Das Gespräch findet in einem Restaurant in Berlin-Wilmersdorf statt. Kurtuluş trägt eine lässige Wollmütze, trinkt Tee, wirkt sehr entspannt. Er äußert sich ausführlich zur Integrationsdebatte, seinem Werdegang weg vom „türkischen Schauspieler“ und zur Berufsauffassung deutscher Schauspieler – nach der Autorisierung des Gesprächs bleibt davon allerdings längst nicht alles stehen.
Herr Kurtuluş, mögen Sie den Begriff „Deutsch-Türke“?
Mehmet Kurtuluş: Ehrlich gesagt bin ich ziemlich emotionslos diesem Wort gegenüber, es ist für mich weder positiv noch negativ behaftet. Es ist einfach eine Bezeichnung.
Die von manchen aber auch kritisch gesehen wird, weil sie als desintegrativ gilt. Schließlich sind Deutsch-Türken im Regelfall keine Türken, sondern deutsche Staatsbürger.
Kurtuluş: Ich kann natürlich auch gar nicht „der erste türkische ‚Tatort’-Kommissar“ sein. Aber ich denke, man sollte es sich nicht zu kompliziert machen. Man weiß schon, was die Leute meinen. Eigentlich lenkt die Diskussion nur ab.
Als Sie Ihren Dienst als „Tatort“-Ermittler in Hamburg antraten, war oft die Rede vom „Deutsch-Türken, der den ‚Tatort’ übernimmt“. Sie hat es allerdings gestört, dass der Aspekt Ihrer Herkunft überhaupt so eine große Rolle gespielt hat.
Kurtuluş: Verwundert ist eine treffende Beschreibung. Es wurde nicht wirklich registriert, dass wir das 38 Jahre alte Konzept der Reihe „Tatort“ weiterentwickelt haben. Es ging zu wenig um den Inhalt.
Es muss Sie doch aber auch mit Stolz erfüllt haben, erster „Tatort“-Kommissar mit türkischen Wurzeln zu sein.
Kurtuluş: Ich war stolz wie Oskar.
Sie haben damals den Satz gesagt, dass das höchste Maß an Integration für Sie die Normalität sei.
Kurtuluş: Das ist ein Teil meiner Lebensansicht. Es setzt aber Respekt voraus. Auf der Basis versuche ich mit meiner schauspielerischen Arbeit eine Wirkung bei den Menschen zu erzielen, indem sie sich mit mir zusammen in die Geschichten fallen lassen können.
Auf Grund der hohen Reichweite des „Tatorts“ und der Wahrnehmung Ihrer Rolle hätten Sie auch die Möglichkeit, sich in gesellschaftspolitische Debatten einzumischen.
Kurtuluş: Ich möchte nicht debattieren, sondern versuche meinen Ansichten in meiner Arbeit Gehör zu verschaffen und so meinen Idealen gesellschaftlich, politisch oder künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Damit nehme ich aktiv an der Debatte teil.
Nun hat der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin die Integrationsdebatte durch seine Äußerungen im September 2009 massiv angefeuert, indem er u.a. äußerte, große Teile der arabischen und türkischen Einwanderer seien „weder integrationswillig noch integrationsfähig“. Die Debatte wird Sie in irgendeiner Form berührt haben.
Kurtuluş: Ich bin der Meinung, dass die Art und Weise wie es Sarrazin ausgedrückt hat, nicht glücklich gewählt war. Aber die Stoßrichtung war anscheinend die richtige. Zumal nicht nur der Mund eines einzelnen Menschen gesprochen hat, sondern laut einer Forsa-Umfrage 51 Prozent der Bevölkerung diese Meinung vertreten. Daher habe ich Sarrazin nicht verurteilt. Ich dachte vielmehr: Es brauchte also diesen brennenden Pfeil, um solch einen Flächenbrand in der Vehemenz hervor zu rufen.
Wohin führt das Ganze?
