Michail Hengstenberg

Es kommt darauf an, in welchen Kontext Gewalt gesetzt wird.

GEE-Chefredakteur Michail Hengstenberg über den Konsolenkrieg, die "Killerspiele-"Debatte und die Attraktivität von Videospielen als Werbeträger

Michail Hengstenberg

© Privat

Herr Hengstenberg, Weihnachten steht vor der Tür. Die Konsolenhersteller Sony und Nintendo bringen ihre neuen Geräte auf den Markt. Microsoft ist mit seiner Xbox 360 bereits seit knapp einem Jahr unterwegs. Beginnt jetzt ein Konsolenkrieg?
Hengstenberg: Na ja, der große Krieg hat sich ja zumindest in Europa so ein bisschen erledigt.

Warum denn das?
Hengstenberg: Der Europastart der Playstation3 (PS3) wurde auf März 2007 verschoben. Dadurch hat sich das Ganze eher entschärft.

Sony hat den Release-Termin verschoben und lässt sich das umsatzstarke Weihnachtsgeschäft entgehen?
Hengstenberg: Ich kann mir vorstellen, dass Sony damit auch nicht so glücklich ist. Es gibt verschiedene Gerüchte über die Gründe der Verschiebung. Sony hätte Probleme mit der Fertigung der Blu-Ray Laufwerke, zum Beispiel. Außerdem eine hohe Ausfallquote der Prozessoren, die in der PS3 verbaut werden. Normal sei eine Quote von 40 Prozent und Sony hätte eine von 60 Prozent, heißt es. Solche Sachen geistern immer mal wieder durchs Internet. Vor allem aber, denke ich, stellt der weltweite Launch einer Konsole, wie es Microsoft mit der Xbox 360 gemacht hat, die Hersteller vor große logistische Probleme.

Aber in den USA und in Japan erscheint die PS3 pünktlich zum Weihnachtsgeschäft? Ist der Markt dort größer?
Hengstenberg: Für Sony sind Japan und die USA sowieso ganz wichtige Märkte. Außerdem war es früher Gang und Gäbe, die Konsolen erst in Japan, dann in den USA und später in Europa auf den Markt zu bringen. Es könnte auch damit zusammenhängen, aber das ist jetzt reine Spekulation, dass USA und Japan die gleiche Fernsehnorm haben und Sony mit der europäischen PAL-Norm vor größere Herausforderungen gestellt wird, die zumindest in diesem Zeitfenster nicht einzuhalten sind.

Nintendo, der dritte im Bunde, bringt eine Konsole namens „Wii“ auf den Markt. Der Arbeitstitel der Konsole hieß Revolution, man wollte die Videospielwelt revolutionieren. Hat man sich mit dem neuen Namen von diesem Revolutionsansatz entfernt?
Hengstenberg: Ich glaube nicht, dass man vom Namen der Konsole Rückschlüsse auf den inhaltlichen Aspekt ziehen kann. Der Name geht ja jetzt eher in Richtung Kunstprodukt, er soll ein anderes Gefühl transportieren als Revolution.

Was denn für ein Gefühl?
Hengstenberg: Ein Gemeinschaftsgefühl. Es wird ja immer wieder betont, das der Name Wii für das englische Wort „we“, also wir, steht. Außerdem will man Leute zu Videospielern machen, die sich bisher noch nicht damit auseinandergesetzt haben. Ich denke, das ist das Ziel dieser Konsole.

Nun wartet Nintendo mit einem neuen Steuerkonzept auf. Vielleicht können Sie das mal kurz erklären?
Hengstenberg: Das gängige System bei Konsolen ist ja Folgendes: Man sitzt mit einem Joypad vor dem Fernseher. Alle Bewegungen des virtuellen Alter-Egos werden mit Hilfe von Steuerknüppeln und Knöpfen ausgeführt. Das Kernstück von Nintendos Steuerung ist die sogenannte „Wii-Mote“, eine Art Fernbedienung, die man tatsächlich bewegt oder blöd gesagt: mit der man in der Luft herumfuchtelt. Diese Bewegungen werden mit einem Sensor der am Fernseher angebracht ist in Steuerbefehle umgewandelt, die man dann auf dem Bildschirm sehen kann.

