Herr Raabe, Ihr aktuelles Album trägt den Titel „Für Frauen ist das kein Problem“. Was sind denn für Sie die drei besten weiblichen Eigenschaften?
Max Raabe: Frauen sehen schon mal prinzipiell viel besser aus als Männer. Diese Eigenschaft vermisse ich aber bei mir nicht, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Und dann besitzen Frauen all die Fähigkeiten, die wir in dem Titelsong besingen, Marathon laufen, Taxis anwinken, im Dunkeln schminken…
…und das „alles parallel“, wie Sie singen.
Raabe: Multi-Tasking ist ein Mythos, aber ich bin auch ein Freund gut funktionierender Mythen. Ich selbst kann all diese Dinge nur hintereinander weg.
Gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen Sie sich mehr Frauen wünschen würden?
Raabe: Ich glaube, dass das ganz generell gut tut. Wenn Männer sich so in den Chefetagen abkapseln, beschneiden sie sich damit nur selber. Ich habe festgestellt, dass es mit Frauen immer sehr gut klappt. Natürlich nicht mit allen, so wie es auch nicht mit allen Männern funktioniert. Aber prinzipiell würde ich sagen, dass Frauen überall dabei sein sollten. Außer in meiner Umkleidekabine.
Glauben Sie, dass unsere Welt mit mehr Frauen an der Macht friedlicher wäre?
Raabe: Man sollte es auf jeden Fall mal ausprobieren. Bisher waren ja die Männer in der Politik in Führungspositionen, bis auf wenige Ausnahmen. Das hat zumindest im 20. Jahrhundert in Deutschland nicht viel gebracht.
Wie haben Sie die Debatte um Chauvinismus und Sexismus empfunden, die Deutschland Anfang 2013 beschäftigte?
Raabe: Nun, Dinge wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind widerlich und nicht entschuldbar. Ob das, was diese Diskussion auslöste, dazu gehört, weiß ich nicht. Aber es ist bestimmt nicht verkehrt, über dieses Thema nochmal nachzudenken. Es ist durchaus möglich, dass wir das in der Vergangenheit ein bisschen zu sehr auf die leichte Schulter genommen haben. Wobei man jetzt auch sieht, dass alle bereit sind, darüber laut nachzudenken.
Deutschland hat also kein Macho-Problem?
Raabe: Nein, was das angeht, stehen wir in Europa noch ganz gut da, denke ich.
In den Songs Ihres aktuellen Albums hören wir Sie vor allem in hoher Stimmlage. Wie kamen Sie zu dieser Art von Gesang?
Raabe: Ich habe für diese Stücke so eine erzählerische Form gefunden, die weniger mit Gesang als mit sangbarem Sprechen zu tun. Das ist so ein unaufgeregtes Erzählen, fast wie bei einem Hörbuch, es gibt viel Text, ich erzähle kleine Geschichten… Bei meiner letzten Solo-Scheibe „Übers Meer“ hatte ich diesen Ton auch schon angeschlagen. Ich finde, er passt zu sehr vielen Stücken, die mir liegen.
Und der häufige Wechsel von Brust- zu Kopfstimme ist nicht anstrengend?
Raabe: Nein, überhaupt nicht. Das ist ja das Tolle an dem, was ich tue, dass ich mir das alles selber ausdenken und so herrlich wie ein verliebter Kater durch alle Register turnen kann. Zu mir kommt keiner und sagt „1956 hat das Tenor XY aber so und so gesungen“, wie es in der Klassik oft passiert. Ich bin nur meinem Geschmack verpflichtet und keiner Aufführungstradition.
Gab es trotzdem Sänger-Vorbilder für Sie?
Raabe: Es gibt eine Menge Sänger, die ich toll fand, aber kein konkretes Vorbild. Auch für unser Orchester gab es das nicht. Was wir heute aufführen ist eine Mischung von all dem, was an Orchestern und Sängern in den 20er/30er Jahren existierte, was damals gespielt und aufgenommen wurde. Diese Stilistik wollen wir aufrecht erhalten.
Dazu gehören auch die Texte der damaligen Zeit. Was zeichnete die Texte der 20er/30er Jahre aus, auch im Vergleich mit heutigen Popsongs? (*)
Raabe: Allgemein spielte damals Ironie eine große Rolle, die fehlt heute oft fast gänzlich. Und die Sachen von damals reimen sich immer, eisenhart. Es wurde so abwechslungsreich, so geistreich gereimt, gleichzeitig wurden damit die tollsten Inhalte transportiert. Das hat es in dieser Form auch nur zwischen 1927/28 und 1933 gegeben. Zu dieser Zeit explodierte das, weil sich tolle Leute gegenseitig hochgeschaukelt haben, was das Texten betrifft.
