Michel van Dyke

Wer weiß schon, was „cool“ wirklich bedeutet?

Michel van Dyke hat als Musikproduzent und als Mitglied von Ruben Cossani große Erfolge gefeiert, aktuell ist er mit seinem Solo-Album "Doppelleben" unterwegs. Im Interview erklärt er das Produzentenhandwerk, spricht über seine Zeit als elfjähriger Organist, misslungene Live-Auftritte und Pop als Ventil der Älterwerdenden.

Michel van Dyke

© Andreas Hornoff

Michel van Dyke, bereits im Alter von elf Jahren sind Sie Organist Ihrer Heimatgemeinde geworden. Wie kam das?
Michel van Dyke: Bei uns im Wohnzimmer stand ein Klavier und ich habe ziemlich früh angefangen, darauf herum zu klimpern. Da haben meine Eltern gedacht: Vielleicht sollten wir dem Jungen mal Unterricht geben. Ganz einfach, eigentlich.

Gehört Kirchenmusik dann auch zu Ihren ersten musikalischen Einflüssen?
van Dyke: Nein, ich kann mich daran erinnern, dass mein Vater eine alte Jazzgitarre hatte und meine Eltern mir gemeinsam Schlager vorgesungen haben, „Maria aus Bahia“ oder sowas. Das fand ich total schön. Geprägt hat mich dann vor allem der Zauber, der aus dem Radio kam. Ich weiß noch, wie ich „Penny Lane“ von den Beatles das erste Mal im Radio gehört habe und dachte: Was ist das denn? Ich habe diese komplexen Harmonien nicht verstanden, die Instrumentierung, die Arrangements. Das hat mich so sehr geprägt, dass ich bis heute versuche, das nachzuvollziehen und so etwas Ähnliches zu schaffen.

Ihr Interesse für die Bauweise komplexer Musik hätte Sie dann aber auch zur klassischen Musik führen können.
van Dyke: Als ich älter wurde, habe ich mich schon auch für Klassik interessiert, aber letztendlich ist mir diese ursprüngliche Liebe zur Popmusik nie verloren gegangen. In den 70ern habe ich langsam das Interesse an den Beatles verloren, Neil Young entdeckt und Bands wie Genesis, die ich komischerweise heute wieder interessant finde. Ich finde auch, dass nach wie vor jedes Jahrzehnt und jede Generation von Musikern großartige Musik hervorbringt. Ich habe nur versucht, offen zu bleiben und alle Einflüsse in mich aufzunehmen.

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Die Drums knallen jetzt mehr als früher.

Michel van Dyke

Hat speziell Ihre frühe Erfahrung als Organist auch zu Ihrem Faible für das Pompöse in der Popmusik geführt?
van Dyke: Nicht unbedingt. Ich weiß noch, wie mein erster Job in der Kirche war: Ich saß an der Orgel, deren Spieltisch auf der Höhe des Altars stand. Aber die Orgelpfeifen waren 200 Meter weiter hinten. Das heißt, ich musste immer drei Sekunden im voraus spielen, dann kam erst der Ton. Und nochmal drei Sekunden später hat dann die Gemeinde eingesetzt. Das war ziemlich schwierig. Auf diese Pompösität hätte ich also gut verzichten können. (lacht) Ich würde eher sagen, dass mich komplexe Arrangements immer angezogen haben. Es kann aber auch eine große Wirkung haben, wenn man nur mit einer Akustikgitarre und Stimme Musik macht.

Hat Musik für Sie jemals etwas mit Rebellion zu tun gehabt?
van Dyke: Rebellion war natürlich wichtig in den 60ern. Aber für mich persönlich gab es dann als Pubertierender in den 70er Jahren gar keinen Anlass zu rebellieren. Ich habe mir auch keine Gedanken darüber gemacht, ich liebte einfach die Musik, die ich liebte. Klar, die Elterngeneration damals hat andere Musik gehört, insofern war es schon ein Akt der Rebellion, überhaupt Beatles zu hören. In dem Sinne zu rebellieren ist seitdem für Jugendliche ja immer schwieriger geworden. Aber meine Söhne zum Beispiel haben insofern rebelliert, dass sie diesen jungen College-Rock gehört haben. Den konnte ich auf den Tod nicht leiden.

Und dann haben Sie gesagt: Hört mal Kinder, was diese Limp Bizkits da spielen ist doch total stumpf?
van Dyke: So ungefähr. Es gab schon junge Bands in der Richtung, die waren gar nicht mal so schlecht, aber es hat mich dann irgendwann trotzdem genervt. Aber um nochmal auf das Rebellieren zurückzukommen: Das war nicht meine Intention, Musik zu machen. Ich wollte einfach dem Zauber der Musik auf den Grund gehen, das war mein Antrieb.

