Herr Ballhaus, Sie haben 2004 beim „Berlinale Talent-Campus“ mit Studenten gearbeitet, dozieren an deutschen Filmhochschulen, dieses Jahr sprechen Sie bei den „Berliner Lektionen“ – wie wichtig ist es Ihnen, Ihre langjährigen Filmerfahrungen in dieser Form weiterzugeben?
Ballhaus: Mein Interesse am Unterrichten von Studenten ist sehr groß. Ich mache das ja schon seit vielen Jahren und es macht mir einfach große Freude mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten, deren Ideen zu hören und ihnen auf ihrem Weg, bei ihren Projekten ein wenig zu helfen.
Wird dies in Zukunft ein neuer Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein? In einem Interview sagten sie kürzlich, Ihr aktueller Film „The Departed“ wäre „ein schöner Abschluss“ als Kameramann…
Ballhaus: Der Schwerpunkt wird sicherlich schon ein bisschen mehr auf das Unterrichten gelegt werden. Ich bin aber auch sehr am Produzieren interessiert. Wenn ich interessante Talente an den Filmhochschulen entdecke, die ich für förderungswürdig halte, möchte ich denen auch helfen, ihre Projekte zu realisieren, auch über die üblichen Kurse hinaus. Ansonsten bezieht sich das Zitat mit dem „schönen Abschluss“ hauptsächlich auf die großen Produktionen in Amerika. „The Departed“ soll mein amerikanischer Abschluss gewesen sein. In Europa bin ich jedoch nach wie vor für kleinere Produktionen offen.
Es wird also definitiv keinen Film mehr mit Michael Ballhaus an der Kamera in Amerika geben?
Ballhaus: Ja, man sagt das manchmal so und manchmal kommt dann ein tolles Angebot, und die alten Vorsätze werden wieder über den Haufen geworfen. Aber das ist im Moment der aktuelle Stand.
Ist da auch ein bisschen Wehmut dabei? Sie haben über 20 Jahre in Amerika gearbeitet…
Ballhaus: Wehmut vom Abschied eigentlich nicht, nein. Ich habe annähernd 100 Filme gedreht, davon alleine 38 in Amerika. Das ist eigentlich genug. Es ist ja nicht so, dass ich aufhören musste. Ich könnte ja weitermachen, aber dieser Schlussstrich ist ein freiwilliger Entschluss und man wird sehen was die Zukunft bringt.
Worüber werden Sie nun mit Tom Tykwer bei den „Berliner Lektionen“ am 11. Februar sprechen?
Ballhaus: Tom und ich werden über die Situation des amerikanischen Films sprechen, auf die Reaktionen zu seinen Film „Das Parfum“ eingehen, und über meine beiden letzten Filme „Was das Herz begehrt“ und „The Departed“ reden. Wir werden uns gegenseitig von unseren Erfahrungen berichten, über verschiedene Schwierigkeiten sprechen und uns in einen Austausch begeben.
Sie haben schon viele Gespräche mit Tom Tykwer geführt, auch für das Buch „Das fliegende Auge“. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zueinander beschreiben?
Ballhaus: Ich schätze ihn und seine Arbeit als Regisseur sehr. Er ist einer der besten Regisseure die wir derzeit in Deutschland haben. Ich freue mich über jeden Film den er macht und ich muss sagen, dass es kaum jemanden gibt, der meine Arbeit so genau studiert hat wie Tom Tykwer. Er stellt sehr kluge Fragen und die Gespräche mit ihm sind immer eine große Freude. Das ist ein Austausch unter Freunden, der interessant, befruchtend und auch sehr informativ ist.
Tom Tykwer hat mit „Lola rennt“ 1998 das deutsche Kino aufgemischt. Rasante Kamerafahrten, wahnsinnig schnelle Schnitte und eine ungewohnte Erzähltechnik geben dem Film seine Unverwechselbarkeit. Gefällt Ihnen die Bildregie in diesem Film?
Ballhaus: Ja, mir gefällt die Bildregie von Tom und seinem Kameramann Frank Griebe sehr gut. Ich halte ihn für einen ganz ausgezeichneten Kameramann, er ist sehr mutig mit seinen Bildern. Er benutzt keine konventionellen Kompositionen, keine konventionelle Lichtführung. Ich weiß, dass eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Tom und Frank Griebe besteht. Die beiden sind ein ausgezeichnetes Team!
