Frau Krebitz, in „Wild“ trifft die Hauptfigur Ania im Park einen Wolf – und beschließt, mit dem Wolf zu leben. Wo entsteht die Idee für so einen Film? Im Wald?
Nicolette Krebitz: Es hat alles mit einem Traum angefangen. Ich jogge oft im Park oder irgendwo im Grünen. Daher kam wohl auch der Traum. Ich lief durch den Wald und hörte hinter mir Schritte und so ein Schnaufen und dann bin ich aufgewacht. Das träumte ich ein paar Mal und im Traum habe ich mir selbst gesagt: Dreh dich doch mal um und da stand – so ähnlich wie in meinem Film – ein Wolf. Wir haben uns angeguckt und ich bin aufgewacht. Da wusste ich sofort: Das wird mein neuer Film!
Und dann?
Krebitz: In der Zeit kamen in den Nachrichten oft Wölfe vor, die in der Lausitzer Heide an der Grenze von Polen gesichtet wurden. Ich fuhr hin und sprach mit zwei dort arbeitenden Biologinnen über Wölfe. Wie sich die Tiere verhalten würden, wenn sie wirklich vor mir stehen würden. Ich fing an zu sammeln und so entstand langsam die Geschichte. Es gibt einen Truppenübungsplatz in der Lausitzer Heide, an dem sich das erste Wolfsrudel niedergelassen hat. Dieses Bild hat mich nicht mehr losgelassen: Ein von Menschen gemachter und mittlerweile verlassener Kriegsschauplatz und Wölfe, die dort eine Familie gründen.
Dieser Gegensatz von Wild und Zivilisation…
Krebitz: …beschrieb ganz gut, was ich mir unter meinem Film vorstellte. Die junge Frau nimmt den Wolf mit in ihre Hochhauswohnung. Das Hochhaus und der Wolf, das hat mir gefallen.
Wie viel Wildheit steckt in Ihnen?
Krebitz: Als Filmemacherin hat man die Möglichkeit, sich eine Geschichte genauso auszudenken wie man es selber möchte. Da kann man – zumindest gedanklich – seine Wildheit ganz gut ausleben. Und das habe ich gemacht (lacht). Am Filmset geht das natürlich nicht so gut.
War alles genauestens geplant?
Krebitz:Wo steht die Kamera? Wo der Wolf? Kann die Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg ihm da so nah kommen? Was ist gefährlich? Wo ist der Wolfstrainer? Diese Dinge werden natürlich bis ins kleinste Detail vorbereitet, um jedes Risiko zu minimieren.
Wir sind wild geboren und ein Teil von uns wird immer wild bleiben.
Warum haben Sie sich beim Drehort für Halle entschieden?
Krebitz: Ich habe eine Stadt gesucht, in der es einen Park mit direkter Landanbindung gibt, denn ich mag es gern, wenn es in Wirklichkeit so ist, wie es der Film behauptet, der Wolf es also wirklich in diesen Stadtpark geschafft haben könnte. Ich habe Luftbilder von allen möglichen Städten an der polnischen Grenze durchsucht und so bin ich in Halle gelandet.
Stimmt es, dass Sie für den Film ein ganzes Wolfsrudel zum Drehort transportierten?
Krebitz: Ja. Und das fanden die Hallenser, glaube ich, auch ganz toll. Auf dem Hof des Produktionsbüros, einem großen umzäunten Areal mit einer Scheune, wohnte ein ganzes Rudel Wölfe. Unser Wolf, Nelson, ist der Alphawolf dieses Rudels und wenn er ohne das Rudel so lange verreisen würde, hätte in seiner Abwesenheit ein anderer Wolf seine Stellung eingenommen und bei seiner Rückkehr auch verteidigt. Deswegen darf man ein Rudel nicht trennen.
Am Set war aber nur Nelson?
Krebitz: Auch zum Set musste ein zweiter Wolf mitgenommen werden. Um Unordnung reinzubringen ist es meistens der, von dem man schon weiß, dass er der nächste Anwärter wäre. Das ist für die Wölfe eine turbulente Zeit. Es gibt tausend Auflagen, das ist wie mit einem Kind zu drehen.
Gab es bestimmte Sicherheitsvorkehrungen?
Krebitz: Im nahen Kontakt zwischen Lilith und dem Wolf war die Kamera nie weiter als einen Meter entfernt. Der Wolfstrainer stand direkt daneben und war zu jeder Zeit bereit, einzugreifen. Das Tier kündigt in seiner Körpersprache an, wenn sich Aggression, Angst oder Unsicherheit anbahnt. Wenn es irgendwie in diese Richtung geht, wird natürlich sofort abgebrochen. Eine Betäubungspistole oder so braucht man dafür nicht. Man braucht nur den Mann, der diesen Wolf, seit er ein Baby ist, aufgezogen hat: Den Wolfsflüsterer, auf den er sehr stark reagiert.
Wie ist Lilith Stangenberg mit der Wildheit des Wolfes umgegangen?
Krebitz: Lilith sagte, dass sie der Wolf zu einer noch besseren Schauspielerin gemacht hat, weil er sie eben immer herausgefordert hat, ihre Angst zu überwinden. Merkte Nelson eine Unsicherheit in ihrem Spiel, ging die Szene nicht voran, war sie aber frei, war er es auch. Wie ein Seismograph. Das hat sie in eine Wahrhaftigkeit beim Spielen gebracht, die ihr geholfen hat.
Sind Wölfe die besseren Schauspieler?
Krebitz: Wölfe sind authentisch, sie verstellen sich nicht. Wie Nelson auf Lilith oder auf alles, was passiert, reagiert hat, war immer so, wie man es sich von jedem Schauspieler wünscht.
Sie brauchten lange, bis Sie eine Produzentin für Ihren Film fanden. Was war das Problem?
Krebitz: Es war schwierig, jemanden zu finden, der bereit ist, das Risiko zu tragen. Der Film erzählt ja auch von Kontrollverlust, das macht vielen Leuten Angst. Von etwas Nettem, Lustigen kann man Geldgeber natürlich leichter überzeugen. Dem Unbekannten zu begegnen, der Angst und all den Horrorbildern, die man mit dem Verlust von Kontrolle verbindet, ist unheimlich, aber lohnt sich. Ein Leben ohne Risiko ist doch vertan und macht nicht glücklich. Da nützt dir auch eine Ikea-Küche nichts.
Was macht dieser Kontrollverlust mit uns?
Krebitz: Wir sind wild geboren und ein Teil von uns wird immer wild bleiben. Aber dem Raum zu geben, ist schwer, weil es uns Angst macht. Angst davor, was passieren könnte und wer wir sind. Das auszuhalten kostet Mut. Und den hat nicht jeder.