Michel Friedman

Wir wissen nicht, ob Mussawi besser ist.

Michel Friedman über Demokratie in der islamischen Welt, westliche Interessen im Iran und die Proteste der Opposition

Michel Friedman

© Planet Interview

Herr Friedman, wie demokratiefähig ist heute die islamische Welt?
Michel Friedman: Erstens: Es gibt nicht die islamische Welt. Zweitens ist Demokratie innerhalb der vielen islamischen Welten eher eine neue Erfahrung als eine alte. Eine klassische Demokratie ist seit Jahrzehnten die Türkei, immerhin ein sehr großer und wichtiger Teil der islamischen Welt. Aber insgesamt sind das Autokratien, totalitäre Regime, Prinzen und Königreiche. Interessant ist aber, dass der Iran – wenn wir jetzt den Missbrauch hinten an stellen – in seinen Möglichkeiten ein demokratisches Konzept ist. Es wären freie Wahlen möglich gewesen, wenn sie nicht manipuliert worden wären.

Und eine Demokratie nach westlichem Vorbild ließe sich im Iran realisieren?
Friedman: Ja, weil die Voraussetzungen gegeben sind. Nur, wenn Machtbissbrauch stattfindet, ist es immer schwierig.
Allerdings steckt in Ihrer Frage auch eine gewisse Überheblichkeit und Arroganz: Denn im Westen ist die Demokratie auch noch nicht ein Jahrtausendwerk. Wenn Sie sich bestimmte Länder anschauen – auch die Bundesrepublik Deutschland – dann ist es so lange nicht her, dass dies König- und Kaiserreiche waren. Demokratie ist an sich eine relativ junge Staatsform, und deswegen haben einige Regionen Jahrzehnte oder ein, zwei Jahrhunderte Vorsprung.

Wo sehen Sie im Iran eher das Problem, bei der Diktatur oder bei der Bindung an die Religion?
Friedman: Beides ist ein großes Problem. Ich bin ein grundsätzliche Gegner von Gottesstaaten und Religionsstaaten, ich finde, es ist eine Zivilisationserrungenschaft, dass Staat und Religion getrennt werden.
Staat ist demokratisch zu legitimieren, Religion ist aber per Definition nie mit Demokratie vergleichbar. In der Religion gibt es Hierarchien, dort darf man die letzte Frage nach dem Herrscher ja nicht mal stellen: Wer ist Gott und woher kommt Gotts Legitimation? – das zu hinterfragen ist in vielen Religionen bereits eine Sünde.
Also, Religion in der Politik ist immer kontradiktisch und gefährlich. Im Iran steht die Demokratie nur auf dem Papier, in der Realität wird sie von den Machthabern manipuliert.

Nun beobachtet der Westen mit Sorge die Situation der Menschenrechte im Iran…
Friedman: Ich glaube aber nicht, dass das der zentrale Punkt ist, schließlich gibt es viele andere Länder, in denen die Verletzung von Menschenrechten viel brutaler und noch viel deutlicher ist, auch gegenüber der eigenen Bevölkerung, wie beispielsweise in Darfur.
Der Iran ist deswegen im Mittelpunkt des Interesses, weil er geostrategisch, atomwaffenpolitisch und im Nahen Osten einer der wichtigsten Player der Welt geworden ist. Wenn es diese Interessen – kombiniert mit Öl und anderen Ressourcen –  nicht gäbe, dann würde die Welt genauso wenig hinschauen, wie in andere Regionen, wo viel Schlimmeres passiert.

Wie weit sollte Ihrer Meinung nach die Einmischung des Westen im Iran gehen?
Friedman: Es gibt ein Prinzip, das spätestens auch mit der Gründung der UN festgelegt ist. Für internationale politische Konflikte ist die UN gebaut worden, dass dabei ein Instrument auch der Heuchelei und Doppelmoral entstanden ist, lasse ich mal dahingestellt sein. Es gibt die Möglichkeiten von bilateralen Sanktionen, Wirtschaftssanktionen, Abberufung von Diplomaten und Ähnliches…

…und da ziehen Sie die Grenze?
Friedman: Die unmittelbare Einmischung in ein anderes Land wird vom Staatsverständnis nicht abgedeckt, was ich im Prinzip auch richtig finde. Das heißt aber nicht, dass man den Demokratiebewegungen nicht Unterstützung anbieten kann, das muss man sogar. Nur grundsätzlich ist die Autonomie eines Staates – auch einer Diktatur – eine tragende Säule von Friedenspolitik, so paradox das auch klingen mag. Denn wer setzt die Maßstäbe? Ab wann wird wie interveniert? Wie ist die Reaktion, wenn die andere Seite einfach sagt: „Kein Anschluss unter dieser Nummer“? Ab wann steigert sich das Ganze bis zu kriegerischen Auseinandersetzungen? – Da gibt es ganz unterschiedliche Maßstäbe, die in verschiedenen Weltregionen angesetzt werden.

Zitiert

Ich bin ein grundsätzlicher Gegner von Gottesstaaten und Religionsstaaten.

