Michel Houellebecq

Angst spielt keine Rolle.

Michel Houellebecq über seinen Film „Die Möglichkeiten einer Insel“, den Reiz der Leinwand, menschliche Photosynthese und die Verfilmung von "Elementarteilchen"

Michel Houellebecq

© Eric Guichard/Bac Films

Oldenburg im September 2008. Der berühmteste französischste Autor der Gegenwart sitzt wie ausgeschüttet im weichen Sofa der V.I.P.-Lounge des Filmfests Oldenburg, wo gerade sein Regiedebüt, die Verfilmung seines bisher letzten Romans „Die Möglichkeiten einer Insel“ Deutschlandpremiere feierte. Mit seinem bis zum Kinn hochgezogenen Parker sieht Michel Houellebecq aus, als hätte er sich verirrt und wartete nun auf irgendjemanden, der ihn abholt. Im Gespräch wirkt er zuweilen entsprechend abwesend. Aber nach den etwa zehn Sekunden, die er nach den meisten Fragen verstreichen lässt, dreht er sich einem plötzlich zu, flüstert, plaudert, lacht – unterbrochen von erneuten Pausen, Seufzen und schweren Atemzügen. Es entsteht das Selbstbildnis eines Künstlers als etwas schüchterner, kränkelnder, aber durchaus sympathischer Mann.

Michel Houellebecq, Ihr erster Kinofilm „Die Möglichkeiten einer Insel“ ist gerade in Frankreich angelaufen? Sind Sie interessiert an seinem Publikumserfolg?
Houellebecq: Ja, doch. Das interessiert mich. Aber ich weiß kaum etwas darüber. Ich war krank die letzten Tage. Ich hatte eine Herzbeutel-Entzündung.

Sind Sie daran interessiert, wie die Kritiker Ihren Film besprechen?
Houellebecq: Nicht wirklich. Es war vorauszusehen, dass mein Film verrissen wird. Das liegt an der schlechten Beziehung, die Frankreich und ich haben.

Woher kommt das?
Houellebecq: Das ist ein soziopsychologisches Phänomen, das schwer zu erklären ist. Hass, der einmal entstanden ist, steigert sich durch sich selbst. Nun trifft der Hass, der meinen Büchern galt, auch meinem Film.

Warum haben Sie ausgerechnet diesen Roman, in dem sich ein künstlich geschaffener Mensch an die vorapokalyptische Erde erinnert, als Vorlage für Ihr Kinodebüt ausgesucht?
Houellebecq: Vielleicht, weil im Gegensatz zu meinen sexuellen Obsessionen, meine wissenschaftlichen Obsessionen von kaum jemandem geteilt werden. Allerdings wäre das eins seltsames Argument für das Drehen eines Films (lacht): Ich habe ihn gemacht, weil es niemanden außer mir interessiert. (lacht)

Sie wären nicht der erste Filmemacher, der behauptet, das Interesse anderer an seinem Werk sei ihm egal.
Houellebecq: Das stimmt auch nicht ganz. Ich hoffe es wird einige Leute interessieren. Aber wenn man keine High-Tech-Effekte oder eine große Ausstattung in seinem Film hat, ist die einzige Möglichkeit, das Publikum zu beeindrucken, wenn man einen wirklich ernsthaften Inhalt transportiert. Das sind die Menschen aber nicht gewohnt.

Was treibt Autoren von Jean Cocteau bis zu Paul Auster immer wieder dazu, Filmregie zu führen? Ist es die Suche nach einem Ausdruck, den man nur mit Worten nicht erreichen kann, oder ist es eher Neugier auf das schillernde Medium?
Houellebecq: Viele Künstler haben das Bedürfnis, sich in verschiedenen Medien auszuprobieren. Bei einem Amerikaner wie Auster ist das zwar eher eine Überraschung, aber in Frankreich kommt das häufiger vor. Fast alle Schriftsteller haben einmal ihren Film gedreht. Ich weiß nicht warum, ich beobachte nur, dass das typisch französisch ist. Ich denke, es ist eher die Neugier, auch auf die Art und Weise, wie Charaktere entwickelt werden.

Aber Sie sind kein reiner Amateur. Sie haben in den 80er Jahren an der Louis Lumiere-Filmschule in Paris studiert. Konnten Sie jetzt bei den Dreharbeiten davon noch profitieren?
Houellebecq: Nicht sehr viel. Ich musste die Schule damals nach einem Jahr abbrechen. Ich hatte kein Geld mehr, es war eine schwierige Zeit in meinem Leben. Aber es war interessant. Ich habe eine gute Beziehung zu Kameras, auch zu kleinen Kameras, Videokameras und großen Filmkameras. Das sind alles interessante Maschinen.

