+++Tourtermine: Kurz vor Weihnachten ist das Moka Efti Orchestra noch hier live zu erleben: 13.12. Köln (Gloria), 14.12. Bremen (Schlachthof), 15.12. Ludwigsburg (Scala), 16.12. München (Werk 7), 17.12. Berlin (Huxleys) 18.12. Hamburg (Friedrich Ebert Halle)
Nikko und Mario, der Erfolg der Serie „Babylon Berlin“, für die auch das Moka Efti
Orchestra entstand, bezeugt eine nach wie vor ungebrochene Faszination für die Zeit der 20er und 30er Jahre. Was reizt euch an dieser Zeit musikalisch?
Weidemann: Kennst du die Aufnahme vom Carnegie Hall Concert von Benny Goodman, von 1938? Damals saß Gene Krupa am Schlagzeug und in „Sing Sing Sing“ reduziert er es an einer Stelle so, dass er nur noch gleichmäßig die Basstrommel spielt. In meinem musikalischen Kosmos war das das erste Mal, dass jemand die (später im Techno prägende) „4 on the floor bassdrum“ gespielt hat, und dann auch noch in diese riesige Halle hinein. Das fand ich faszinierend, bei der Recherche zu sehen, dass so etwas Einfaches, Rudimentäres immer schon da war.
Wie viel Retrospektive war notwendig für die Unternehmung Moka Efti Orchestra?
Weidemann: Ich hatte immer ein Faible für die 30er Jahre, habe dann aber zum Beispiel nochmal die Biografie von Marlene Dietrich rausgeholt. Und bei der Recherche habe ich festgestellt, dass wie Dietrich auch Alfred Lion (der später das Jazzlabel Blue Note gründete) in Berlin-Schöneberg geboren wurde. Lion hat mit 15 in Berlin im Admiralspalast eine sogenannte „Neger-Revue“ gesehen, mit dem Pianisten Sam Wooding und Musikern aus Harlem – und als er rausging, war er nicht mehr der gleiche. Solche Verbindungen zu entdecken, sich in den Kosmos dieser Zeit ‚reinzubeamen‘ ist ein Geschenk. Für das gesamte Team von „Babylon Berlin“ gab es auch alle zwei Wochen eine „Jour Fixe“, mit Filmvorführungen oder Vorträgen, zum Beispiel über die Frauenbewegung der 20er Jahre.
Kamien: Für unser zweites Album „Telegramm“ sind wir allerdings in den Jahrzehnten etwas weiter vorangegangen. Es gibt ein gewisses Faible für Klangkörper aus den 50er und 60er Jahren, Jazz-Orchester, Filmmusik, Komponisten wie Ennio Morricone, der Sound von Serge Gainsbourg – die haben uns bei „Telegramm“ auch beeinflusst. Die Affinität zu den 20er und 30er Jahren hat sich währenddessen schon tiefer abgelagert und kommt jetzt bei der ein oder anderen Nummer ganz selbstverständlich hervor.
Die Idee, von Musik leben zu können, ist im Zeitalter von Youtube und Spotify und deren Klecker-Abrechnungen absurd geworden.
Euer Debütalbum „Erstausgabe“ erschien im Februar 2020, als in Deutschland die ersten Corona-Beschränkungen kamen. Wie hart hat euch der Lockdown getroffen?
Kamien: Der erste Lockdown fand im ersten Drittel unserer damaligen Tournee statt, von 15 Konzerten haben wir vier gespielt, dann wurde der Stecker gezogen. Das hat der Band und dem Debütalbum natürlich nicht gut getan.
Wie seid ihr mit der erzwungenen Pause umgegangen?
Kamien: Wir haben uns zurückgezogen und sind dann die Flucht nach vorn angetreten – in dem wir neue Sachen geschrieben haben. Ich persönlich habe mich in der Corona-Zeit mehr oder weniger ganz auf die Musik konzentriert.
Jetzt geht ihr wieder auf Tour, erneut in unruhigen Zeiten…
Kamien: Ja, wir spüren jetzt zum einen den Kollateralschaden, den die Live-Branche durch die Pandemie erlitten hat, es gibt weniger Personal, viele Veranstalter haben aufgegeben usw. Zum anderen haben wir jetzt die Situation mit dem Ukraine-Konflikt, mit Inflation und Energieverknappung – das macht die Leute nicht entspannter. Insofern müssen wir gut überlegen, wie viele Live-Termine wirklich sinnvoll sind.
