Matthias Schweighöfer

Er hat erzählt und erzählt und erzählt…

Schauspieler Matthias Schweighöfer über seine Rolle als Marcel Reich-Ranicki, die Begegnung mit dem „Literaturpapst“, Respekt vor der Vergangenheit, prägende Literatur und warum er beim Lesen grundsätzlich erstmal einschläft

Matthias Schweighöfer

© WDR/Ernst

Matthias, nach Friedrich Schiller und dem „Roten Baron“ Manfred von Richthofen spielst du in deinem neuen Film „Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben“ nun den bekanntesten deutschen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki im Alter von 20 bis 40 Jahren. Wie ist es dazu gekommen?
Schweighöfer: Mich hat irgendwann die Casterin Simone Bär angerufen und gesagt: „Matthias, ich hätte hier eine Rolle, die dich vielleicht interessieren könnte“. Da habe ich gefragt, um welche Rolle es denn geht, und sie meinte nur: „Reich-Ranicki“. Ich habe erstmal gestutzt und mich dann auf das Abenteuer eingelassen.

Wie verlief deine erste Begegnung mit dem  „Literaturpapst“?
Schweighöfer: Ich habe ihn in Frankfurt besucht und wir saßen dann bei Kaffe und Kuchen zusammen und haben über seine Vergangenheit gequatscht. Er hat erzählt und erzählt und erzählt (lacht).

Welche Fragen hat Reich-Ranicki dir gestellt?
Schweighöfer: Er hat sehr viel gefragt über Literatur, welche Bücher ich gelesen und was ich bisher gespielt habe. Er hat sehr großes Interesse an meiner Arbeit gezeigt. Das ging von Brecht bis Schiller und ich habe ihm bereitwillig geantwortet. Ich fand es auch okay, als er meinte, ich hätte aus dem Schiller fast einen „Bajazzo“, also einen Clown, gemacht. Er hat offen seine Meinung gesagt und das fand ich gut.

Welche Fragen hast du gestellt?
Schweighöfer: Wir beide, also Katharina Schüttler, die seine Ehefrau Tosia spielt, und ich haben gefragt, wie die beiden sich früher als Paar zusammen verhalten haben. Waren die so wie wir, wenn wir in einer Beziehung sind? Wie war er zu seiner Frau? Haben sie sich angefasst und geknutscht, oder haben sie ihre Beziehung über Literatur analysiert? Das waren so die Fragen.

Und was hat er geantwortet?
Schweighöfer: Na ja, dass sie so waren wie ein normales Paar eben ist (lacht). Reich-Ranicki hat seine Beziehung aber schon versucht durch Literatur einzuordnen und zu verstehen, weil er eben damals noch nicht so viel Erfahrung hatte mit Frauen. Da hat ihm die Literatur sehr geholfen. Das fand ich sehr interessant.

Reich-Ranicki und seine Frau Tosia sind seit 70 Jahren verheiratet. Kannst du dir so eine lange Zeit der Beziehung heute vorstellen?
Schweighöfer: Das ist schon Wahnsinn, absolut! Ich kann das nicht genau sagen. Heute ist ja alles viel schnelllebiger geworden, aber erstrebenswert ist es natürlich immer noch. Letztendlich scheitern aber viele. Den Glauben daran sollte man jedoch nie verlieren. Und die beiden haben ja bewiesen, dass es funktionieren kann.

Wir leben heute, zumindest in Deutschland, ein sehr behütetes und trotz einiger Probleme ein sehr unbeschwertes Leben. Das Gefühl der ständigen Todesangst im Zweiten Weltkrieg haben wir als junge Menschen selbst nie erlebt. Hast du dich jemals gefragt, wie es gewesen wäre, wenn du in dieser Zeit gelebt hättest?
Schweighöfer: Nein, diese Frage habe ich mir bewusst nicht gestellt, weil ich den Respekt gegenüber dieser Historie nicht verlieren wollte. Die Situation, in der die beiden gelebt haben, war so extrem und furchtbar, dass ich mir das gar nicht hätte vorstellen können. Die Menschen, die diese Zeit überlebt haben, können total froh sein, und das lässt sich überhaupt nicht mit unserem heutigen Leben vergleichen.

Inwiefern leben wir heute unbeschwerter als damals?
Schweighöfer Ich glaube die Existenznöte, die wir heute haben, sind auch schon sehr groß, aber die Existenz der Menschen damals wurde jeden Tag aufs Neue angegriffen. Das ist ein extremer Unterschied.

