Frau Hollstein, gab es für Ihren Comic "Miss Tschörmänie" eine Inspirationsquelle?
Hollstein: Bei einem Aufenthalt in Frankreich fiel mir eine Comic-Biographie von Nicolas Sarkozy in die Hände. Da so etwas in Deutschland bisher noch nicht veröffentlicht wurde, kam mir die Idee zu "Miss Tschörmänie".
Inwieweit unterscheidet sich Ihr Buch von dem französischen Vorbild?
Hollstein: Ähnlich ist beiden Veröffentlichungen, dass sie im Sinne einer Biographie funktionieren. Das heißt, wir beleuchten die wichtigsten Stationen im Leben und in der Karriere der Politiker. Der französische Comic ist allerdings voll ätzender Ironie. Ich wollte das ironische Potenzial von Angela Merkel herausarbeiten, ohne mit dem Hammer draufzuhauen.
Warum hat es in Deutschland so lange gedauert, bis das Format der politischen Comic-Biographie seine Premiere feiern durfte?
Hollstein: In den USA, aber auch in Frankreich und Großbritannien ist der Umgang mit Politik wesentlich spielerischer als bei uns. In diesen Ländern gab es bereits einige Comic-Veröffentlichungen zum Thema. Gerade in den USA ist es Teil der Kultur, sogar der Wahlkampf zwischen Barack Obama und John McCain wurde in Comics begleitet. Vor kurzem habe ich Präsident Obama als Spiderman gesehen.
In Frankreich kommt hinzu, dass der Comic insgesamt einen ganz anderen Stellenwert hat. Dort gilt er als „neunte Kunst“. Diese Tradition fehlt in Deutschland, wir gehen eher ernst an solche Themen heran.
War von Anfang an klar, dass Angela Merkel die Hauptperson Ihres Comics werden würde? Es hätte ja auch andere Kandidaten gegeben, zum Beispiel den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier oder Altkanzler Gerhard Schröder.
Hollstein: Ja, das stand von Anfang an fest. Die Biographie von Herrn Steinmeier ist einfach zu erwartbar, der Stoff seines bisherigen Lebens eignet sich nicht für einen Comic. Frau Merkel hingegen besitzt eine Biographie, die eine unheimliche Fallhöhe hat. Im Westen geboren, als Pfarrerskind im Osten aufgewachsen, erst mit 35 Jahren in die Politik gegangen, dann in einer von katholischen Männern dominierten Partei bis zur Kanzlerin aufgestiegen. Zudem ist sie momentan die wichtigste Person der deutschen Politik. Allerdings hätte mich auch Gerhard Schröder gereizt. Sein Leben gibt eine Menge her. Von seiner Kindheit in ärmlichen Verhältnissen bis zu dem bekannten Rütteln am Tor des Bundeskanzleramtes.
Wie wird aus so einer realen Szene ein Bild im Comic?
Hollstein: Grundsätzlich versuche ich mir bei solchen Szenen automatisch die realen Bilder vorzustellen. Ein typisches Beispiel ist das mittlerweile legendäre Frühstück von Angela Merkel und Edmund Stoiber in Wolfratshausen im Januar 2002, bei dem die so genannte “K-Frage“ zugunsten von Stoiber entschieden wurde. Ich habe mich gefragt, wie das aussah. Stand Merkel da mit einer Brötchentüte in Stoibers Wohnzimmer und sagte: „Hallo Edmund, hier sind die Semmeln“ (lacht)? Solche Sachen haben mich schon beschäftigt, bevor ich überhaupt die Idee zum Buch hatte.
Wobei die Bilder aus "Miss Tschörmänie" ja aus der Feder von Heiko Sakurai stammen. Wie kam der Kontakt zustande?
Hollstein: Heiko hat unter anderem eine kleine Serie in der Zeitung "Die Welt" gehabt, für die ich als Politikredakteurin schreibe. Dort sind mir seine Zeichnungen aufgefallen, weil seine Comics so wirken, als wisse er über alles Bescheid. In meiner Vorstellung musste er jemand sein, der in Berlin auf jede Gartenparty der Parteien geht und auch beim letzten Hinterbänklertreffen anwesend ist. Umso überraschter war ich, als ich erfuhr, dass er in Köln wohnt und sich viele Sachen einfach nur ausdenkt oder zusammenreimt.
Ich denke, es war ein Glücksgriff, denn wir haben uns sehr gut ergänzt. Ich habe erst das Storyboard entworfen und er hat schließlich die einzelnen Bilder gezeichnet. Meine Strichmännchen hätte mir wohl niemand gekauft (lacht).
Gab es bereits Reaktionen von Angela Merkel oder anderen Politikern, die in dem Buch auftauchen?
