Nicole

Ich kann mir nicht plötzlich eine Lederkluft anziehen

Schlagersängerin Nicole über Schubladendenken, Heinos Rocker-Karriere, neidische Fans und warum sie mit 70 nicht mehr auf der Bühne stehen möchte

Nicole

© Telamo

Nicole, in diesem Jahr enttäuschte Deutschland beim Eurovision Song Contest, Cascada landete nur auf dem 21. Platz belegt. Haben Sie sich das Finale angesehen?
Nein, ich hatte an dem Abend eine Fernsehaufzeichnung und war danach auf dem Rückweg im Auto. Aber ich verfolge den Eurovision Song Contest. Mir selbst geht es immer nur um die Qualität des Liedes, aber mittlerweile macht jeder auf der Bühne, was er will.

Würden Sie selbst noch einmal teilnehmen?
Nein, denn „Ein bisschen Frieden“ kann man nicht toppen. Das ist ein Jahrhundertlied. Dagegen kann man nur noch verlieren.

Heute hofft jeder auf den Sieg, warum hatten Sie damals Angst, zu gewinnen?
Weil einem klar wird, dass das Leben sich verändern wird. Man muss sich klar machen, ob man das möchte. Ich habe mit „Ein bisschen Frieden“ meine Erfüllung gefunden und konzentriere mich auf mein neues Album.

Ein gutes Lied sollte immer den Nerv der Zeit treffen. Welches Lied auf Ihrem aktuellen Album „Alles nur für Dich“ wäre das?
Ein sehr wichtiges Lied auf dem Album ist „Wir sind das Leben“ mit Sabatina & Metaphysics, in dem es um die Frauenunterstützung in Pakistan geht. Sabatina hat mich angesprochen, ob ich Lust hätte, bei dem Lied mitzumachen, weil mein Name bekannter ist, als ihrer. Ich war sofort dabei, weil ich finde, dass so ein Lied auf so ein Album gehört. Ein typisches Schlageralbum war noch nie mein Fall.

Sie meinen, Lieder über heile Welt, Blumen, Bächlein…
Sommer, Sonne, Strand und Meer…

Weil Sie sich nicht als Schlagersängerin sehen?
Man wird in Deutschland sofort kategorisiert. Gegen dieses Schubladendenken kämpfe ich seit 30 Jahren. Ich will experimentieren, auch Themen behandeln, die, wie manche sagen, im klassischen Schlager nichts zu suchen haben. Wenn man sich meine Alben anhört, muss man sehr differenzieren, und dann gibt es eben keine Kategorie für mich. Ich brauche wohl ein eigenes Fach bei Mediamarkt (lacht).

Will das Schlagerpublikum sich überhaupt mit kritischen Themen auseinandersetzen?
Ja, das merke ich bei meinen Konzerten. Dort singe ich Lieder, die im Radio nicht stattfinden, weil sie angeblich zu anspruchsvoll sind. Eine komische Begründung!
Denn es gibt doch anspruchsvolle Menschen, die dankbar sind für Themen wie Gewalt in der Ehe oder Intoleranz Homosexuellen gegenüber, Themen, die in meiner Musik stattfinden. Es kommen Menschen nach dem Konzert zu mir und bedanken sich für diese Lieder. Daran merke ich doch, dass ich gar nicht so verkehrt liege.

Trotzdem müssen sich Unterhaltung und Botschaft nicht ausschließen, „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens wäre ein Beispiel für einen weltweit erfolgreichen Schlager mit kritischem Text…
Das war kein typischer Schlager, auch wenn die Verpackung schlagerähnlich ist. Aber der Inhalt ist weit weg von blablabla und Berieselung. Udo hat immer Texte mit Inhalt gemacht, den Zeitgeist getroffen. Gastarbeiter, die hier Arbeit suchten und Geld nach Hause schicken müssen um ihre Familien zu ernähren. Oder auch „Ein ehrenwertes Haus“. Er hat dem Volk auf’s Maul geschaut. Seine Lieder sind keine Schlagerillusion, sondern die Wahrheit.

Reinhard Mey sagte einmal, ein Schlager sei nur gut, wenn er sich gut verkauft…
Weiß ich nicht. Es gibt Titel, die haben sich nicht gut verkauft und sind für mich Weltklasse. Mein Album „Abrakadabra“ hatte keine guten Verkaufszahlen, weil die Medien gesagt haben, die Themen darauf seien zu schwierig, das könnten sie nicht spielen. Dabei ist das Leben doch nicht immer schön, es ist manchmal schrecklich und gemein. Ein Titel darauf, „Dein Freund der Dealer“, schildert die Situation eines jungen Mädchens in Berlin, das eingefangen und plötzlich heroinabhängig wird.
Diese Lieder haben bei den Live Konzerten am meisten reingehauen.

