Frau Churcher, wenn man im Filmabspann den „Acting Coach“ entdeckt – was verbirgt sich dahinter?
Churcher: Also, zunächst muss ich sagen, dass dich nur wenige Leute „Acting Coach“ nennen. Oft wirst du da als „Dialogue Coach“ oder „Voice Coach“ aufgeführt, meistens ganz weit versteckt, am Ende des Abspanns.
Die Aufgaben können auch ganz verschieden sein. Manchmal bin ich einfach da, um einen Schauspieler zu beruhigen, zur Absicherung. Oder wenn mal einer eine Nervenkrise hat. Manchmal ist es eine junge Schauspielerin, die mit 16 entdeckt wurde und vorher noch nie geschauspielert hat, manchmal ist es ein Sänger, der in einem Film mitspielt, oder ein Model – es gibt Tausend verschiedene Gründe, warum ein Acting-Coach am Set arbeitet.
Wobei sich manche Leute fragen werden: Das sind gut bezahlte Schauspieler – wofür brauchen die eigentlich noch einen Coach?
Churcher: Aber die Leute fragen doch auch nicht, warum die Schauspieler einen Maskenbildner brauchen, oder einen Hairstylisten.
Damit vergleichen Sie Ihren Job?
Churcher: Ja, natürlich. Weil es alles der Umsetzung dient, der Produktion des Films.
Wie war zum Beispiel die Arbeit mit Benno Fürmann und Til Schweiger?
Churcher: Mit Til habe ich bei „King Arthur“ zusammengearbeitet, wo die Schauspieler altertümliche Sprachen gesprochen haben. Ich habe dafür bestimmte Akzente und Dialekte recherchiert, Kriegsgeschrei, und so komische Sachen…
Mit Benno habe ich als Voice-Coach bzw. Dialogue-Coach gearbeitet. Das mache ich häufig, wenn jemand nicht in seiner Muttersprache spielt oder einen bestimmten Dialekt sprechen muss. Und als Benno auf Englisch den Fernsehfilm „Ring der Nibelungen“ gedreht hat, habe ich ihm bei den Dialogen geholfen – aber nicht beim Spielen.
Ähnlich war es mit Angelina Jolie bei „Tomb Raider“: Ich habe sie nicht in Schauspiel unterrichtet – das kann sie schon sehr gut – sondern ihr beim englischen Akzent geholfen, weil sie Amerikanerin ist. Wobei so ein Dialekt auch Auswirkungen haben kann auf das Spielen, ohne dass die Schauspieler das merken. Sie wechseln zum Beispiel in den englischen Dialekt und denken auf einmal, sie müssten jetzt besonders fein sein…
Welchem Schauspieler mussten Sie denn am Set beim Spielen, bei der Darstellung helfen?
Churcher: Jet Li zum Beispiel, für „Danny the dog“ von Luc Besson. Das heißt jetzt nicht, dass Jet Li vorher nicht schauspielern konnte, aber ich habe ihm mit dieser bestimmten Rolle geholfen, zumal die ja auf Englisch war. Ich habe auch Milla Jovovich geholfen, beim „Fünften Element“.
…sie war nicht auf einer Schauspielschule…
Churcher: Nein, Sie war Model und Sängerin.
Und ist es ein großes Problem, wenn jemand nicht auf der Schauspielschule war?
Churcher: Ja, wobei Schauspielschulen dir nicht so viel Kameraerfahrung mitgeben. Es kann sein, wenn du mit jemanden hast, der auf der Schauspielschule war, dass derjenige für Filme noch Hilfe braucht. Bei uns in England sind fast alle Schauspielschulen auf das Theater ausgerichtet und Film ist eben ein ganz anderes Medium.
Man muss es aber auch so betrachten: Natürlich würde im Idealfall jeder erst mal drei Jahre auf die Schauspielschule gehen. Aber wie kann man dann eine 16-Jährige für einen Film casten? Die kann ja noch gar nicht auf einer Schauspielschule gewesen sein. Oder einen erfolgreichen Sänger? Der kann bei einem Filmangebot ja nicht erst drei Jahre zur Schauspielschule gehen. Das ist nicht praktikabel.
