Ross, kannst du zunächst etwas über die Anfänge von Morcheeba erzählen? War das damals eine besondere Entscheidung, dass du mit deinem Bruder zusammen Musik machst?
Ross Godfrey: Also, ich mache mit meinem Bruder schon Musik seit ich 10 Jahre alt bin und ich glaube nicht, dass man in dem Alter schon Karriere-Entscheidungen fällt. Mein Bruder hat früher sehr viel HipHop gehört, ich dagegen mehr Gitarrenbands. Ich wollte auch immer Gitarrist werden und mein Bruder hat dann zu HipHop meine Gitarrenriffs gesampelt … Und irgendwann sagten wir uns: lass uns richtige Songs spielen.
Paul war auch immer schon gut im organisieren – er war sogar Schülersprecher auf seinem College – und er konnte gut Bands zusammenbringen. Er hat Gigs organisiert, dafür Werbung gemacht, machte den DJ, spielte die Drums, ich spielte Gitarre. Dann bekamen wir auch andere Leute in unsere Band, was uns genervt hat, weil wir wollten die Instrumente alle selbst spielen. Wir brauchten eigentlich keine Band. Wir mussten nur einen Sänger finden, der unsere Texte singen würde. Und das haben wir seitdem gemacht: Leute suchen, die unsere Songs singen.
Vor der Aufgabe standet ihr ja nun vor einem Jahr, als eure einstige Sängerin Skye Edwards die Band verlassen hat. Wie findet man denn heutzutage einen Sänger?
Godfrey: Oh, das ist die schwierigste Sache der Welt.
Durch eine Zeitungsanzeige?
Godrey: Nein, niemals. Der einfachste Weg, die schlechtesten Demos in der ganzen Welt zu bekommen, ist, eine Anzeige in einer Zeitung aufzugeben. Was dann plötzlich alles in deinem Briefkasten landet – unglaublich!
Ihr habt das ausprobiert?
Godfrey: Ja, einmal, und das war grausam. Viele dieser komischen Sänger schicken dir dann auch noch Polaroid-Fotos von sich, á la „das bin ich in der Küche, das bin ich im Badezimmer“ usw.
Und wie macht man es dann richtig?
Godfrey: Man muss einfach stets seine Ohren offen halten. Als wir unsere erste Sängerin Skye Edwards kennen lernten, war sie eigentlich keine Solo-Sängerin. Sie hat in einer Band nur die Backround-Vocals gemacht und sich ansonsten mehr mit Mode und solchen Dingen beschäftigt. Wir haben sie aber gebeten, auf einem unserer Demo-Songs mitzusingen: das war „Trigger Hippie“ und wurde unser erster Hit . Von dem Punkt an war Daisy unsere Sängerin, die mit uns auf die Bühne ging, obwohl sie eigentlich nie live singen wollte. Die besten Sänger sind sowieso Leute, die gar nicht glauben, dass sie selbst Sänger sind.
Wie kam nun die Neue, Daisy Martey zur Band?
Godfrey: Eigentlich haben wir erst nach einer Männerstimme gesucht, aber gute Sänger sind so schwer zu finden: die meisten können zwar im Takt und in der richtigen Höhe singen, aber ihre Stimmen haben keinen Charakter. Durch einen glücklichen Zufall fiel uns dann eine CD der Band „Noonday Underground“ in die Hände, in der Daisy gesungen hat. Wir mochten ihre Stimme sehr, die klingt so, als wäre sie in einer Zeitmaschine aus den 60ern direkt in die Gegenwart gereist, ganz außerordentlich.
Wie viel Zeit am Tag beschäftigst du dich mit Musik?
Godfrey: Ich höre sehr viel Musik, eigentlich den ganzen Tag. Ich bin jeden Tag acht bis zehn Stunden im Studio, dann komme ich nach Hause, wo ich weiter Musik höre oder ich gehe abends noch auf ein Konzert. Also eigentlich höre ich jede Minute, die ich wach bin, Musik. Ich mache das aber nicht immer nur, um neue Dinge zu entdecken, sondern vor allem auch zum Spaß. Es wäre ja auch blöd, wenn man sich bei jeder CD überlegt, ob das jetzt ein guter Sänger für uns wäre. Wenn ich das machen würde, dann würde ich wahrscheinlich bei jeder CD „Nein“ sagen und sie nach wenigen Sekunden ausmachen.
Wie läuft eigentlich die Arbeitsteilung bei Morcheeba?
Godfrey: Mein Bruder schreibt alle Texte, ich mache den größten Teil der Musik und Daisy bringt natürlich auch ihre Ideen und Melodien mit ein.
Und wie groß ist da der musikalische Output?