Und dieses „Zauberhandwerk“ ist ja nicht nur Selbstzweck. In einem Song Ihres aktuellen Albums, „Du gibst gar nichts von dir preis“, singen Sie gegen die Verschlossenheit einer Geliebten an, als würde Musik einen Menschen wirklich verändern können.
van Dyke: (lacht) Ich finde den Song ganz interessant, weil ich da zum ersten Mal anders rangegangen bin. Normalerweise kann man über Arrangements Spannung erzeugen. Das ist hier teilweise auch der Fall, aber man kann auch dadurch Spannung erzeugen, dass die Musiker immer lauter werden und immer intensiver. Das gibt es ja oft in der Jazzmusik, in der Popmusik eher selten. Insofern fand ich das einen interessanten Ansatz.

Und alles nur, damit eines Morgens jene Frau an der Schulter des Sängers „die Zeit vergisst“. Das ist geradezu berückend dezent.
van Dyke: Ich habe versucht, es auch textlich so zu gestalten, dass diese geheimnisvolle Frau immer mehr von sich preisgibt, je lauter die Musik wird. Dadurch verrät sie auch immer mehr über den Sänger, das erzeugt dann auch eine textliche Spannung. Deswegen bin ich auch ziemlich stolz auf den Song.

© Andreas Hornoff

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Sie haben für „Doppelleben“ mit dem Produzenten Swen Meyer zusammengearbeitet, der unter anderem mit Platten von Tomte, Kettcar und Lena Meyer-Landrut bekannt wurde. Warum haben Sie Ihre Platte nicht einfach selbst produziert?

van Dyke: Ich hatte 15 Jahre lang mein eigenes Süppchen gekocht, da war es an der Zeit, mal wieder was zu lernen. Ich wollte auch mal wieder ein bisschen Input haben. Und Swen Meyer hatte ich schon länger beobachtet. Er hat immer gute Arbeit gemacht hat. Ich fand ihn auch deswegen interessant, weil er sowohl Pop als auch Indie-Sachen gemacht hat. Die Platte von Kid Kopphausen, die Kollaboration von Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch fand ich zum Beispiel sehr gut. Es stellte sich heraus, dass er so ähnlich über mich dachte.

Was genau macht eigentlich ein Produzent?
van Dyke: Wir sind für den Sound zuständig, wir machen uns Gedanken über die Wirkung der Musik. Um die Kommunikation zu vereinfachen haben Swen und ich dann solche Sachen gesagt, wie: Der Gesang klingt zu schlagerig. Oder: An der Stelle muss was passieren. Das ist ein sehr komplexer Prozess, es ist schwierig darüber zu reden. Für mich war es auch nicht einfach, loszulassen, meinem Produzenten zu vertrauen und mal zurückzustehen. Meistens lohnt es sich aber, wenn man sich mal zurückhält und den anderen machen lässt. Spätestens nach ein paar Tagen weiß man dann, ob der Sound cool ist oder nicht.

Heißt „cool“ dann auch gleichzeitig „modern“?
van Dyke: Auch über solche Begriffe zu reden, ist schwierig. Wer weiß schon, was „cool“ wirklich bedeutet? Das weiß eigentlich keiner. Was würde man als „moderne Popmusik“ bezeichnen?

Spiegeln sich in diesen Begriffen nicht auch in erster Linie die individuellen Hörgewohnheiten, der persönliche Geschmack?
van Dyke: Auch, ja klar. Mir war einfach wichtig, dass ich mit dieser Platte nun einen Schritt weitergehe, als mit meinen Soloplatten davor. Ich hatte lange genug in den 60ern gewildert, jetzt wurde es mal Zeit, aus den letzten 20 Jahren Dinge raus zu picken. Aber letztlich sind das ganz profane Sachen. Das einzige, was ich jetzt „neu“ gemacht habe, sind die Drums. Die knallen jetzt mehr als früher.

Und mit Ferris MC sorgt ein erfolgreicher Rapper für einen überraschenden Gastauftritt in Ihrem Song „Wegen der Musik“.
van Dyke: Ich habe ihn als Solo-Künstler nicht so wahrgenommen, eher als Mitglied von Deichkind. Der war eines Tage zufällig bei Swen im Studio. Wir arbeiteten gerade an diesem Song und Swen meinte: „Dein Sprechgesang in der Strophe ist leider nicht so überzeugend. Vielleicht sollten wir mal einen Rapper fragen. Aber nicht Ferris, der würde wahrscheinlich nicht passen.“ Gerade das machte mich neugierig. Ich arbeite gerne mit Leuten, die mir nicht so ähnlich sind. Aus so einem Spannungsfeld kann wirklich interessante Musik entstehen. Außerdem ist Ferris ja auch nicht mehr der Jüngste, so wie ich. Also konnte er sich gut mit dem Text identifizieren.

van dyke coverDa kommt jemand in einen Club, das Publikum ist im Schnitt 20 Jahre jünger und er fragt sich: Gehöre ich noch dazu?
van Dyke: Genau. Das fand Ferris auch gut und in zehn Minute war das auf Band. Er ist ja auch ein toller Performer. Letztendlich ist das ja das Wesen der Kunst: Es gab es alles schon einmal. Nur die Art und Weise wie man die Dinge mischt, macht sie wieder spannend und neu.

