Herr Maisky, Ihre Biographie zeigt sehr viele Stationen auf, wie kommt es, dass Sie heute in Brüssel zuhause sind?
Maisky: Ich fühle mich sehr europäisch, in vielerlei Hinsicht. Den größten Teil meines zweiten Lebens – so nenne ich die Zeit seit ich Anfang der 70er Jahre aus der Sowjetunion ausgewandert bin – habe ich in Europa verbracht. Damals bin ich nach Israel gegangen, wo ich mich auch heute noch sehr zuhause fühle. Meine Familie und ich sind aber vor 15 Jahren nach Belgien gezogen, wo wir sehr gute Freunde und ein schönes Haus in der Nähe von Brüssel gefunden haben. Die zentrale Lage in Europa ist angesichts meiner vielen Konzertreisen natürlich sehr praktisch. Belgien ist aber auch ein wunderschönes Land zumal die Belgier meiner Meinung nach die am wenigsten chauvinistisch veranlagten Bürger Europas sind. Ich selbst fühle mich ja sehr als ein Weltbürger, ich wurde in Lettland geboren, habe in St.Petersburg und Moskau studiert, bin nach Israel ausgewandert, meine Frau ist Amerikanerin, meine Tochter wurde in Paris geboren und mein Sohn in Brüssel. Außerdem spiele ich ein italienisches Cello, mit einem französischen Bogen, österreichischen und deutschen Saiten, ich fahre ein japanisches Auto, trage eine schweizerische Uhr, eine indische Halskette – kurz gesagt, ich sehe mich als Bürger dieser Welt, weshalb ich jede Form von Nationalismus ablehne.
Besuchen Sie noch hin und wieder Ihr Heimatland?
Maisky: Ja, ich habe zum Beispiel sehr enge Verbindungen zum Lettischen Nationalorchester, mit dem ich demnächst wieder auf Tournee gehen werde. Allerdings würde ich Lettland nicht als mein Heimatland bezeichnen. Ich wurde dort geboren, habe mich aber nie lettisch oder russisch gefühlt. Das erste Mal "russisch" wurde ich erst genannt, als ich nach Israel kam, was damit zu tun hat, dass in meinem russischen Pass stand: "Nationalität: Jüdisch". Das ist bis heute sehr eigenartig in Russland, überall in der Welt kannst du jüdisch sein von deiner Religion her, aber nicht von der Nationalität her. Einerseits hat man in Russland damals versucht, die jüdische Bevölkerung daran zu hindern, ihre Religion und Kultur auszuüben, auf der anderen Seite wollten sie dir aber immer vorhalten, dass du kein Russe bist. Auch wenn wir keinen Davidsstern tragen mussten, war dies im Grunde die gleiche Art, wie sie dich markiert haben und das hat deine Lebenssituation nicht selten negativ beeinflusst.
Sie wurden 1970 für 18 Monate in Russland inhaftiert, weil Ihre Schwester kurz zuvor nach Israel ausgewandert war. Nach Ihrer Auswanderung führte Sie 1999 das erste Mal eine Konzertreise wieder nach Russland. Hatten Sie Angst, in das Land zurückzukehren?
Maisky: Nein, Angst hatte ich eigentlich nicht, aber natürlich gemischte Gefühle, schließlich habe ich auch sehr schöne Erinnerungen an mein ‚erstes Leben‘, an meine Kindheit in Lettland, meine Jugend in St.Petersburg oder mein Studium am Moskauer Konservatorium bei Mstislav Rostropowitsch. An die schlimmen Erfahrungen, dich ich in der Sowjetunion gemacht habe, erinnere ich mich allerdings genauso gut.
Um einmal auf Ihr Instrument zu sprechen zu kommen: Ihre Plattenfirma schreibt, Sie hätten es einst von einem anonymen Bewunderer geschenkt bekommen.
