Neneh Cherry, Sie sehen erkältet aus, hat Ihnen das Berliner Wetter zugesetzt?
Neneh Cherry: Ja, aber nur ein wenig.
Hoffentlich sind Sie wieder bei Stimme, wenn Sie Anfang März in Berlin im Berghain auftreten. Waren Sie schonmal da?
Cherry: Nein, noch nie. Aber ein Freund von mir aus Köln schwärmt immer vom Berghain und meint, ich sollte unbedingt mal hingehen. Moment! (niest in ein Taschentuch)
Gesundheit!
Cherry: Danke. Wird schon wieder werden.
Das klingt wie eine Redensart, die Sie auf Ihrem neuen Album zitieren: „Good things come to those who wait“, also etwa: „Das Glück ist mit den Geduldigen.“ Glauben Sie daran?
Cherry: Auf gewisse Weise schon. Man kann das ja beschützend meinen: Keine Angst, alles wird wieder gut! Aber darüber hinaus – wenn man nichts hat und einfach da sitzt und wartet, hat man hinterher immer noch nichts. Daher kommt es in dem Song ein wenig ironisch rüber.
Solche Redensarten gibt es ja in jeder Sprache…
Cherry: Mein Vater hat oft Dinge gesagt wie „Weine nicht über vergossene Milch.“ Oder: „Wenn du etwas Schlechtes tust, wird es zu dir zurückkommen.“ Ich erinnere mich, dass ich mir als Kind da viele Gedanken drüber gemacht habe. Wie soll das funktionieren? Wie soll das denn zu mir zurück kommen? Den Gedanken fand ich gruselig. Als Kind nimmt man diese Dinge wörtlich, und man ist als Kind noch sehr emotional und sensibel. Man lernt ja erst später, wie das alles gemeint ist. Und dass es auch eine Frage des Selbstschutzes ist, sich zu sagen: Wie Du mit Dir selbst lebst, hat wohl oder übel einen Effekt auf alles, was dich umgibt.
In meinem Kopf hatte sich ziemlich viel Mist angesammelt, der mal rausmusste.
Als Sie klein waren, ist Ihr Stiefvater, der Free-Jazz-Musiker Don Cherry mit Ihrer Familie als „Organic Music Society“ durch die Welt getourt. Es muss für Sie ein harter Bruch gewesen sein, von diesem alternativen Leben in das Schulsystem Ihrer schwedischen Heimat zu wechseln.
Cherry: Ja, das war es in der Tat. Aber man lernt dann eben, sich mit seinen verschiedenen Welten zu arrangieren. Es gibt da eine lustige Dokumentation vom schwedischen Fernsehen über unsere Familie. Sie heißt „Von Tågarp nach New York“. Wir wurden zu Hause gefilmt, man machte Interviews mit uns, sie reisten mit uns bis nach New York. Ich war 13. Es war mir ein bisschen peinlich, aber es war auch sehr aufregend. Ich würde im Fernsehen sein. Alle meine Freunde würden mich sehen. Aber letztlich sieht man mich nur einmal im Hintergrund, als wir in New York am Flughafen ankommen und ich genervt auf einem Kaugummi rumkaue. (lacht)
Nun haben Sie nach vielen Jahren wieder ein Solo-Album veröffentlicht. Warum halten Sie sich auf dem Cover von „Blank Project“ die Ohren zu?
Cherry: Das ist eine unbewusste Geste. Andererseits gibt es diese Textzeile in „Everything“ wo es heißt: „Ich habe meine Finger in meinen Ohren. Ich kann dich nicht hören“. Es könnte also schon darum gehen, mich auf mich zu konzentrieren, meinen Weg zu gehen. In meinem Kopf konnte ich hören, wie die Platte klingen sollte. Da war es wichtig, sich nicht ablenken zu lassen. Es ging darum, loszulassen. Ich habe viel Blut geschwitzt beim Schreiben.
Manche Ihrer neuen Songtexte wirken sehr impulsiv geschrieben, andere lesen sich fast wie Kurzgeschichten.
Cherry: Die Situationen, in denen ich geschrieben habe, waren auch sehr unterschiedlich. Einige Songs habe ich ganz allein und isoliert auf meinem Bett geschrieben. Andere entstanden als gemeinsame Arbeiten, wieder andere habe ich eher spontan ins Mikrofon gesungen und einfach darüber improvisiert, was mir gerade im Kopf rumging. Das war auch deshalb eine gute Erfahrung, weil sich in meinem Kopf ziemlich viel Mist angesammelt hatte, der mal rausmusste.
Obwohl Sie in den letzten sechs Jahren als Sängerin von Band-Projekte drei Platten veröffentlichten, wird „Blank Project“ nun als Ihr großes Comeback gefeiert. Welchen Stellenwert hat das Album für Sie selbst?
Cherry: Der Unterschied besteht wohl einfach darin, dass ich nun wieder mehr im Fokus stehe, nachdem ich viele Jahre nicht im Mittelpunkt war. Trotzdem geht es in der Musik für mich immer um Zusammenarbeit und auch jetzt war die Arbeit mit Cameron McVey, Four Tet und der Band RocketNumberNine sehr intensiv. Ich bin eben nicht der Typ, der gerne auf den Tisch haut und sagt: „Ich bin jetzt hier der Boss!“ Trotzdem habe ich dieses Mal schon mehr Verantwortung übernommen, als sonst.