Im Film gibt es eine Szene, in der Tosia und Marcel Reich-Ranicki inmitten von hunderten Menschen durch das Warschauer Ghetto geführt werden und plötzlich die Flucht durch einen Hauseingang schaffen – sie können dem Tod entkommen. Wie hat sich dieser Moment beim Drehen angefühlt?
Schweighöfer: Das war schon krass. Du stehst da nur und fragst dich: „Was ist denn hier gerade los?“ Es war auch furchtbar, diesen Sound des Marschierens zu hören. Das war so absurd in diesem Moment. Die haben es wirklich geschafft, genau in diesem Moment diese Hauseinfahrt zu erwischen. Wir sind nur aus einer Szene gerannt, aber die beiden sind damals vor dem Tod davon gerannt. Das kann man gar nicht fassen.

In einem Interview mit dem „Stern“ sagte Reich-Ranicki, auf die Frage was er dir nach dem Treffen mit auf den Weg geben konnte: „Gar nichts!“ Das siehst du sicher anders, oder?
Schweighöfer: Ihn zu treffen und zu sehen, was das für ein Mensch ist, wie er sich bewegt, wie er spricht – das war für mich natürlich sehr lehrreich. Aber letztendlich musste ich mich auch wieder davon lösen und meinen eigenen Zugang zu ihm finden.  Das war wichtig um nicht zu einer Kopie von ihm zu werden.

Inwiefern verändert sich denn das eigene medial vermittelte Bild eines solchen Menschen, wenn man ihn persönlich erlebt hat und sich in großer Intensität mit seinem bewegenden Leben auseinander gesetzt hat?
Schweighöfer: Wenn du weißt, was er alles durchgemacht hat und in welcher Zeit er aufgewachsen ist, verstehst du auch besser, warum er heute so ist wie er ist. Natürlich beginnt man ihn dadurch anders zu sehen. Reich-Ranicki hat in seinem Leben sehr viel Haltung und Mut bewiesen. Das imponiert mir sehr.

Den Lebensweg eines noch lebenden Menschen darzustellen bringt immer eine große Verantwortung mit sich. Wie bist du damit umgegangen?
Schweighöfer: Ich wollte der Lebensgeschichte dieser beiden Menschen gerecht werden, und natürlich hat man da im Vorfeld auch immer ein bisschen Angst. Aber wenn ich ständig Angst hätte, wäre ich, glaube ich, im falschen Beruf. Ich hatte großen Respekt vor der Geschichte und den habe ich bis heute.

Marcel Reich-Ranicki hat mit der Ablehnung des „Deutschen Fernsehpreises“ im vergangenen Jahr für großen Wirbel gesorgt und eine Debatte über die Qualität des Fernsehens ausgelöst. Ist dieser Medien-Eklat eher förderlich oder hinderlich für den Film?
Schweighöfer: Ich glaube das ist eher förderlich. Der stößt ja eh immer irgendwie an und man kennt das ja gar nicht anders von ihm. Diese Ehrlichkeit ist ja sehr bezeichnend. Ich glaube, dieser ganze Eklat macht die Leute auch neugierig auf den Film und das Leben von Reich-Ranicki.

Warum, glaubst du, hat er sich für diesen öffentlichkeitswirksamen Schritt entschieden? War das in deinen Augen kalkuliert, oder hatte er wirklich keine Ahnung von dem, was ihn bei so einer Verleihung erwartet?
Schweighöfer: Ich denke nicht, dass das von ihm kalkuliert und schon weit vorher geplant war. Er hat sich den Abend angesehen und irgendwann hat es ihm eben gereicht und er hat seine Meinung gesagt. Ich denke auch, dass seine Kritik hauptsächlich auf diese Veranstaltung abgezielt hat, aber natürlich war ihm klar, dass sein Auftritt ein großes mediales Echo finden würde.

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Reich-Ranicki hat in seinem Leben sehr viel Haltung und Mut bewiesen. Das imponiert mir sehr.

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Die Produzentin des Films, Katharina M. Trebitsch, hat versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, wie Reich-Ranicki die schwere Zeit des Krieges überlebt hat. Sie sagt: „Er hat sie durchgestanden, weil er von Literatur durchdrungen war. Auch die Literatur hat ihn immer zum Außenseiter gemacht, aber sie hat ihm das Leben gerettet.“ Welche Rolle spielt Literatur in deinem Leben? Du hast mal gesagt, Max Frisch hätte dir durch seine Romane die Welt erklärt…
Schweighöfer: Ja, Max Frisch war sehr prägend! Durch seine Gedanken und Ideen, wie er Beziehungen gesehen hat und sich in Beziehungen verhalten hat, das fand ich schon sehr interessant. Aber ich würde nicht sagen, dass Literatur im Allgemeinen so prägend für mein Leben ist und war. Das waren eher immer Filme und Theaterstücke, weil ich auch zeitlich gesehen gar nicht so viel zum Lesen komme. Aber diese Begeisterung für Literatur, die Reich-Ranicki ausstrahlt, imponiert mir schon sehr. Er hat sich durch Literatur eine geistige Festung aufgebaut, eine Welt in seinen Gedanken. Das ist toll.