Zu dem Zeitpunkt waren Sie außerdem schon studierter Agraringenieur. Waren Ihnen da auch die Maschinen am wichtigsten – Traktoren und Mähdrescher?
Houellebecq: Es ging nicht so sehr um praktischen Ackerbau. Meine theoretische Arbeit für die Aufnahmeprüfung beschäftigte sich damals mit Biochemie. Ich liebe dieses Thema. Aber ich bin nicht gut darin, mein theoretisches Interesse in den praktischen Umgang mit der Natur umzusetzen. (lacht) Ich war kein guter Naturalist.

Sind Sie jetzt mit Ihrem Kinodebüt zufrieden?
Houellebecq: (Lange Pause) Manchmal ja. Wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, hätte ich gerne mehr Detailaufnahmen gemacht. Aber ich mag auch die vielen Totalen, die wir jetzt drin haben. Ich sehe ihn mir an und kann den Schauspielern glauben. Das ist für mich eine freudige Überraschung.

Wie haben Sie mit den Schauspielern am Set gearbeitet? War es eine große Umstellung, die eigenen Figuren nicht mehr so frei kontrollieren zu können, wie auf dem Papier?
Houellebecq: Ich mochte den Umgang mit den Schauspielern, ich hatte keine Angst vor ihnen. Aber es ist nicht leicht, denn ich verstehe die Grundprinzipien ihres Berufes nicht. Ich weiß nicht, worum ich sie bitten kann oder nicht. Die Frage ist also, ob man den Schauspielern die Initiative überlässt. Ich habe das gemacht. Das ist gefährlich, weil auch Schauspieler manchmal schlechte Ideen haben, aber für mich war es besser. Es fiel mir leichter, mich eher mit meinem Kameramann zu unterhalten, denn die Prinzipien der Fotografie verstehe ich.

Welche Anweisungen kann man einem Schauspieler geben, der einen Klon zu spielen hat?
Houellebecq: Nach den drei Stunden, die er in der Maske verbringen musste, fühlte er sich schon nicht mehr recht lebendig, nicht mehr menschlich. Das war also nicht das Problem (lacht). Aber als er aus seiner Höhle herausging, sollte er mehr und mehr menschlich werden. Wir haben versucht, dass chronologisch zu drehen, das hat aber natürlich nicht immer geklappt. Ich glaube trotzdem, in den letzten zwanzig Minuten des Films spürt man seine Evolution, hin zu größer Menschlichkeit. – Oh hallo! (Auf kurzen Beinen kommt ein weißbrauner Hund zu Houellebecq) Das ist mein Hund.

Wie heißt er?
Houellebcq: Clément.

Es heißt, Sie hätten von allen Arbeiten am Film das Schneiden nachher am meisten gehasst. Gilt das auch für Ihre Romane, dass Sie es nicht mögen, die erste Fassung zu bearbeiten?
Houellebecq: Nein, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn ich schreibe, schreibe und bearbeite ich gewissermaßen zur selben Zeit. Es gibt zwar auch Regisseure, die fähig sind, ihren Film schon während der Dreharbeiten zu schneiden. Aber ich gehöre nicht dazu.

Sind die vielen statischen Einstellungen in Ihrem Film eine Hommage an die klassischen Science-Fiction-Stummfilme, wie „Metropolis“?
Houellebecq: (Lacht) Nein, überhaupt nicht. Ich wünschte, wir hätten mehr Kamerafahrten in dem Film. Aber dazu reichte das Geld einfach nicht.

Zurück zu den Klonen…
Houellebecq: Eigentlich gibt es in meinem Film keinen Klon. Es sind künstlich geschaffene Menschen, neu geformt aus einer genetischen Information. Mein Wissenschaftler hält das Klonen ja eher für primitiv. Seine Schöpfung ist eine Weiterentwicklung, ein menschliches Wesen, das Photosynthese betreiben kann.

Das würde einige Probleme lösen.
Houellebecq: Ja, aber ich glaube, künstliche Menschen würde man nicht erschaffen, um etwas für den Umweltschutz zu tun. Unsere jetzige Art der Nahrungsaufnahme ist einfach zu primitiv, sie verschwendet zu viel Energie.

Zitiert

Im Gegensatz zu meinen sexuellen Obsessionen werden meine wissenschaftlichen Obsessionen von kaum jemandem geteilt.

Michel Houellebecq

Wären Sie gerne zur Photosynthese fähig?
Houellebecq: Darüber denke ich nicht oft nach. Aber manchmal, wenn die Sonne scheint und ich ihre Energie fühle denke ich, es wäre doch erfreulich, wenn man diese Energie anders umsetzen könnte.
Im Süden Spaniens, ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen, aber da gibt es einen kleinen Baum, dessen Früchte machen den Eindruck hoch konzentrierter, direkt umgesetzter Sonnenenergie. Das ist beeindruckend.

