Moritz Bleibtreu, Ihr erster Film als Produzent ist ein Gangster-Film. Allerdings tut man sich mit dem Genre-Kino hierzulande schwer. Warum ist das so?
Bleibtreu: Das hat vor allem etwas mit der Größe des Budgets zu tun. Mit Ausnahme der Komödie, die durch ihre lokale Power erfolgreich sein kann, durch die Sprache und gemeinschaftlichen Witz, leben alle anderen Genres vom ‚Production Value‘. Du kannst mit kleinem Budget keinen großen Indianerfilm drehen – auch wenn Bully Herbig das sehr gut gemacht hat damals. Aber „Der Schuh des Manitu“ ist halt auch eine Komödie.
Wenn man in den Bereich Thriller oder Science-Fiction schaut, wird es ganz schnell ganz dünn. An der Kinokasse kosten die Filme ja das Gleiche, aber in der Herstellung liegen sie viele Millionen auseinander. Deswegen hat das Genre-Kino bei uns einen schweren Stand. Zumal es konkurrieren muss mit etwas, was für uns seit Kindestagen völlig normal ist: dem Hollywood-Kino.
Einem Hollywood-Thriller traut das Publikum wahrscheinlich mehr zu als einem aus Deutschland.
Bleibtreu: Wir erlauben dem Hollywood-Kino die Distanz zur Realität, Hollywood-Kino darf unterhalten ohne sich rechtfertigen zu müssen. Bei uns ist es dagegen so: Wenn eine Geschichte Berührungspunkte mit sozialen oder politischen Themen hat, zum Beispiel wenn es um Minderheiten geht, trauen wir uns nicht mehr so wirklich darüber zu lachen. Damit tun wir uns in Deutschland unheimlich schwer. Was sehr schade ist, weil es das Entertainment wahnsinnig ausbremst. Den lockeren Umgang mit dem Geschichten-Erzählen erlauben wir uns irgendwie nicht, warum auch immer.
Nun hat Ihr Film mit dem Banden-Milieu in Frankfurt einen durchaus realen Bezugspunkt.
Bleibtreu: Aber in seiner Anlage ist „Nur Gott kann mich richten“ ein absoluter Genre-Film. Wir wollten nicht den x-ten Film drehen, der mit verwackelter Handkamera um Authentizität ringt, nicht zum x-ten Mal darüber reden, wie schwer es die Schwarzköpfe in Kreuzberg ’36 haben, wie schwer es ist mit der Integration und dieser ganze Kram.
Sondern das ist ein Film, der wirklich unterhalten will, der sich traut, ein Genre-Film zu sein, ein Film über eine Mutter, die ihr Kind retten will, über einen jungen Mann, der sich und seinen Vater retten will, über Helden, die Träume und Ziele haben, die das Richtige wollen und das Falsche tun.
In vielen anderen Ländern wird so ein Film viel einfacher als das angenommen was er ist, und nicht fast schon zwanghaft verklärt in eine dann doch politische Geschichte. Hierzulande ist es so, als müsste es für so einen Film eine soziale oder politische Rechtfertigung geben. Und das sehe ich anders. Ich finde es toll, wenn Kino politisch ist und sein will, aber ich finde es genauso geil, wenn Kino einfach nur unterhalten will, man mit den Helden mitfiebert und leidet und in anderthalb Stunden etwas erlebt hat.
Hollywood-Kino darf unterhalten ohne sich rechtfertigen zu müssen.
Hat Sie auch der Erfolg der Serie „4 Blocks“ ermutigt, diesen Film zu machen?
Bleibtreu: Wir haben ja quasi zeitgleich gedreht. Uns hat es gefreut, dass die etwas ‚Ähnliches‘ machen. Für Gangster-Geschichten ist jetzt ein Markt da. Noch vor ein paar Jahren ist dieser Markt verleugnet worden, man hat den immer so ein bisschen unter den Teppich gekehrt. Man wusste zwar, dass die Kinder Bushido hören, aber man hat das so ein bisschen ignoriert. Inzwischen hat dieser Markt aber eine solche Größe erreicht, dass er nicht mehr übersehen werden kann. Und wo ein Markt ist, ist ein Produkt.
Im Presseheft zum Film schreiben Sie, Gangsterfilme hätten „im deutschen Kino einen schweren Stand“, sie würden oft daran scheitern, „dass sie nicht die Sprache der Straße sprechen, ihnen fehlt die Authentizität“. Wie haben Sie bei diesem Film für Authentizität gesorgt?