Welche Idee steckt dahinter? Sollen die Spieler noch stärker ins Spielgeschehen einbezogen werden?
Hengstenberg: Es geht eher darum, den Einstieg in die Videospielwelt zu erleichtern. Die größte Hürde auf dem Weg zu Videospielen, das haben Umfragen ergeben, ist tatsächlich die Steuerung per Joypad. Viele Leute sind von der Anzahl der Knöpfe einfach überfordert. Der Erfolg von alternativen Eingabekonzepten, wie „Eye-Toy“ oder „Sing-Star“ für die Playstation, bestätigt das. Die Steuerung ist intuitiv, man braucht dafür eben keine Bedienungsanleitung, die erst mal die verschiedenen Tastenbelegungen erklärt. Ich denke, in die gleiche Kerbe schlägt die Wii.

Ist dieses Konzept denn Erfolg versprechend?
Hengstenberg: Es ist mutig, das ganze Konzept der Konsole darauf auszurichten. Es wird sich zeigen, ob die Rechnung aufgeht.

Will Nintendo den Markt der Nicht-Spieler vielleicht auch deshalb erschließen, weil sie zu viele Kunden an Sony und Microsoft verloren haben?
Hengstenberg: Die Losung, neue Zielgruppen zu erschließen, hat Nintendo ja nicht für sich gepachtet. Wenn man sich die Pressemitteilungen und Firmenphilosophien von Sony, Microsoft oder dem Publisher Electronic Arts anschaut, dann haben die alle erkannt, dass der Kernmarkt gesättigt ist und man neue Nutzer gewinnen muss. Nintendo geht das mit der Wii am konsequentesten an. Ich denke nicht zuletzt auch gestärkt durch den Erfolg, den sie mit dem DS, dem Game-Boy Nachfolger, hatten.

Besteht nicht die Gefahr, dass einige Spieler bei dieser Steuerung in den Fernseher reinlaufen?
Hengstenberg: (lacht) Das glaube ich nicht. Die Frage wird sein, ob man die Spiele wirklich im Stehen spielen muss, ich persönlich spiele nämlich lieber im Sitzen.

Im Stehen fehlt die Entspannung?
Hengstenberg: Im Idealfall erlaubt die Konsole beides. Ich habe den Ego-Shooter „Red Steel“ gespielt, das funktioniert auch sitzend. Bei Tennis oder Golf ist das Stehen aber sicher ein Vorteil.

Wird nicht zuviel Wert auf intuitive Bedienung gelegt? Denn grafisch ist die Wii teilweise unter dem Niveau der alten Xbox?
Hengstenberg: Das Ganze ist doch etwas komplexer. Zunächst mal: Ja! Nintendo hat sich dafür entschieden aus dem Grafik-Wettrüsten auszusteigen. Ich glaube, dass die ihre guten Gründe dafür gehabt haben. Man muss schon ganz klar sagen, dass die Wii ein anderes Feld besetzen will als Sony und Microsoft, die mit ihren Konsolen weiterhin in der evolutionären und nicht in der revolutionären Richtung unterwegs sind. Ich glaube gerade für Gelegenheitsspieler ist die Grafik nicht so wichtig. Für die ist das eher eine neue Form des Gesellschaftsspiels. Und die Grafik für Xbox 360 und PS3 hat natürlich auch ihren Preis. Wenn man sich mal bei den Spielentwicklern umhört, dann sind die teilweise schon am Ächzen, weil sie ihre Budgets und ihre Entwicklerteams teilweise um 30 Prozent aufstocken müssen. Für einen grafisch aufwendigen Xbox 360 – Titel muss man sehr viele Spiele verkaufen, bis man überhaupt Gewinn erwirtschaftet. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Nintendo mit vergleichsweise niedrigen Produktionskosten am Ende gut dasteht.

Welche Konsole wird sich denn letztlich durchsetzen?
Hengstenberg: So genau kann man das nicht prognostizieren. Ich denke, das Sony Marktanteile an die Xbox 360 verlieren wird, wegen des fehlenden Weihnachtsgeschäfts und weil die PS3 ein Drittel teurer ist als die Xbox 360. Die Wii ist in diesem Zusammenhang das Überraschungs-Ei: Man weiß nicht so genau, was da drin steckt.

