Rene, wie man durch dein Hörbuch „Alles auf eine Karte“ erfährt, hast du deine Wohnung aufgelöst und bist ein Jahr lang mit dem Zug durch die Republik gefahren – wie schläft es sich am besten im Zug?
MC Rene: Das Problem ist: Wenn der Schaffner kommt, bin ich immer sofort wach und kann danach nicht einschlafen. Deswegen zeige ich beim Einsteigen in den Zug immer sofort meine Karte und breite mich dann aus. Meistens mache ich ein schönes Hörspiel mit einer beruhigenden Stimme an. Das funktioniert immer. Und bei Tageslicht hilft eine Augenklappe – garantiert.
Vom Rap in den Callcenter und von dort auf die Comedy-Bühne – eine mehr als ungewöhnliche Karriere…
MC Rene: Ja, das stimmt. Ich habe in mir aber immer mehr gesehen, als nur einen reinen Rapper. Ich hatte aber nie eine Möglichkeit gefunden, den richtigen Ausdruck dafür zu finden. Als HipHop-Künstler war ich nicht mehr motiviert, immer weiter Alben aufzunehmen und habe das im Sande verlaufen lassen, bis ich aus finanziellen Gründen noch einen Job machen musste. Dann, dachte ich mir, gehe ich ins Call-Center.
Warum fehlte dir die Motivation als Rapper?
MC Rene: Ich wollte etwas Anderes machen. Was, wusste ich wahrscheinlich selber nicht. Dieses Andere habe ich dann im Call-Center gefunden, als ich Stefan Eckert war. Ich hatte endlich wieder eine Aufgabe. Da habe ich aber irgendwann gemerkt, dass das nichts für mich ist, dass ich wieder Künstler sein muss. Und dann hatte ich die Idee mit der „Bahncard 100“ und sagte mir: Fang wieder von vorne an, aber dann musst du als Künstler auch was Anderes machen. Dann musst du jetzt Comedian werden, das liegt dem Rappen am nächsten. Einfach nur ein Mikrofon und los geht’s.
Gab es diesen Schlüsselaugenblick im Callcenter, als du dachtest: So geht es nicht mehr weiter?
MC Rene: Ja, als anderthalb Jahre rum waren, ich es aber eigentlich nur zwei Monate machen wollte, und ich gedacht habe: Willst du das jetzt noch zwei Jahre machen? Merkst du nicht, wie sehr du dich von deinem Künstlerleben entfernst? Du bist in diesem Nine-to-Five-Strudel drin, der dich immer mehr aufs Meer hinaustreibt, und du siehst gar nicht mehr das Land.
Es gibt einen Spruch von Benjamin Franklin: „Wenn du die Freiheit aufgibst, nur um die Sicherheit zu haben, dann wirst du am Ende beides verlieren.“ Und genau das Gefühl hatte ich im Callcenter. Ich mache hier einen auf Sicherheit und gebe meine Freiheit auf. Aber was passiert, wenn ich meinen Job verliere? Was bleibt mir dann?
Die meisten Menschen hätten wohl Angst davor, ihre bürgerliche, gesicherte Existenz an den Nagel zu hängen.
MC Rene: Die Angst war bei mir auch da, aber vor einem anderen Szenario: Immer in diesem Call-Center zu bleiben und irgendwann zurückzublicken und zu sagen, „hättest du mal bloß, jetzt kannst du nicht mehr!“ Diese Angst vor dem Sicherheitsverlust war durch Wahnsinn, durch riesengroßen Lebenshunger ersetzt.
Damit war ja auch der Schritt auf die Comedybühne gekoppelt. Was war der große Unterschied zum Rap?
MC Rene: Es läuft kein Beat. Da habe ich mich auf der Bühne erst mal sehr nackt gefühlt. Du kommst raus, da sitzen 300 Leute und du hast nur dein Mikrofon. Die erwarten jetzt, dass du sie zum Lachen bringst, aber die sitzen wie angewurzelt da. Da habe ich schnell für mich gemerkt, dass ich kein Comedian bin. Ich habe erkannt, dass ich ein Typ bin, der lustiger ist, wenn er erzählt, dass er gerne Comedian sein will, als wirklich einer zu sein.