Kurtuluş: Es ist immer eine Chance für eine Gesellschaft. Ich glaube, dass wir generell allen Jugendlichen in diesem Land ein gewisses Selbstbewusstsein zurückgeben müssen. Ich differenziere in dem Punkt überhaupt nicht, was die Herkunft angeht. Alle Kinder sind in derselben Situation. Schauen Sie sich mal das Fernsehprogramm an. Es geht permanent um Casting-Situationen und die Frage: Wie kann ich im Sinne Andy Warhols wenigstens für 15 Minuten im Rampenlicht stehen oder sogar zum Star werden? Wir leben in einer Zeit, in der man sich wenig Zeit nimmt, für das was man macht. Es muss immer ganz schnell gehen.
Ihr Werdegang war ein anderer, ein mühsamerer.
Kurtuluş: Ich hab mir Zeit genommen. Ich bin meinen Weg Schritt für Schritt gegangen. „Kurz und schmerzlos“ war 1998 ein großer Erfolg und hat mich einen großen Schritt nach vorne gebracht. Ich habe die Entwicklung bewusster erlebt.
Was war auf Ihrem Weg die größte Herausforderung, die Sie haben bewältigen müssen?
Kurtuluş: Die größte Herausforderung war es, Opfer zu bringen. Brillierst du als Mörder, kriegst du gleich drei Angebote als Mörder. Das war bei mir auch so. Beispielsweise bekam ich nach „Kurz und Schmerzlos“ einige Rollen mit Bomberjacke angeboten. Ich wollte aber andere Dinge entdecken und habe keinen weiteren Film in Bomberjacke mehr gemacht. Es geht darum, in dem Moment seinem Idealismus ein bisschen mehr Raum zu geben, anstatt nur die Kohle mitzunehmen.
Man muss es sich aber auch leisten können. Viele Schauspieler nehmen bestimmte Rollen einfach aus dem Grund an, weil sie Geld verdienen müssen.
Kurtuluş: Dennoch hast du als Schauspieler die Wahl, ja oder nein zu sagen. Ich finde, dass es innerhalb einer Filmografie nicht nur wichtig ist, welche Filme du machst, sondern es auch sehr wichtig sein kann, welche Filme du nicht machst. Es gibt sicher einige Produktionen wo ich heute drei Kreuze mache, dass der Kelch an mir vorbeigegangen ist.
Sie sagen öfters mal nein, Ihre Filmographie ist dementsprechend recht übersichtlich.
Kurtuluş: Ich glaube mittlerweile, dass du dir die Filme nicht aussuchst, sondern umgekehrt. Das kostet manchmal Zeit. Und diese Zeit bringe ich mit.
Hat es auch etwas mit dem Gedanken zu tun, sich rar machen zu wollen?
Kurtuluş: …im Sinne des deutschen Sprichworts „Willst du gelten, mach dich selten“? Kann ich unterschreiben, aber vielmehr scheue ich mich vor Quantität.
Ich bin der Meinung, dass die Art und Weise wie es Sarrazin ausgedrückt hat, nicht glücklich gewählt war. Aber die Stoßrichtung war anscheinend die richtige.
Eine Begegnung mit Evelyn Hamann hat Ihnen erst den Weg zur Schauspielerei geebnet.
Kurtuluş: Wir haben uns bei den Dreharbeiten zu „Adelheid und ihre Mörder“ kennen gelernt, wo ich als Brötchenschmierer meine Brötchen schmierte. Ich hatte eine kleine Rolle ergattert – daraus ergab sich die Chance, in einem Theaterstück mitzuwirken, in dem Frau Hamann die Hauptrolle spielte. Die Proben waren wie Schauspielschule. Ab dem Zeitpunkt war Timing für mich kein Dorf mehr in China. Anschließend lernte ich auch ihre Schauspiellehrerin kennen.
Ist jeder Werdegang also immer auch von Zufällen wie einer solchen Begegnung geprägt?