Welchen Einfluss hatten die gesellschaftlichen Umstände? Könnten solche Texte heute überhaupt noch entstehen? (*)
Raabe: Man hat damals natürlich inhaltlich Tabus gebrochen, wie Fremdgehen usw. – damit holt man heute niemanden mehr hinterm Ofen hervor. Man geht heute zwar immer noch fremd, doch so klug damit zu spielen ist eben eine der markanten Eigenschaften der Texte dieser Zeit.
In welchem Verhältnis stehen dazu die Texte, die Sie heute mit Annette Humpe schreiben?
Raabe: Das soll jetzt auf keinen Fall anmaßend klingen, aber im Großen und Ganzen ging es uns darum, die Haltung von damals in die Gegenwart zu transportieren, das ganze zeitgemäß weiter zu entwickeln; mit einer gewissen modernen, gepflegten Wortwahl kleine Geschichten zu erzählen, Polaroids darzustellen.
Prinzipiell würde ich sagen, dass Frauen überall dabei sein sollten. Außer in meiner Umkleidekabine.
Müssen Ihre Texte dem Maßstab von damals standhalten?
Raabe: Nein. Was wir jetzt gemeinsam geschrieben haben hat nur unserem eigenen Geschmack standhalten müssen. Und da kann ich Ihnen versichern: Der ist streng genug. Sowohl Annette Humpe als auch ich, wir sind unglaublich pingelig. Wenn ein Stück fertig geschrieben war, verschwand das nicht in der Schublade, sondern wir haben es immer wieder hervorgekramt und überlegt, ob hier und da noch was geschehen muss, eine Wendung hereinkommt, ob einen das Stück schon nach zwei Minuten beginnt zu langweilen usw. Da sind wir dann ran, haben Teile aussortiert und neugeschrieben.
Können Sie eigentlich mit heutiger Popmusik etwas anfangen?
Raabe: Ja, da gibt es vieles, was mir gut gefällt, was mir auch Hoffnung macht, dass in der deutschsprachigen Popmusik noch Potential vorhanden ist. Das war bis vor 15 Jahren nicht erkennbar, da gab es kaum jemanden, der klug auf Deutsch Popmusik gemacht hat. Aber wenn ich heute Tim Bendzko, Seeed oder Peter Fox höre, das ist textlich rund und macht Spaß. Es ist hoffentlich der Beginn einer Entwicklung, wobei ich natürlich auch hoffe, dass die Radiosender diese Musik dann auch spielen.
Für wen würden Sie gerne mal einen Text schreiben?
Raabe: Ich bin froh, wenn ich meine eigenen Texte hinkriege. Das ist ja schon schwer genug, das fällt mir ja nicht vom Himmel. Wenn ich schreibe landet letzten Endes viel mehr im Papierkorb als auf dem Papier. Manche Stücke rutschen so durch und funktionieren, andere hängen ewig und kommen nicht weiter. Das Gehirn ist auch eine eigentümliche Einrichtung, weil irgendwann fallen einem dann plötzlich die Sachen zu, wo man vorher festhing, dann ist auf einmal alles ganz einfach. In so einem Moment springen Annette Humpe und ich dann wie die Irren um den Küchentisch und freuen uns, dass wir endlich zu einem Ergebnis gekommen sind.
Wie war das denn bei Ihrem Hit „Kein Schwein ruft mich an“?(*)
Raabe: Die Zeile ist mir sofort zugeflogen, ganz spontan. Ich habe gedacht, da müsste man mal ein Stück draus machen, es ist dann eine Weile liegengeblieben, aber irgendwann habe ich es aufgeschrieben. Das Lied hatte dann erst mal nur einen Vers und einen Refrain, woraufhin der Pianist, dem ich das damals vorgeschlagen hatte, zu mir meinte: „Mach doch noch einen Vers dran, bring die Geschichte zu Ende.“ Also habe ich mich hingesetzt und das zu Ende gemacht, das ging relativ flott.
Schreiben Sie eigentlich, passend zu den 20er/30er Jahren, auf der Schreibmaschine?
Raabe: Nein, ich bin ein Spiralblock- und Bleistiftmann. Das habe ich immer dabei.
„Für Frauen ist das kein Problem“ gibt es inzwischen auch als Remix von Parov Stelar, dem wohl wichtigsten Produzenten von Electroswing. Wie gefällt Ihnen diese Version?