Zumal das Moka Efti Orchester eine recht große Besetzung ist.
Kamien: Mit Tourmanager, Licht- und Tontechniker sind wird etwa 20 Leute. Damit einen Break-Even zu erreichen ist natürlich schwieriger, als wenn wir nur zu dritt unterwegs wären.
Welche Sängerinnen und Sänger begleiten euch? Auf dem neuen Album „Telegramm“ sind ja einige Gäste am Mikrofon…
Kamien: Immer mit dabei ist Severija, sie ist sozusagen unsere ‚Grande Dame‘. Es ist aber auch angedacht, die anderen Gäste wie Friedrich Liechtenstein, Karsten Troyke oder Clemens Rehbein bei verschiedenen Konzerten dabei zu haben.
Rehbein ist ja vor allem bekannt als Sänger von Milky Chance. Wie habt ihr ihn dazu bekommen, die Jazz-Nummer „Last Chance Sweet Valentine“ zu singen?
Kamien: So etwas hat er tatsächlich noch nicht gemacht. Zustande kam das, weil es bei Nikkos Freundeskreis und dem Freundeskreis von Clemens Überschneidungen gibt. Wir haben ihn 2019 in Kassel getroffen, damals entstand die Idee – und im März 2022 haben wir dann schließlich mit ihm aufgenommen.
Als ihr euch die Szenen-Musik für „Babylon Berlin“ ausgedacht habt: Gab es da von Seiten der Regie eigentlich bestimmte Vorgaben?
Weidemann: Der Regisseur Tom Tykwer meinte zum Beispiel zu uns: Wie hätte „Relax“ von Frankie Goes to Hollywood 1920 geklungen?
Kamien: Als Team der „On screen-Musik“ haben wir einerseits ganz autark in unserem Studio gearbeitet, andererseits natürlich in Absprache mit den Regisseuren. Aber letztendlich konnten wir unser Süppchen zum größten Teil selbst kochen.
Gilt das auch für euren Hit „Zu Asche, zu Staub“?
Kamien: Ja, sonst wäre der Song wahrscheinlich nicht das geworden, was er ist. Allerdings war es bei diesem Song ein längerer Prozess, auch weil sich die betreffende Film-Szene ein Stückweit erst am Set so verdichtet hat.
Weidemann: Zuerst stand von dem Song nur etwa anderthalb Minuten, Strophe und Pre-Chorus. Aber dann kam Tykwer zu uns und meinte: „Ich brauche einen Refrain.“ Da merkte man, dass an diesem Stück viel hängt, dass darauf viele Aktien sind. Beim Schreiben habe ich mich dann selbst von ein paar Denkverboten befreit, zum Beispiel verwendet der Song die Doppeldominante, was eigentlich ein Klischee ist. Aber hier passte es genau.
Der Erfolg, der uns mit „Zu Asche, zu Staub“ passiert ist, so etwas kann man heute als Musiker auch gar nicht hoch genug einschätzen. Dass man einmal so einen Song hat…
…der einem, wie bei Klaus Doldinger die „Tatort“-Melodie, die Rente sichert?
Kamien: Naja, das gibt es so glaube ich nicht mehr. Wir können es noch nicht ganz abschätzen, was die Abrechnung betrifft, aber auch wenn man heute Musik fürs Fernsehen macht, da ist aus dem Füllhorn mittlerweile eher ein Hörnchen geworden.
Weidemann: Zum Lachen sind vor allem die Zahlen beim Musikstreaming. Die Idee, von Musik leben zu können, ist im Zeitalter von Youtube und Spotify und deren Klecker-Abrechnungen absurd geworden. Berlin ist eigentlich ein Prekariat von Musikern.
„Zu Asche, zu Staub“ gibt es inzwischen auch als Electro-Remix von Künstlern wie Solomun oder Parov Stelar. Könnt ihr dem etwas abgewinnen?
Kamien: Ich persönlich nicht. Wir sind aber beim „Babylon Berlin“-Soundtrack natürlich nicht die Chefs sondern Dienstleister. Die sind wir gerne, aber wenn dann diese Reflexe in der Vermarktungsebene kommen, können wir das nicht verhindern.