Bleibtreu: Das hat am Ende auch viel mit den Leuten vor der Kamera zu tun, von denen ja nicht alle Schauspieler sind. Es ist eine relativ gesunde Mischung aus Schauspielern und Vögeln von der Straße, die dieses Leben genau kennen.
Unser Film unterscheidet sich von vielen deutschen Filmen in diesem Genre, die oft nicht die Sprache treffen, weil sie die Geschichte aus einer Mehrheitsperspektive erzählen. Man schaut auf dieses Milieu und sagt: ‚Da sind diese Schwarzköpfe, die machen das so und so und wir erzählen das jetzt aus der Mehrheitsperspektive, wie wir das empfinden und das wahrnehmen.‘
Diese Distanz hat es unmöglich gemacht, dass die Jungs, über die wir da erzählen, selber sagen: Das finden wir geil. Das ist der Unterschied in der Erzählweise: Wir machen das nicht über diese Jungs, sondern für sie. Und ich glaube, das spüren die und deswegen werden sie den Film gucken, hoffe ich.
Jugendliche können den Film erst ab 16 sehen. Gab es Überlegungen – auch aus Produzentensicht – den Film so zu gestalten, dass er auch ab 12 Jahren freigegeben werden kann?
Bleibtreu: Die Frage ist absolut legitim und noch vor fünf Jahren hätte man sie sofort mit Ja beantwortet. Man hätte vermutlich alles dafür getan, das so hinzubekommen – was aber vermutlich dazu geführt hätte, dass der Film entweder nicht zustande kommt oder nicht gut wird.
Wir haben im Kino immer das Problem, dass wir versuchen, die Zielgruppe möglichst zu dehnen, damit am Ende genug Leute ins Kino gehen. Das ist okay, solange man sich dadurch nicht komplett inhaltlich korrumpiert.
Die Streamer haben dieses Problem nicht, die können nach einem Genre-Angebot arbeiten, wie in der Literatur. Es gibt vielleicht in Deutschland alleine nicht genug Leute, die sich für Thema X interessieren, aber weltweit ist das Publikum ausreichend. Das heißt, du kannst als Streamer zu 100 Prozent in der Sprache dieses Special Interest-Genres erzählen. Du musst nicht Rücksicht darauf nehmen, ob den Film dann zum Beispiel auch Frauen gucken, weil du ja sagen kannst: Nein, für die Frauen bieten wir etwas Anderes an. Die Streamer leben von dieser Genre-Vielfalt.
Aber nochmal die Frage: Hätte man Ihren Film weniger brutal gestalten können?
Bleibtreu: Ich glaube nicht. Wobei ich auch nicht finde, dass der Film ausstellerisch mit Gewalt umgeht. Im Gegenteil, wenn ich mir die Marvel-Filme der letzten Jahre angucke, im Vergleich zu einem „Deadpool“ machen wir gar nichts. Die Gewalt in unserem Film ist mehr psychologisch, emotional – mit Ausnahme des Showdowns am Ende, was aber auch ein klassisches Genre-Stilmittel ist. Ob das so notwendig ist, darüber kann man sich gerne streiten. Das kann man auch gerne blöd finden.
Sie haben für den Film die Rapper Xatar und SSIO engagiert und Sie sind generell ein Kenner der Rap-Szene. Gibt es einen Rapper, der Ihrer Meinung nach für junge Menschen ein gutes Vorbild ist?
Bleibtreu: Ich halte von diesem ganzen Vorbild-Dings nichts. Ein Vorbild ist das, was man bewundert, aus was für Gründen auch immer. Ob das dann positiv oder negativ ist oder ob man es im Laufe des Lebens für sich relativiert, steht auf einem anderen Blatt. Ich habe Leute bewundert, die ich heute voll daneben finde. Genauso gibt es Dinge, für die ich mit 13 geschwärmt habe und die ich heute noch genauso feiere.
Wenn immer dich das packt, wenn du mit deinem Kopfhörer durch die Straßen gehst und die Musik dich groß macht, deine Brust rausgeht und du etwas willst von der Welt – super, hör das!
Und wenn dich als Elternteil stört, was deine Kids hören, dann setze dich damit auseinander, was die Rapper wirklich meinen, wie die wirklich ticken, wie die Kultur funktioniert, wie die Codes funktionieren, wie deren Sprache funktioniert. Du wirst dann nämlich sehr schnell sehen, dass das nichts Anderes ist als der Rock’n’Roll der 60er Jahre. Das Bild hat sich geändert, aber der Mechanismus, dass sich die Alten über das aufregen, was die Jungen machen, der ist leider immer noch genau derselbe.