Interessanterweise tragen die jeweils letzten Songs Ihrer letzten Solo-Platte „Man“ und Ihrer neuen Platte den selben Titel: „Everything“.
Cherry: Oh wirklich? (lacht) Sie haben Recht. Das war mir gar nicht klar.
Vor 17 Jahren klang Ihr „Everything“ sehr entspannt, als sei „alles gut“. Der neue Song „Everything“ ist dagegen nervös und energisch. Was ist zwischen diesen beiden Songs passiert?
Cherry: (Lacht) Da ist sehr viel passiert. Als „Man“ gerade fertig war, starb mein Stiefvater. Ich bekam Mabel, meine jüngste Tochter. Ich musste Werbung für das Album machen, Konzerte geben, ich führte einen Haushalt, wir hatten ein Studio. Es waren immer zehn bis fünfzehn Leute bei uns zuhause zum Essen. Freunde von meinen Kindern und unsere Freunde lebten mit uns. Und ich versuchte auch noch, zu schreiben, mein eigenes Ding zu machen. Ich tat so, als wäre das alles in Ordnung, aber ab einem gewissen Zeitpunkt wurde mir klar, dass es so nicht weitergeht.
Woran haben Sie das gemerkt?
Cherry: Durch meine Kinder. Die haben mir gespiegelt, dass ich sie nicht mehr wahrgenommen habe – gerade in Zeiten, wo ich mir vorkam, als wäre ich sehr präsent und hätte alles unter Kontrolle, wo ich dachte, ich wäre mit allen verbunden. Ich musste irgendwann akzeptieren, dass ich unter einer Art unterdrückter Depression gelitten habe. Es ging darum, zu akzeptieren, dass sich gewisse Dinge im Leben der eigenen Kontrolle entziehen. Gleichzeitig hatte ich das Bedürfnis, spielerisch zu bleiben. Ich bin wohl erwachsener geworden und habe entdeckt, dass es auch Spaß machen kann, Entscheidungen zu treffen, Prioritäten zu setzen.
Sie haben zuletzt auch mit dem Free-Jazz-Trio „The Thing“ gearbeitet und unter anderem Musik von Don Cherry gespielt.
Cherry: Ja, das musste einfach passieren, um mich mit seinem Erbe auseinanderzusetzen und ihn auch zu feiern. Es war für mich kein Meilenstein aber ein ganz wichtiger Schritt.
Cameron McVey ist schon lange Ihr musikalischer und auch privater Partner. War es da nicht kompliziert, als Sie feststellten, dass Sie ein neues Solo-Album machen wollten?
Cherry: So funktioniert das bei uns nicht. Wir kleben eher verschiedene Labels auf unsere Projekte. Diesmal wollten wir eben nicht einfach eine neue Platte machen, sondern meine neue Platte. Wir kochen immer noch zusammen, aber diesmal habe ich eben die Zutaten besorgt. Und die stammen vor allem aus meinem Kopf.
Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit Ihrem Mann vorstellen?
Cherry: Zum Beispiel gibt es da den Titelsong, „Blank Projekt“. Der sollte auf durchaus lustige Weise von den Realitäten einer Beziehung erzählen. Als wir den Text schrieben, saßen wir wirklich nebeneinander auf dem Sofa mit unseren Laptops. Er schrieb den ersten Vers und ich den zweiten. Die erste Zeile: „Ich habe einen Mann, ich liebe ihn so sehr“, die ist tatsächlich von ihm (lacht). Auf diese Weise kam die notwendige Vitalität zustande. Ich selbst war nämlich an einem Punkt angelangt, wo ich von mir selbst und dem was ich tat, etwas gelangweilt war. Ich habe mich gefragt, wie ich wohl über diesen Punkt hinauskommen könnte.
Kann gemeinsame Musik für ein Paar so etwas wie ein Haustier sein? Ein Mediator, der es einem leichter macht, miteinander auszukommen?
Cherry: Das ist wohl so. Es ist eben nicht nur das Bett, das wir miteinander teilen. Ich weiß, dass ich mit ihm zusammen am besten arbeiten kann. Ich arbeite auch mit anderen, das ist auch toll. Aber es passiert etwas Einzigartiges, wenn wir zusammen arbeiten. Wir ziehen eben auch schon ganz schön lange an einem Strang. Wir sind eine Einheit, was aber nicht heißt, dass wir bei der Arbeit die ganze Zeit Händchen halten.
Ihre Einheit ist nicht nur harmonisch…
Cherry: Überhaupt nicht!
„Blank Project“ klingt manchmal auch so, als würden Sie sich gegen zu viel Harmonie regelrecht zur Wehr setzen.
Cherry: Das steckt ja schon im Titel. Du kommst immer wieder zurück an die Leerstelle, wo die Dinge noch nicht beschrieben sind. Man weiß nicht genau, in welche Richtung es diesmal gehen soll, aber man fängt eben einfach nochmal von vorne an.