Herr Bleibtreu, in „Elementarteilchen“, Ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Oskar Roehler, spielen Sie, wie schon in „Agnes und seine Brüder“ einen Mann, dessen Sexualleben gestört ist. Sind das Rollen, die Sie besonders interessieren?
Bleibtreu: Nein, das war purer Zufall. Ich war am Anfang auch unentschlossen, ob ich die Rolle annehmen soll, und habe lange mit der Entscheidung gerungen. Meine Befürchtung war, dass die Rolle des Bruno lediglich eine Wiederholung dessen sein könnte, was ich bei „Agnes und seine Brüder“ gemacht habe. Andererseits ist es ein Luxus, solch eine Rolle angeboten zu bekommen, und es war letztlich ein Riesenspaß, sie zu spielen.
Sie haben mal gesagt, dass Sie den Arbeiten von Oskar Roehler skeptisch gegenüber stehen. Hat sich das mittlerweile gelegt?
Bleibtreu: Es gibt nach wie vor Geschichten, die ich auch mit Oskar nicht verfilmen würde, und andere, die mich total interessieren. Das war bei „Agnes und seine Brüder“ so und auch bei „Elementarteilchen“. Als ich zum ersten Mal von dem Projekt gehört hatte, dachte ich: Das ist unmöglich, das geht nicht, zumindest nicht so, dass es mir gefällt. Und siehe da – es ging doch. Oskar ist mit der Drehbuchbearbeitung ein kleiner Geniestreich gelungen. Jeder, der den Roman kennt, wird wissen, wie schwierig es ist, daraus eine Storyline zu entwickeln. Ich bin auch ein großer Freund davon, dass wir uns dazu entschieden haben, den Film mit etwas mehr Glauben an das Gute im Menschen auszustatten als der Roman.
Worin bestehen Ihrer Ansicht nach die wesentlichen Abweichungen von der literarischen Vorlage?
Bleibtreu: Die ersten zwei Drittel des Films sind eigentlich deckungsgleich mit dem Roman. Gut, der Film verliert sich nicht in pornografischen Darstellungen, wie es Monsieur Michel auf jeder dritten Seite tut. Ansonsten wird die Geschichte aber erzählt. Eigentlich weichen wir erst im letzten Drittel, in dem er mit den Figuren abrechnet und den neuen Menschen erschafft, von der Geschichte ab. Wir wollten keine Liebesgeschichte etablieren, die dann nach drei Minuten im Tod endet. Ich finde es gut, dass wir uns diese Freiheit genommen haben und Herrn Houellebecq ein bisschen Romantik verpasst haben. Mir war das zu fatalistisch und ich glaube auch, dass das filmisch gar nicht funktioniert hätte. Provokation ist in der Literatur ein super Mittel, weil der Leser immer die Möglichkeit hat, zu reflektieren und das Buch wegzulegen. Das funktioniert bei einem Film nicht. Wenn ich einmal draußen bin, komme ich nicht mehr rein.
Aber ist es nicht absurd: Man hat einen Regisseur wie Oskar Roehler, der als Provokateur bekannt ist, hat ein Buch, das provoziert, und schwächt den Stoff dann doch ab?
Bleibtreu: Die Frage ist, ob der Zweck wirklich in der Provokation bestehen muss. Den Erfolg des Buches macht meiner Meinung aus, dass es einer geschafft hat, in einer einzigen Geschichte alle elementaren Aspekte des Lebens zu behandeln. Und das tut der Film auch. Natürlich nicht in der extremen Form wie das Buch. Man kann nun stundenlang darüber diskutieren, ob das richtig oder falsch ist. Ich denke aber, dass wenn man den Film so extrem erzählt hätte wie das Buch, man schnell bei so etwas wie „Baise-moi“ oder „Eine pornografische Beziehung“ gelandet wäre. Und dann findest du dich plötzlich auf Leinwänden wieder, wo du nie hin wolltest.
Hat sich Houellebecq eigentlich zur Verfilmung geäußert?