Der Markt für Videospielmagazine ist ebenfalls hart umkämpft. Wie positioniert sich „GEE“ in diesem Markt?
Hengstenberg: Bei der Gründung von GEE vor drei Jahren hatten wir das Gefühl, dass die Videospielmagazine nicht die Entwicklung widergespiegelt haben, die der Videospielmarkt durchgemacht hat. Eine Entwicklung weg von diesem Kinder-Nischen-Ding, hin zu einem Lifestyle-Phänomen. Außerdem sind Videospiele auf dem Weg, neben Film und Musik, zu einem dritten großen Unterhaltungsmedium zu werden. In der klassischen Betrachtungsweise von Videospielmagazinen, also nur der Test eines Spiels mit anschließender Wertung in Prozent, wird dem nicht genügend Rechnung getragen. Wir waren der Meinung, dass es viele Geschichten über Videospiele neben den Spielen selber zu erzählen gibt, die in anderen Heften nicht erzählt werden. In diese Nische haben wir uns reingesetzt.

Also weg vom Stiftung-Warentest-System?
Hengstenberg: Genau. Wir wollten ein Magazin machen, das sich auch auf Magazinebene, sprich mit Reportagen, Fotostrecken und großen Interviews mit dem Thema beschäftigt. Unsere Zielgruppe sind auch eher erwachsene Gamer Anfang zwanzig bis Mitte dreißig.

Mit Themen wie der Darstellung von Toiletten in Videospielen. Wie kommt man auf so was?
Hengstenberg: Das liegt letztlich daran, dass unsere Mitarbeiter nicht aus der Videospielecke kommen, sondern eher aus dem klassischen Magazinbereich und das journalistische Handwerk erlernt haben. Oder sie kommen von der Uni und haben sich mit Aspekten beschäftigt, die über das einfache Spielen hinausgehen. Unser Credo ist nicht stumpf auf das Spiel draufzugehen, sondern einen eigenen Dreh zu finden, wie zum Beispiel eine Reihe Screenshots von Toiletten zu zeigen.

Haben Videospiele auch Einfluss auf andere Medien?
Hengstenberg: Ja. Als MTV vor 20 Jahren groß geworden ist, hat das Format Musikvideoclip einen entscheidenden ästhetischen Einfluss auf andere Medien, beispielsweise auf den Film oder die Werbung gehabt: Schnelle Schnitte, das Vermischen von verschiedenen Bildwelten, also Cartoon und Realwelt und so weiter. Oliver Stone hat diese Ästhetik in „Natural Born Killers“ aufgenommen. Seit einigen Jahren passiert Ähnliches mit Videospielen, deren Ästhetik Filme und Werbung inspiriert und befruchtet. Der Otto-Versand bringt demnächst eine Play Station Portable mit Swarovski-Kristallen heraus.

Zitiert

Die Generation, die jetzt acht bis zwölf Jahre alt ist, wächst mit einem ganz anderen Selbstverständnis von Videospielen auf, als alle anderen Generationen zuvor

Michail Hengstenberg

„Jetzt sind wir bekannter als Jesus Christus“, hat John Lennon einmal gesagt. Wann ist denn der Punkt erreicht, an dem man sagen kann: Super-Mario ist bekannter als die Beatles?
Hengstenberg: Ich würde sagen heute. (lacht) Die Generation, die jetzt acht bis zwölf Jahre alt ist, wächst mit einem ganz anderen Selbstverständnis von Videospielen auf, als alle anderen Generationen zuvor. In einigen Unfragen ist ja auch Ronald McDonald bekannter als der Papst und ich denke, das kann man auch auf Videospiele übertragen. Tendenziell halte ich diese Aussage für richtig.

Ist es eigentlich schwieriger geworden ein erfolgreiches Spiel zu entwickeln als vor 15 Jahren?
Hengstenberg: Auf jeden Fall ist es heute für kleinere Firmen schwieriger geworden einen Fuß in die Tür zu bekommen. Vor 15 Jahren konnte sich jeder an seinen C64 setzen und irgendwelche Spiele programmieren, die durchaus wirtschaftlich erfolgreich waren. Auf der anderen Seite war dieser wirtschaftliche Erfolg natürlich auf einem viel niedrigeren Level als heute. Wenn man heute einen Spiele-Hit gelandet hat, ist das wie eine Gelddruckmaschine. Nicht umsonst ist der Umsatz mit 1,3 Milliarden Euro höher als in der Kinoindustrie. Es ist wie beim Fußball: Was die Kicker von Bayern München vor 20 Jahren verdient haben, steht in keinem Verhältnis zu dem, was sie heute verdienen.