Welche Rolle spielt für Sie selbst die Live-Performance?
van Dyke: Ich habe mir früher immer Gedanken gemacht: Wenn ich mich auf der Bühne präsentiere, präsentiere ich mich dann natürlich so wie im täglichen Leben? Diese Bühnenpersönlichkeit, ist das eine Rolle, die man erfüllt? Gott sei Dank ist diese Zeit jetzt vorbei. Es sollte irgendwann mal die Zeit kommen, wo man nicht mehr über solche Sachen nachdenkt, sondern einfach macht. Man sollte immer so natürlich wie möglich sein. Und wenn man schon eine Rolle spielen will, muss man das auch so genießen können, dass man vergisst, dass man beobachtet wird.

Gibt es in der Rückschau Live-Auftritte, die Ihnen misslungen vorkommen?
van Dyke: Es gab mal so eine Zeit, da habe ich mit meiner Band im Vorprogramm der Simple Minds gespielt. Das war so erfolgreich, dass ich zeitweise dachte: Scheiße, die Leute denken, wir sind die Simple Minds, (lacht) sonst würden die nicht so jubeln. Ich habe da wirklich so eine Rockstar-Attitüde gehabt, die Arme hoch gerissen, große Gesten gemacht. Ich bin über die Bühne stolziert wie ein Pfau. Dann habe ich mir nochmal Videos davon angeguckt und gedacht: Das bin ich eigentlich gar nicht. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich da gar nicht gut singe. Das hat mich auch genervt, aber ich habe mich gleichzeitig gewundert, wie gut es ankommt bei den Leuten.

Das Verhältnis zur eigenen Stimme ist eine recht komplexe, intime Geschichte. Man kann sich hinter seiner Stimme kaum verstecken. Auch Ihre klingt manchmal brüchig, nicht unbedingt klassisch schön.
van Dyke: Ich hatte trotzdem schon immer ein sehr natürliches Verhältnis zu meiner Stimme. Schon als sehr kleiner Junge habe ich angefangen, mit dem Tonband meines Vaters Aufnahmen zu machen. Mich selbst von außen zu hören, war ganz normal für mich, auch später, als ich in den Stimmbruch kam. Niels Frevert hat mal gesagt, dass er seine Stimme selbst nicht hören mag. Das Problem hatte ich nie. Ich mag es, wenn Sänger nicht nur eine Seite zeigen. Tina Turner mochte ich nie so als Sängerin, weil sie immer so exaltiert war, viel zu selten introvertiert. Da mag ich eher John Lennon oder Marvin Gaye, die sehr unterschiedliche Facetten hatten. Gaye konnte sehr weich und schöngeistig singen, aber auch schreien. Das finde ich sehr interessant.

Können Sie gut schreien?
van Dyke: Immer noch nicht so richtig. Mir liegt eher der Sprechgesang, den habe ich auch immer schon gerne gemocht.

Abschließend sei festgestellt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Pop-Musik nur als Musik der Jugend galt. Sie ist mittlerweile auch nicht nur Accessoire von Berufsjugendlichen. Auf Ihrem Album wird sie zum Ventil für Erfahrungen des älter werdenden Menschen.
van Dyke: Ja, ich finde das auch super. Trotzdem gibt es da noch Vorurteile. Nur weil man 53 ist, heißt das ja nicht, dass man in einem Jahrzehnt stecken geblieben wäre. Ich bin ja nicht in den 90ern stecken geblieben, nur weil ich da meine großen Erfolge gehabt habe. Es gibt Leute, die sich weiterentwickeln und ich hoffe, ich gehöre auch dazu. Früher hat man sich das nicht vorstellen können. Da war das beste Pop-Alter zwischen 20 und 30, da hat man die besten Platten gemacht und dann wurde es künstlerisch vielleicht nicht mehr so interessant. Oder man wurde zur Legende, dann war es sowieso egal. Früher hat man gesagt: Popmusik ist vergänglich, im Vergleich zu Klassik oder Jazz hält sie sich kein Jahr. Jetzt wissen wir: Das war Quatsch.

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