Michel Friedman

Aber besteht nicht angesichts der jetzigen Situation im Iran Handlungsbedarf?
Friedman: Sicher ist die Situation im Iran zum Beispiel für Frauen oder für junge Menschen katastrophal – in Pakistan ist sie schlimmer. In vielen anderen Ländern ist die Unterdrückung der Bevölkerung noch viel dramatischer, was es nicht besser macht, wie schlimm es im Iran ist. Aber hier ist auch sehr viel Heuchelei dabei, Interessenpolitik.
Nichts desto trotz: Der Iran hat eine solch wichtige Brückenfunktion, dass es in der Tat in unserem Interesse ist, dass demokratisierte Prozesse stattfinden können – aber irgendwann erschöpft sich die Einmischungsmöglichkeit.

Glauben Sie, dass die Chancen für Demokratie in der Region auch durch George W. Bushs Außenpolitik gesunken sind?
Friedman: Nein, das jetzt auf George Bush zu schieben, wäre zu einfach und verdeckt uns den Blick. Denn autoritäre Strukturen haben wir im Iran seit Schah Pahlavi, das war auch der Untergang für demokratische Bewegungen. Dann kam Chomeini, der – so wie Al-Quaida oder die Taliban – wieder einen Großteil des Volkes knechtete und die Menschen nicht nur zwang, religiös zu leben, sondern so religiös, wie er es für richtig hielt. Man muss ja im Islam keine Burkas tragen, das steht im Koran so nicht unbedingt drin, das alles sind Interpretationen von Menschen.
Es gab im Iran kurze Phasen der Liberalisierung, insgesamt war es aber immer ein autokratischer, religiös geprägter und sehr intoleranter Machtstil, der dort stattgefunden hat.

Welche Rolle spielt für die weitere Entwicklung, dass die Bevölkerung zu einem großen Teil Ahmadinedschad gewählt hat?
Friedman: Wir wissen, dass die Wahl manipuliert wurde, aber wir wissen nicht wie und wie viel.
Es ist unstreitig dass Ahmadinedschad ein Holocaust-Leugner ist, ein Israel-Vernichter sein möchte, den Westen hasst, eine Atombombe bauen will und zu einer ernstzunehmenden Gefahr für die Interessenlage der westlichen Welt geworden ist. All das zusammengefasst hat die westliche Welt jetzt bei Mussawi das Gefühl: Das kann nur besser sein.

Sie haben dieses Gefühl nicht?
Friedman: Wir wissen es nicht, ob er besser ist. Um so mehr wir uns nur daran erinnern müssen, dass Mussawi der Erfinder des Atomprogramms im Iran ist und sich in vielen Bereichen so ausdrücklich nicht anders geäußert hat als Ahmadinedschad – so gesehen beeindruckt mich in der Diskussion der letzten Tage weder der eine noch der andere besonders. Was mich zutiefst beeindruckt sind die Menschen, denn wer dort demonstriert riskiert mindestens seine Freiheit, wenn nicht sogar sein Leben. Wobei es vielen Menschen, die jetzt auf die Straße gehen, gar nicht mehr um die Frage geht: Mussawi, Ja oder Nein? Sondern die wollen einfach ihre Freiheit haben.

Die iranische Führung scheint nun entschlossen zu sein, jegliche Form von Protest zu unterdrücken…
Friedman: …und hier erleben wir die zweite Vergewaltigung der Demokratie. Zuerst geschah die Manipulation der Wahl und jetzt wird den Menschen, die das demokratische Versammlungsrecht und das Recht auf freie Äußerung wahrnehmen wollen, Geheimdienst, Polizei und Militärschüsse entgegengesetzt. Solange dieses Regime da ist, lebt keine Demokratie.

Was glauben Sie, wie lange wird es noch brauchen, bis sich dies ändert?
Friedman: Wir sind hier in Berlin, wenn wir uns vor 25 Jahren hier getroffen hätten, hätte jeder die Prognose gemacht: Die Mauer fällt nicht zusammen.
Wenn man aber in einer Generation ist, die beides erlebt hat, die Berliner Zeit mit und ohne Mauer, dann weiß man, dass es solche historische Prognosen nie gibt. Es gibt gruppendynamische Prozesse – und eines glaube ich schon: Das, was jetzt im Iran begonnen wurde, das sind echte Risse, die die Macht wahrnehmen muss. Es mag sein, dass die Statik noch nicht zusammenbricht, aber sie ist so bedroht wie noch nie.

2 Kommentare zu “Wir wissen nicht, ob Mussawi besser ist.”

  1. Reza |

    Wenn das Ergebnis dieser Wahl statt Rohani ein konservativer Präsident gewesen wäre, würde man nun nicht mehr von einer demokratien Wahl sprechen. Man würde einfach die Wahl als Fälschung bezeichnen.

    „Aber hier ist auch sehr viel Heuchelei dabei, Interessenpolitik. “

    Damit hat sicherlich Herr Firedman recht.

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  2. Jochen Schmal |

    ER HAT RECHT

    Die Türkei ist das einzige demokratische Land auf dieser Welt,dessen Bevölkerung mehrheitlich dem islamischen Glauben angehört.
    Zwischen der Türkei und den arabischen Ländern liegen Welten!
    Atatürk sei Dank!!

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