Maisky: Das ist ein wenig übertrieben. Er war auch ein Cellist und ich traf ihn vor fast genau 30 Jahren in New York, als er bereits 94 Jahre alt war. Ein Neffe von ihm, der mein Debüt in der Carnegie-Hall gehört hatte, brachte uns zusammen. Er besaß ein Montagnana-Cello aus dem 18. Jahrhundert, das er sehr mochte aber nicht mehr spielen konnte, da er bereits teilweise gelähmt war. Aber er hatte sich gesagt: wenn er sich eines Tages von diesem Cello trennen müsste, dann würde er es nicht an einen Händler verkaufen, der damit nur Geschäfte macht, sondern an einen jungen, aufstrebenden Musiker, sodass möglichst viele Menschen auf der ganzen Welt dieses Cello hören könnten. Ich habe für ihn gespielt, viele Stunden mit ihm verbracht und am Ende hatte er Tränen in den Augen, vor Freude. Er sagte, jetzt könne er in Frieden sterben, in dem Wissen, dass sein Instrument in guten Händen sei. Eigentlich hatte er sogar vor, mir das Instrument zu schenken, doch war es der einzige wertvolle Gegenstand, den er je besessen hatte. Er hat es mir schließlich für ein Drittel des eigentlichen Wertes überlassen, das war schon ein großes Geschenk.
Und Sie haben das Instrument damals selbst bezahlt?
Maisky: Nein, ich hatte überhaupt kein Geld, das hat damals eine israelisch-amerikanische Kultur-Stiftung für mich gekauft, für viele Jahre hatte ich es daher nur als Leihgabe.
Wie viel würde es heute ungefähr kosten?
Maisky: Für mich ist es natürlich unbezahlbar, ich wüsste gar nicht, ob ich jemals noch ein Instrument finden würde, dass ich so liebe. Domenico Montagnana war ja einer der größten Cello-Bauer überhaupt. Allerdings ist dieses Cello, wie viele andere Montagnana-Cellos, etwas verkleinert worden. Montagnana hat sehr große Celli gebaut und Ende des 19. Jahrhunderts gab es Leute, die dachten, sie könnten ein Cello verbessern, indem sie es verkürzen. Daher ist der finanzielle Wert nicht so hoch, wie bei einem Montagnana in Originalgröße. Wenn man den Wert nun beziffern müsste, würde man wahrscheinlich auf 4-5 Millionen Dollar kommen.
Es ist aber versichert, oder?
Maisky: Natürlich!
Und wie reisen Sie damit?
Maisky: Im Flugzeug habe ich neben mir immer einen zweiten Sitz reserviert, für den ich auch voll bezahle. Darauf wird das Cello mit einem extra Sicherheitsgurt angeschnallt. Aber da ein Cello nichts isst und trinkt, nicht auf die Toilette muss, ist es ein eher anspruchsloser Passagier.
Haben Sie eigentlich auch Ihre Hände versichert?
Maisky: Nein. Ich habe natürlich mal darüber nachgedacht, aber so etwas wäre auch unerhört teuer. Außerdem finde ich, dass manche Leute die Wichtigkeit der Hände ein wenig übertreiben. Immer wieder kommen Zuhörer zu mir hinter die Bühne, wollen meine Hände sehen und sagen dann, ich hätte Zauberhände. Da ist aber eigentlich nichts dran. Es gibt nur wenige Menschen, die einzigartige, ungewöhnlich gute Hände haben. 95% der Menschen haben ganz normale Hände …
… und Sie gehören zu den 95%?
Maisky: Richtig. Die Hände sind für einen Musiker nicht entscheidend. Wenn man zum Beispiel über die Klangqualität spricht – für mich das allerwichtigste Merkmal in dem sich Musiker unterscheiden – darauf hat die Form der Hände keinen Einfluss.
Ich erinnere mich, wie im Kindesalter eine Musiklehrerin meine Hände beurteilte und sagte, sie würden sich gut für Cello eignen. Wie war das bei Ihnen?
Maisky: Das spielte gar keine Rolle. Ich bin das dritte und jüngste Kind in unserer Familie und da meine Schwester und mein Bruder bereits Klavier und Geige lernten als ich zur Welt kam, wollte meine Mutter eigentlich, dass ich ein ’normales‘ Kind und nicht Musiker werde. Ich ging also erst einmal ein Jahr auf eine normale Schule, doch im Alter von acht Jahren habe ich zwei wichtige Entscheidungen in meinem Leben getroffen: erstens habe ich mit dem Rauchen aufgehört …
Wie bitte?