Das Zitat von Reinhard Mey geht auch noch weiter und zwar: „Ein Chanson kann ein Meisterwerk sein, wenn es nur drei Kunden findet…“
(lacht) Ach, mein lieber Reinhard, da sind wir uns doch wieder einig!

Sie sagten mal, Reinhard Mey sei der einzige Künstler, für den Sie sich eine Konzertkarte kaufen würden, warum?
Reinhard Mey und Heinz-Rudolf Kunze, für die habe ich mir Karten gekauft. Das sind Wortakrobaten und sehr intelligente Menschen, vor denen ich meinen Hut ziehe. Ich habe einen gewissen Anspruch, und mag Lieder, die mein Herz berühren, weit weg von jeder Oberflächlichkeit. Bei Reinhard saß ich in der ersten Reihe, und er sprang dann mitten im Konzert von der Bühne, drückte mir eine Rose in die Hand und einen Kuss auf die Wange (lacht).

2013 waren Sie wieder auf Kirchentour. Warum wählen Sie sich Kirchen für Ihre Auftritte?
Weil ich in Kirchen aus dem Vollen schöpfen kann. Lieder, die zu Herzen gehen, finden dort ihren Platz. Wenn es um Tod, Trauer und den Verlust eines lieben Menschen geht, ist man im Haus der Hoffnung, und der Liebe und des Glaubens am richtigen Ort. Ich singe ja nicht „Zehn nackte Friseusen“ wie Mickie Krause, der hätte da ein Problem. Außerdem spielen wir unplugged, verzichten auf jede Elektronik und Effekthascherei und machen richtig handgemachte Musik. Genau wie Reinhard.

Zitiert

Ich habe Johannes Heesters wirklich sehr gerne gehabt, aber mit über 100 noch auf der Bühne zu stehen, das wird mir nicht passieren.

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Der Titel eines Liedes von Mey lautet: „Ein Stück Musik von Hand gemacht“, in dem er unsere „Fast-Food Zivilisation“, „High-Tech Lust“ und „Plastikgefühle“ kritisiert…
Genau. Ich erlaube mir immer, den Refrain daraus am Anfang meiner Konzerte in der Kirche zu zitieren. „Da lob ich mir ein Stück Musik von Hand gemacht. Noch von einem richt’gen Menschen mit dem Kopf erdacht, `ne Gitarre, die nur so wie `ne Gitarre klingt, und `ne Stimme, die sich anhört, als ob da jemand singt.“ Dann gibt es gleich den ersten Applaus. Dann kommt aber die Prüfung und dann muss ich Farbe bekennen, und das will ich auch. Am Ende applaudieren die Menschen 20 Minuten und wollen nicht nach Hause. Sie wollen hautnah bei einem sein und nicht veräppelt werden. Das ist für mich Balsam für die Seele.

Die Schweizer Schlagersängerin Beatrice Egli ging als Siegerin aus der zehnten Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ hervor – ist sie gut?
Sie hat zu Recht gewonnen und ich finde das sehr gut denn das zeigt wieder, dass das Publikum merkt, wenn jemand 100% authentisch ist, für seine Sache brennt und daran glaubt. Da kannst du Rock’n Roller sein, Volksmusik oder Operette singen, Hauptsache man lebt das.

Beatrice wurde als neue Schlagerprinzessin bezeichnet…
Das war ich auch schon. Mir hat man schon alle möglichen Bezeichnungen gegeben, Schlagerprinzessin, Schlagerkönigin, Schlagerkaiserin…

…und manchmal eher unfein auch als „Schlageroma“. Verletzt Sie das?
(lacht) Nein! Viele Menschen werden gar nicht erst Großeltern! Das ist doch der Lauf der Zeit. Ich bin froh, dass ich mit 48 Jahren schon eine zweijährige Enkeltochter habe, die unser Sonnenschein ist und für die ich alles auf der Welt hergeben würde.

Welche Rolle spielt Neid in Ihrer Branche?
Den gibt es natürlich. Aber Neid muss man sich verdienen. Mitleid kriegt man umsonst.

Haben Sie das Gefühl, das auch Ihre Fans manchmal neidisch auf Sie sind?
Vor kurzem hat ein junges Mädel zu mir gesagt: „Ich würde gerne mit dir tauschen, du hast alles! Du bist schön, reich, hast Erfolg, gehst über den roten Teppich, hast tolle Kleider und Schmuck!“ Aber was weiß sie wirklich von mir? Das was sie aus der Zeitung kennt, was sie beim Friseur in der Yellow Press liest. Und ich ertappe mich bei dem Gedanken: Manchmal wäre ich gern wie sie.