Gibt es Acting-Coaches erst seit Kurzem?
Churcher: Nein, ich denke, dass schon Marilyn Monroe und die ganze damalige Generation ihre Acting-Coaches hatten.
Heute ist es so, dass sich viele etablierte Schauspieler, denen man das Schauspielen nicht beibringen muss, trotzdem von Acting-Coaches helfen lassen, um sich auf einen Film vorzubereiten. Hinzukommt, dass viele Filmregisseure zuvor noch nie mit Schauspielern gearbeitet haben: Sie wissen nicht, wie sie dir in einer bestimmten Situation helfen sollen, wie du dich verhalten sollst – weil sie vorher zum Beispiel nur bei Trickfilmen Regie geführt haben, als Produzent oder Drehbuchautor gearbeitet haben und auf die Arbeit mit Schauspielern nicht vorbereitet sind. Für dich als Schauspieler sieht es dann oft so aus, dass du nur dein Drehbuch hast, fünf Monate in einem Hotelzimmer lebst, in Budapest oder wo auch immer, ans Set kommst und du dort aber niemanden hast, an den du dich wenden kannst.
Lassen sich denn alle Schauspieler von den Coaches gerne helfen?
Churcher: Normalerweise schon. Nur wenn jemand mal eine Krise hat, mitten in den Dreharbeiten und die Produzenten sich entscheiden, einen Acting-Coach dazu zu holen. Wenn es dann heißt: „Hallo, das ist dein Acting-Coach“ – das ist glaube ich für niemanden leicht. Das ist mir aber erst einmal bei einem Film passiert. Da habe ich gesagt: „Hey, ich bin nur die Schulter, an der du dich ausheulen kannst.“
Ansonsten arbeite ich mit den Schauspielern ja vor allem in der Vorbereitungsphase, wo man drei, vier Wochen mit einem Schauspieler arbeitet, bevor die Dreharbeiten beginnen.
Sprich, der Acting-Coach ist nicht immer der Doktor, der in der letzten Minute noch alles richten muss.
Churcher: Das kommt natürlich auch vor, aber nicht so oft. In einer solchen Situation sind die Schauspieler dann meistens aufgebracht, stecken in Schwierigkeiten – und freuen sich, dich zu sehen.
Dabei ist es meistens nur ein Kommunikationsproblem. Ich werde jetzt keine Namen nennen, aber ich habe zum Beispiel einen Regisseur erlebt, der eine Schauspielerin nur zum Weinen bringen konnte, mit der Anweisung: „Jetzt setzt du dich hin und jetzt weinst du!“ – Also, wenn man da ein junge, verletzliche Schauspielerin ist, dann könnte es sein, dass man in der Tat ein bisschen mehr Hilfe benötigt.
Sie übernehmen also auch eine Vermittlungsfunktion zwischen Regisseur und Schauspieler?
Churcher: Genau, manchmal bin ich für den Regisseur genau so viel da wie für den Schauspieler. Weil wenn ein Regisseur vorher noch nie mit Schauspielern gearbeitet hat, dann ist der froh, wenn er jemanden hat, der ihm dabei hilft, den richtigen Ton zu finden; jemand der ihm sagt, wie er mit den Schauspielern reden und umgehen sollte.
Wenn Sie mit Schauspielern am Set arbeiten, kommen Sie dann immer zu einem Ergebnis?
Churcher: Also, mit professionellen Schauspielern denke ich, schafft man es immer. Probleme hatte ich bisher nur einmal bei einem Film, mit einem kleinen Jungen.
Mit Kindern ist es nicht immer einfach weil die sehr unberechenbar sind. Die meisten Kinder können sich das zwar alles vorstellen, Schauspielern ist für sie etwas ganz natürliches, das mit der Imagination kriegen sie hin, zum Beispiel in einer leeren Box im Studio zu stehen und so zu spielen, als sei es ein Raumschiff. Aber dieser kleine Junge hatte diesen Zugang überhaupt nicht. Das war ein komplizierter Fall und da waren meine Erfolge auch minimal.
