Mohamed Ben Attia

Ich glaube an den kulturellen Austausch.

Mohamed Ben Attias Langfilmdebüt „Hedi“ war der erste tunesische Film im Wettbewerb der Berlinale seit 20 Jahren. Am Ende wurde er mit dem Silbernen Bären für den besten männlichen Hauptdarsteller und als bester Erstlingsfilm des Festivals ausgezeichnet. Ralf Krämer hat mit Ben Attia während der Berlinale gesprochen.

Mohamed Ben Attia

© Richard Hübner / Berlinale

Mohamed Ben Attia, wie kam es dazu, dass Ihr Film „Hedi“ im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurde, als erste tunesische Produktion seit 20 Jahren?
Mohammed Ben Attia: Der Film war einfach zur richtigen Zeit fertig. Meine Produzentin Dora Bouchoucha war zunächst mit dem Festival in Cannes im Kontakt. Dort hätten wir wohl auch in der renommierten Nebenreihe Quinzaine des Réalisateurs laufen können, aber darauf hätten wir noch monatelang warten müssen. Also haben wir uns gedacht: Warum versuchen wir es nicht in Berlin? Als wir dann auch noch in den Wettbewerb eingeladen wurden, sind wir vor Freude in die Luft gesprungen und haben keinen Moment lang gezögert.

Viele aus Tunesien stammende Filmemacher sind nach Frankreich gegangen und machen dort auch ihre Filme, so wie Abdellatif Kechiche, der vor zwei Jahren in Cannes die Goldene Palme gewann.
Ben Attia: Ich habe auch in Frankreich studiert, allerdings nur einige Monate. Aber mein Film ist auf jeden Fall 100 Prozent tunesisch. Er spielt in Tunesien und auch wenn seine Geschichte durchaus als universelle Geschichte funktioniert, so ist sie doch sehr typisch für unsere gegenwärtige Situation.

Hedi“ ist nach seinem Titelhelden benannt, einem jungen Auto-Verkäufer aus Tunis. Kurz vor seiner Hochzeit wird er auf Dienstreise geschickt, verliebt sich in Rim, eine Animateurin, und will sein Leben ändern. Wie ist diese Geschichte entstanden?
Ben Attia: Ich hatte Lust, eine scheinbar banale Geschichte zu erzählen, von einem durchschnittlichen Typen, der keine offensichtlichen, großen Probleme hat. Zumindest oberflächlich geht es ihm gut, aber dann gerät seine Weltsicht ins Wanken. Es war mir wichtig, eine Liebesgeschichte zu erzählen, weil sie die Kraft hat, diesen banal erscheinenden Typen zu erschüttern. An dem Drehbuch habe ich relativ lange gearbeitet und wir haben lange nach den richtigen Schauspielern gesucht. Vor allem bei der Besetzung von Hedi fiel mir das schwer, weil mir lange nicht klar war, mit welchem Typ Mann ich diese Geschichte erzählen will. Als wir und schließlich für Majd Mastoura entschieden hatten, wurde dann auch schnell gedreht, sechs Wochen lang, im Mai und Juni letzten Jahres.

War es klar für Sie von Anfang an, wie der Film enden würde?
Ben Attia: Nein, überhaupt nicht. Es gab verschiedene Versionen und wir haben auch ein alternatives Ende gedreht. Dann habe ich aber im Schnitt festgestellt, dass es so, wie es eigentlich geplant war, nicht funktionierte. Es hätte zu der Entwicklung der Charaktere nicht mehr gepasst. Der Rest blieb aber sehr nah am Drehbuch, nicht zuletzt, weil ich es am Schluss mit den Schauspielern noch einmal bearbeitet habe. Ich schreibe meine Drehbücher immer erst auf Französisch und übersetze sie dann mit den Schauspielern ins Tunesisch-Arabische, damit wir die Wörter finden, die wirklich zu ihnen passen.