Weidemann: Den ein oder anderen Remix fand ich schon witzig. Und ich weiß auch, dass es fast unmöglich ist, „Zu Asche, zu Staub“ zu remixen. Aber es war eben der kommerzielle Reflex von der BMG, und da mussten wir die Bänder rausgeben.
Kamien: Ich bin zum Beispiel auch kein Fan von Electroswing und Künstlern wie Parov Stelar. Das Zitieren der Swing-Musik ist mir dort oft zu platt und zu eindimensional.
Könnte man sagen, Moka Efti ist euer Tanzorchester?
Kamien: Es kann schon ziemlich abgehen bei unseren Konzerten. Zum Beispiel als wir in Hamburg auf dem Reeperbahn-Festival gespielt haben, vor viel Laufpublikum: Die Leute kamen rein, wussten nicht, was sie erwartet, aber schon nach wenigen Minuten hat es angefangen zu kochen. Die Musik hat zum Teil viel Tempo, wie der Hotjazz damals, sozusagen der House oder HipHop der 20er Jahre. Jazz und Swing war damals noch keine verkopfte Musik wie später bei John Coltrane. Und diese Form des Swing hat hundert Jahre später noch genauso viel Energie.
Angesichts des Kriegs an den Grenzen Europas und der aktuellen Wirtschaftskrise: Seht ihr Parallelen zwischen den 1920er und 2020er Jahren?
Kamien: Ich finde es schwierig, die damalige Zeit aus dem heutigem Blickwinkel heraus zu definieren oder zu beurteilen – schließlich leben wir heute in einem ganz anderen Kontext. Trotzdem lassen sich Parallelen erkennen, zum Beispiel was die Radikalisierung anbelangt. Es gibt heute wieder ein sehr starkes Schwarz-Weiss-Denken, damit habe ich in den letzten zweieinhalb Jahren wirklich ein Problem gehabt: dass es fast so einen moralischen Bekenntniszwang gab und gar keinen Diskurs mehr. Die Stimmung damals war sehr explosiv… – und auch wenn wir uns es nicht vorstellen möchten, kann sich die Spirale auch heute noch weiter drehen. Ob die Rede von Atomwaffen nun eine Angstmache ist oder nicht: allein die Tatsache dass die Atombombe heute fast schon ein geflügeltes Wort ist, ist schon Wahnsinn! Wir leben auf jeden Fall in drastischen Zeiten.
Könnte man sagen, ihr begleitet den ‚Tanz auf dem Vulkan‘ musikalisch?
Kamien: Das ist natürlich so ein Klischee. Das Schöne an der Band ist, dass es für uns Musiker immer eine große Freude ist, zusammen zu spielen. Und ich denke, das überträgt sich auf das Publikum. Für mich ist es Seelennahrung, eine gute Medizin. Und manchmal tanzen wir dann vielleicht auch am Rande des Vulkans.
Euren Namen habt ihr von dem Lokal „Moka Efti“ aus „Babylon Berlin“, das es auch in Wirklichkeit gab.
Weidemann: Ja, es gab sogar zwei Moka Eftis in Berlin. Außerdem gab es eine Kaffeemarke und Moka Efti-Kaffeemaschinen in den 20er Jahren – das war damals schon ein Franchise. Und X-Filme, eine der Produktionsfirmen von „Babylon Berlin“, hat von einer Kaffeefirma in Italien die Lizenz erworben, um den Namen im Film nutzen zu dürfen.
Und ihr zahlt jetzt auch Gebühren nach Italien?
Weidemann: Nein. Wir haben uns die Rechte an diesem Namen im Musikbereich gesichert.
Ihr habt in der Vergangenheit in unterschiedlichen Formationen Musik gemacht, Mad Romeo, Nikko & The Passion Fruit bzw. Dzihan & Kamien. Wie seid ihr für die Arbeit am Moka Efti Orchestra zusammengekommen?
Kamien: Wir kennen uns schon sehr lange. Und unabhängig von der Stilistik sind wir Brüder im Geiste…
Weidemann: Es gibt eine große Schnittmenge bei dem, was wir musikalisch gut finden.
Kamien: Letztendlich geht es um die Substanz und wenn die den Zuhörer fühlen lässt, dann ist es eigentlich zweitrangig, in welcher Stilistik man gerade arbeitet.