Ähnlich wie bei Filmen gibt es ja auch bei Videospielen massenhaft Sequels, mehrere Teile einer erfolgreichen Serie. Muss nicht langfristig die Innovation darunter leiden?
Hengstenberg: Nicht unbedingt. Es gibt Serien, „Resident-Evil“ zum Beispiel, die sich im vierten Teil plötzlich so frisch zeigen wie nie zuvor. Aber es gibt auch Spiele, die gnadenlos runtergeritten werden. Eine Sache darf man bei dieser Diskussion nicht vergessen: Ein Spiel zu entwickeln kostet richtig viel Geld. Da finde ich es nachvollziehbar, wenn die Entwickler die Früchte ihrer Arbeit ein bisschen länger einfahren wollen. Allerdings darf es nicht dazu führen, dass man sich zurücklehnt und nur einen lauen Aufguss serviert.

Beim Thema Gewalt in Videospielen lehnt sich insbesondere die Politik alles andere als zurück. Wie gehen Sie in Ihrer Zeitschrift mit dem Thema damit um?
Hengstenberg: Uns ist wichtig, das überhaupt erst mal mit der Bereitschaft diskutiert wird, Argumente der Gegenseite zuzulassen. Die klassische Position der Gamer ist ja: „Das ist in Ordnung so. Die blöden Politiker haben ja alle keine Ahnung und sollen erst mal selber ein Spiel spielen.“ Das machen wir nicht. Im Heft selber vertreten wir ja widersprüchliche Positionen und stehen der Sache durchaus kritisch gegenüber. Wir sehen aber auch, dass die Kampagne gegen sogenannte „Killerspiele“, die vom niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann, vom ZDF-Redakteur Rainer Fromm (Frontal21) und von Dr. Christian Pfeiffer (Direktor: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Anm. d. Red.) losgetreten wurde, alles andere als sachlich ist.

Von einem Verbot für „Killerspiele“ halten Sie also nichts?
Hengstenberg: Vor allen Dingen halte ich von dem Begriff nichts, weil er jede vernünftige Annäherung zu diesem Thema zunichte macht. Wenn man etwas so tituliert, ist der Zug schon abgefahren. Man muss von vornherein in den Dialog gehen, sich austauschen und Ergebnisse abgleichen, sonst hat es keinen Zweck

Wie nähert man sich diesem Thema denn vernünftig an?
Hengstenberg: Man muss mit den Entwicklern reden und fragen, wie die das Thema angehen. Vor allem aber muss man mit den Eltern reden und sie aufklären, denn letztendlich ist das die Front, an der die Sache entschieden wird. Viele Eltern haben den Bezug zu dem verloren, was ihre Kinder da machen. Aber es ist doch totaler Humbug wenn man sagt, der Amoklauf in Erfurt 2002, sei von Videospielen verursacht. Jeder der sich hinstellt und das behauptet, den kann man einfach nicht ernst nehmen. Die Erklärung dafür ist vielschichtiger.

Sie vermuten eher soziale Ursachen?
Hengstenberg: Ja. Ich will aber nicht abstreiten, dass Videospiele vielleicht ihren Beitrag dazu leisten. Nicht umsonst benutzt die US-Armee Videospiele, um die Tötungshemmung ihrer Soldaten herabzusetzen. Dazu gibt es auch Studien, wenn auch bislang ohne eindeutige Ergebnisse. Natürlich muss man sich mit solchen Sachen auseinandersetzen, nur: Wenn jemand total in der Schule durchrauscht, es den Eltern und Lehrern nicht auffällt und das Kind im Waffenverein ist, dann sollte man diese Punkte mindestens genauso hinterfragen.

