Herr Spreng, Parteien und Politiker werden heute nicht selten als Marken beschrieben – hat die SPD ihren Kanzlerkandidaten nach Markengesichtspunkten ausgesucht?
Spreng: Nein, die können keine Rolle gespielt haben. Steinmeier war ja keine Marke, er war ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, parteipolitisch und als Wahlkämpfer ohnehin. Natürlich ist versucht worden, aus ihm eine Marke zu machen, mit dem Buch, der ganzen Privatberichterstattung, mit seinem Fußballverein, mit einer sozialdemokratischen Aufsteiger-Saga ähnlich wie bei Schröder, wobei sie bei Steinmeier so authentisch gar nicht ist. Man hat versucht, ihm Etiketten zu verpassen, für ihn eine Geschichte zu erzählen. Das war offenbar nicht sehr erfolgreich.
Was hätten Sie als Berater anders gemacht?
Spreng: Nichts. Ich glaube, dass Steinmeier von Anfang an ein aussichtsloser Kandidat war. Er ist halt nicht im deutschen Parteiensystem sozialisiert worden, hat nie Parteikämpfe bestanden, er hat nie Wahlkämpfe geführt und nie Niederlagen erlitten – er war eben ein Spitzenbeamter, der zu machen hat, was der Chef sagt.
Aber als Außenminister hatte er einen hohen Bekanntheitsgrad.
Spreng: Daran hat sich die SPD orientiert, sie hat denjenigen genommen, der am populärsten war. Das ist aber häufig ein Trugschluss – die Beliebtheit von Außenministern sagt nichts über ihre Wählbarkeit aus.
Was spricht denn dagegen?
Spreng: Ein Außenminister, der redet immer, taucht oft im Fernsehen auf, ist immer freundlich, diplomatisch, sagt nie ein böses Wort – das ist gewissermaßen seine Berufsdefinition. Das hat aber nichts mit einem Wahlkämpfer oder einem Parteipolitiker zu tun.
Welche Vor- und Nachteile hatte denn die Marke Edmund Stoiber, als Sie ihn 2002 im Wahlkampf berieten?
Spreng: Es gab Markeneigenschaften, die ihm aus seiner Zeit als CSU-Generalsekretär zugesprochen wurden: Das „blonde Fallbeil“, rechtskonservativ, Polarisierer. Und ich habe meine Aufgabe damals darin gesehen, klar zu machen, dass der Ministerpräsident Stoiber ein anderer ist als der bekannte CSU-Politiker Stoiber. Eher ein Mann des Ausgleichs, ein Mann, der sehr sozial denkt, der sein Land gut regiert – der nicht so ist, wie das Klischee von ihm.
Wie viel haben Sie auf private Geschichten gesetzt?
Spreng: Relativ wenig. Wir wussten ja von Anfang an, dass das Sympathierennen gegen Schröder nicht zu gewinnen war. Also haben wir auf Kompetenz gesetzt, da konnte Stoiber gewinnen.
Aber ganz ohne Privates geht es auch nicht.
Spreng: Natürlich gab es Auftritte in Talkshows mit seinen Töchtern, seine Frau an seiner Seite, mit der Enkelin im Legoland – aber das war Beiwerk. Das war keine zentrale Botschaft, sondern nur der Versuch, ihn etwas freundlicher zu beleuchten.
Sie haben ihn mehr auf politischer Ebene inszeniert.
Spreng: Ich erinnere mich zum Beispiel an die Vorstellung von Stoibers Kompetenzteam. Wir haben nicht wie Steinmeier plötzlich 18 Leute hingestellt, von denen man die meisten heute nicht mehr kennt, sondern eine kleine Truppe von sieben Leuten mit der Salami-Taktik präsentiert. Immer mit einem eigenen Event, einer eigenen Pressekonferenz, damit sie nachhaltig Wirkung im Wahlkampf entfalten konnten. Mit Lothar Späth sind wir nach seiner Vorstellung sofort nach Jena geflogen, zu Jenoptik, wo alle Betriebsangehörigen auf ihn warteten und ihn mit Beifall begrüßten. Dort entstanden dann die guten Bilder, nicht in der Bundespressekonferenz.
Ein beträchtlicher Aufwand – denken Sie da nicht manchmal, aus einem gesunden Menschenverstand heraus: Das ist zu viel der Inszenierung?
