Herr Schweighöfer, Sie haben Friedrich Schiller als den James Dean von 1782 bezeichnet. Wie kommen Sie zu diesem Vergleich?
Schweighöfer: Weil ich James Dean bin… (lacht) Nee, nee. Aber James Dean war für mich auch hochintelligent, bisexuell und gefragt. Außerdem war er dem Alkohol sehr gesonnen wie auch der allgemeinen Schnupf- wie Zigarettenindustrie. Und er ist früh gestorben.
Und dieses Besessene, was bei "Schiller" zum Ausdruck kommt, dass er nur für die Kunst lebt und alles andere gar nicht zählt – gibt es das auch manchmal bei Ihnen?
Schweighöfer: Ja, natürlich. Man kann zwischen zwei Schauspieltypen unterscheiden: Es gibt die, die spielen und dann sagen: "Jetzt hab ich Erfolg!" und es gibt die, die wirklich manisch-akribisch arbeiten, um zu sagen: "Ewig!" Besessenheit finde ich für den Beruf die schönste Droge, so lange man noch eine gewisse Art von Gesundheit mit dabei hat und gelegentlich die Tablette für ein bisschen Entspanntheit aus seinem Apothekeneimer nehmen kann.
War Schiller denn wirklich so besessen, wie Sie ihn spielen? Es wirkt teilweise fast zu überdreht und zu fanatisch.
Schweighöfer: Dann hat sich das Gespräch jetzt auch erledigt. Dankeschön. Es war schön, dass Sie da waren. (lacht)
Können Sie etwa keine Kritik vertragen?
Schweighöfer: Doch, doch – mich interessiert das wirklich sehr. Es stimmt. Aber ich finde das gut, dass der im Film nicht nur als Sympath rüberkommt. Schiller war ein Leuteschinder! Das haben auch alle seine Mitgänger und Mitbestreiter erzählt. Und ich glaube, das kommt schon raus, dass der mit seiner Akribik echt ätzend sein konnte, dass der auch genervt hat. Aber er hat die Leute an sich herangezogen und diesen Geniesog auch voll ausgespielt. Der hat gesagt: "Passt auf Leute. Ich brauche euch nicht, aber ihr braucht mich." Das hat eine gewisse Form von etwas hoch Pathetischem.
Inwiefern haben Sie persönlich diesen Aspekt in der Darstellung Schillers beeinflusst?
Schweighöfer: Hmm, eigentlich waren wir uns da einig. Es war uns schon wichtig zu zeigen, dass ihm die Zeit wegrennt, dass er diese Akribik braucht und sein Ding allein durchzieht. Er war halt so. Wir wollten da authentisch sein. Außerdem fehlen bei dem Film, den die Leute jetzt sehen, 20 Minuten. Es hätte auch ein anderer Film werden können.
Gab es einen Kampf mit der Sendeanstalt um die Länge des Films?
Schweighöfer: Tja, so ist es nun mal. Deutsche Kulturkunst muss man anscheinend auf 88 Minuten zurechtschneiden. Was soll man machen? Ich kann nur spielen und machen, was der Regisseur gerne möchte. Was die Redaktion und die Senderchefs erklären, ist dann eine andere Sache.
Was fehlt denn in der Endfassung des Films?
Schweighöfer: Man sieht jetzt einen gehetzten Typen, der die ganze Zeit unter Vollstrom läuft. Das war auch so, aber es fehlen sehr viele Szenen, die erklären, warum der so akribisch war. Es gibt zum Beispiel eine Szene im Film, wo Andreas Streicher – gespielt von Christan Näthe – Klavichord spielt. Von ursprünglich drei Minuten existieren jetzt 20 Sekunden. Dann gibt es Szenen, wo er durch die Wälder flitzt und in den Wäldern hängt. Da versteht man, was ihm Liebe bedeutet und wie viel Schmerz er empfindet. Dann fehlen Gelage-Szenen, wo man sieht, warum der umfällt und woher das alles kommt… Der Film war mal Kino und jetzt ist es wirklich ein Fernsehfilm. Es waren 110 Minuten Bombe-100-Meter-Leinwand. Und jetzt ist es halt: "Bringst‘ e mal `n Bier? Es geht los." Aber wie soll man sich durchsetzen gegen vier oder fünf Redaktionen?
Welchen Unterschied haben Sie im Vergleich zur Arbeit an einen normalen Kinofilm festgestellt?
Schweighöfer: Also, Deutschland ist ja clever und finanziert so großartige Stoffe wie Schiller mit richtig wenig Geld. Da hat man schön wenig Zeit, damit man auch relativ schnell und entspannt richtig lange arbeiten kann, so dass auch richtig was Gutes dabei rauskommt. Man hat dann eben wenig Schlaf, steht auch richtig früh auf und sagt sich: "Den Text hab ich nicht geschafft zu lernen. Ähm, ich versuch’s einfach mal irgendwie…" (lacht)
Besessenheit finde ich für den Beruf die schönste Droge, so lange man noch eine gewisse Art von Gesundheit mit dabei hat.
Hat Sie diese Arbeitsweise denn gewissermaßen dazu gebracht hat, den Erschöpfungsprozess Schillers nachzuempfinden?