Auf der Pressekonferenz der Berlinale wurden „Hedi“ von Journalisten gleich als Konflikt zwischen Tradition und Moderne beschrieben. Stimmen Sie dem zu?
Ben Attia: Für mich handelt er eher von dem Kontrast zwischen Individuum und Gesellschaft. Er stellt die Frage, ob man den Preis zahlen will, sich den Regeln der Gesellschaft zu unterwerfen um sich einen gewissen Rückhalt zu sichern, um eingebunden zu bleiben in den sozialen Kontexten. Oder versucht man, seinen individuellen Lebensentwurf umzusetzen auch wenn das bedeuten kann, Isolation und Einsamkeit zu akzeptieren.

Die tunesische Revolution thematisiert Ihr Film nur einmal, in einem Gespräch zwischen Hedi und Rim. Sie reden von den Tagen nach dem Umsturz so, als würden sie sich an eine vergangene große Liebe erinnern. Wie erinnern Sie sich an jene Zeit im Januar 2011?
Ben Attia: Ich sehe das genauso, wie es im Film erzählt wird. Drei Tage lang war alles geschlossen, die Zeit stand still. Und danach gab es eine unglaublich positive Stimmung. Man grüßte die Polizisten auf der Straße, die man drei Tage zuvor noch gehasst hatte. Es war eine sehr optimistische und auch sehr naive Stimmung. Wir dachten wirklich, wir brauchen nur Ben Ali rauszuschmeißen, um bald in einer vollständig funktionierenden Demokratie zu leben und alles würde sich von allein zum Guten wenden. So geht es Hedi ja auch im Film. Er verliebt sich in Rim und das reicht, um auf einmal ganz naiv und optimistisch in die Zukunft zu schauen, sich sein Leben in rosaroten Farben auszumalen. Aber darauf folgt eben immer die Ernüchterung. Es wird nicht so glatt laufen, wie man zunächst denkt. Und es ist ja auch wichtig, dass diese Ernüchterung irgendwann einsetzt.

Man weiß, dass sich die ohnehin schwierige Situation des Tourismus in Tunesien nach den jüngsten Anschlägen weiter verschärft hat. Das Hotel, in dem Sie gedreht haben, wirkt aber geradezu auf surreale Art verwaist. Haben Sie das inszeniert?
Ben Attia: Nein, es war genau so. Wir haben zwar vor der Hauptsaison gedreht, die im Juli erst so richtig beginnt. Der Dreh war auch abgeschlossen, bevor es Ende Juni zu dem Attentat in Port El-Kantaoui kam. Aber schon der Anschlag auf das Bardo-Museum im März 2015 hatte zu einem erneuten Einbruch der Touristenzahlen geführt. Das Hotel war tatsächlich so gut wie leer.

Es scheint kaum vorstellbar, dass dort der Betrieb noch lange aufrecht erhalten werden kann.
Ben Attia: Das ist richtig. Allerdings wirkt dieser Kontrast im Film noch stärker, weil es sich um ein Hotel der Luxusklasse handelt. Wir haben da gedreht, weil sie uns die größten Rabatte gewährt habe. Es war für uns am billigsten, im Luxus-Hotel zu drehen. Aus ästhetischen Sicht war es noch interessanter, Hedi in diese Umgebung zu setzen, in einen Palast, nicht nur in irgendein Hotel.

In diesem Palast werden die wenigen Touristen mit einem Tanzprogramm zu einem sehr witzig klingenden Pop-Schlager auf Deutsch unterhalten. Ist der echt?
Ben Attia: (lacht) Nein, wir haben ihn extra für den Film produziert. (Singend) „Isch liebe Disch, isch brauche Disch…“ Er ist sehr billig gemacht und eher eine Satire auf das typische Animationsprogramm in solchen Hotels, in denen es eben lange Zeit sehr viele deutsche Touristen gab.