Godfrey: Wir schreiben sehr viel Musik, es gab auch eine Menge Songs, die wir nicht auf das neue Album genommen haben. In letzter Zeit haben wir zum Beispiel viel experimentelle elektronische Musik gemacht, die aber nicht zum Album gepasst hätte. Vielleicht werden wir das später mal unter anderem Namen veröffentlichen. Außerdem produzieren wir noch eine ganze Reihe anderer Musiker. Wenn wir also einen Track haben, der nicht richtig zu Morcheeba passt, dann passt er vielleicht zu einem anderen Musiker.
Ich habe mir mal in Vietnam eine Morcheeba-Bootleg-CD gekauft, da war auf dem Cover eine Frau mit blonden Haaren zu sehen. Da haben wir uns gefragt: Wer ist das?
Das neue Album „The Antidote“ klingt nun mehr nach handgemachter Musik, als nach Elektronik.
Godfrey: Ja, das meiste nehmen wir auch live auf, bis auf ein paar Samples, die wir hier und da einbauen. Deshalb klingen unsere Konzerte in der Regel auch so wie unsere Alben. Wir haben aber auch früher nie besonders viel mit Sequenzern gearbeitet. Mein Bruder hat zwar manchmal Beats mit dem Computer programmiert, aber das haben wir irgendwann sein gelassen, weil diese Programmiererei irgendwann nur noch genervt hat und wir gemerkt haben: es ist viel einfacher, die Drums selbst zu spielen.
Ist es eigentlich anstrengend, wenn man immer gemeinsam mit dem eigenen Bruder Musik produziert?
Godfrey: Nein, mein Bruder und ich kommen sehr gut miteinander aus. Nur wenn es dann auf das Ende einer Album-Produktion zugeht und wir die Songs aufnehmen, wird es manchmal schwierig: dann will Paul meinetwegen die Drums lauter haben, ich aber die Gitarre, oder es ist genau umgekehrt, dass er die Gitarre lauter haben will… und dieses Spielchen treiben wir dann so weit, bis es einfach nicht mehr lauter geht. Aber wir streiten uns eigentlich nie, wir haben nur manchmal künstlerisch unterschiedliche Meinungen. Wir sind ja auch sehr unterschiedliche Typen.
Inwiefern?
Godfrey: Mein Bruder ist sehr leicht erregbar, er wird manchmal etwas laut – ich bin da eher der weiche Typ und schreie nicht so viel. Wir bilden oft Gegensätze zueinander, wenn er die eine Meinung vertritt, vertrete ich die andere, auch wenn ich ganz einfach seine Meinung vertreten könnte. Aber es ist auch gut, dass wir diese Gegensätze haben. Wir gehen die Dinge dadurch meistens von unterschiedlichen Ecken an. Alleine Musik zu machen ist ja viel schwieriger, weil du dann niemanden hast, mit dem du Ideen austauschen kannst. Oft weißt du ja nicht, ob dein letzter Einfall nun genial oder total sinnlos ist.
Und das Resultat eures Gedankenaustausches heißt dann „Morcheeba“.
Godfrey: Genau, Morcheeba ist so ein Ding zwischen mir und meinem Bruder. Zum Beispiel, nachdem wir die letzte Morcheeba-Tour hinter uns hatten, spielte ich in London in einer Rockband, die so klang wie „The Stooges“, mein Bruder hat zur gleichen Zeit HipHop gemacht, also ganz etwas anderes. Und als wir dann wieder zusammenkamen, um eine neue Morcheeba-Platte zu machen, wurde das etwas in der Mitte zwischen uns. Wir haben aber auch viele gemeinsame Interessen, zum Beispiel hören wir beide gerne Folk-Musik. Da gibt es in England gerade diese „Folktronica“-Welle, ein Mix aus Folk und elektronischer Musik. Oder wir hören gerade sehr viel osteuropäische Volksmusik. Wir kaufen uns zum Teil auch ganz komische Instrumente und versuchen, darauf zu spielen, um neue Sounds zu kreieren. Weil wir von den elektronischen Instrumenten sehr gelangweilt sind. Wenn du ein Keyboard kaufst und nur die programmierten Klänge benutzt – das kann ja jeder machen. Nein, du musst deine eigenen Sounds herstellen. Zum Beispiel mit so richtig alten Synthesizern, die mit den vielen Knöpfen, wo man den Oszillator mit dem Filter verbinden muss um meinetwegen Hall auf den Klang zu kriegen. So was finde ich aufregend, weil da hast du noch einen originalen Klang. Da ist es auch unmöglich, den gleichen Sound ein zweites Mal zu reproduzieren. Wenn du das Gerät am nächsten Tag wieder einschaltest wirst du den Klang nicht wieder so hinkriegen, dafür gibt es zu viele variable Parameter… Manchmal machen wir Musik, indem wir irgendwie diese Knöpfe auf dem Synthesizer drücken, und wir nehmen das sofort auf. Weil wir meistens gar nicht wissen, wie genau wir nun welchen Klang produziert haben. Das meiste, was wir machen, entsteht aus solchen Experimenten, aus glücklichen Unfällen. Du musst halt nur die Fähigkeit besitzen, diese guten Momente am Ende rauszupicken. Als Produzent musst du einfach nur imstande zu sein, die wirklich guten Stellen aus dem ganzen Müll herauszufischen.