Weidemann: Ich war musikalisch schon in sehr verschiedenen Feldern unterwegs. In den 70er Jahren kam ich durch meinen älteren Bruder zu Musik von Rory Gallagher oder Deep Purple. Dann hatte ich mit 17 eine Begegnung mit Frank Zappa, die mich stark beeinflusste, mit Anfang 20 kam ich nach Berlin, wo ich verschiedene Bands gegründet habe… Was sich immer durchgezogen hat, war der Wunsch, ein Zuhause für meine Songs und für meine Stimme zu finden. Inkonsequenter Weise habe ich mich dabei dem Markt immer wieder verweigert, habe ein Projekt beendet und etwas Neues aufgemacht. Eine gewisse Form von Destruktivität steckte da für mich auch drin. Und ich konnte mich lange nicht in Deutschland verorten, weshalb ich lange in den USA war. Ich dachte: Wenn ich englisch singe, was will ich damit in Deutschland?
Als ich aus den USA zurückkam habe ich mich dann unter anderem mit Filmmusik beschäftigt, Filmsongs geschrieben… Und dann kam Tom Tykwer und drückte mir die Kladden der Drehbücher von „Babylon Berlin“ in die Hand. Er ist ja ein Musik-Nerd, er ist auch früher zu meinen Konzerten gekommen, er hat verstanden, dass da einer ist, der prekär begabt rumgravitiert. Und er hat uns einfach vertraut.
Jetzt haben wir haben ein ganzes Orchester, ein modulares Gebilde, mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, über das wir total froh sind. Daneben mache ich aber auch noch meine eigenen Platten, meinen Theaterabend, Musik für andere Filme…
Ist das Moka Efti Orchestra für dich ein ähnliches Ventil wie deine früheren Bands?
Weidemann: Nein, ich glaube nicht. Es ist Ventil für meine Ideen. Aber für mich als Sänger, für das was ich tief drin am meisten bin oder sein will, da sehe ich Moka Efti nicht in erster Linie. Hier singen neben mir ja auch noch Severija, Moritz Krämer oder Mario.
Aus der „Babylon Berlin“-Serie ist das Orchester inzwischen verschwunden…
Kamien: Richtig, wir haben noch ein bisschen für die dritte Staffel gemacht, aber das Lokal Moka Efti gibt es da schon nicht mehr.
Nikko, du hast 2009 das Solo-Album „Schöne Schmerzen“ veröffentlicht. Braucht es den Schmerz, um schöne Musik machen zu können?
Weidemann: Wir bekommen ja die Kinder nicht, sondern die bekommen die Frauen. Und ohne Schmerzen kommen die Kinder nicht auf die Welt, in 99,9% der Fälle.
Wir müssen unseren Phantomschmerz irgendwie kreieren, die Natur gibt uns da eine andere Rolle. Den Titel habe ich übrigens von Nena, die sagte mir damals, ich könnte doch mal einen Song über schöne Schmerzen machen. Es war also eine Frau, die mir diese Idee gegeben hat – und ich empfand das als ein schönes Bild.
Und abseits des Geburtsschmerz? Es heißt ja oft, dass aus einem erfüllten, glücklichen Leben keine interessante Kunst entsteht.
Kamien: Ich denke, das ist ein Klischee. Es gibt immer eine Motivation, warum man sich versucht in einer Form auszudrücken – und Schmerz ist ein sehr starkes Gefühl. Wenn du kreativ arbeitest ist das natürlich ein Katalysator. Aber ich denke, dass auch durch positive Gefühle Kunst entstehen kann, siehe „Freude, schöner Götterfunken“…
Weidemann: … oder „Happy“ von Pharrell, das ist schon große Kunst. Wobei auch dieser Song, glaube ich, den Schmerz als menschliche Grunderfahrung voraussetzt. Wenn Pharrell vor uns steht und das singt, dann singt er es ja auf der Basis dessen, was wir alle wissen: dass der Himmel grau ist. „Clap along if you feel“, sprich wenn du die Kraft hast, so positiv zu denken. Ohne die Vorstellung, dass es menschliches Leiden gibt, ist das Glücksgefühl, das dieser Song ausstrahlt, nicht zu erklären.