Auf staatlicher Ebene engagiert sich Deutschland in Tunesien heute, wie schon zu Zeiten des Diktators Ben Ali, vor allem bei der Ausbildung der Polizei. Welche Art von Engagement in Tunesien aus Deutschland oder der EU würden Sie sich wünschen?
Ben Attia: Ich glaube an den kulturellen Austausch, nicht nur weil ich selber in diesem Feld arbeite. Kulturelle Unterstützung wäre wichtig. „Hedi“ wird zum Beispiel in Frankreich von einem großen Verleih in die Kinos gebracht werden, in Belgien wahrscheinlich auch und ich würde mich sehr freuen, wenn er auch in Deutschland laufen würde. Ich würde mich auch freuen, wenn generell mehr arabische Filme hierher kommen. Aber letztlich ist es mir am wichtigsten, dass überhaupt gute Filme gemacht werden. Ich bin Araber und stolz darauf, aber in erster Linie bin ich cinephil. Ich liebe es, gute Filme zu sehen, egal ob sie aus China Dänemark oder sonst wo herkommen.

Mohammed Ben Attia mit Produzentin Dora Bouchoucha Fourati © Ali Ghandtschi / Berlinale

Mohamed Ben Attia mit Produzentin Dora Bouchoucha Fourati © Ali Ghandtschi / Berlinale


Stilistisch zeichnet sich „Hedi“ durch eine große Nähe zu seinen Hauptfiguren aus. Das erinnert an die Filme der belgischen Regisseure Jean-Pierre und Luc Dardenne, die Ihren Film auch co-produziert haben. Sind die beiden ein besonderer Einfluss für Sie?
Ben Attia: Ich liebe die Filme der beiden – allerdings auch nicht mehr, als andere Filme. Was mich da wie sehr beeinflusst, kann ich nicht sagen. Das sind eher unbewusste Prozesse. Meine Produzentin kennt die Dardennes schon lange und hat ihnen eines Tages mein Drehbuch geschickt. Sie haben es sehr gemocht, dann haben sie sich noch meinen letzten Kurzfilm angesehen und sind als Co-Produzenten eingestiegen. Darüber bin ich sehr glücklich, denn ohne solche Co-Produktionen ist ein tunesischer Film zur Zeit kaum finanzierbar.

Wie ist ansonsten die Situation für Filmemacher in Tunesien? Die Dokumentarfilmerin Nadia El Fani, die zur Zeit in Frankreich lebt, hat jüngst im Deutschlandradio erzählt, dass es immer noch für sie zu gefährlich wäre, nach Tunesien zurückzukehren.
Ben Attia: Nadias Geschichte ist allerdings viel komplexer, als bei mir. Sie hat mit ihrem Film „Laïcité, Inch’Allah!“ 2011 sehr sensible Punkte zu einem sehr sensiblen Zeitpunkt angesprochen. Damals war das Land sehr dünnhäutig und unsicher. Sie hat dann die Frage der Religion angesprochen, was zwar offiziell endlich erlaubt gewesen war, aber es hat doch sehr viele Menschen dazu gebracht, sehr scharf auf sie zu reagieren. Es kam zu einem Konflikt, der ihr gegenüber auch sehr gewalttätig war, was mich sehr bedrückt und beschäftigt hat.

Wird Ihr Film in Tunesien Probleme haben, etwa aufgrund seiner Liebesszenen?
Ben Attia: Nein, sicher nicht. Da hat sich auch schon einiges geändert. Mittlerweile werden Filme mit noch sehr viel heißeren Szenen bei uns zugelassen. Das Problem ist doch, dass man vor der Reaktion von Fundamentalisten nirgendwo auf der Welt mehr sicher sein kann. Aber es ist sehr wichtig, nicht die ganze Zeit daran zu denken. Man soll tun, was man will und sich nicht davon abhalten lassen. Wenn man die ganze Zeit in Angst vor Extremisten und Attentaten leben würde, könnte man gar nichts machen.

Hedi muss sich in Ihrem Film entscheiden, ob er in Tunesien bleiben will oder nicht. Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft nach Ihrem Erfolg auf der Berlinale? Werden Sie bleiben?
Ben Attia: Ja, auf jeden Fall! Ich arbeite gerade an meinem nächsten Langfilm. Das Problem ist, wenn ich eine Idee habe, verfolge ich sie obsessiv und will unbedingt weiter dran arbeiten. Ich fühle mich zwar sehr geehrt, auf der Berlinale zu sein. Aber langsam werde ich unruhig. Es wird Zeit, nach Hause zurückzukehren und mich wieder an den Schreibtisch zu setzen.

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