Aber diese „Unfälle“ – habt ihr die ständig, oder gibt es auch Zeiten, wo einfach keine passieren?
Godfrey: Es gibt schon Tage, wo sie nicht passieren und dann ist das wie eine Durststrecke, wie eine Unfall-Schreibblockade. Und manchmal ist es auch so, dass wir genau wissen, was wir wollen und das ist dann auch langweilig. Denn wenn du genau weißt was du willst, und am Ende alles genau so klingt, wie du dir es vorgestellt hast, dann gibt es keine Überraschungen mehr.
Kleiner Themensprung: Ich war kürzlich in Russland und habe mir dort eure komplette Diskographie gekauft. Auf einer einzigen Mp3-CD, für knapp drei Euro.
Godfrey: Oh, wow! Ich meine, das ist schon komisch. Wobei, ich habe mal in Vietnam so eine Morcheeba-Bootleg-CD gekauft. Und dann war da auf dem Cover eine Frau mit blonden Haaren zu sehen. Da haben wir uns gefragt: wer ist das? Die singt doch nicht in unserer Band, oder?
Aber so richtig frustriert scheinst du angesichts dieser Raubkopiererei auch nicht zu sein.
Godfrey: Nein. Mir ist es lieber, wenn die Leute unsere Musik von Raubkopien hören, als wenn sie sie gar nicht hören. Wir machen Musik ja nicht in erster Linie für das Geld. Wir möchten nur so viel Geld mit der Musik machen, das wir davon ein nächstes Album finanzieren können. Also, ich habe auch kein großes Problem damit, wenn die Leute unsere Musik aus dem Internet herunterladen.
Lädst du selbst auch Musik aus dem Internet herunter?
Godfrey: Nein, ich habe ehrlich gesagt noch nie Musik runtergeladen. Zum einen weiß ich nicht wirklich, wie das geht, zum anderen finde ich Musik auf dem Computer nicht besonders sexy. Ich kaufe mir vor allem Platten. Ich habe auch einen CD-Player und viele Leute geben mir andauernd irgendwelche CDs – aber ich höre die eigentlich nie an, außer vielleicht mal im Auto. Die meiste Zeit höre ich Vinyl.
Wird das neue Album also auch auf Vinyl zu kaufen sein?
Godfrey: Ja, aber vorher ist sind bereits drei Remixe von der Single „Wonders Never Cease“ von Black Grass, den Chicken Lips und den Soul Seekerz auf Vinyl erschienen, die sehr gut in die englischen Clubcharts eingestiegen sind. Da muss man ja auch Glück haben. Weil manchmal ist das mit den Remixen frustrierend, wenn man von den Produzenten für etwa 2000 Pfund nur Müll bekommt. Remixing ist wirklich eine hohe Kunst und viele Produzenten nehmen einfach das viele Geld und geben dir Müll zurück. Es gibt zum Beispiel diese CD von Aphex Twin, „26 Mixes For Cash“ und ich glaube, die waren wirklich mehr für „cash“ als dass er da mit ganzem Herzen bei der Sache gewesen wäre. Der David Bowie Remix ist jedenfalls das Schlechteste, was ich je gehört habe, das tut richtig weh in den Ohren.
Aber ich hatte auch mal ein richtig gutes Erlebnis mit Aphex Twin, auf einem Festival in England. Das waren die besten zwei Stunden Musik, die ich je gehört habe, unglaublich. Ich weiß nicht, ob ich da zu viele Magic Mushrooms gegessen hatte, aber es war so, als wenn selbst die Lautsprecher angefangen hätten, zu tanzen. So ungefähr habe ich mir immer vorgestellt, wie es wäre, Jimi Hendrix live zu sehen. Aphex Twin ist der Mozart der elektronischen Musik.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Godfrey: Da gäbe es mehrere. Peter Griffin aus dem „Familiy Guy“-Cartoon zum Beispiel, der große, dicke Typ, der sich für nichts schämt. Aber meine Lieblingsfigur ist wahrscheinlich Hong Kong Fui. Das ist so ein lieber Hund, der aber richtig Karate drauf hat.