Spreng: Es ist eine Entwicklung, der sich die Parteien nicht entziehen können. Es druckt keiner ein Foto von Frau Merkel vor der Bundespressekonferenz – dafür aber in Adenauers Zug. Von Steinmeier nimmt man kein Bild von seiner Wahlkampfreise, sondern lieber ein Foto mit seiner Fußballmannschaft. Die Medien verlangen nach Bildern und die werden durch Politik allein nicht produziert. Reden, Pressekonferenzen, Auftritte vor dem Bundestag, wie jemand mit dem Auto vorfährt, das hat man im Fernsehen alles schon millionenfach gesehen. Also werden Bilder produziert, die etwas transportieren sollen: Man sieht Frau Merkel in der roten Jacke vor den Eisbergen und denkt: „Merkel – Klimaschutz“. Es ist eine Möglichkeit, Politik über das Verbale hinaus in eine andere Sprache zu übersetzen. Das muss aber noch nicht zwingend Entpolitisierung sein.
Sie glauben nicht, dass diese Überproduktion von Bildern mitunter zu der viel zitierten Politikverdrossenheit führt?
Spreng: Nein. Politikverdrossenheit entsteht aus mangelnder Unterscheidbarkeit der Politik, aus mangelndem Charisma von Politikern. Die Wähler reagieren ja nicht verbittert, wenn Herr Steinmeier seine Fußballmannschaft besucht und Frau Merkel in Adenauers Zug fährt, sondern wenn sie keine klaren politischen Positionen haben.
Am meisten haben die Schlagzeilen um Ulla Schmidts Dienstwagen und um das Ackermann-Dinner für Wirbel in diesem Wahlkampf gesorgt. Was sagt das aus?
Spreng: Je inhaltloser der Wahlkampf, desto mehr werden Nebensächlichkeiten zu Schlagzeilen. Das ist ein Naturgesetz.
Aber hat es nicht auch mit den Mediengesetzen zu tun?
Spreng: Natürlich sind Bonusmeilen-Affären oder Dienstwagen für das Publikum plastischer und aufregender als eine Diskussion über den Mindestlohn. Nichts desto trotz glaube ich, dass es in diesem Wahlkampf besonders mit der Inhaltslosigkeit zu tun hatte, mit der mangelnden Unterscheidbarkeit – die Medien suchen sich dann eben andere Themen. Wobei der Fall Ulla Schmidt immerhin eine politische Dimension hatte, weil er die Führungsschwäche von Steinmeier offengelegt hat.
Erstaunlich war, dass „Bild“ aus dem Ackermann-Dinner gar keine Skandal-Schlagzeile gemacht hat. Warum?
Spreng: Da brauchen Sie nur die Teilnehmerliste zu studieren.
Die Politik versucht sich des Internets zu bemächtigen, ohne Erfolg - und das Internet hat sich noch nicht der Politik bemächtigt.
Sehen Sie darin einen Beleg dafür, dass die „Bild“ für Merkel Partei ergreift?
Spreng: Nein. Ich finde auch, dass sich der Wahlkampf 2009 in den Medien deutlich von dem von 2005 unterscheidet. Damals gab es ja sehr viele – auch überraschende – Kombattanten für Merkel, wo ich auch „Spiegel“ und „Stern“ dazuzähle. Das sehe ich in diesem Wahlkampf nicht so. Die „Bild“ versucht immer ein bisschen hin- und herzuschaukeln, so dass ihr die SPD keine Vorwürfe machen kann.
Doch zumindest den Wahlkampf von Dieter Althaus in Thüringen hat „Bild“ unterstützt, oder?
Spreng: Die Hilfe, die „Bild“ Althaus gegeben hat, war ja kontraproduktiv, sie hat ihm geschadet. Ich glaube auch nicht, dass „Bild“ dort parteilich war. Die Zeitung wollte das erste Exklusiv-Interview, sie wollte die Krankheit und den Unfall, was ein spannendes Thema für die Leser war.
Es gab ein Foto, das „Bild“ und Althaus offenbar gemeinsam inszeniert haben.
Spreng: So etwas gehört zum Deal. Trotzdem glaube ich, dass das Motiv der „Bild“-Zeitung ein journalistisches war.
Aber während andere Zeitungen den schlechten Gesundheitszustand von Althaus beschrieben, war er in „Bild“ topfit.
Spreng: Auch Teil des Deals, ich beiße doch nicht die Hand, die mich füttert. Wenn ich ein Exklusiv-Interview bekomme, haue ich den nicht in die Pfanne.
Wie bewerten Sie den Internetwahlkampf 2009?
Spreng: Das Internet ist ja nur ein Medium und kein Selbstzweck. Das heißt, wenn ich weder einen guten charismatischen Kandidaten habe noch eine überzeugende politische Botschaft, dann hilft mir das Internet auch nicht weiter. Das Problem bestand darin, dass die beiden großen Parteien kein Feuer der Leidenschaft in der Internet-Community entzünden konnten. Das sieht man an den mauen Freundes- und Unterstützerzahlen. Im Vergleich zu Fernsehzuschauer- oder Zeitungsleserzahlen ist das lächerlich.
Was machen die Parteien falsch im Netz?