Kurtuluş: Doris Dörrie hat mich auf einer Filmparty gesehen und quasi im selben Moment für „Nackt“ besetzt. Ich glaube nicht, dass es Zufall war. Ich sollte diesen Film einfach machen. Aber diese Betrachtungsweise erlaubt es mir nicht, faul zu sein. Man liegt nicht zu Hause im Bett, denkt sich, ich werde jetzt ein berühmter Chirurg und klingelt an der Tür.
Mit Anfang 20 und haben Sie auch Fatih Akin kennen gelernt. Wie wichtig war Akin für Ihren Werdegang? „Kurz und Schmerzlos“ haben Sie bereits erwähnt.
Kurtuluş: Wir haben damals beschlossen, dass wir einen schönen Weg zusammen gehen werden. Denn wir hatten die gleiche Vergangenheit und wünschten uns die gleiche Zukunft. So entstanden „Getürkt“, „Kurz und schmerzlos“ und „Gegen die Wand“ – den wir zusammen produziert haben. Er ist ein sehr wichtiger Weggefährte.
Es war Ihnen früh wichtig, kein „türkischer Schauspieler“ zu sein – Sie wollten sich künstlerisch weiter entwickeln. Haben Sie zuvor bezweifelt, dass das gelingen könnte?
Kurtuluş: Als ich 1995 in einem Produktionsbüro stand und den Produktionsleiter, den ich kannte, fragte, ob es da nicht irgendwas für mich gäbe, schaute er nach und meinte: „Spielt nirgendwo ein Türke mit.“ Das hat mich frustriert, dass nicht mal für einen Pizzabäcker oder einen Taxifahrer ein Türke in Frage kam. Das war ein wichtiges Schlüsselerlebnis, was mich inspirierte und motivierte.
Inzwischen sind Sie „Tatort“-Ermittler. Wird heute mutiger besetzt?
Kurtuluş: Es geht in Deutschland im Jahre 2010 um Mut. Egal welches Thema wir heute ansprechen: Es geht um Mut. Und es geht um Veränderung in den Köpfen. Für mein Türkischsein kann ich nichts, aber für meine Leistung oder mein individuelles Umweltbewusstsein. Es wäre persönlicher, so zu denken, um über Vorurteile und Schubladendenken hinauszuwachsen – auch im Sinne der „Integration“.
Nichtsdestotrotz ist Ihre Herkunft ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Identität. Was für einen Bezug haben Sie heute zu Ihren türkischen Wurzeln?
Kurtuluş: Was meine künstlerische Präsenz angeht, stehen Deutschland und die Türkei in etwa im Gleichgewicht. Im Zuge der Dreharbeiten bei türkischen Projekten habe ich die Türkei noch einmal anders kennen gelernt und es hat sie mir fühlbarer und näher gebracht, indem ich Beleuchterkollegen erlebt habe, die darüber diskutiert haben, wie sie die Stromrechung bezahlen können. Das hat meinen Blickwinkel erweitert und meine Beziehung vertieft – vorher kannte ich praktisch nur die „Getränkekarte“.
Sie sagen, dass Sie sich sowohl in der Türkei als auch in Deutschland wohl fühlen. Haben Sie den Eindruck, dass es der jungen Generation heute genauso geht?
Kurtuluş: Die dritte Generation hat große Schwierigkeiten, weil sie oberflächlich betrachtet weder etwas mit der Türkei noch etwas mit Deutschland anfangen kann. Wir haben uns gewünscht, dass wir als zweite Generation ihnen Türen öffnen werden. Mit Filmen wie „Kurz und schmerzlos“. Oder Büchern wie „Kanak Attack“. Durch Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Akif Pirinçci. Mit Hip-Hop aus Hamburg oder Design aus Wolfsburg. Aber ich höre und sehe in Berlin leider ganz andere Dinge.
Wovon ist die dritte Einwanderergeneration gekennzeichnet?
Kurtuluş: Sie kämpft um eine eigene Identität – teilweise mit falschen Idealen im Gepäck.
Das heißt?