Die Kameraarbeit in „Lola rennt“ weist einige Parallelen zum „Ballhaus-Look“ auf, beispielsweise die berühmten 360°-Fahrten um eine Person herum…
Ballhaus: Ja, aber die benutzen ja mittlerweile alle Kollegen. (lacht) Das hat sich ziemlich eingebürgert, dass diese 360°-Fahrten eine tolle Sache sind. Aber der Frank Griebe hat seinen ganz eigenen Stil. Das hat mit meinem Stil wenig zu tun. Ich habe auch gar keinen richtigen Stil; ich fotografiere jeden Film etwas anders. So tut das auch Frank Griebe.
Freut oder ärgert es Sie eigentlich, dass dieser 360°- Effekt heute so häufig verwendet wird?
Ballhaus: Nein, das ärgert mich überhaupt nicht! Ich finde das nur ganz witzig, wenn ich das manchmal in Filmen sehe. Aber ich habe ja kein Patent auf diesen 360°- Effekt. Den kann jeder benutzen! (lacht)
Tykwer benutzt auch den sogenannten „Split-Screen“, eine bewusste Bildschirmteilung, die heute durch die U.S- Echtzeit-Serie „24“ einen großen Boom erlebt. Wie stehen Sie zu diesem Effekt?
Ballhaus: Ich habe den noch nicht so oft benutzt, aber wenn er für die Geschichte richtig ist, dann freue ich mich schon, wenn er verwendet wird. Denn gerade wenn man im Breitbandformat dreht, kann dieser Effekt schon sehr sinnvoll sein.
Über die Jahre der Filmentwicklung sind die Schnitte immer schneller geworden, auch Ihr Film "The Departed" ist sehr schnell geschnitten – glauben Sie, dass inzwischen der Punkt erreicht ist, wo es nicht mehr schneller geht?
Ballhaus: Man kann das gar nicht generalisieren, das hängt immer von der jeweiligen Geschichte ab. Natürlich kann ein Actionfilm immer noch schneller geschnitten werden, aber wenn man eine Geschichte wie bei „The Departed“ erzählen will, dann darf das Tempo, so wie es jetzt im Film vorhanden ist, nicht noch mehr angehoben werden, damit es auch noch verständlich bleibt. Das ist bei „The Departed“ schon ziemlich an der Grenze.
Wird beim Schnitt in Zukunft vielleicht auch eine Art Entschleunigung stattfinden?
Ballhaus: Auch das hängt mit den Geschichten zusammen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch wieder eine Phase geben wird, in der die Leute wieder lange Einstellungen möchten, die es einem erlauben nachzudenken, sich in den Film hineinzufühlen. Aber bei „The Departed“ hätte das sicherlich keinen Sinn gemacht.
Rainer Werner Fassbinder, mit dem Sie in den 70er Jahren mehrere Filme realisiert haben, hat anders gearbeitet. Seine Filme zeichneten sich durch äußerst lange Kameraeinstellungen in einer oft bedrückenden kammerspielartigen Atmosphäre aus. Wäre das Fassbinder-Konzept heute noch erfolgreich?
Ballhaus: Ich glaube, dass Fassbinder seinen Stil der Zeit angepasst hätte, so wie er es immer getan hat. Wenn er heute Filme machen würde, dann wären die wahrscheinlich sehr viel schneller als beispielsweise die „Die Ehe der Maria Braun“. Aber damals war das die Zeit und Fassbinder war mit seinem Konzept sehr erfolgreich.
Seit den 80er Jahren haben Sie Hollywood-Blockbuster wie „Air Force One“, „Wild Wild West“ oder „Gangs of New York“ gefilmt. Wie kam es nach der Arbeit mit Fassbinder zu diesem Hang zu Actionfilmen?
Ballhaus: Ich habe eigentlich keinen großen Hang zu Actionfilmen. Das hat sich meistens durch Zufälle ergeben, oder weil sie von Regisseuren gemacht worden sind, die ich sehr gerne mag, wie zum Beispiel Wolfgang Petersen bei „Air Force One“. „Wild Wild West“ hingegen war reiner Zufall, weil ein Film bei Scorsese ausgefallen ist. Also, da steckt kein bewusstes System dahinter. (lacht)
Ich habe gar keinen richtigen Stil; ich fotografiere jeden Film etwas anders.
Was nur wenige Kinobesucher wissen: Sie sitzen persönlich gar nicht mehr hinter der Kamera. Warum ist das so?
Ballhaus: Das hat zwei Gründe: Zum einen hat man in Amerika einen Operator, der die Kamera führt, das muss da auch so sein, und zum anderen ist es einfach viel direkter, wenn man mit dem Regisseur am Monitor sitzt, weil man so die Fehler viel besser sehen kann und sich nicht auf das Schwenken konzentrieren muss.
Seit wann arbeiten Sie nach dieser Methode?
