Murat Kurnaz

Ich weiß, dass meine Telefonate abgehört werden. Aber das stört mich nicht.

Murat Kurnaz über seine Zeit in Guantanamo, körperliche Fitness, seinen Glauben, den Verfassungsschutz, den 11. September und sein heutiges Leben.

Murat Kurnaz

© Planet Interview

Herr Kurnaz, der Film „5 Jahre Leben“ zeigt sehr beeindruckend den Überlebenswillen, mit dem Sie Ihre Haftzeit in Guantanamo bewältigt haben. Was hat Ihnen beim Überleben mehr geholfen, Ihr kräftiger Körper oder der kräftige Geist?
Murat Kurnaz: Ich habe immer gebetet, dass Gott mir Geduld und Kraft gibt, das zu überleben und dafür bin ich Gott dankbar. Ich bin davon überzeugt, dass er ­mir in solch einer Lage die Kraft geben kann. Geistig hat meine Religion, mein Glaube die größte Rolle gespielt.
Körperlich habe ich versucht, mich fit zu halten, indem ich trainiert habe: Schattenboxen, Dehnübungen, Liegestütze, Klimmzüge – was auch immer ich geschafft habe mit dem mickrigen Essen, das wir da bekommen haben. Es sei denn ich war in Isolationshaft, dort habe ich so gut wie gar nichts zu essen bekommen und dann war auch mit Training nichts.

Hat Ihnen geholfen, dass Sie vor der Haftzeit ein körperlich eher robuster Typ waren?
Kurnaz: Ich glaube, je mehr man wiegt – ob man jetzt muskulös ist oder nicht – desto mehr Probleme wird man in solch einer Situation haben, weil man umso mehr Kalorien braucht. Für jemanden, der 70 Kilo wiegt, ist es etwas weniger problematisch mit den Mini-Portionen zurechtzukommen, mit halb gekochtem Reis usw. Doch für mich war es eine große Umstellung. Ich habe vorher fünf Mahlzeiten am Tag gegessen.

Wie fit sind Sie heute?
Kurnaz: Die letzten fünf Jahre vor meiner Haftzeit habe ich ganz viel geboxt, heute mache ich Kampfsport. Im letzten Winter bin ich sehr oft krank gewesen und musste mit meinem Training aussetzen, aber ansonsten bin ich seit meinem siebten Lebensjahr immer gut in Form gewesen. Sport ist für mich immer wichtig gewesen im Leben. Mit sieben habe ich mit Judo angefangen, dann habe ich irgendwann mit Karate weitergemacht.

Sie haben früher auch als Türsteher und Bodyguard gearbeitet.
Kurnaz: Ja, während meiner Ausbildung. Das war in dem Alter schon ein sehr guter Zuverdienst. Durch den Kampfsport habe ich damals Kontakt zu älteren Leuten gehabt, die das schon länger machen.

Planen Sie, in diesen Beruf wieder einzusteigen?
Kurnaz: Nein, niemals. Ich weiß, wie manche berühmten Leute privat drauf sind und die meisten von denen, für die ich mal als Leibwächter gearbeitet habe, sind mir nicht sympathisch.

Womit beschäftigen Sie sich heute?
Kurnaz: Ich bin Publizist und Menschenrechtsaktivist. Ich arbeite sehr viel mit Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, auch im Ausland wie zum Beispiel in Japan oder England. Dabei geht es nicht nur um Guantanamo, sondern um Folter allgemein, auch um Vergewaltigung von Frauen in bestimmten Ländern. Ich versuche solche Organisationen so weit ich kann zu unterstützen.

Was tut der deutsche Staat heute für Sie?
Kurnaz: Der deutsche Staat? Der versucht mir das Leben schwer zu machen. Es gab keine Entschuldigung, keine Entschädigung – ganz im Gegenteil, nach meiner Entlassung haben sie mich als gefährlich dargestellt, was dazu geführt hat, dass ich beruflich Probleme hatte.

Hoffen Sie, dass sich von deutscher Seite noch jemand bei Ihnen entschuldigt?
Kurnaz: Also, sechs Jahre lang ist nichts passiert. Und Frank-Walter Steinmeier hat gesagt, dass er für eine Entschuldigung keinen Grund sieht.

Auch Hans-Georg Maaßen, der damals der Bundesregierung davon abriet, Sie nach Deutschland heimkehren zu lassen, hat sich vermutlich nicht bei Ihnen gemeldet.
Kurnaz: Nein, keiner von den Verantwortlichen hat sich jemals entschuldigt. Weder von den Amerikanern noch von den Deutschen.

Vermuten Sie, dass sich niemand bei Ihnen entschuldigt, weil man Schadensersatzforderungen Ihrerseits vermeiden will?
Kurnaz: Nein.

Beobachtet Sie der deutsche Staat heute?
Kurnaz: Wenn er das tut, dann stört mich das nicht, ich habe nichts zu verheimlichen. Ich weiß, dass meine Telefonate abgehört werden. Wenn ich ein Ferngespräch führe, über das Mobiltelefon, dann schaltet sich automatisch ein Voice-Recording-System ein, das betrifft alle, die in Guantanamo saßen. Das wird automatisch aktiviert, wenn man bestimmte Wörter benutzt. Aber auch das stört mich nicht. Und ob mich nur die Amis beobachten oder auch die deutsche Regierung, das ist mir egal.