Aber wie genau helfen Sie den Schauspielern am Set auf die Sprünge?
Churcher: Ich würde generell sagen: man muss denjenigen nur zum Denken bringen. Zum Denken auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Also, dass der Schauspieler nicht allein von den Worten angetrieben ist, die im Drehbuch stehen. Weil er eben diesen Text nicht nur aufsagen muss, sondern er muss damit auch genau ins Schwarze treffen, vor der Kamera. Da sind die Schauspieler einen hoch-technischen, unnatürlichen Vorgang eingebunden. Da gibt es so viel zu tun und so viel, woran man denken muss.
Was ich dann meistens versuche, ist, die Anspannung rauszunehmen, die Leute wieder daran zu erinnern, zu atmen. Ich habe schon Filme gehabt, wo ich die gesamten Dreharbeiten fast nichts anderes gemacht habe, als die Leute ans Atmen zu erinnern.
Auch die professionellen, erfahrenen Schauspieler?
Churcher: Natürlich, weil das Adrenalin pumpt so oder so durch deinen Körper, egal ob du 50 Jahre in dem Geschäft bist, fünf Jahre oder erst fünf Minuten. Wenn ich Sie jetzt in ein Filmstudio stecken würde, würde Ihr Körper genauso reagieren wie der eines Schauspielers, der das schon 20 Jahre lang macht. „So, jetzt kommt das Take, Ruhe, Kamera läuft, Action“ – und schon geht Ihnen das Adrenalin durch.
Du brauchst Adrenalin, um zu schauspielern.
Mir vielleicht, aber einem Schauspieler der das schon 1000 mal erlebt hat?
Churcher: Ja, auch der wird beim 1000. Mal noch dieses Gefühl haben, das wird nie weggehen. Du brauchst auch Adrenalin, um zu schauspielern. Das entsteht durch eine natürliche Reaktion des Körpers, dadurch bekommst du in Stress-Situationen die nötige Energie. Allerdings, wenn du nicht weißt, wie du richtig damit umgehst, wirkt sich das nur wie ein Schutzmechanismus aus und behindert dich beim Schauspielen. Also, man muss auch wissen, wie man das Adrenalin für sich arbeiten lässt – und nicht gegen sich.
Also, Sie erinnern die Leute ans Atmen…
Churcher: Ja, ich muss sie auch an ganz andere Dinge erinnern, zum Beispiel den Ablauf. Weil meistens wird ja alles ohne Reihenfolge gedreht: du tötest deine besten Freunde noch bevor du sie überhaupt kennen gelernt hast, du musst eine Szene drehen, die sechs Szenen her ist, oder auch sechs Wochen, den Zusammenhang hast du schon längst vergessen… Da brauchst du jemanden, der dich an diese Dinge erinnert. Der Regisseur ist aber meistens zu beschäftigt, der muss noch tausend andere Sachen machen.
Sind denn die Drehpläne heute enger als früher?
Churcher: Also, nicht bei den Filmen, bei denen ich arbeite. Insgesamt variiert es natürlich sehr, aber man kann sagen, dass bei den großen Hollywood-Blockbustern etwa ein bis anderthalb Minuten Film pro Drehtag entstehen. Manchmal auch zwei Minuten.
Und ich meine, wenn du 15 Minuten an einem Tag drehen willst, dann hast du auch gar keine Zeit, einen Acting-Coach am Set zu beschäftigen. Da ist dann jeder auf sich gestellt – und das erklärt auch, warum die schauspielerischen Leistungen in Daily-Soaps so dürftig sind. Weil dort musst du 30 Minuten am Tag spielen – und niemand hat Zeit, nachzudenken.
Angenommen, ein Film wird zum Großteil in einem Supermarkt gedreht, der Hauptdarsteller ist Kassierer – würden Sie den Schauspieler dann erst mal in einen richtigen Supermarkt schicken, zwecks Vorbereitung?