Maisky: Ja, ich hatte meine erste Zigarette schon mit fünfeinhalb geraucht. Zweitens entschied ich mich mit acht Jahren, Cello zu spielen. Das konnte zwar niemand verstehen, weil ich ein sehr hyperaktives Kind war, das nicht fünf Sekunden auf der Stelle stehen konnte. Aber vielleicht war es auch eine rein praktische Entscheidung, weil sich so ein Familien-Trio ergab. Leider kam es dann nie dazu, dass wir Trio gespielt haben, weil mein Bruder kurze Zeit später zu Orgel und Cembalo wechselte. Daher ist es auch meiner größten Wünsche, eines Tages mit meinen beiden Kindern Trio zu spielen. Meine 16-jährige Tochter spielt Klavier, mein Sohn, 14, spielt Geige.
Und das Rauchen?
Maisky: Nein, damit habe ich nie wieder angefangen, ich bin ein vielmehr ein großer Anti-Raucher geworden. Das liegt sicher auch daran, dass mein Vater sehr jung an Lungenkrebs starb, er hat sein ganzes Leben geraucht. Auch mein zweiter Lehrer Gregor Pyatigorsky bekam wegen des Rauchens Lungenkrebs und auch Leonard Bernstein, bin ich mir sicher, hatte am Ende seines Lebens mit dem gleichen Problem zu kämpfen.
Zum Schluss habe ich eine Frage zu Ihrer Kleidung, ein Journalist schrieb einmal darüber, dass Ihr Outfit ihn an einen Rockmusiker erinnerte – können Sie das kommentieren?
Maisky: Der Journalist meinte vielleicht ein paar Pressefotos, denn auf der Bühne trage ich nie Lederhosen oder Stiefel. Ich bin auch nicht wirklich ein Rockfan, ich mag verschiede Musikrichtungen, Jazz viel mehr als Rock, Rockmusik kenne ich eigentlich kaum. Aber was die Kleidung betrifft, missverstehen das einige Leute sehr oft und interpretieren mein Outfit falsch. Die denken zuerst, ich würde auf der Bühne eine Modenshow veranstalten wollen, was aber ganz und gar nicht der Fall ist. Im Gegenteil, weil ich weiß, dass eine Modenschau im Konzertsaal nichts zu suchen hat, führe ich dort weder einen tollen Christian Dior Frack oder ein Hemd von Armani vor. Wichtig ist die Musik und was immer mir hilft, die Musik so gut wie möglich zu spielen, sollte in Ordnung sein. Ich habe mit verschiedenen Outfits experimentiert aus ganz praktischen Gründen, denn bei der Art und Weise wie ich spiele, verbrauche ich sehr viel Energie. Ich bewege mich viel, schwitze viel – da fühle ich mich sehr unbequem in traditionellen Konzert-Kleidern, Fracks und Schlips. Ich habe sogar einmal selbst versucht, meine Kleider zu designen bis ich aber schließlich den großartigen japanischen Designer Issey Miyake entdeckte. Ich habe mich in seine Phantasie und künstlerische Ideen verliebt, für mich ist er ein Genie und sein Stil gefällt mir sehr. Seine Klamotten sind auch unglaublich praktisch, für jemanden, der die ganze Zeit reist. Man muss sie nicht bügeln, man kann sie sehr einfach verstauen, sie nehmen nicht viel Platz weg … Diese Kleidung hatte also immer einen praktischen Grund. Aber nachdem man mich nun schon so viele Jahre danach gefragt hat, denke ich, es könnte sein, dass es bei mir vielleicht unbewusst eine Form des Protestes ist, gegen dieses altmodische, konservative Element des Establishments in der Klassik-Szene, mit dem die Musik an sich ja gar nichts zu tun hat. Für viele hat die Klassik ja dieses Image, altmodisch und konservativ zu sein, was natürlich die jungen Menschen abschreckt, noch bevor sie die Chance haben, die Musik zu hören. Wenn die im Fernsehen Bilder von Symphonie-Orchestern sehen, die aussehen wie 100 Pinguine, dann denken sie natürlich schnell, Klassik sei nichts für sie – was ich sehr schade finde, schließlich kann die Musik ja nichts dafür.