Weil der Begriff des Comedians so negativ behaftet ist?
MC Rene: Ein Comedian ist im negativen Sinne jemand, der um jeden Preis die Leute zum Lachen bringen muss. Der Comedian biedert sich seinem Publikum an, und das wollte ich nicht. Ich bin zu Comedy-Veranstaltungen gefahren, bin auf die Bühne gegangen und habe gesagt: „Hallo, mein Name ist MC Rene, ich habe meine Wohnung gekündigt und eine Bahncard 100 gekauft. Ich fahre jetzt rum und mache ein freiwilliges asoziales Jahr.“ Die Leute lachen über den Spruch, aber die denken, dass das nicht stimmt, dass ich ihnen nur irgendeine Geschichte erzähle.
Wieso das?
MC Rene: Weil sie sich nicht damit identifizieren können. Da habe ich irgendwann gemerkt, dass ich zu diesem Publikum, das auch Cindy aus Marzahn feiert, nicht hingehöre. Ich bin nicht jemand, der sich eine Geschichte ausdenkt und sagt: Kennste, kennste? Ich erzähle Sachen, die keiner kennt.
Wie haben deine Rapperkollegen auf deine neue Comedy-Karriere reagiert?
MC Rene: Für die Leute war das natürlich ein gefundenes Fressen, hämisch gegenüber meiner Person zu sein. Ich mache das aber nicht, damit die mich gut finden. Ich kann nur das sagen: Keiner von denen hätte die Eier gehabt, das zu machen, was ich gemacht habe.
Rap ist auch oftmals eine eher unkomische Angelegenheit.
MC Rene: Da geht es ja auch nicht um die Comedy. Da beschäftigen sich Menschen gerne mit anderen Menschen und suchen oft das Negative. Sie würden sich aber selbst einen Gefallen tun und sich gar nicht darüber äußern, wenn sie etwas so schrecklich finden. Warum verschwenden sie damit ihre Zeit? In der Rapszene ist es oft so, dass sich die Leute statt mit der Musik mit dem Trash drum herum beschäftigen. Das ist nicht meine Welt. Wenn das die Szene ist, dann bin ich auf jeden Fall kein Teil der HipHop-Szene.
Bist du heute neidisch, wenn du Rapper siehst, die in den Charts durchstarten?
MC Rene: Ach quatsch. Ich bin nicht so ein Typ der so denkt. Das spielt für mich keine große Rolle, weil Erfolg sich nicht daran misst, wie viele Platten du verkauft hast oder ob du in den Charts bist. Das alles hatte ich früher ja auch. Es macht dich aber nicht glücklicher. Und dann wundern sich die Leute, dass sie sich leer fühlen. Für mich hängt der Erfolg davon ab, wie es in dir drin aussieht.
In der Rapszene ist es oft so, dass sich die Leute statt mit der Musik mit dem Trash drum herum beschäftigen.
Und wie sieht es in dir drin aus?
MC Rene: Vor drei Jahren saß ich noch im Callcenter, jetzt sitze ich hier, verkaufe Bücher, gebe Interviews und bin putzmunter. Manchmal fällt es mir sogar schwer das zu genießen, weil ich mir manchmal denke: Bestimmt ist das morgen wieder vorbei.
Stichwort Comedy: Wie kam es deiner Zusammenarbeit mit Carolin Kebekus, mit der du kürzlich das Video „Dunk dem Herrn“ gedreht hast?
MC Rene: Wir kennen uns persönlich schon sehr lange, sind auch miteinander befreundet, ich habe auf ihrem Album „Ghetto-Kabarett“ schon einen Beitrag geleistet, als „Incredible Kalk“. „Dunk dem Herrn“ war unsere erste visuelle Zusammenarbeit.
Das Video hat für viel Wirbel gesorgt. Hast du, als die Idee dazu aufkam, noch gezögert?
MC Rene: Nein. Für mich ist das eine klassische Satire, die einfach mit Klischees spielt.
War Kirche schon vorher mal ein Thema in deinen Texten von dir?
