Herr Hirte, die Menschen vergleichen Ihren Weg vom arbeitslosen Straßenmusiker zum gefeierten Star gerne mit einem Märchen. Wie real ist dieses neue Leben mittlerweile für Sie?
Michael Hirte: Sehr real. Aber manchmal ist es doch wie ein Traum. Man darf sich nicht ausruhen. Wenn man das Glück hatte bei so einer Sendung mitzumachen, und so weit gekommen ist, kann man nicht sagen: „Danke, und tschüss!“ Nee, dann muss man schon auch was tun.
Warum haben Sie sich damals für die Teilnahme an „Das Supertalent“ entschieden?
Hirte: Ich wollte eigentlich nur ein bisschen entdeckt werden, irgendwo mal ein Lied auf eine CD packen können – aber so, dass man mich dabei am besten gar nicht sieht. Aber das geht im Fernsehen natürlich nicht. (lacht)
Paul Potts schaffte es 2007 durch die Castingshow „Britain’s Got Talent“ vom Handyverkäufer zum gefeierten Tenor. Er sagte uns im Interview: „Ich hatte das Singen ja eigentlich schon aufgegeben. Als ich dort aufgetreten bin, war das für mich viel mehr ein Schlusspunkt als ein Anfang.“ War das bei Ihnen ähnlich?
Hirte: Ich habe die Show als eine Chance gesehen. Ich habe mir damals gesagt: „Ich spiele das „Ave Maria“ nur noch ein Mal in der Öffentlichkeit. Wenn dann nichts passiert, spiele ich es nie wieder!“ Ich war ja 2002 schon mal im Fernsehen, beim Frühstücksfernsehen von Sat.1, da habe ich einen Western-Mix gespielt. Meine Verwandten haben mich gefragt: „Warum hast du denn nicht „Ave Maria“ gespielt?“ Die vom Fernsehen wollten das aber nicht, das war denen zu langsam. Aber beim „Supertalent“ hat es dann ja geklappt.
In einem gemeinsamen Interview mit Paul Potts sagten Sie mal: „Wir hatten immer die Musik, wir waren nie arm!“. Was meinten Sie damit genau?
Hirte: Es wurde immer wieder darauf rumgeritten, dass wir beide arm gewesen wären. Und da habe ich gesagt: „Nein, wir waren nicht arm!“. Paul Potts hatte immer seine Stimme und ich meine Mundharmonika. Die Leidenschaft für die Musik und für ein Instrument kann einem durch schwere Zeiten helfen. Das habe ich selbst erlebt.
Auf Youtube liest man in den Kommentaren zu Ihren Videos oft, wie sehr die Menschen Sie dafür bewundern, dass Sie niemals aufgegeben haben. Sehen Sie sich selbst auch als Hoffnungsträger?
Hirte: Ja, das sagen mir viele. Da bin ich richtig stolz drauf, dass die Leute mich so sehen. Viele Menschen sagen mir, dass Ihnen meine Musik Kraft gibt und manch schwere Zeit überstehen lässt. Das finde ich natürlich toll.
Aber haben Sie trotz der vielen Anerkennung manchmal auch Angst, dass der Erfolg im harten Musikgeschäft schnell wieder vorbei sein könnte?
Hirte: Genau deswegen muss man immer weitermachen. Aber das Wichtigste an der ganzen Geschichte sind die vielen Fans, die damals für mich angerufen und für mich gestimmt haben, und mich bis heute unterstützen. Das darf man nie vergessen, ohne meine Fans würde ich heute nicht auf der Bühne stehen. Darum sind mir meine Live-Konzerte auch so wichtig, denn auf diesem Weg kann ich mich bei allen Fans bedanken. Das ist das Mindeste was ich tun kann. Ohne die Fans ist niemand was. Ich habe eine Lebensdevise: „Wer hoch steigt, kann auch tief fallen!“ Deshalb versuche ich gar nicht erst zu hoch zu steigen, sondern immer normal zu bleiben. Bisher ist mir das ganz gut gelungen, denke ich.