Kurtuluş: Sie sprechen weder richtig Deutsch noch richtig Türkisch. Sie fühlen sich weder hier akzeptiert noch in der Türkei. Diese lose Gefühlswelt birgt Gefahren. Sie haben die Bilder von München U-Bahn/München S-Bahn und den jüngsten Amokläufen vor Augen. Die Täterprofile lassen erschreckende Rückschlüsse ziehen.
Sind Sie enttäuscht von der dritten Generation?
Kurtuluş: Unabhängig von der Schuldfrage bin ich persönlich einfach darüber enttäuscht, dass das, was man sich gewünscht hat, nicht in dem Maße eingetreten ist. Das heißt, dass die dritte Generation nicht die noch produktivere, noch erfolgreichere ist. Es gibt natürlich tolle Ausnahmen, aber die Rütli-Schule ist ein Symbol dafür. Ich glaube, dass die Realität im Verborgenen noch eine ganz andere ist.
Hingegen ist die zweite Generation der türkischen Einwanderer die erfolgreiche.
Kurtuluş: Wir, Teil der sogenannten zweiten Generation hatten eher das Gefühl, hier etwas bewegen zu wollen. Wir haben die Flucht nach vorne ergriffen.
Sie leben derzeit mit Ihrer Familie parallel in Berlin und Los Angeles. Haben Sie vor, irgendwann wieder ganz nach Deutschland ziehen?
Kurtuluş: Nicht in allzu naher Zukunft, da die Kinder in L.A. in die Schule gehen. Es war nach den Wahlen, als Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde, ein tolles Gefühl in einem Land zu sein, das von einem schwarzen Präsidenten regiert wird.
Was lernen Sie in L.A. in Bezug auf Ihren Beruf?
Kurtuluş: In L.A. gibt es zum Beispiel einen Satz, den ich sehr oft höre: „Du bist das Studio.“ Das bedeutet, du musst dich selbst um deine Rollenangebote kümmern, um dein Marketing, um dein Image, deine Werbung, deine Bilder. Dort herrscht der Gedanke vor: „Wenn du nicht aus der Hüfte kommst, gib nicht deiner Agentin die Schuld.“ Das ist ein völlig anderer Blickwinkel auf das ganze Filmgeschäft. In Deutschland haben wir leider den Zustand, dass wir sehr gerne auf hohem Niveau jammern. Nein, du musst selbst etwas tun. Nur das bringt dich weiter.
Sie plädieren für mehr Engagement von deutschen Schauspielern?
Kurtuluş: Die Frage ist: Was tust du für deine Karriere? Welche Daseinsberechtigung hast du als Schauspieler? Ein Balletttänzer übt jeden Tag, auch Sonntagmorgens um zehn Uhr, als Sänger musst du immer deine Stimme trainieren. Aber was machen wir als Schauspieler? Wir saufen bis morgens in der Früh und behaupten am Leben zu proben.
Ist das etwas, das speziell für deutsche Schauspieler gilt?
Kurtuluş: Wir in Deutschland kultivieren so ein bisschen das Gefühl: Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen, ich bin jetzt Schauspieler. Viel zu wenige haben den Anspruch, sich weiterzuentwickeln. In Los Angeles erlebe ich es sehr oft, dass Leute ständig an sich arbeiten.
Film ist Business.
Kurtuluş: Richtig. Film ist kein Sozialunternehmen.
Sie haben einen Exklusivvertrag mit dem NDR über insgesamt sechs „Tatort“-Folgen. Währenddessen dürfen Sie keine anderen Fernsehrollen annehmen.
Kurtuluş: Das ist doch lustig, finden Sie nicht auch? Auf jeden Fall sehen wir uns im Herbst im Kino.
Die dritte Folge „Vergissmeinnicht“ wird jetzt ausgestrahlt, an der vierten Folge arbeiten Sie gerade. Ist jetzt Halbzeit beim „Tatort“?
Kurtuluş: Noch wurde ich nicht gefeuert.
…
geiler Typ!!!