Ist es Ihnen unheimlich, dass Hans-Georg Maaßen heute Präsident des Verfassungsschutzes ist?
Kurnaz: Diese Menschen werden ja vom Volk gewählt. Und wenn die Öffentlichkeit bestimmte Menschen irgendwo haben will, dann kann ich nichts dagegen tun. Dann ist das halt so.
Aber sicher ist mir das unheimlich. Dass Menschen, die bei Folter ein Auge zudrücken, überhaupt noch in der Politik bleiben dürfen, das finde ich gefährlich. Diese Menschen haben gezeigt, wozu sie in der Lage sind. Besonders in den USA gibt es viele Politiker, die weiterhin in der Politik bleiben und machen dürfen, was sie wollen.

Dem Verfassungsschutz wird immer wieder unterstellt, ‚auf dem rechten Auge blind‘ zu sein. Teilen Sie diese Einschätzung?
Kurnaz: Blind sind die auf jeden Fall nicht, die sehen schon ganz gut. Aber es gibt Politiker, die zwei Gesichter haben: eines für die Öffentlichkeit und eines für die politischen Taten, die sie tatsächlich unternehmen.

Zitiert

Der deutsche Staat? Der versucht mir das Leben schwer zu machen.

Murat Kurnaz

Besonders im Fall der Terrorzelle NSU wirft die Involvierung des Verfassungsschutzes viele Fragen auf.
Kurnaz: In diese Sache sind natürlich auch viele Politiker verwickelt, die vielleicht rechts eingestellt sind. Und die haben Angst, dass sie nun mit drauf gehen, deswegen wollen sie alles vertuschen. So etwas ist mir natürlich nicht fremd. Ich musste das ja am eigenen Leib erfahren: Frank-Walter Steinmeier wusste, dass ich in Guantanamo gefoltert werde, und trotz eines Berichts vom BND hat er entschieden, dass er mich weiterhin in dieser Folterhaft lässt. Das ist so ein Fall, wo Politiker dann in der Öffentlichkeit so tun, als ob sie davon nichts gewusst hätten. Als man Steinmeier gefragt hat: „Gab es ein Angebot der Amerikaner für die Freilassung von Herrn Kurnaz?“ hat er geantwortet: „Nein, es gab kein offizielles Angebot.“ Steinmeier hat nicht gesagt „es gab kein Angebot“, sondern „es gab kein offizielles Angebot“. Das sind so kleine Details.

Haben Sie heute die deutsche Staatsbürgerschaft?
Kurnaz: Nein, nur die türkische. Ich habe vor, die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen. Ich habe mich allerdings noch nicht bemüht, wegen des Papierkrams.

Zweifeln Sie manchmal an Deutschland?
Kurnaz: Nein. Ich komme aus Bremen, bin Bremer, ich habe nie irgendwo anders gelebt.

Aber der deutsche Staat hat Ihnen viel angetan und sich dafür nicht entschuldigt.
Kurnaz: Ja, das ist schon so. Aber nicht alle Politiker sind gleich.

Wofür lieben Sie Deutschland?
Kurnaz: Für die schöne Zeit, die ich hier in Deutschland habe und hatte, für die schönen Erinnerungen, die ich mit meiner Familie, mit meinen Eltern hatte, als Kind. Ich finde es schön, wenn ich an denselben Orten vorbeifahre, sitze, esse, trinke, und sagen kann: Hier bin ich groß geworden.

Sie sind damals nach Pakistan gereist, um mehr über Ihre Religion zu erfahren. Haben Sie diese Beschäftigung nach Guantanamo wieder aufgenommen?
Kurnaz: Ich hatte mein Ziel in Pakistan ja erreicht – bis die Amerikaner ein Kopfgeld von 3.000 Dollar ausgeteilt haben. Ich hatte mein Rückflugticket ja bereits in der Tasche und war auf dem Weg zum Flughafen.

Sind Ihre islamischen Überzeugungen heute stärker?
Kurnaz: Ja, nach allem, was ich erlebt habe, auf jeden Fall. Weil mir das bewiesen hat, was im Koran, in der Bibel oder in der Tora steht. Da gibt es ähnliche Geschichten, wo zum Beispiel der Prophet Joseph Schlimmes durchmacht und dann aber gerettet wird. An solchen Geschichten nimmt man sich ein Beispiel, sie sind für mich ein Zeichen, dass all diese Bücher der Wahrheit entsprechen. Folter gab es immer, sie existiert heute und es wird sie auch in Zukunft geben.

Frage: Können Sie verstehen, wenn sich Menschen für ihren Glauben in die Luft sprengen?
Kurnaz: Nein.