Ballhaus: Das fing an, als ich meine ersten Filme mit Scorsese gedreht habe, und das erste Mal habe ich bei seinem Film „Die Farbe des Geldes“ mit Tom Cruise und Paul Newman nach diesem Prinzip gearbeitet. Das ist dann in Amerika auch bis zum Schluss so geblieben.
Sie haben zwischen 1985 und 2004 keinen einzigen Film mehr in Deutschland gedreht. Woran lag das?
Ballhaus: Die Angebote in Amerika waren sehr verlockend und ich konnte in dieser Zeit mit wunderbaren Regisseuren zusammenarbeiten. In Amerika wird mit viel größeren Budgets gearbeitet und man hat viel mehr Möglichkeiten einen großen Film zu realisieren. In Deutschland existieren einfach keine Budgets zwischen 80-100 Millionen Dollar, in Amerika ist das allerdings keine Seltenheit.
Könnten Sie sich heute noch vorstellen einen Film in Deutschland zu drehen oder gibt es Dinge in der deutschen Filmlandschaft, die für Sie nicht akzeptabel sind?
Ballhaus: Ich habe nichts gegen die Arbeitsbedingungen in Deutschland und wenn es irgendwann in der Zukunft wieder eine tolle Geschichte gibt, würde ich möglicherweise auch in Deutschland mal wieder einen Film drehen. Da muss dann aber auch alles passen, mit der Geschichte, dem Regisseur. Das wird sich zeigen, wenn es soweit ist.
Wie haben Sie während der Zeit in den USA die Filmentwicklung in Deutschland wahrgenommen?
Ballhaus: Sehr am Rande, sehr peripher. Meine Frau und ich waren zu dieser Zeit sehr wenig in Deutschland, weil ich viel in Amerika zu tun hatte. Wenn wir dann mal wieder zu Hause in Berlin waren, haben wir uns einfach nur sehr darüber gefreut und wollten dann auch so viel wie möglich das Flair meiner Heimatstadt genießen, anstatt jeden Tag ins Kino zu gehen. Aber am Rande habe ich das immer ein wenig mitverfolgt.
Es gibt nur wenige deutsche Filme, die in den USA starten. „Lola rennt“ war einer von ihnen, oder auch „Das Leben der Anderen“ – ist der deutsche Film in den USA überhaupt ein Thema, über das man unter Kollegen spricht?
Ballhaus: Eigentlich ziemlich wenig. Es war schon immer so, dass eigentlich nur sehr wenige deutsche Filme nach Amerika kamen, und dann laufen die ja auch immer nur in den großen Städten wie New York, Boston oder Los Angeles. Der deutsche Film spielt in Amerika keine große Rolle!
Inwiefern kann ein Festival wie die „Berlinale“ helfen, diesen Zustand zu verbessern?
Ballhaus: Das ist immer schwer zu sagen, weil die Amerikaner immer mehr an den Geschichten interessiert sind, die in ihrem eigenen Land passieren. Meistens sind es dann eher kleine Filme wie „Lola rennt“ die für Aufmerksamkeit sorgen. Ich glaube aber nicht, dass der deutsche Film auf dem Weltmarkt so eine große Chance hat. Das hängt ja auch immer mit der Sprache zusammen. Wenn sie einen deutschen Film auf Englisch drehen, ist es kein deutscher Film mehr.
Mit der Globalisierung verschwinden auch die Grenzen auf dem Filmmarkt zunehmend. Dennoch die Frage: Gibt es den „amerikanischen“ oder den „deutschen Film“?
Ballhaus: Natürlich gibt es den amerikanischen und den deutschen Film. Den amerikanischen Film, weil er sich hauptsächlich mit amerikanischen Themen und dem Land Amerika befasst, und auch von Künstlern gedreht wird, die in diesem Land leben und den deutschen Film, weil er sich wiederum mit deutschen und europäischen Themen befasst und in deutscher Sprache gedreht wird, und damit auch für das deutsche Publikum die Welt zeigt, in der die Deutschen leben. So wie jedes Land seine Geschichte hat, hat es auch seine eigenen Filme, die ja auch eine gewisse Form von Identität schaffen
Der deutsche Schauspieler Sky Dumont hat mal in einem Interview gesagt, das Filmgeschäft in Amerika sei wesentlich kälter und gnadenloser, als irgendwo sonst auf der Welt, für die Industrie zähle nicht der Schauspieler als Mensch, sondern nur seine Leistung und das Geld, dass er in die Kassen bringt. Hat er Recht?
