagshaus können mehrere in Betracht kommen.
…die dann welche Strafe zu erwarten haben?
Bei Ersttätern eine Geld- oder Bewährungsstrafe. Das ist in § 201 des Strafgesetzbuches geregelt.
Kann mein Lebensstil auch als nicht prominente Person dazu führen, dass ich vor Gericht anderes behandelt werde?
Ja, im Einzelfall kann der Schutz geringer sein. Wenn sich z.B. jemand in der Politik besonders vehement gegen Abtreibung einsetzt, dann aber selbst abtreibt, könnte das unter Umständen entsprechende Berichterstattung rechtfertigen.
Wer schützt tote Personen?
Ich, wenn es sein muss.
Gilt für die der gleiche Schutz?
Nein, der so genannte post-mortale Persönlichkeitsrechtsschutz ist gegenüber dem Schutz von Lebenden reduziert. Über die Einzelheiten streiten wir uns ständig.
Wen hätten Sie gerne verteidigt?
Unsere Sozietät hat in den letzten 25 Jahren ca. 20 000 Fälle bearbeitet, mir fehlt eigentlich niemand.
Wird die Sache mit den Promis manchmal langweilig?
Ja, ich habe keine Lust zum tausendsten Mal Prozesse gegen Paparazzi Fotos zu führen. Deshalb kümmere ich mich auch lieber um Fälle aus der Wirtschaft oder Politik. Da sind die Sachverhalte interessanter.
Wie setzt sich Ihr Klientel zusammen?
In unserer Kanzlei arbeiten zehn Anwälte im Bereich Medienrecht. Manche Kollegen sind spezialisiert auf Künstler, Show und Schauspieler und machen auch deren Verträge. Andere kümmern sich um Sportler, Sportvereine und Verbände. Ca. 70 % betrifft Wirtschaftsberichterstattung. Wir beraten ungefähr ein Drittel der Dax-Unternehmen.
Welche Mandanten lehnen Sie ab?
Unser Grundsatz lautet: Keine Verbrecher, keine Sekten, keine Radikalen.
Eigentlich ja angenehm, sich nicht mit Mördern beschäftigen zu müssen…
Man muss aber auch für Strafverteidiger Verständnis haben. Da ist es schwierig, sich auf Unschuldige zu spezialisieren (lacht). Aber es stimmt, wir sind in der glücklichen Lage, wählen zu können.
Sie wurden von der Welt einmal als „Rächer der Genervten“ bezeichnet. Gefällt Ihnen dieser Titel?
Es geht nicht um „Genervte“, es geht um wesentliche Eingriffe in die Rechte von Menschen. Früher waren beispielsweise Kinder von Prominenten für Fotografen quasi vogelfrei, heute haben diese Kinder ihre Ruhe. Das ist eine wesentliche Verbesserung und ganz wichtig.
Fürst Rainier hat in den 50er Jahren seinen Palast für die Presse geöffnet und ganz gezielt seine Familie zur Vermarktung des Fürstentums eingesetzt. Wenn Kinder einmal in den Medien erschienen sind, dürfen sie dann nicht immer wieder abgebildet werden?
Nein. Haben wir ausprozessiert bis zum Bundesgerichtshof.
Rächt sich die Presse dafür bei Ihnen?
Ja, manche tun das. Die Bereitschaft, über uns was Negatives zu berichten, ist bei einigen Medien vorhanden.
Viele Journalisten sehen die rechtlichen Beschränkungen sicher nicht als eine Verbesserung, sondern als einen Eingriff in ihre Arbeit…
Die Chefredakteure von „Frau mit Herz“ oder „Heim und Welt“ würden vielleicht sagen, ich hätte die Zensur eingeführt und die Medien beschränkt. Aber die Chefredakteure von „Stern“ oder „Süddeutsche“ haben mit unserer Arbeit kein Problem.
In letzter Zeit sind zahlreiche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ans Licht gekommen. Kann man die Kirche als Institution zu Schadensersatzzahlungen verurteilen?
Eine Institution kann sich nach deutschem Strafrecht nicht strafbar machen, nur Menschen.
Wäre Papst Benedikt XVI als Oberhaupt der katholischen Kirche zur Verantwortung zu ziehen?
Nur, wenn man ihm persönlich etwas vorwerfen kann.
Müssen Ihre Mandanten vor Ihnen die Karten auf den Tisch legen?
Das wäre schön.
Wurden Sie vor Gericht schon mal überrascht?
Ja, das ist eine sehr unschöne Angelegenheit, die glücklicherweise aber selten vorkommt. Wenn ich aber merke, dass ein Mandant mich angelogen hat, lege ich das Mandat nieder und betreue ihn nicht weiter.
Warum werden so viele presserechtliche Fälle in Hamburg verhandelt? Juristisch müsste es doch überall gleich zugehen?
Das Opfer darf überall klagen, wo es verletzt wird, z.B. wo das Fernsehen ausstrahlt, wo die Zeitung am Kiosk liegt, wo die Radiosendung gehört wird. Im Prinzip kann man sich das aussuchen. Nur bei Gegendarstellungen nicht. Da muss man an den Sitz des Unternehmens gehen. Da viele Verlage in Hamburg sind, hat das Landgericht Hamburg schon seit Jahrzehnten viele Presserechtsfälle gehabt. Seit 1969 gibt es dort eine Zivilkammer mit Spezialzuständigkeit für Presserecht und Hamburger Richter und Anwälte konnten sich so auf dieses Rechtsgebiet spezialisieren. In den letzten Jahren sind viele Medien nach Berlin gezogen, so dass es dort heute auch eine hochspezialisierte Pressekammer gibt. Solche Spezialzuständigkeiten finden Sie immer dort, wo viele Medienunternehmen ansässig sind, z. B. auch in Köln und München.
Sie sagten einmal, Sie hätten sich auch vorstellen können, als Journalist zu arbeiten. Für welche Zeitung wären Sie gerne tätig gewesen?
Für keine. Ich habe in meinem Berufsleben schon so viel Papier beschrieben, dass ich mich bei einem Berufswechsel gern mit anderen Medien beschäftigen würde. Da gibt es einiges, was ich gern sehe und bewundere, wie z. B. „Democracy now!“.
Was leider in der Personen-Beschreibung fehlt
… einen so honorigen Verteidiger der Menschenwürde wie „Prof. Prinz“ hätte man sich in den 70ern gewünscht, als sich sein Vater als langjähriger Chefredakteur der BILD-Zeitung in diesem Punkt auf ganz besondere Weise verdient gemacht hat.