Aber was denken Sie, woraus so etwas entsteht?
Kurnaz: Ich weiß von einem ehemaligen Guantanamo-Häftling, der hat einen LKW mit Sprengstoff beladen, ist irgendwo reingerast und hat alles in die Luft gejagt. Ich weiß nicht wie viele Menschen dabei gestorben sind, aber er selber auf jeden Fall. Ich sage auf keinen Fall, dass er das gut gemacht hat, aber ich kann verstehen, dass dieser Mensch, nach seiner Haft, einen bestimmten Hass in sich entwickelt hat.

Aber wenn jemand ohne Inhaftierung oder dergleichen zum Selbstmordattentäter wird?
Kurnaz: Das verstehe ich genauso wenig, wie alle anderen hier in Deutschland auch.

Haben Sie sich nach Ihrer Heimkehr auch mit der Frage beschäftigt, was eigentlich am 11. September passiert ist?
Kurnaz: Klar, ich schaue mir viele Dokumentationen über den 11. September an, auch diese Verschwörungstheorien…(lacht). Das kann man sich ein Leben lang anschauen, das nimmt gar kein Ende. Aber man weiß wirklich nicht, wo etwas dran sein könnte.

Trauen Sie den USA zu, dass sie selbst in die Anschläge verwickelt sind?
Kurnaz: Die Anschläge selbst ausgeführt haben sie ganz bestimmt nicht, ich bin davon überzeugt, dass es Terroristen gewesen sind. Aber es besteht ja die Möglichkeit, dass Politiker es wussten und ein Auge zugedrückt haben, dass sie es bestimmte Terroristen haben machen lassen. Es gibt ja viele Informationen darüber, dass die Regierung hundertprozentig Bescheid wusste, dass da was kommt und es einfach verschwiegen hat. Das sind schon so komische Sachen – aber ich bin kein Politiker.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es Offiziere in Guantanamo gab, die zu Ihnen sagten: „Was ihr mit den Juden gemacht habt, das machen wir jetzt mit euch.“ Was können Sie über die Gesinnung der Soldaten und Mitarbeiter in Guantanamo sagen?
Kurnaz: Man hat es dort mit allen möglichen Leuten zu tun. Ich denke, es sind schon ausgewählte Leute, die höchstwahrscheinlich alles mitmachen – wenn nicht werden sie einfach aussortiert. Es gibt welche, die richtig Spaß daran haben, Leute zu foltern, sie lachen dabei. Und dann gibt es welche, die sich geweigert haben, mitzumachen. Die durften dann draußen außerhalb des Camps Müll aufsammeln.

Stimmt es, dass Ihr Lebensstil heute ein eher asketischer ist und Ihnen Luxus nicht viel bedeutet – weil Sie das Elend, was es auf der Welt gibt, so nah erlebt haben?
Kurnaz: Ich weiß Luxus auf jeden Fall zu schätzen, ich bin hier in Berlin gerade in einem ganz tollen Hotel untergebracht.
Aber ich habe immer im Bewusstsein, dass es Menschen gibt, die momentan kein Stück zu essen bekommen, in Afrika sterben tagtäglich Menschen vor Hunger, das alles versuche ich, nicht zu vergessen. Ich habe selber Hunger durchmachen müssen, ich weiß jetzt, was das bedeutet. Und ich möchte mich in Zukunft deswegen noch viel mehr engagieren. Bisher versuche ich in armen Ländern irgendetwas zu unterstützen, aber das ist noch nicht genug, das sind nur Kleinigkeiten.

Glauben Sie, wenn Sie mit Politikern unterwegs sind und sich gegen Folter einsetzen, dass Sie dann als eine Art lebendes Mahnmahl wahrgenommen werden, das beim Gegenüber ein gewisses Nachdenken auslöst?
Kurnaz: Ich weiß nicht, ob das ein Nachdenken auslöst. Ich hoffe es. Ich mache das auch, damit die Politiker in Zukunft etwas vorsichtiger sind und nicht einfach freie Bahn haben, um das, was sie vorhaben, zu tun. Damit sie in Zukunft nicht einmal, sondern zehnmal überlegen, wenn sie Folter zulassen wollen. Vielleicht bewirkt mein Engagement etwas, vielleicht auch nicht. Ich möchte jedenfalls nicht tatenlos zu Hause sitzen. Wenn ich etwas bewirken kann, dann bin ich zufrieden. Und wenn nicht, dann habe ich es zumindest versucht.

Murat Kurnaz wurde am 19. März 1982 in Bremen geboren. Als 19-jähriger reiste er im Oktober 2001 nach Pakistan, um nach eigenen Angaben mehr über den Koran zu erfahren. Dort wird er von der pakistanischen Polizei festgenommen und an die Amerikaner mehr

2 Kommentare zu “Ich weiß, dass meine Telefonate abgehört werden. Aber das stört mich nicht.”

  1. Jitske van der Wijk-Snaak |

    Ich war sehr gerührt durch das Bericht in der Zeitung: „Was ist los mit euch ?“
    Ich (67) habe viel Respekt für Sie bekommen und was Sie machen !
    Ich hoffe dass Sie viele Menschen erreichen, ins besondere Jugenliche !

    Liebe Grüsse, auch für ihre Frau, Kinder und Familie.

    Von Holländerin Jitske.

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  2. dingsda ddada |

    die echse. ob sie echt getötet wurde für den film?? hääää?

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