Wenn Sie auf der Bühne stehen und spielen, halten Sie die Augen meistens geschlossen. Wie sehr nehmen Sie das Publikum in diesen Momenten wahr?
Hirte: Ich konzentriere mich vor allem auf die Hintergrundmusik und mein eigenes Spiel. Manchmal schließe ich die Augen aber auch wegen den Emotionen. Wenn ich auf der Bühne stehe und „Ave Maria“ spiele, und ich sehe schon, im Publikum fließen die ersten Tränen, mache ich lieber schnell die Augen zu, sonst würde ich noch mitweinen. Für mich ist jeder Auftritt immer wieder ein großes Erlebnis.
Wie anstrengend ist so ein mehrstündiger Auftritt mit der Mundharmonika für Sie?
Hirte: Anstrengend ist es nur am Anfang, bevor man anfängt. Wenn die ersten zwei, drei Lieder erstmal gespielt sind, und das Publikum macht mit, dann macht das großen Spaß.
Gibt es bestimmte Rituale, mit denen Sie sich vor einem Auftritt in die richtige Stimmung versetzen?
Hirte: Ich gehe vor jedem Konzert ins Foyer und begrüße die Leute. Dadurch gewöhne ich mich schon mal an das Publikum und bin nicht mehr so aufgeregt. In der Pause gehe ich dann auch nochmal raus und am Ende sowieso. Die Nähe zu den Fans ist mir schon sehr wichtig. Einige sind dann auch überrascht, dass sie mich so persönlich treffen, und sagen, ich wäre der einzige Künstler, dem man so nah kommen kann.
Jeder Auftritt bringt frisches Geld in die Kasse. Doch in einem Interview sagten Sie mal: „Ich weiß gar nicht, was ich verdiene. Das ist mir auch egal, das regeln andere für mich.“ Ist Ihnen das wirklich so egal?
Hirte: (lacht und überlegt) So egal, na ja, was ich verdiene ist mir nicht egal. Die Hauptsache ist nur, dass ich so viel verdiene, um meine Familie und mich ernähren zu können.
Wenn ich auf der Bühne stehe und „Ave Maria“ spiele, und im Publikum fließen die ersten Tränen, mache ich lieber schnell die Augen zu, sonst würde ich noch mitweinen.
Trotzdem die Frage: Macht Geld glücklich?
Hirte: Das weiß ich nicht. Mir geht es darum, dass ich vor den Leuten spielen kann, dass ich auf großen Bühnen stehen kann, am liebsten mit einem eigenen Orchester – das ist für mich das Wichtigste, das Geld nicht. Das Wichtigste ist immer das Leben.
Was bedeuten Ihnen Statussymbole?
Hirte: Gar nichts. Sowas brauche ich nicht. Das erste was ich mir von meinem „Supertalent“-Geld gekauft habe war ein Navi fürs Auto. Ich war auf einer Promotour fürs Radio unterwegs, und mein Fahrer hatte ein mobiles Navi. Bis zu dem Tag hatte ich immer gedacht, die Leute würden damit im Auto Fernsehen gucken. (lacht) Mit diesem Ding haben wir alle Adressen und Orte super gefunden, und dann habe ich mir auch eins gekauft.
Was gönnen Sie sich heute, worauf Sie früher verzichtet haben?
Hirte: Ich hatte immer Autos, bis dass der TÜV uns scheidet, so Klapperkisten für 200 Euro. Jetzt habe ich mir ein neues Auto geleistet, einen kleinen Citroen. Der hatte einen Listenpreis von ca. 24.000, aber meine Freundin Jenny hat ihn auf etwa 17.000 Euro runtergehandelt. (lacht) Aber auch ein Auto ist für mich nur ein Gebrauchsgegenstand, mit dem ich von A nach B komme. Ich brauche kein Auto für 100.000 Euro, da reicht auch eins für 20.000 EUR, das rollt auch nur auf 4 Rädern.