Bleibtreu: Das interessiert den nicht im Geringsten. Ich glaube, der interessiert sich überhaupt nicht für Menschen. Das ist auch ein Grund dafür, warum ich in vielen Dingen nicht mit ihm konform gehe. Bei allem Pessimismus und bei allem, in dem ich ihm Recht gebe, bin ich doch Idealist. Ich weigere mich einfach, bestimmte Dinge so zu sehen. Ich bin zwar nicht gerade ein Optimist, trotzdem ist mein Glas immer eher halbvoll als halbleer.
„Elementarteilchen“ setzt sich mit den männlichen Befindlichkeiten in unserer Zeit auseinander. Finden Sie sich selbst darin wieder?
Bleibtreu: Nicht im Sinne einer Identifikation, sondern im Sinne der Intelligenz. Mich hat die gestochen scharfe Intelligenz fasziniert. Houellebecq setzt Dinge in Beziehung zueinander, auf die ich nie gekommen wäre. Er schlägt Brücken, die ich nie geschlagen hätte und weiß verdammt genau, wie schlau er ist. Ich finde es phänomenal, dass jemand mit einem Schlag eine soziophilosophische Erklärung für die letzten 40 Jahre gibt. Gleichzeitig wehre ich mich gegen den Fatalismus und den leicht koketten Zynismus, zum Beispiel auch in seinem neuen Buch „Die Möglichkeit einer Insel“. Da sage ich mir: Junge, du erzählst die ganze Zeit aus der Perspektive der Leute, die auf der Schattenseite geboren sind, stehst selbst aber seit 15 Jahren auf der Sonnenseite und hast vorab eine Million Euro für deinen neuen Roman bekommen. Wann fängst du an, von der anderen Seite zu erzählen?
Die Schatten- und Lichtseiten – ist das nicht auch ein Thema, dass einen als Schauspieler bschäftigt? Einerseits steht man im Rampenlicht und geht über den roten Teppich, andererseits taucht man für eine Rolle in problematische soziale Milieus ein?
Bleibtreu: Das ist ein schwieriges Thema und erinnert mich an „Unschuldsengel“, ein Fernsehfilm, den ich mal mit Rainer Kaufmann gemacht habe. Es geht darin um Junkies und das Drogenmilieu. Wir haben im Hamburg am Hansaplatz in St. Georg gedreht und Jürgen Vogel musste eine Szene spielen, in der er gerade Stoff genommen hat. Zwei Ecken weiter standen die echten Brüder, die gefroren haben und nichts zu essen und nichts zu drücken hatten. Das war ein bizarres Bild.
Im vergangenen Jahr haben Sie für „München“ mit Steven Spielberg gedreht? Wie kam es dazu?
Bleibtreu: Das war wie in einem schlechten Film. Er hat einfach meine Agentur angerufen, ich bin nach Paris geflogen und er hat mich besetzt. Das ging alles relativ schnell. Er hatte so ziemlich alle meine Filme gesehen, zumindest die wichtigen und die es aus Deutschland herausgeschafft haben. Der kannte sogar „Luna Papa“. Im Ausland ist die Wahrnehmung ja ganz anders als in Deutschland, wo wir uns gern klein machen und uns alle nicht richtig leiden können. Dort gibt es tatsächlich Menschen – man mag es nicht glauben –, die finden das gar nicht so schlecht, was wir machen. Zu diesen Leuten gehört auch Herr Spielberg.
Das hat sich in den vergangenen Jahren aber doch gebessert?
Bleibtreu: Vor 15 Jahren gab es gar keine deutschen Kinofilme. Und jetzt machen wir mittlerweile über 70 Kinofilme im Jahr, von denen allein vier im Wettbewerb der Berlinale gelaufen sind. Das ist doch was. Für mich gab es sowieso immer eine relativ kontinuierliche Entwicklung. Natürlich wurden auch immer mal wieder schlechte Filme gemacht. Aber das ist überall so. Der große Unterschied ist nur, dass die Amerikaner nicht über Flops schreiben, sondern über Erfolge. Bei uns ist es umgekehrt