Ist denn nicht irgendwann das Gewaltpotenzial der Spiele ausgeschöpft nach dem Motto: Härter kann es nicht mehr werden?
Hengstenberg: Das kommt darauf an, in welchen Kontext Gewalt gesetzt wird. Es gibt ja auch sehr gewalthaltige Filme. Ich habe vor kurzem „Der Soldat James Ryan“ gesehen, da geht es auch ganz schön hart zur Sache. Und es stellt sich die Frage, ob man das alles zeigen muss. Wenn man aber vor Augen führen will, was Krieg bedeutet, dann muss man das mit aller Dreckigkeit und Brutalität zeigen. Dann können die Leute nicht einfach zu melodramatischer Musik umfallen und zum Schluss gibt es ein Happy-End. Es kommt also darauf an, welche Erkenntniskette beim Betrachter oder Spieler im Zusammenhang mit der gezeigten Gewalt in Gang gesetzt wird. Aber diese Fragen werden bis jetzt noch nicht gestellt, auch von der Politik nicht. Momentan wird da von allen Seiten ziemlich eindimensional argumentiert. Das wollen wir gerne verändern.

Gibt es in Videospielen eigentlich irgendwelche Tabus?
Hengstenberg: Im Prinzip nicht. Neulich gab es aber einen Fall, bei dem das Spiel „Dead Rising“ von der USK keine Altersfreigabe bekommen hat und dann nachträglich indiziert wurde. Natürlich kann man sich das angucken und sagen: „Mensch, das ist ja total brutal.“ Aber wenn man es genauer betrachtet, merkt man, dass dahinter eine Form von Satire steckt. Die ist genauso brutal wie in „Meet the Feebles“ oder in einem Splatter-Film, wo hinter der Gewalt eine Art Komik liegt, die sie eigentlich schon wieder zu einer Nicht-Gewalt macht. Man muss sich das aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen.

Wird Gewalt in Videospielen denn immer sinnvoll inszeniert?
Hengstenberg: Natürlich gibt es da auch total sinnlose Gewalt. Davon bin ich überhaupt kein Freund. Manche Leute mögen rotes und viel Blut faszinierender finden als grünes Blut oder gar keins, für mich persönlich steigert es nicht unbedingt das Spielerlebnis.

Sie haben die USK bereits erwähnt. Halten Sie die Altersfreigaben überhaupt für sinnvoll?
Hengstenberg: Ja total! Die USK ist momentan stark unter Beschuss durch die vorhin genannten Protagonisten, die, so scheint es, einen kleinen Propagandafeldzug führen. Ich kann nur sagen, dass die USK ein sehr komplexes System hat, wie sie die Spiele durchleuchtet. Ich denke, dass es ein Fehler wäre die USK abzuschaffen und durch ein staatliches Organ zu ersetzen.

Stichwort Zensur?
Hengstenberg: Absolut. Komischerweise nimmt noch keiner dieses Wort in den Mund, letztendlich ist es genau das.

Woran liegt es eigentlich, dass Videospiele und Videospieler in Deutschland ein so schlechtes Image haben?
Hengstenberg: Das ist in der Tat nur in Deutschland so. Wenn man allerdings die Publikumspresse von „Süddeutsche“ bis „Spiegel“ betrachtet, dann macht die negative Berichterstattung vielleicht fünf Prozent aus, aber das bleibt dann immer hängen. Ganz ehrlich: Es gibt dafür keine schlüssige Begründung. Auch ich habe da nur vage Ideen. Grundsätzlich sind die Deutschen wahrscheinlich immer noch dem Diktat der Effektivität unterworfen. So etwas wie Spielen ist eher negativ besetzt, weil eben vordergründig kein konkretes Ergebnis herauskommt. Beim Sport ist das anders. Dort steht am Ende die Fitness und nicht nur der Spaß.

Mittlerweile taucht immer mehr Werbung in Videospielen auf. Sehen Sie das positiv oder negativ?
Hengstenberg: Beides. Positiv betrachtet, könnte Werbung eine Möglichkeit sein, die steigenden Entwicklungskosten abzufedern, vielleicht auch das Produkt für den Endverbraucher günstiger zu machen. Negativ gesehen, ist dieses sogenannte In-Game-Advertising für uns als klassisches Printmedium ein neuer Mitbewerber um potenzielle Anzeigenkunden.