Gemeinsam mit Ihrer Freundin Jenny, der Mutter Ihres Sohnes, haben Sie der Zeitschrift „SUPERillu“ im vergangenen Jahr ein sehr privates Interview gegeben. Auf dem Titelfoto sieht man Sie gemeinsam auf einem Bett liegen. Warum diese privaten Einblicke in Ihre Beziehung?
Hirte: Das will die Presse so haben, das wollen die Fans wissen – da kann ich ja nichts für. (lacht) Man muss sicherlich nicht alles preisgeben, aber das war schon okay. So wissen die Fans wenigstens, dass ich in festen Händen bin. Aber eine Homestory, in der ich meine Wohnung zeige, das würde ich nicht machen. Ich bin in der Öffentlichkeit und für alle da, immer und jederzeit, aber einen privaten Raum braucht jeder Mensch. Bei uns ist vor der Haustür Schluss. Da klingeln dann nur noch Verwandte oder der Postmann.
Bis 1991 haben Sie als Lkw-Fahrer gearbeitet. Nach einem schweren Unfall lagen Sie dann zwei Monate im Koma, erblindeten auf dem rechten Auge, bekamen ein steifes Bein und wurden arbeitslos. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Hirte: Da denke ich nicht mehr dran. Ich weiß auch gar nicht so genau, wie das damals alles passiert ist. Ich weiß nur, dass ich heute eben nicht mehr so rumspringen und laufen kann wie damals. Aber auch in so einer Situation muss man sehen, dass es trotzdem weitergeht, und muss sich neu orientieren. Und heute habe ich ja einen ganz anderen Beruf als damals.
Nach dem Unfall haben Sie dann viele Jahre als Straßenmusiker in Potsdam gearbeitet…
Hirte: (unterbricht)…das war nicht gleich danach, das hat schon eine Weile gedauert. Als ich wieder halbwegs auf den Beinen war, habe ich zunächst als Seniorenbetreuer gearbeitet, doch das wurde mit der Zeit immer schwerer. Dann hat der Arzt gesagt: „Feierabend!“, geht nicht mehr, darf ich nicht mehr. Ich war lange krankgeschrieben, dann musste ich entlassen werden, bekam ein Jahr Arbeitslosengeld, und dann direkt Hartz 4. Da gab es dann auf einmal gar nichts mehr, kein Kredit mehr, kein Vorschuss: Nichts! Dann habe ich mich auf die Straße gesetzt und Mundharmonika gespielt.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute durch die Innenstadt laufen und einen Straßenmusiker sehen?
Hirte: Dann gebe ich den meistens was, und ab und zu spiele ich auch mal mit.
Das dürfte viele Straßenmusiker sehr überraschen…
Hirte: Ja, das stimmt schon. In Berlin habe ich einem Keyboardspieler mal ein tolles Weihnachtsfest beschert, damals im Winter 2008, kurz nachdem ich gewonnen hatte. Er stand auf dem Kudamm und spielte Songs wie „My Way“ von Frank Sinatra. Ich habe mich dazu gestellt und ihn auf der Mundharmonika begleitet. Sehr schnell blieben viele Passanten stehen und die Scheine flogen nur so in seinen Koffer. Damit hatte er nicht gerechnet, denn er hatte „Das Supertalent“ nie gesehen. Er wollte mir am Ende die Hälfte von dem Geld abgeben, aber ich meinte: „Nee, behalt das mal. Frohe Weihnachten!“ Das war wirklich ein schöner Moment.