Spreng: Sie begehen häufig den Fehler, dass sie im Internet noch klassischen Frontalunterricht machen: Sie stellen Parteitagsreden ins Netz, Pressekonferenzen – das interessiert keinen Menschen. Das Internet ist ein Dialog- und ein Partizipationsmedium. Und solange die Parteien nicht zur Partizipation bereit sind, führt das dazu, dass sich an einer Aktion wie „Frag Angie“ nur 400-500 Leute beteiligen.
Die Politik versucht sich des Internets zu bemächtigen, ohne Erfolg – und das Internet hat sich noch nicht der Politik bemächtigt. Insofern befinden wir uns in einem Zwischenstadium. 2013 wird das vielleicht schon anders aussehen. Denn wenn die amerikanischen Trends nach Deutschland kommen wird sich ein Viertel der unter 29-Jährigen ausschließlich im Internet informieren, keine Zeitung mehr lesen und keine Fernsehnachrichten gucken. Dann werden die Parteien möglicherweise eine ganze Generation verlieren, wenn sie ihre Darstellung und Angebote im Internet nicht verändern
Sie befürworten u.a. ein Modell der Online-Parteimitgliedschaft.
Spreng: Ja, das wäre ein zeitgemäßes Partizipationsangebot für die Menschen, die sich im Internet aufhalten. So haben die französischen Sozialisten ihre Mitgliederzahl verdoppelt und erst durch die Internetmitglieder wurde Ségolène Royal Präsidentschaftskandidatin.
Wie sieht so eine Online-Mitgliedschaft aus?
Spreng: Ich bekenne mich zur Partei, werde online Mitglied, muss auch einen Beitrag zahlen – aber ich gehe nicht physisch hin. Aus meiner Sicht ist so eine Form unausweichlich. Sonst beteiligt sich am Ende gar keiner mehr.
Und politisches Engagement findet dann nur noch im Internet statt?
Spreng: Es gibt ja jetzt schon die Zensursula-Initiative, Internetpetitionen, die auch den Petitionsausschuss erreicht haben – das wird zunehmen. Die Piratenpartei wird bei dieser Wahl vielleicht nicht selbst erfolgreich sein, aber sie ist eindeutig Schrittmacher für Politik im Internet.
Wenngleich man niemanden kennt, außer den Abgeordneten Jörg Tauss.
Spreng: Ja, ich glaube, im Internet kommt es auch nicht so sehr auf die Einzelpersonen an, abgesehen von Wahlkampfzeiten. Eine spezielle Internetkommunität sammelt sich mehr um Themen als um Personen.
Beim „Wahlomat“ spielen Personen ja überhaupt keine Rolle mehr.
Spreng: Was aber falsch ist. Zur Wahlentscheidung gehören mehrere Komponenten dazu, siehe Obama, da war die Person fast das einzig Ausschlaggebende. Es ist immer ein Mix aus Inhalt und Person.
Sie haben vor unserem Gespräch den Wahlomat gemacht. Ihr Fazit?
Spreng: Mir fehlten viele Fragen. Und ich war häufig gezwungen, neutral zu antworten, weil mir die angebotenen Positionen zu undifferenziert waren. Das hat am Ende dazu geführt, dass bei mir CDU, SPD und Grüne gleich auflagen. Und kurz dahinter kam die FDP. Ja, was mache ich jetzt damit?
Der Wähler ist eben differenzierter als einfache politische Bekenntnisse. Man kann nicht mit 38 Fragen etwas so kompliziertes wie eine Wahlentscheidung tatsächlich abbilden. Ich hätte lieber doppelt so viele Fragen gehabt und diese auch differenzierter in ihren Alternativen. Dann wäre ich vielleicht weiter gekommen. So ist es nur eine Spielerei.
…die in diesem Wahlkampf aber so häufig genutzt wurde wie noch nie.
Spreng: Das ist ein Ausdruck der Unsicherheit. Wahrscheinlich gab es noch nie so viele unentschiedene Wähler so kurz vor einer Wahl wie in diesem Jahr. In ihrer Unsicherheit machen die Leute dann Wahlomat und sind danach wahrscheinlich genauso unsicher wie vorher.
Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen dem Wahlomat und anderen Internetanwendungen wie dem Kauf eines Bahntickets oder Preisvergleichen?
Spreng: Da ist schon was dran. Zumindest ist man irgendwie stolz drauf, dass man es in kurzer Zeit geschafft hat, wie bei einem Online-Quiz. Und man kann sich vorstellen, wie sich die Leute erst was bei Quelle bestellen, dann einen Flug buchen – und als Drittes machen sie Wahlomat.
Würden Sie dies als Zeichen einer Entwicklung sehen, dass wir Politik immer mehr als eine Art Konsumprodukt wahrnehmen?
Spreng: Nein, für mich steht das höchstens für die Entwicklung, dass man meint, man könnte Politik so vereinfachen. Aber das kann man dann eben doch nicht.