MC Rene: Ich habe mal eine Comedy-Nummer gemacht, welche die Entstehungsgeschichte der Menschheit aus dem Alten Testament parodistisch ein bisschen hops nimmt und mit den alten Wörtern arbeitet.
Warst du überrascht von der Empörung, die das Video auslöste?
MC Rene: Ehrlich gesagt hat es mich nicht so groß gewundert. Die Gesellschaft ist von Dogmen geprägt, dazu gehören auch die Dogmen der Religion.
Im Prinzip geht es in diesem Video gar nicht darum, dass man sich über den Glauben lustig macht. Es ist lediglich eine klassische Parodie. Ich denke, man darf die Kirche nicht mit dem Glauben der Menschen verwechseln. Ich habe viele Mails von Menschen bekommen, die sehr religiös sind, die das sehr gut finden. Letztendlich ist die Gewinnerin aus diesem Skandal Carolin Kebekus. Durch die Zensur hat ihr der WDR zu mehr Öffentlichkeit verholfen.
Doch es gab auch Leute, die sich von Darstellungen bzw. Textzeilen darin beleidigt fühlten.
MC Rene: Wenn die Leute sich beleidigt fühlen wollen finden sie immer Gründe dafür.
Die Kirche in Deutschland muss so etwas aushalten?
MC Rene: In einer demokratischen Gesellschaft muss sich die Kirche auch Satire aussetzen und das auch mit einem Lächeln nehmen können.
Bist du selbst religiös aufgewachsen?
MC Rene: Nein. Mein Vater ist Moslem, meine Mutter evangelisch – Religion war bei uns nie ein Thema. Es ist aber nicht so, dass ich nicht an Gott glaube, es ist nur so, dass ich selbst keiner Religionsgemeinschaft angehöre. Ich finde, wenn man glaubt, braucht man keinen Vermittler.
In Richtung anderer Religionen würde man aber vermutlich nicht so scharf schießen, wie ihr es in „Dunk dem Herrn“ getan habt, oder?
MC Rene: Das weiß ich nicht, das war bei uns kein Thema. Zumal, wenn man selbst Christ ist – ich glaube, Carolin ist Christin – ist es auch nochmal etwas anders, als wenn man eine andere, also nicht die eigene Religion parodiert.
Religion ist generell bei den Leuten ein Reizthema, aber das zeigt für mich nur, dass da auch Gesprächsbedarf ist. Ich denke aber, richtige Gläubige können mit so etwas umgehen. Es ist davon auszugehen, dass Jesus auch selbstironisch war.
Bist du vom WDR enttäuscht, dass er den Clip, der schon abgenommen war, am Ende nicht ausgestrahlt hat?
MC Rene: Für das Vorhaben der öffentlich-rechtlichen Sender, sich verjüngern zu wollen, ist es ein schwerer Rückschlag. Aber wenn es halt drauf ankommt, will man offenbar doch nicht so jung sein – so hat es ja auch Carolin Kebekus gesagt.
Hat dieses Video denn mit „jung sein“ zu tun?
MC Rene: Nein, es geht im Prinzip um die Kreativität, um Satire an sich. Wenn man sich die alten Sachen von Monthy Pyton ansieht, „Das Leben des Brian“, damals gab es auch einen riesigen Aufschrei. Letztendlich funktioniert gute Satire nur in diesem Punkt, wenn sich Menschen auch auf den Schlips getreten fühlen.
Wobei unser Text wasserdicht ist, da kann man eigentlich gar nichts gegen sagen.
Ist die Institution Kirche heute zu „oldschool“ eingestellt?
MC Rene: Die Kirche ist in erster Linie ein Unternehmen, das versucht, seine Interessen zu vertreten, wie jedes andere Unternehmen auch.
Und sie bringt sich kontrovers selbst in die Schlagzeilen, zum Beispiel mit dem Kondomverbot in bestimmten Ländern. Wobei man allerdings die Statements Einzelner nicht auf die gesamte Institution anwenden kann. Es gibt ja kleine Gemeinden, die sich durchaus um gute Dinge kümmern.
Generell denke ich, sollte es im Glauben nur um Spiritualität gehen. In dem Moment, wo es dogmatisch wird, finde ich, wird es problematisch.