Haben Sie Angst vor genetisch manipulierten Früchten?
Houellebcq: Angst spielt keine Rolle. Die Möglichkeiten sind einfach zu interessant. Das Problem ist, als interessierter Forscher ist es einem quasi unmöglich, nicht zu experimentieren. Es ist zu faszinierend. Man will diese Erfahrung einfach machen. Natürlich ist es eine gefährliche Technologie, aber alles was mächtig ist, ist auch gefährlich.

Vor einigen Wochen lief „The Happening“ im Kino. Da wendet sich die Natur gegen die Menschen, manipuliert sie in gewisser Weise zurück und löst eine Selbstmordepidemie aus.
Houellebecq: Den Film habe ich nicht gesehen. Aber das Gefühl, verloren zu sein, mag ich. Ich mag es, wenn Filme überraschend sind, Dinge hinterfragen. Wenn ich einen Film sehe, muss er ein Trip sein.

Gehen Sie selbst gerne ins Kino, auch in Hollywoodfilme?
Houellebecq: Nicht sehr oft. Ich habe auf dem Filmfestival in Locarno einen Film gesehen, der war interessant. Er handelte von Religion, aber nicht so wie „Passion of Christ,“ der war schrecklich, ein blutrünstiger Horrorfilm.
Und „Matrix“ hat mir gut gefallen. Ich habe aber nur den ersten Teil im Kino gesehen und mir dann die anderen beiden Teile auf DVD besorgt. Viele mochten nur den ersten Teil…

Die anderen beiden Teile werden zunehmend banaler und leiden unter religiösem Pathos.
Houellebecq: Mir ist es egal, wenn ich der Story nicht recht folgen mag. Ich fand in Matrix die Architektur, das Produktionsdesign interessant.
Aber ich denke, die Filme, die einem wirklich wichtig sind, hat man als Kind gesehen. Du kannst nur in einer sehr kurzen Zeit deines Lebens wirklich beeinflusst werden.

Und was haben Sie als Kind gesehen?
Houellebecq: Vor allem TV-Serien, wie „The Fourth Dimension“ oder „The Invaders“, so was in der Art.
Ich erinnere mich jedenfalls nur an diese Serien. Aber wahrscheinlich erinnert man sich an das, was einen wirklich beeinflusst hat, sowieso nicht mehr. Wahrscheinlich ist es auch besser, wenn das, was einen beeinflusst, im Unterbewusstsein bleibt.

In der breiten Öffentlichkeit hat die Wissenschaft ein wenig die Rolle des Zirkus übernommen. Sie ist das ganze Jahr unterwegs, bekommt aber nur mal kurz Aufmerksamkeit, wenn in der Arena sich etwas Spektakuläres ereignet.
Houellebecq: Wie gerade der Teilchenbeschleuniger.

Von dem behaupten manche Wissenschaftler, er könnte mit der Erzeugung kleiner schwarzer Löcher dazu führen, dass die Erde untergeht, beziehungsweise auf die Größe einer Erbse schrumpft. Was halten Sie von dieser Aussicht?
Houellebecq: Ich möchte nicht, dass die Erde von einem schwarzen Loch zerstört wird. Aber ich möchte gerne wissen, wie die Welt entstanden ist und das möchte man mit diesem Teilchenbeschleuniger ja herausfinden. Im Zweifel besiegt die Neugier des Menschen eben immer seine Vorsicht.

Sie haben mal gesagt, dass Sie dazu neigen, dass Interesse an einem Thema zu verlieren, nachdem Sie darüber geschrieben haben.
Houellebecq: Ja, das stimmt. An Gruppensex und Thailand hatte ich nach meinen Büchern „Elementarteilchen“ und „Plattform“ kein Interesse mehr.

Wäre es demnach Ihr künstlerischer Selbstmord, wenn Sie ein Buch über das Schreiben schreiben würden?
Houellebecq: (Lacht) Das könnte passieren.

Ist es eigentlich ein Zeichen von Fantasielosigkeit, wenn Regisseure oder Autoren sich an ihrem eigenen Berufsstand abarbeiten?
Houellebecq: Nicht unbedingt. Meistens werden das ja Satiren, über den Literatur- oder Filmbetrieb, die ganz reizvoll sein können. Für mich wäre das allerdings nichts, weil ich mich in diesen Kreisen nicht bewege, erst recht nicht in Frankreich, wo der ganz Kulturbetrieb so zentralisiert ist und sich nur auf Paris konzentriert.