Churcher: Hmm… vielleicht nicht unbedingt in einen Supermarkt. Wobei natürlich außer Frage steht, dass die Art, wie wir unser Leben leben und die physische Arbeit, die wir verrichten, Auswirkungen auf unseren Körper hat. Wenn du Schneider bist, jeden Tag mit Kleidung zu tun hast, dann hast du dafür ein ganz eigenes Gespür. Und wenn du einen Bauer im 12. Jahrhundert spielen musst, der reitet, arbeitet, gräbt muss – dann wirst du dich anders bewegen müssen. Anders, als wenn du jemanden spielst, der in einem Büro im Zentrum von Londons arbeitet.
Also ich denke, ja, bis zu einem bestimmten Grad sollte man Nachforschungen anstellen. Wenn du einen Arzt spielst, dann könnte es in der Tat nützlich sein, wenn du ein Krankenhaus findest, wo du dich umsehen kannst und ein paar Ärzten bei ihrer Arbeit zuschauen kannst, mit ihnen reden kannst. Es wird dich ja niemand auffordern, eine Operation durchzuführen. Aber du könntest eben wenigstens die Welt erkundschaften, in der sie leben und arbeiten. Und ich denke, das liegt nahe – weil unser ganzer Körper, all das reflektiert, wie wir leben, wie wir arbeiten…
Wie war das als Jet Li in „Danny the Dog“ den Hund spielen musste?
Churcher: Da sind wir rumgegangen und haben uns verschiedene Hunde angesehen. Und bei Milla Jovovich, die im „Fünften Element“ ein Alien spielt, das nie zuvor die Welt gesehen hat – da sind wir in ein großes Kaufhaus gegangen und haben Hüte anprobiert. Und Milla hat so getan, als hätte sie noch nie zuvor in ihrem Leben einen Hut gesehen, als würde sie den Umgang mit einem Hut gerade erst lernen. Das war ein großer Spaß und hat die Angestellten in dem Geschäft sehr verwirrt.
Und natürlich, wenn ich mit einem New Yorker Model arbeite, der einen mittelalterlichen Bauern spielt – das war Desmond Harrington in „Johanna von Orleans“: Zu dem habe ich gesagt, „Zieh’ deine Schuhe aus, fang an zu rennen, jage diesen Hasen…“
Es ist wichtig, dass sie in Berührung kommen mit dem physischen Leben, das die Person führt, die sie darstellen sollen. Wobei ich da gar nicht Einzige bin, die den Schauspielern dabei hilft. Jemand anderes unterrichtet sie im Bogenschießen, Reiten, macht mit ihnen Kampfsportarten…
Was ja vor allem bei Fantasy- und Historien-Filmen eine Rolle spielt und davon gibt es ja einige in Ihrer Filmographie.
Churcher: Ja, weil das jene Big-Budget-Filme sind, wo gerne Leute für gecastet werden, die aus ganz anderen Bereichen kommen.
Bei einem richtig ernsten Film, wo Judi Dench, Maggie Smith und Michael Gambon mitspielen – wer braucht mich da?
Sie haben auch bei „Control“, mitgearbeitet, dem ersten Film von Anton Corbijn.
Churcher: Das war ein super Film. Ich habe da mit Sam Riley gearbeitet, der Ian Curtis spielt. Und er hat das wunderbar gemacht. Er ist kein Schauspieler sonder eigentlich Musiker – aber er hat fantastische Kritiken bekommen. Weil manche Leute einfach instinktiv…
Es sind ja sowieso etwa die Hälfte der Leute im Filmbusiness nie auf der Schauspielschule gewesen. Und ich selbst sage auch: Ich kann niemandem beibringen, zu schauspielern. Ich vergleiche das zum Beispiel mit einem Maler: Du kannst dem Maler zwar die Technik beibringen, aber nicht diesen spirituellen Kern, dieses gewisse etwas.
Und als Schauspieler hat man dieses gewisse etwas – oder man hat es nicht?