Das überrascht mich. Ich hatte immer gedacht, dass du sehr gerne und viel liest…
Schweighöfer: Ich lese phasenweise sehr viel, aber dann gibt es auch mal acht Monate, in denen ich gar nicht lese. In dieser Max-Frisch-Zeit habe ich in vier Monaten wirklich alles von ihm gelesen, aber das ist kein Dauerzustand. Oft fehlt mir einfach auch die Zeit. Das ist sehr schade. Aber wenn ich dann mal Zeit habe, lese ich lieber, als dass ich den Fernseher anschalte. Ich gucke ganz wenig Fernsehen.

Wie gehst du mit der Stille um, die einen beim Lesen umgibt?
Schweighöfer: Ich werde bei den ersten fünf Seiten immer total müde, penne dann ein, wache wieder auf und fange erst richtig an zu lesen (lacht).

Welche Umgebung brauchst du, um in ein Buch eintauchen zu können?
Schweighöfer: Ich lese meistens in meinem Wohnzimmer, mache mir ein Licht an, setzte mich aufrecht hin und fange an zu lesen. Im Wohnzimmer finde ich immer einen guten Ort.

Hat dich ein Buch schon mal zu Tränen gerührt?
Schweighöfer: Ja, das war „Stiller“ von Max Frisch. Das fand ich großartig! Wie ein Mann so lange einsteht für die Beziehung zu einer Frau, und wie viel man da auch falsch machen kann, und was man sich dann am Ende alles vorwirft, wenn die Person nicht mehr da ist. Das hat mich damals sehr beschäftigt und gerührt.

Welche Bedeutung hat das Lesen heute für junge Menschen? Manchmal hat man das Gefühl als hätte die Literatur den Kampf gegen das Internet und das Fernsehen verloren…
Schweighöfer: Das ist schade, ja. Ich habe auch mal gehört, dass der Sprachgebrauch von Wörtern so dermaßen zurückgegangen ist. Ich liebe das Lesen sehr, weil man in das Lesen einfach Zeit investieren muss. Durch Bücher formt man seine Sprache und gibt seiner Person auch einen ganz anderen Glanz, weil man sich ganz anders ausdrücken kann und auch eine andere Sicht auf seine Mitmenschen entwickelt, sie viel besser einschätzen kann. Seitdem ich meine eigene Firma habe, frage ich mich beim Lesen aber auch oft, ob man das Buch vielleicht auch zu einem Film machen könnte, und wie ich dann an die Rechte komme. Insofern kommt da auch so eine berufliche Dimension rein.

Du hast auch früher ja auch selber Gedichte geschrieben…
Schweighöfer: Ja, aber die Zeit ist vorbei! (lacht) Keine Gedichte mehr…

Warum nicht?
Schweighöfer: Na ja, das war so meine Sturm und Drang-Phase (lacht). Ich habe heute einfach keine Zeit mehr, mich in Gedanken schwelgend auf eine Parkbank zu setzen und über das Leben zu philosophieren. Ich schreibe heute eher Drehbücher. Aber ich habe die Gedichte alle aufgehoben und vielleicht hole ich sie in zwanzig Jahren mal wieder aus dem Karton und denke mir: „Was hast du damals eigentlich für eine Scheiße geschrieben?“ (lacht).

Wovon handelten deine Gedichte?
Schweighöfer: Ich glaube das war einfach nur generelle Alltagsbewältigung, ein situatives Schreiben, sich analysieren in der Welt, wie diese auf einen wirkt und wie man sie reflektiert.

Hast du denn heute herausgefunden, wo dein Platz in der Welt ist?
Schweighöfer: Das kann ich bis heute nicht sagen. Vielleicht erfährt man dass auch nie oder früher als einem lieb ist. Ich lebe einfach und werde bald Vater. In diesem Kind liegt dann schon sehr viel Sinn. Man fragt sich, was man diesem jungen Menschen wohl in seinem Leben so mitgeben kann. Ansonsten bin ich eben Schauspieler und Filmemacher. Aber wo genau jetzt mein Platz im Leben ist –  diese Frage stelle ich mir wohl kurz bevor ich abtrete.