Raabe: Das ist ein neuer Blick auf das, was wir da geschrieben haben, eine Variation. Der Umgang mit Schlagzeug ist für mich persönlich ein anderer, aber ich denke, man muss sich bei so etwas auch mal auf Neues einlassen. Ich hatte bisher noch keine Berührung mit Electroswing und wir dachten, es wäre spannend, mit Parov Stelar mal etwas zu machen. Eben weil er auf dem Gebiet so umtriebig ist.
Und das Genre Electroswing an sich? Paul Kuhn beispielsweise ist aufgrund der maschinellen Rhythmen wenig begeistert, wie er uns im Interview erzählte.
Raabe: Also, diese quantisierten Beats gehen einfach ab wie Schmitz Katze, das muss man schon sagen. Aber es sind eben Konserven, die in einem Club verwendet werden, während eine Live-Darbietung auf der Bühne einer ganz anderen Kraft bedarf. Und Paul Kuhn ist jemand, der für die Bühne gemacht ist, mit seinem Groove. Für ihn ist Swing ein anderer Begriff, er musste ja noch für diese Musik kämpfen zu einer Zeit, als die Dinge in Deutschland noch ganz anders liefen.
Würden Sie auf eine Electroswing-Party gehen und dazu tanzen?
Raabe: Ja. Wenn ich mal in so einen Schüttelbunker gehe, dann lasse ich mich auch auf so etwas ein. Man geht ja in einen Club, um sich dort durchwirbeln zu lassen. Das ist halt etwas Anderes, als wenn ich mir in der Philharmonie eine BigBand anhöre.
Wie wichtig ist es für Ihr Palastorchester, dass es swingt?
Raabe: Wir befinden uns mit unserem Ensemble ja noch vor der Entwicklung des Swings. Wir spielen keine Swing-Figuren, trotzdem muss es diesen federnden Rhythmus haben. Es muss schon Schwung drin sein, wir sagen manchmal: Es muss schwubsen.
Swingt – oder schwubst – Ihr Publikum denn immer mit, wenn Sie mit dem Palast-Orchester auftreten?
Raabe: Ich sehe ja nie die Gesichter, ich kann im Konzert nie Physiognomien erkennen, sondern sehe immer nur Umrisse. Und wenn die Umrisse von links nach rechts wippen, weiß ich, dass wir mit unser Musik genau das getroffen haben. Es gibt bei uns aber auch Stücke, die nicht aufs Wippen ausgerichtet sind, sondern die einfach dahinschweben, wo man Leute einfach nur beim Gefühl packen und berühren möchte.
In den Medien ist häufig vom „Swing-Revival“ die Rede, allerdings schon so lange, dass es im Grunde keine Modeerscheinung oder Welle mehr sein kann. Welchen Eindruck haben Sie diesbezüglich?
Raabe: Also, das, was wir machen, ist unabhängig von so einer Welle. Man merkt aber, dass momentan sehr viele Menschen rückwärts blicken, wenn es um die Unterhaltungsmusik geht. Ich glaube allerdings, dass das eher so ein Sammeln ist, kurz vor einer Explosion, durch die dann etwas ganz Neues entsteht.
Dass man sich an der Vergangenheit orientiert, finde ich aber auch sehr spannend. Schließlich orientiert man sich ja an sehr schönen Dingen und nicht an den miesen Erscheinungen der Pop-Geschichte.
Haben Sie eigentlich schon mal überlegt, mit dem Palastorchester beim Eurovision Song Contest an den Start zu gehen?
Raabe: Ehrlich gesagt haben wir damals, als wir den Song „Klonen kann sich lohnen“ gemacht haben, überlegt, damit zum Grand Prix zu gehen. Wir haben uns dann aber dagegen entschieden, zum Glück, weil sich genau in dem Jahr alles um die erste Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ drehte, da hat sich kein Mensch um den Grand Prix geschert.
Und wenn die Frage noch einmal aufkommt?
Raabe: Nein, ich bin froh, dass wir das damals nicht gemacht haben. Es ist in Ordnung wenn man da mit macht. Ich persönlich kann es mir nicht vorstellen.
Zum Schluss komme ich nochmal auf die Eingangsfrage zurück: Was sind für Sie die drei besten männlichen Eigenschaften?
Raabe: Das ist jetzt aber eine Fangfrage. Nein, die Eigenschaften, die ich bei Männern schätze, möchte ich auch bei Frauen haben. Damit meine ich Dinge wie Aufrichtigkeit, Treue – und natürlich Humor. Ohne den geht es überhaupt nicht.
(*) Diese Fragen stammen aus einem Gespräch mit Max Raabe von 2010.