Churcher: Ja, ich glaube schon. Was ein Schauspiellehrer machen kann: Er kann dir helfen, die Anspannung loszuwerden, Hemmungen zu beseitigen, er kann dir eine bestimmte Technik vermitteln, dir mit deiner Stimme helfen usw. Aber das eigentliche, in eine Rolle zu schlüpfen und diese Figur Realität werden zu lassen – das kann dir niemand beibringen.
Und wenn Sie nun auf Leute treffen, zum Beispiel in Ihren Workshops, die diese Gabe nicht haben – was sagen Sie denen?
Churcher: Also, wenn jemand zu mir kommt, bei dem ich keine Chance sehe und der mich fragt, ob er für die Schauspielerei seinen Beruf aufgeben soll – dann würde ich natürlich sagen: Nein, mach’ es als Hobby, zum Spaß. Ich würde diese Person wahrscheinlich auch nicht unterrichten. Aber wenn es um arbeitende Schauspieler geht, die schon da draußen sind, die sich dem schon verpflichtet haben – dann würde ich nicht sagen: „Mach’ etwas anderes, gib die Schauspielerei auf.“ Dafür kommen die ja schließlich auch nicht zu mir.
Ich würde ihnen allerdings auch nicht raten, zum Casting vom nächsten Spielberg-Film zu gehen. Ich würde ihnen sagen, woran sie arbeiten müssen, wo die Probleme liegen, sie in eine Richtung weisen, die ihnen vielleicht helfen könnte. Es kann ja auch sein, dass sie ihr Glück in einem anderen Teil dieses Berufs finden. Was vielleicht nicht direkt Schauspielen ist, aber immer noch mit dem Filmgeschäft zu tun hat. Vielleicht werden sie gut im Synchronsprechen bei Zeichentrickfilmen… wer weiß.
Schauspieler stecken manchmal sehr intensiv in ihren Rollen – geben Sie denen auch Ratschläge, wie sie wieder ‚runterkommen’?
Churcher: Dafür besteht kaum die Notwendigkeit. Weil sobald die Crew sagt: „Cut“ gehen die meisten Schauspieler in die Bar Insofern habe ich ehrlich gesagt, selten die Gelegenheit, solche Ratschläge zu geben.
Ich würde halt jedem sagen, dass es nur ein Job ist. Wie wenn du als Kind draußen Räuber und Gendarm gespielt hast. In dem Moment hast du vielleicht zu 150 Prozent dran geglaubt – aber in dem Moment, wo deine Mutter gesagt hat: Schluss jetzt! – wusstest du, dass alles nur ein Spiel war.
Aber wenn jemand zum Beispiel eine richtig düstere Figur spielt…
Churcher: Klar, wenn jemand so eine Rolle hat und über eine lange Zeit spielt… So wie wenn jemand „The Sound And The Fury“ von William Faulkner liest und irgendwann selbst anfängt wie die Hauptfigur zu denken – so was passiert, das lässt sich nicht vermeiden. Und natürlich werden die Familien der Schauspieler sagen, dass man es mit ihnen nicht so gut aushält, während sie an so einem Film arbeiten. Aber ich denke, das hält sich alles in Grenzen. Vor allem fällt das auch sehr schnell von dir ab, sobald du den Film abgedreht hast.
Gibt es Doping für Schauspieler?
Churcher: Da habe ich keine Ahnung, dafür bin ich jetzt schon zu alt. Ich weiß, als ich in den 60ern und 70ern selbst Schauspielerin war, dass damals Betablocker sehr in Mode waren, um das Adrenalin zu stoppen, über das wir schon gesprochen haben. Manche Leute haben das Zeug geschluckt, bis sie gemerkt haben, dass es sie langweilig macht, weshalb sie wieder damit aufgehört haben.
Aber ja, ich bin mir sicher, es gibt auch heute Leute, die irgendwas nehmen. Vor allem aber auch die Filmemacher. Ein berühmtes Beispiel ist ja „Apocalypse Now“, wo die während der Dreharbeiten völlig verrückt geworden sind, Nervenzusammenbrüche hatten usw. Wobei so etwas heute wesentlich seltener vorkommt, dafür ist das alles viel zu sehr eine geschäftsmäßige Welt geworden.