Die „Shell-Jugendstudie“, die Einstellungen und Werte der Zwölf – 25 jährigen erforscht hat, belegt, dass Casting-Shows Jugendliche stark beeinflussen. Jugendliche wollen Superstar und Topmodel werden. Sehen Sie darin eine Gefahr?
Auf meinem letzten Album gibt es ein Lied, das heißt „Du glaubst, du wärst gern wie ich“, da geht es genau darum. Wenn man diesen Weg einschlägt, muss man mit den Konsequenzen rechnen. Man ist angreifbar, gibt seine Anonymität auf, ist Person des öffentlichen Interesses. Man muss aufpassen, was man sagt, was man tut, wie man sich kleidet, dass man jeden grüßt, auch wenn man ihn gerade nicht gesehen hat, sonst ist man eine Zicke. Man muss sehr stark sein, um da nicht dran zu zerbrechen. Jede Medaille hat zwei Seiten.

Das Leben als Superstar erscheint aber vielen immer noch wie ein Traum…
Ich mache seit zwei Wochen Promotion für das neue Album, hetze von einem Termin zum anderen. Heute Morgen weckt mich der Concierge um 5.15 Uhr, weil er weil er meine Zimmernummer 515 mit der Uhrzeit verwechselt hat. Ich hatte mich so gefreut, mal sechs Stunden am Stück schlafen zu können.

So dramatisch?
Nein, nein. Ich wollte als Kind schon immer Sängerin werden, ich habe natürlich auch darauf hingearbeitet, Wettbewerbe mitgemacht und früh angefangen vor Publikum zu singen. Ins kalte Wasser geworfen worden bin ich nicht.

Belastet Sie Stress?
Sagen wir so: Ich werde von Veranstaltern auch sehr gerne gebucht, weil ich Stress sehr gut wegstecken kann, ich mache keinen Ärger und beschwere mich nie. Wenn man mit mir unterwegs ist, ist es entspannt. Pünktlichkeit und Freundlichkeit sind Tugenden, die du in diesem Beruf auch haben musst, das geht gar nicht anders.

Sie lobten vorhin die Authentizität von Beatrice Egli. Sie selbst haben Ihr Auftreten dreißig Jahre lang nicht verändert…
Nein, ich kann mich nicht verbiegen. Ich kann nur machen, was ich 100% vertreten kann. Ich kann mir nicht plötzlich eine Lederkluft anziehen, mit der Harley rumfahren und Rocklieder singen. Das will ich nicht, dafür sind andere zuständig.

Zum Beispiel der Kollege Heino, der mit seinem Album „Mit freundlichen Grüßen“ plötzlich den Rocker mimt?
Das war ein strategisch kluger Schachzug, um ein Album super in den Charts zu platzieren und Geld zu verdienen. Hat ja auch funktioniert. Aber ob das seine Welt ist? Ich glaube eher nicht.

Wie fanden Sie Heinos Verwandlung?
Das war eine Retourkutsche an alle die ihn Jahrzehnte lang belächelt haben. Alle diese arroganten Leute, die sich über alles erhaben fühlen und seine Art von Musik an den Pranger gestellt haben. Heino dreht den Spieß um und macht mit den Hits dieser Belächler seine Erfolge. Genial, aber ich könnte es nicht.

Heino ist weit über siebzig, auch Reinhard Mey oder Udo Jürgens sind nicht mehr die Jüngsten. Können Sie sich vorstellen, in dem Alter noch auf der Bühne zu stehen?
Nein. Wenn ich den Hut der Realität ziehe, wird das mein letzter Auftritt sein. Dann verneige ich mich zum letzten Mal und sag‘ leise Servus. Wann es Zeit ist zu gehen, sagt mir mein Bauchgefühl. Wie ein guter Sportler, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere aufhört um den Leuten so in Erinnerung zu bleiben.

Sie haben sich wirklich schon über Ihren Abschied Gedanken gemacht?
Selbstverständlich. Ich habe Johannes Heesters wirklich sehr gerne gehabt, aber mit über 100 noch auf der Bühne zu stehen, das wird mir nicht passieren. Aber man ist so jung, wie man sich fühlt, und ein paar Jährchen gehen bei mir schon noch.

1982 gewann die damals 17-jährige Nicole als erste deutsche Sängerin den "Grand Prix Eurovision de la Chanson", der heute Eurovision Song Contest heißt. Mit dem Lied "Ein bisschen Frieden", komponiert von Ralph Siegel, wurde sie berühmt. Es folgten mehr

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