Besteht aber nicht die Gefahr, dass Videospiele zu Werbeplattformen verkommen?
Hengstenberg: Das glaube ich nicht, denn es gibt kaum eine so kritische Zielgruppe, wie Leute die intensiv Videospiele nutzen. Die sind meistens sehr gut vernetzt, und wenn dann durch Werbung zu massiv eingegriffen wird, wird das schon sein Echo finden.

Gibt es Entwickler die sich Werbung gegenüber sperren?
Hengstenberg: Davon habe ich noch nichts gehört.

In einem Forumsbeitrag auf Ihrer Homepage steht: „Für uns als Gamer ist Werbung eine Gefahr.“
Hengstenberg: Es gibt ja immer Leute, die alles Neue als Gefahr sehen. Ich sehe darin viel positives Potenzial, aber man muss die Sache sehr genau beobachten.

Wie werbeattraktiv sind eigentlich Kriegsspiele?
Hengstenberg: Für einen Waffenhersteller sind sie das sicherlich. (lacht) Im Ernst: Das kann man nicht mit ja oder nein beantworten. Aber es gab mal eine Guerilla-Marketingaktion der Sandwichkette Subway, bei der kleine Flyer im Spiel „Counter-Strike“ an die Wände geklebt wurden. Im Moment sorgt so was noch für Aufmerksamkeit, aber ich habe keine Ahnung was da in den nächsten Jahren passieren wird. Künftig wird man Videospiele als Werbemedium aber nicht mehr ignorieren können.

Ist es vielleicht gerade für kleinere Kinder gefährlich, wenn in Spielen für Produkte geworben wird?
Hengstenberg: Genauso kann man fragen, was eigentlich die Rutschen vor den McDonald’s-Restaurants machen. Klar ist es mies, Kinder als Konsumenten auszuschlachten. Ich weiß nicht in welcher Form das in Games bereits stattfindet, aber Sie und ich werden es wohl nicht verhindern können.

Ein weiterer Trend ist das dynamische In-Game-Advertising. Vielleicht können Sie den Begriff erklären und was sich da für Möglichkeiten bieten?
Hengstenberg: Spiele werden vermehrt online gespielt, sie sind also nicht mehr an ein Trägermedium gebunden, sondern landen per Download auf der Festplatte. Der Xbox Live – Server erkennt, wann ich meine Konsole anschalte, und der Supermarkt um die Ecke kann dann eine Werbung schalten, wenn er es denn will. Die Anzeige erscheint dann zum Beispiel auf der Werbebande meines Fußball-Spiels.

Und irgendwann meldet der Kühlschrank, dass die Milch alle ist und auf der Xbox erscheint ein Hinweis: Milch kaufen?
Hengstenberg: Möglicherweise. Ich hoffe, dass ich das nicht mehr erleben werde.

Was spielen Sie denn persönlich am liebsten?
Hengstenberg: Rennspiele, Shooter und Action-Adventures.

Gehen Sie beruflich anders an ein Spiel heran, als wenn sie privat ein bisschen zocken?
Hengstenberg: Ich würde kein Spiel testen, dass mich nicht interessiert. Der Unterscheid besteht darin, dass ich ein Spiel aus beruflichen Gründen so lange spiele, bis ich mir ein dezidiertes Urteil bilden kann. Privat spiele ich es meistens bis zum Ende durch. In der Regel besteht unser Arbeitsalltag aber aus Recherche und journalistischer Arbeit. Unsere Spieltests werden zu einem Großteil von freien Autoren geliefert.

Können Videospiele Sie eigentlich noch schockieren?
Hengstenberg: Die meisten Spiele finde ich eigentlich gar nicht so hart. Ich finde es viel schockierender, wenn ich nachmittags den Fernseher anschalte und mich nicht auf die öffentlich-rechtlichen Sender beschränke.

Schlussfrage: Sie sind eine Figur aus einem Videospiel. Welche wäre das?
Hengstenberg: Tommy Vercetti aus „GTA Vice-City“. Schön im weißen Lamborghini, mit Hawaii-Hemd und Tropfenbrille.

Mit Schnurrbart und Brusthaar-Toupet?
Hengstenberg: Ja, natürlich.

Michail Hengstenberg war lange Zeit Chefredakteur des Videospielmagazins GEE. GEE richtet sich an ein explizit älteres Publikum und verzichtet auf Wertungskästen wie in anderen Spielemagazinen. mehr

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