Hollstein: Es hat eine Zeit gedauert, aber mittlerweile habe ich die Information aus dem Kanzleramt bekommen, dass Angela Merkel das Buch gelesen und an einigen Stellen gelacht haben soll. Das schmeichelt uns natürlich und es spricht für die Kanzlerin, dass sie sich ihren Humor bewahren konnte. Wobei wir auch froh sind, dass sie nicht an allen Stellen lachen musste. Denn dann hätten wir wohl etwas falsch gemacht.
Angela Merkel besitzt eine Biographie, die eine unheimliche Fallhöhe hat.
Sie arbeiten als Politikredakteurin für „Die Welt“ und kennen viele Politiker persönlich. Wie schätzen Sie das Humorverständnis unserer Volksvertreter ein?
Hollstein: Das ist grundsätzlich erst mal eine Frage des Naturells. Leider herrscht in Deutschland immer noch die Meinung vor, ein hohes Amt würde sich mit Spaß nicht vereinbaren lassen. Angela Merkel kommt in der Öffentlichkeit immer bierernst rüber, aus ihrem Umfeld heißt es jedoch, dass das täuscht. Anders in den USA. Der ehemalige Präsident Ronald Reagan war bekannt dafür, gerne Witze zu erzählen. Und das wurde ihm nicht übel genommen. Ich glaube auch, dass Nicolas Sarkozy Spaß versteht, obwohl er nicht unbedingt so wirkt.
Durch Ihre Arbeit als Politikjournalistin in Berlin konnten Sie abschätzen, welche Politiker über ihr Comic-Ich lachen würden, welche nicht. Spielte das eine Rolle bei der Entwicklung der Story?
Hollstein: Nein, überhaupt nicht. Uns waren besonders die Griesgrämigen sehr willkommen (lacht). Aber es ging ja in erster Linie um die Geschichte, denn dort steckt das Potenzial. Somit haben sich die handelnden Figuren von selbst ergeben. Wir sind sehr nah an der Realität geblieben. Im ganzen Buch gibt es nur eine Szene, die frei erfunden ist. Und zwar die, in der Oskar Lafontaine sein SPD-Parteibuch verbrennt. Das war aus unserer Sicht einfach nötig, um seinen Bruch mit der Vergangenheit zu verdeutlichen. Das Verbrennen hat fast schon etwas von einem Ritual.
Es gibt diverse Publikationen und Formate, in denen Politik auf die eine oder andere Weise satirisch begleitet wird. Von "Neues aus der Anstalt" im ZDF über "Extra 3" (NDR) bis hin zu Magazinen wie "Titanic" oder "Eulenspiegel". Manchmal geht es dabei ziemlich derb zur Sache – haben Sie sich irgendwelche Grenzen beim Texten gesetzt?
Hollstein: Es gab so etwas wie ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen Heiko Sakurai und mir. Bei aller Ironie sollte das Leben der Kanzlerin im Vordergrund stehen. Wer "Miss Tschörmänie" zur Hand nimmt, weiß hinterher tatsächlich mehr über Angela Merkel. Zynismus haben wir gleich außen vorgelassen. Für einen Einspieler im Fernsehen oder einen kurzen Comic mit wenigen Bildern mag das gehen. Aber für den Umfang eines Buches ist es schwer durchzuhalten und für den Leser irgendwann auch ermüdend.
In Zeiten dramatisch sinkender Wahlbeteiligungen scheint Politik von vielen als langweilig oder unwichtig empfunden zu werden. Sie haben fast Ihr ganzes Berufsleben der Politik gewidmet. Was fasziniert Sie persönlich daran?
Hollstein: Die Prozesse, die großen Entscheidungen voran gehen. Außerdem sind selbst wichtige und einflussreiche Politiker ganz normale Menschen mit Schwächen und Macken, was ich sehr faszinierend finde. Ich muss allerdings zugeben, dass die x-te Debatte über die Föderalismusreform nicht so spannend ist wie die Biographie von Angela Merkel (lacht).
Über Journalisten wird oft gesagt: Die Kritiker der Elche wären gerne selber welche – trifft das auch bei Politikjournalisten zu?
Hollstein: Das ist eine interessante Frage. Ich für mich kann klar sagen, dass ich nicht gerne Kanzlerin wäre. Das ist einfach zu stressig. Aber als politisch denkender Mensch gibt es für mich schon Momente, in denen ich überlege, die Seiten zu wechseln. Andererseits bin ich ein Mensch, der zu gerne das sagt, was er denkt. Und das ist in diesem Bereich sehr schwer. Ich hätte einfach keine Lust auf all die strategischen Spielchen. Damit spreche ich allerdings nicht für alle meine Kollegen, die Politik schreibend begleiten. Sicher gibt es auch einige, denen die Politik zum Hals raushängt. Aber in welchem Beruf gibt es das nicht?