Schweighöfer: Ich habe versucht zu gucken, wo der Mensch im Genie steckt und den Ansatz bei der Einsamkeit, der Akribik und dem Malträtieren des eigenen Körpers und Geists gefunden. Da sind mir gewisse Alkoholismen und die Abende mit meinen Kollegen Martin Feifel und Barbara Auer sehr zu Gute gekommen. Die Gelage nach 16 Stunden Drehzeit, wo einem auch schon mal das Knie weh getan hat, waren sehr schön. Da hat man dann zwei, drei, vier, fünf, sechs Whiskey oder Wodka getrunken und in zweieinhalb, drei Stunden Schlaf verdaut, um früh morgens wieder vollnüchtern aufzustehen. (lacht) Nach der fünften Woche dachte ich mir wirklich so langsam: "Jetzt müsstest du langsam umfallen, das kann’s nicht sein." Nach sieben Wochen dachte ich mir dann: "So Alter, jetzt wär’s ein guter Punkt." Naja, und auf ein Mal war ich schon wieder in Berlin und alles wieder vorbei.
Arbeiten bis zum Schmerz und ohne Schlaf – es scheint, dass Sie gerne an bis an die Grenzen gehen.
Schweighöfer: Ja, ist doch schön, sich mal da drin suhlen. Das schürt auch Aufmerksamkeiten, man macht ungesund auf sich aufmerksam. Aber es geht mir vor allem darum, mich zu fragen: Wie weit kriege ich mich? Wo ist die Grenze? Und Schiller ist dafür eine gute Figur. Ich habe mal einen Film gemacht, der hieß "Baal". Da ging es mir genauso: Wirklich fünf Wochen lang richtig Rock ’n‘ Roll. Ich dachte, mit "Schiller" setze ich noch eins drauf, aber die Grenze war immer noch nicht da. Ich mag so was einfach, weil man durch die Figuren in gewisse Sphären kommt. Es ist dann egal, ob du an dem Tag Kopfschmerzen hast. Der Typ war einfach die ganze Zeit nur krank. Und dann braucht man das auch nicht immer nur spielen, sondern freut sich einfach kurz, wenn man denkt: "Oh, sie sind noch da die Kopfschmerzen, herrlich."
Was hat Ihnen Schiller überhaupt bedeutet, bevor Sie diesen Film gemacht haben?
Schweighöfer: Also, meine Eltern sind ja beide Schauspieler, dadurch habe ich ja immer relativ viel Schiller gesehen, wusste so’n bisschen worum’s geht in "Kabale und Liebe": Um Kabale und Liebe. In der Schule habe ich mich immer relativ rausgehalten bei den Diskussionen um das, was Schiller "wirklich" meinte. Schiller wird richtig mit der Staubschicht angeboten im Deutschunterricht. Die Schüler kriegen nicht wirklich die Freiheit Schiller für sich zu interpretieren. Und darum gibt es den Film – damit man kapiert, warum der als Mensch so geschrieben hat und warum in der Zeit solche Stücke entstehen mussten. Als ich mich mehr mit Schiller beschäftigt habe, habe ich ihn auch begriffen – nicht nur: "Die Räuber" – da rennt so eine junge Horde durch den Wald und bringt ein paar Leute um. Ich bin jetzt eher Fan, aber in der Schule hatten die Lehrer mir diesen Mann einfach missgönnt.
Trotzdem haben Sie die Rolle mit Freude angenommen?
Schweighöfer: Nee, ich brauchte Geld und es war auch irgendwie ein hartes Leben in der Zeit… (lacht) Beim Abschlussfest von "Kammerflimmern" kriegte ich dieses Buch und hatte am Anfang so eine Angst für diese Rolle zum Casting zu gehen. Mensch, mein Gott, wie willst du das hinkriegen? Das ist ein Genie! So eine Rolle kriegst du ganz selten. Es ging mir darum, zu erzählen, warum dieser Mann loszieht und sich selbst tötet, damit er mit dem, was er schreibt, ewig sein kann. Das fand ich irgendwie eine nette Aufgabe für einen Schauspieler.
Bei all der Identifikation mit der Rolle: Wie sind Sie den Schiller am Ende eines Drehtags wieder losgeworden?
Schweighöfer: Naja, ich konnte schon feiern und abschalten, aber immer in der Figur. Mir fällt es mittlerweile schwer, den Abstand dazu zu kriegen. In der Zeit war es beispielweise schwierig, ins Kino zu gehen. Ich war in "The Bourne Supremacy", saß da drin und dachte mir: "Mensch Alter, was machen die denn da?" Ich wollte lieber wieder weg und zurück ins Schloss, um noch was anzugucken. Oder Reiten: "Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde". Das hab ich nie gedacht, war in der Zeit aber so. Jetzt nehme ich mir seit ungefähr fünf Monaten vor, wieder reiten zu gehen – ähhh, ja…
Bleiben wir bei den Kulturtechniken vergangener Jahrhunderte: Wie stehen Sie zu klassischer Musik? Die ist im Film ja dauernd präsent.
Schweighöfer: Ich habe in der Zeit auch privat unheimlich viel Klassik gehört – unheimlich viel Mozart, weil’s einfach die Zeit war. Wir hatten auch relativ viel Klavichord-Training, um uns reinzuhören, wie die damals gespielt haben. Eigentlich habe ich nur Klassik gehört die ganze Zeit. Ich brauchte das.
Aber ist das Musik, die Sie auch sonst hören?
Schweighöfer: Also, nee, ich hasse Musik. (lacht) Ich musste vor Kurzem an das Plakat von "Knorkator" denken mit dem neuen Album "Ich hasse Musik". So was finde ich irgendwie super. Nee, mittlerweile höre ich echt viel Klassik, das ist wie guter Käse und guter Wein – es braucht ’ne Weile bis es zieht.
Zum Abschluss: Ihr Lieblingszitat von Schiller?
Schweighöfer: Ich hab drei: Was mich sehr beeindruckt hat, war: "Ich bin zu intelligent für Liebeskummer." Das fand ich sehr gut. Zweitens: "Meine Freude ist so groß, dass sie sich vom Kummer Tränen borgt, um sich zu entladen." Und das Dritte: "Mein Glück ist heute gut gelaunt."