Vorhin meinten Sie zumindest, dass viele Schauspieler gleich nach der letzten Klappe an die Bar gehen…
Churcher: Ja, aber wer macht das nicht? Schauspieler sind auch nur Menschen.
Bei manchen Filmen hat man dann Schauspieler, die verblüffend sind vor der Kamera, obwohl sie nur drei Stunden geschlafen und zu viel getrunken haben. Andererseits gibt es Schauspieler, die wahnsinnig diszipliniert sind, nicht einen Tropfen anrühren und um 9 Uhr abends ins Bett gehen. Die einzige Sache, die ich sagen würde: Es ist ein sehr angespanntes, hektisches Geschäft. Und die Ironie dabei ist: Die suchen sich für die Filme die hübschesten Leute der Welt, verwenden dann aber so viele Stunden auf sie, dass sie nur vier oder fünf Stunden Schlaf kriegen, weil sie morgens um 4 oder 5 Uhr abgeholt werden, um in die Maske zu gehen. Über einen langen Zeitraum sehen die Schauspieler dann so fertig aus – und deswegen stellt man eben die besten Leute an, um sie wieder schön aussehen zu lassen.
Apropos schön- Sie haben auch mit Daniel Craig zusammengearbeitet, noch bevor er James Bond gespielt hat.
Churcher: Ja, ich habe mit ihm nur zwei Mal gearbeitet. Einmal habe ich bei einem amerikanischen Akzent geholfen, beim ersten „Tomb Raider“-Film. Und dann gab es noch einem komischen Film mit dem Titel „I dreamed of Africa“, der aber nur auf DVD rausgekommen ist. Beides war aber eine schöne Erfahrung. Ein reizender Mensch.
Gibt es da vielleicht noch eine Anekdote?
Churcher: Hm…. nein, nicht wirklich. Außer dass ich schon damals fand, dass er extrem attraktiv ist. Und er ist sehr charmant.
Zum Schluss die Frage: Bei Ihnen lernen die Schauspieler viel – was aber haben Sie in den letzten Jahren über das Schauspielen gelernt?
Churcher: In der Arbeit mit Schauspielern lerne ich natürlich sehr viel über das Schauspielen, ich wünschte ich könnte jetzt zurückgehen, und wieder Schauspielerin werden weil ich jetzt das ganze Wissen habe.
Ich meine, die einzige Rechtfertigung dafür, dass ich heute zum Beispiel ein Buch über das Spielen vor der Kamera (Mel Churcher: „Acting for Film – Truth 24 Times a Second“, Virgin Books. 2003) schreibe oder Workshops gebe, ist, dass ich bis zu neun Monate im Jahr, 14 Stunden am Tag auf Filmsets bin. Ich beobachte ganz verschiedene Regisseure, ganz verschiedene Schauspieler, ich sehe, was wie passiert und dass am Ende zählt, was auf der Leinwand zu sehen ist.
Und was haben Sie über die Filmindustrie gelernt?
Churcher: Dass sie halsabschneiderisch ist, dass es darum geht, Geld zu machen… Und dass es manchmal auch ein sehr langweiliger Job sein kann: Wenn du 14 Stunden am Set verbringst und froh bist, wenn du deinen Schauspieler zehn Minuten sprechen kannst. Oder wenn du bei einem Action-Film Dialect-Coach bist, wo der Schauspieler in 14 Stunden drei Wörter sagen muss, das aber in 300 verschiedenen Einstellungen, kopfüberhängend usw.
Wobei, das eigentliche Arbeiten mit den Schauspielern ist nie langweilig. Das Problem ist nur, dass du oft keine Zeit hast, auch genug mit ihnen zu arbeiten. Weil am Set will jeder etwas vom Schauspieler. Da ist es schwierig, sich den nötigen Freiraum zu schaffen, selbst wenn der Schauspieler das will.