Inwiefern hast du auch Angst, ein Kind in die heutige Welt zu setzen?
Schweighöfer: Kinder verändern die Welt! Ich hoffe ja, dass es irgendwann einmal besser wird. Vielleicht wird’s ja gar nicht so scheiße wie alle sagen. Vielleicht machen sie es auch besser. Vielleicht ändern die was. Es wäre ja schade, wenn es keine nachfolgenden Generationen mehr gibt, nur weil man Angst hat, dass die neuen Menschen in der Welt nicht klarkommen.

Was wird sich in deinem Leben durch das Kind verändern?
Schweighöfer: Ich werde vielleicht nicht mehr so viel Zeit haben für andere Sachen, mal in die Disko gehen oder so. Aber das ist mir eigentlich auch egal. Mein Kind wird bei meinem Beruf immer dabei sein, das alles sehen und damit aufwachsen. Ich werde trotzdem immer meine Sachen spielen können. Man schränkt sich halt ein bisschen ein im Leben, aber man tut es ja für etwas ganz Besonderes.

In der Vergangenheit hast du in Interviews sehr viel Persönliches von dir preisgegeben, von Einsamkeit und Alkohol-Exzessen, Sehnsucht nach Nähe und Enttäuschungen in früheren Beziehungen berichtet. Bereust du diese Offenheit manchmal?
Schweighöfer: Nee, ich finde es gut, wenn man ehrlich ist – dann wissen auch die Leute woran man ist. Dann gibt man nicht so ein verfälschtes Bild ab. Wie ich wirklich privat bin, kriegen die Leute ja sowieso nicht mit. Ich brauche meine private Insel, aber wenn man auch negative Momente nicht verschweigt, finden sich vielleicht viele Leute darin wieder, und sehen, dass sie nicht die Einzigen sind, denen es mal scheiße geht. Mir geht’s ja auch heute oft noch scheiße. Ich bin ja nichts anders oder besser als andere Leute.

Für deine Rolle als Friedrich Schiller hast du ja auch privat richtig Gas gegeben: Saufgelage nach Drehschluss, 40 Zigaretten am Tag, kaum Schlaf. Bist du ruhiger geworden oder gehört das Exzessive, das Malträtieren des eigenen Körpers zu deinem Leben?
Schweighöfer: Das ist schon ein Teil von mir. Ich suche immer die Grenze und gucke, wie weit ich gehen kann. Das ist ja auch gut, weil man sich dadurch selber viel besser einschätzen kann, seine Kräfte kennt, und weiß, was man in sich noch so mobilisieren kann.

Gab es denn einen Punkt, an dem du dir gesagt hast: „Wenn ich jetzt noch weitergehe kann das böse enden“?
Schweighöfer: Ja, beim Rauchen! Ich habe vor zweieinhalb Jahren aufgehört zu rauchen und darauf bin ich sehr stolz. Ich habe halt von jemandem gehört, dem in meinem Alter etwas ganz, ganz Schlimmes passiert ist, und da habe ich mir gesagt, ich will das nicht. Ich will noch ein paar Jahre leben.

Würdest du sagen, dass du durch das Leben im Filmbusiness schneller erwachsen geworden bist?
Schweighöfer: Manchmal denke ich mir schon: „Oh, da hast du aber einige Sachen im Leben übersprungen“. Aber das ist okay, denn jeder muss im Leben etwas zurücklassen. Man muss sich entscheiden und ich habe mich eben für die Schauspielerei entschieden. Dafür stehe ich voll und ganz ein. Ich kann halt nicht mehr einfach in den Tag hinein leben. Wenn ich mal frei habe, fahre ich halt ins Büro und arbeite an neuen Stoffen und Projekten. Ich habe jetzt die Chance, etwas zu schaffen und diese Zeit will ich nutzen.

Inwiefern lässt das Leben im Filmbusiness eigentlich tiefe Freundschaften zu?
Schweighöfer: Ich habe den besten Freundeskreis, den ich je in meinem Leben hatte. Ich bin so dankbar für meine Freunde. Ich hatte noch nie so einen tollen sozialen Kreis wie jetzt. Ich würde für meine Freunde alles stehen und liegen lassen. Umso mehr man gibt, umso mehr kriegt man ja auch zurück. Wenn ich mal frei habe, verbringe ich diese Zeit lieber mit meinen Freunden als für mich zu sein. Ich habe jetzt einige Monate in Amerika gedreht und meine Freunde kamen mich da über Silvester besuchen (lacht). Ich hab denen als Geschenk den Flug bezahlt und wir hatten eine tolle Woche zusammen.

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