Noch ein Zitat von Ihnen: „Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, kommt einem das eigene Leben wie ein Roman vor, den man vor langer Zeit gelesen hat.“ Würden Sie diesen Roman gerne noch einmal lesen?
Houellebecq: Ich lese nie ein Buch zweimal, nur einzelne, gelungene Passagen. So halte ich es auch mit meinem Leben.

Welche Passagen lesen Sie denn häufiger?
Houellebecq: Einiges aus „Die Dämonen“ von Dostojewski, so etwas in der Art. Oder etwas von Gogol, aber nicht alle Kapitel, nur ein paar Höhepunkte. Es gibt eigentlich niemanden, der achthundert Seiten auf konstantem Niveau vollschreiben kann. Proust war da eine Ausnahme.

Aber wer schafft es schon, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ mehr als einmal zu lesen?
Houellebecq: Das gibt es. Manche Menschen verbringen ihr ganzes Leben damit, nichts anderes, als das zu lesen. Das ist kein schlechtes Leben.

Lesen Sie in Ihren eigenen Büchern?
Houellebecq: Nein, ich habe Angst, Fehler zu entdecken, und es wäre zu spät, sie zu korrigieren.

Haben Sie eigentlich die deutsche Verfilmung Ihres Romans „Elementarteilchen“ gesehen? Ein Hauptdarsteller des Films hat vermutet, das würde Sie garantiert nicht interessieren?
Houellebecq: Doch, ich habe ihn gesehen. Ich mochte die Schauspieler. Die Fotografie mochte ich nicht.  Er lässt sich gut angucken, aber ich hätte keine Lust, ihn mir ein zweites Mal anzusehen. Das habe ich gefühlt und ich habe ihn ziemlich vergessen, die Drehbuchbearbeitung war nicht wirklich erfolgreich.

Der Produzent Bernd Eichinger wurde bei der Premiere von „Elementarteilchen“ gefragt, ob Sie in das Projekt involviert gewesen wären. Er sagte, er hätte versucht, Sie zu erreichen, aber Sie wären verschollen…
Houellebecq: Das kann sein. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Es ist zu lange her. Ich habe mal selbst aus „Elementarteilchen“ ein Drehbuch gemacht, für den Regisseur Philippe Harel, der ja auch meinen Roman „Ausweitung der Kampfzonen“ verfilmt hat. Aber ich kann mich nicht mal mehr daran erinnern, was an meinem Drehbuch anders war.

Der Regisseur Oskar Roehler hatte das Drehbuch zu seiner „Elementarteilchen“-Verfilmung selbst verfasst und vor allem das Ende verändert, romantischer gemacht.
Houellebecq: Damit hatte ich kein Problem. Das Problem seines Drehbuchs ist, dass er sich nicht für die wissenschaftlichen Aspekte interessiert. Der eine Bruder, der an der Züchtung von Menschen arbeitet, ist zwar gut gespielt – und diese Rolle war viel schwieriger, als die seines sexsüchtigen Bruders Bruno. Aber sie war so geschrieben, dass man ihm gar nicht verstand, wie und warum er so sehr von seiner Forschung gefesselt ist.

Wenn Sie eine Premiere Ihres Filmes besuchen, interessieren Sie sich für die Reaktionen des Publikums?
Houellebecq: Ach, ich werde mich deswegen nicht mit in den Kinosaal setzen. Ich habe den Film schon so oft gesehen… Und nach dem Film ist es schwer zu sagen, ob die Leute fasziniert oder gelangweilt sind  – sie sehen immer gleich aus. (lacht)

Aber Sie könnten nach dem Film im leeren Saal nachsehen, wie viel Popcorn die Leute zurück gelassen haben. Wenn das Publikum vergisst, Popcorn zu essen, findet es den Film spannend.
Houellebecq: Ach ja? Allerdings bin ich hier gerade auf einem Festival. Und bei Filmfestivals verkauft man kein Popcorn.

Sie sind bei Ihren Großeltern aufgewachsen – ein Detail, das sich in erstaunlich vielen Künstlerbiografien findet. Liegt das an der größeren Lebenserfahrung, die einem die Großeltern vermitteln können?
Houellebecq: Das liegt wahrscheinlich am Alter. Wenn die Menschen, die du am meisten liebst, so viel näher am Tod sind und auch früher sterben, als die Eltern deiner Altersgenossen, beeinflusst dich das natürlich. Es macht dir früher, als anderen klar, wie zerbrechlich das Leben ist. – Wie viele Zigaretten habe ich eigentlich während dieses Interviews geraucht?

Ich glaube, es waren zwei.
Houellebecq: Ich soll meinen Lebensstil ändern. Ich war ziemlich krank. Keine Zigaretten, keinen Kaffe mehr. Das ist ganz schön schwierig. Aber nur zwei Zigaretten – das heißt, ich mache Fortschritte.

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