Mr. Nyman, wie muss man sich das vorstellen, wenn Sie ein neues Werk komponieren?
Michael Nyman: Ich komponiere eigentlich schon immer am Klavier. Ich sitze mit Papier und Bleistift am Klavier, spiele, schreibe auf, ändere … Immer öfter verbinde ich das Klavier heute aber auch mit dem Computer und spiele meine Ideen in den Computer hinein. Inzwischen gelingt mir das auch ganz gut, mein Violinkonzert zum Beispiel ist auch komplett am Computer entstanden.
Wie lange hat es denn gedauert, bis Sie die Musiksoftware einigermaßen verstanden haben?
Nyman: Oh, etwa 10 Jahre. Zuerst habe ich versucht, das Programm Cubase zu lernen, was ich aber irgendwann aufgegeben habe. Nun benutze ich Logic Audio, aber auch bei dem Programm habe ich lange Zeit einen Assistenten gebraucht, der mir half, diese neue Art des Komponierens zu begreifen und entsprechend zu nutzen.
Sie gelten als einer der wichtigsten Komponisten der Minimal Music, die ja insbesondere von repetitiven Elementen lebt. Ist nun die computer-basierte Arbeit für die Minimal Music besonders gut geeignet, da sich mit Funktionen wie Copy und Paste musikalische Phrasen in Sekundenschnelle reproduzieren lassen?
Nyman: Nein, das würde ich so nicht sagen. Copy und Paste ist ja etwas sehr Einfaches, dafür brauche nicht unbedingt einen Computer. Was ich aber am Computer schätze, ist die Möglichkeit, dass ich meine Ideen ganz normal am Klavier spielen kann, diese dann aber sofort auf dem Bildschirm als Noten sichtbar werden. Das ist für einen Komponisten eine große Stütze, denn so mancher musikalische Gedanke kommt dir ja erst während des Spielens und nicht, wenn du nur dasitzt mit Bleistift und Papier. Manchmal starte ich den Computer und fange einfach an zu spielen, ohne vorher eine bestimmte Idee zu haben.
Der Computer erleichtert es Ihnen also, neue Melodien zu erfinden?
Nyman: In gewisser Weise schon, ich merke, dass ich zum Teil musikalische Gedanken entwickle, die mir ohne den Computer wahrscheinlich nicht gekommen wären. Der Aufnahme-Prozess bei diesen Musikprogrammen ist einfach großartig, denn die Mehrspurigkeit gibt mir die Möglichkeit, erst eine Stimme einzuspielen, die ich dann im Hintergrund laufen lasse, um darüber eine weitere Stimme zu komponieren. Früher habe ich das alles am Klavier gemacht, also die eine vorhandene Stimme in der linken Hand gespielt und versucht, in der rechten Hand etwas dazuzukomponieren. Heute kann ich per Computer Melodien zusammenbringen, die weder rhythmisch noch harmonisch irgendeine Beziehung zueinander haben. Ich höre mir dann über das Musikprogramm an, wie die Stimmen zusammen klingen und dann verschiebe oder ändere ich Phrasen, je nachdem, wo es nötig ist.
Ich merke, dass ich musikalische Gedanken entwickle, die mir ohne den Computer wahrscheinlich nicht gekommen wären.
Verleitet Sie so ein Musikprogramm mit seinen zahlreichen Funktionen nicht auch zu Spielereien?
Nyman: Ja, ich könnte zum Beispiel Musik komponieren, die niemand spielen kann. Als ich vor kurzem meine Musik zum amerikanischen Dokumentarfilm „Manhatta“ geschrieben habe, da gab es eine Stimme, die ich recht langsam in den Computer gespielt habe. Nun lässt sich das Tempo am Computer ja sehr einfach variieren und als ich das Tempo von anfangs 80 auf 212 bpm beschleunigte, war ich einfach erstaunt, wie gut das mit den anderen Stimmen zusammen klang. Nur, das konnte eigentlich niemand so schnell spielen, zumindest nicht am Klavier. Daraus ist dann ein Bass-Part geworden und als wir das Stück später einmal in New York aufgeführt haben, meinte der Bassist zu mir, das wäre der faszinierendste Bass-Part, den er je gespielt hätte.
Komponieren Sie denn heute mehr, wo Sie den Computer als Schreibhilfe verwenden?
Nyman: Nein, ich benutze den Computer ja nicht als Vereinfachungsinstrument. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, dass meine Musik durch die Arbeit am Computer viel komplexer wird. Und ich glaube, wenn ich mich meine Fähigkeiten am Computer noch weiter entwickle, dann werde ich in ein paar Jahren sicher die verblüffendste Musik schreiben können, wie ich sie mir jetzt noch gar nicht ausdenken kann.
Und schlechte Erfahrungen haben Sie mit dem Computer bisher nicht gemacht?
Nyman: Doch, natürlich stürzt so ein Ding auch manchmal ab, große Teile von Kompositionen sind mir dadurch schon verloren gegangen. Früher ist es mir auch oft passiert, dass ich Teile einer Komposition versehentlich selbst gelöscht habe. Manche Computerfehler können aber auch einfach brillant sein. Es ist beispielsweise schon mal vorgekommen, dass ich eine Melodie in mehreren Teilen hintereinander eingespielt habe, nur dass sie der Computer dann nicht hintereinander sondern teilweise übereinander notiert hat. Aber als ich mir das Resultat anhörte, merkte ich, das klingt fantastisch – und ich selbst wäre gar nicht auf diese Harmonien gekommen, die der Computer rein zufällig produziert hatte.