Auf Ihrer aktuellen Tournee werden Sie nun von der Straßenmusikerin Simone Oberstein begleitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Hirte: Ich habe Simone 2009 in Düren kennengelernt. In einer Gaststätte, wo ich oft essen gehe, hat sie zwei Tage auf mich gewartet. Der Wirt meinte zu mir: „Da ist wieder das Mädel, die wartet hier jeden Tag auf dich.“ Ich habe sie angesprochen, ihr eine Autogrammkarte gegeben, und wir haben uns wieder verabschiedet. Hinterher ist mir eingefallen, dass sie ja sogar eine Gitarre dabei hatte, und mir bestimmt was vorspielen wollte. Doch sie war schon wieder weg. Später hat sie sich über die Homepage wieder bei mir gemeldet. Zu dieser Zeit suchten wir gerade noch eine Frauenstimme für die Weihnachts-Tour 2009. Ich hab mir ihr Video auf ihrer Seite angeguckt, wie sie in Köln auf der Domplatte sitzt und ihre Songs spielt, und gesagt: „Die nehmen wir mit!“ Dann habe ich sie angerufen: „Wer ist da dran?“…“Michael Hirte“…“Nee“…“Doch!“. Als ich sie dann noch fragte, ob sie mit Tour auf kommen möchte, war die Stimme ganz weg. Jetzt ist sie wieder mit dabei und sie kommt super beim Publikum an. Außerdem ist auch noch der Sänger Michael Holderbusch dabei, der Zweitplatzierte der letzten „Supertalent“-Staffel.
Sie stellen auf der Tour Ihr aktuelles Album „Der Mann mit der Mundharmonika 3“ vor. Wie kann man sich die Albumproduktion vorstellen? Wie läuft ein Studiotag bei Ihnen ab?
Hirte: Vor der Aufnahme bekomme ich ein Halb- oder Vollplayback aufs Ohr und übe danach. Dann nehmen wir die Mundharmonika auf. Bei diesem Album hatte ich meine Parts für alle 14 Songs nach zwei Tagen eingespielt. Aber die Produktion insgesamt, das Einspielen der ganzen Instrumente, das Mischen und so weiter, hat schon ein paar Wochen gedauert.
Auf dem Album finden sich alte Klassiker wie „Midnight Lady“, „Über den Wolken“, aber auch Kinderlieder wie „La Le Lu“. Nach welchen Kriterien suchen Sie die Songs aus?
Hirte: Viele der Songs kenne ich aus meiner Kindheit und der Jugend, da ist der persönliche Bezug dann schon sehr groß. Wichtig ist aber auch, dass man zu den Liedern gut mitsingen und mitsummen kann, vor allem für das Publikum auf Konzerten. Der Song „Über den Wolken“ ist dann mehr so meine eigene Variation des alten Klassikers über die Faszination fliegen zu können. Das Original ist sehr schnell, aber die Mundharmonika muss meiner Meinung nach getragen klingen. Also habe ich den Song etwas langsamer gespielt und die Hintergrundmusik ist im Country-Stil angelegt. So experimentiere ich dann manchmal auch ganz gerne mit den Liedern.
Sie haben das Lied „Über den Wolken“ angesprochen. Haben Sie eigentlich Flugangst?
Hirte: Wenn es geht, fahre ich lieber mit dem Auto.(lacht) Ich bin mir sicher, dass jeder Mensch irgendwo Flugangst hat. Wer sagt, er hätte da in der Luft kein mulmiges Gefühl, der schwindelt. (lacht) Einmal hat’s mich auch richtig gerüttelt im Flieger, da musste sich sogar die Stewardess hinsetzen und anschnallen. Ich habe meine Mundharmonika herausgeholt und ein bisschen gespielt. Als wir dann gelandet waren, hat sich eine Frau bei mir bedankt und gesagt: „Ich hatte so eine Angst, aber der Klang Ihrer Mundharmonika hat mich beruhigt!“. Das war ein tolles Kompliment.
ich bin begeistert von Michael Hirte mit seiner Mundharmonika .Ich frage
Mich immer wie macht er das nur ganz ohne Noten .Jedes Lied was er spielt
Ist ein wahrer Genuß .Mir gefällt auch seine ganz einfache Art nicht ab zu heben ,immer auf den Teppich bleiben das finde ich ganz toll .Alles Gute lieber
Michael auch für deine Familie .Herzliche Grüße von Roswitha 76. Jahre