Ballhaus: Ja, ein bisschen stimmt das schon, aber da muss man auch differenzieren. Es kommt immer darauf an, auf welchem Gebiet ein Schauspieler ein Star ist. Es gibt viele Schauspieler, die hervorragend sind in ihren Leistungen, und gar nicht an den großen Hollywoodschinken interessiert sind und trotzdem wunderbare kleine Filme machen, wie zum Beispiel Jeff Bridges. Aber natürlich geht es auch immer sehr stark um den Erfolg eines Filmes, aus dem sich dann letztendlich ja der Marktwert eines Schauspielers berechnet.
Gab es denn während der ganzen Jahre in Amerika einen Punkt an dem Sie zurück nach Deutschland wollten, es in Hollywood nicht mehr ausgehalten haben?
Ballhaus: Nein, den hatte ich eigentlich nicht. Ich konnte immer mit wunderbaren Regisseuren zusammenarbeiten, und auch wenn es manchmal extrem anstrengend war, hat es doch immer großen Spaß gemacht. Ich wurde immer sehr gut behandelt von den verschiedenen Produktionen, insofern war das nie ein Thema.
Gab es einen Schauspieler oder Regisseur der Sie in diesen Jahren ganz besonders beeindruckt hat?
Ballhaus: Puh, mich haben so viele Menschen in Amerika beeindruckt. Ich habe mit den besten Regisseuren wie Martin Scorsese, Robert Redford oder Mel Brooks gearbeitet, die man bewundert und fantastisch findet. Ich verbinde wunderbare Erlebnisse mit all diesen Menschen. Im Moment bin ich ein großer Fan von Leonardo di Caprio, weil er in „The Departed“ fantastisch gespielt hat und einfach ein hinreißender Schauspieler ist. Aber ich kann aus dieser Liste mit all den fantastischen Künstlern keinen einzelnen herausnehmen und sagen: Das war der Beste!
Haben Sie in Hollywood auch wirklich Freundschaften knüpfen können, ist das in dem harten Geschäft möglich?
Ballhaus: Ja, natürlich! Ich würde zum Beispiel sagen, dass ich mit Dustin Hoffmann befreundet bin, weil wir sehr viele schöne Momente bei der Arbeit erlebt haben und uns sehr vertraut geworden sind. Das hängt doch immer auch mit den Menschen zusammen, die bei so einem Film zusammen kommen. Das harte Business bezieht sich meines Erachtens doch eher auf die Leute, die produzieren und Leute für neue Filme besetzen und die die ganze Vermarktungsmaschine starten. Am Drehort selber spielt das Business zwischen den Menschen, so wie ich es erlebt habe, keine besonders Rolle. Da stehen die Arbeit und der Film im Mittelpunkt.
Hatten Sie am Anfang Ihrer Hollywood-Arbeit eigentlich so etwas wie Ehrfurcht, als sie am Set das erste Mal Schauspielern wie Robert de Niro gegenüber standen? Wie geht man damit um?
Ballhaus: Ganz normal, so wie man mit anderen Schauspielern auch umgeht. Es ist nicht so, dass man da ständig vor den Leuten auf die Knie sinkt. Das ist ein Job, und jeder versucht ihn so gut wie möglich zu machen. Das wird dann normal, wird Alltag. Zuerst ist da ja auch erstmal, aus der Sicht des Kameramannes der Regisseur, und wenn man Glück hat arbeitet der dann auch mit guten Schauspielern zusammen.
Gehen Sie heute oft ins Kino?
Ballhaus: Ich gehe verhältnismäßig oft ins Kino, bin in der letzten Zeit allerdings wenig dazu gekommen, weil ich sehr viel zu tun habe, und da ich jetzt nach dem Tod meiner Frau alleine bin, auch andere Prioritäten habe.
Welche Filme schauen Sie sich dann an?
Ballhaus: Ich gucke Filme, über die ich etwas weiß, oder weil ich den Regisseur besonders gut finde. Ich gehe selten unvorbereitet ins Kino. Da muss irgendetwas an dem Film sein, was mich besonders interessiert, mich neugierig macht. Das schafft nicht jeder Film.
Inwiefern können Sie einen Film auch noch als normaler Zuschauer ansehen, ohne ständig auf die Kameraführung achten zu müssen?
Ballhaus: Wenn der Film sehr gut ist vergesse ich die Kamera ziemlich. Wenn er nicht so gut ist, sehe ich natürlich technische Fehler. Das hängt immer von der Qualität des Films ab.
Haben Sie eigentlich jemals einen Film aus der ersten Reihe links außen anschauen müssen?
Ballhaus: Nein, das musste ich zum Glück noch nicht!
Gehört die erste Reihe im Kino nicht abgeschafft, schon dem eigenen Hals zu Liebe?
Ballhaus: (lacht herzlich) Das wäre vielleicht eine Anregung für die Kinobetreiber, da haben Sie Recht. Das ist definitiv die schlechteste Reihe für einen Kinobesuch.