Niels Frevert, fühlt man sich als Musiker im Interview manchmal wie ein Fußballer nach dem Schlusspfiff? Nach dem Motto: „Sie kommen gerade aus dem Studio. Bei Ihrem Song „Speisewagen“, hätte es da nicht ein paar Geigen weniger gebraucht?“
Frevert: (lacht) Naja, in dem Moment, wo eine Platte noch frisch ist, sehe ich ja den Wald vor lauter Bäumen noch nicht. Eine Album-Produktion bedeutet, dass ich mich sechs Monate mehr oder weniger komplett ausklinke. Und davon bin ich drei Monate lang wirklich mit dem Aufnehmen beschäftigt. Davor wird drei Monate noch vor allem geschrieben. Ich kann da sehr gut eintauchen, das muss ich auch. Es geht um sehr viele Details. Es ist eine Form von Musik, die sehr viel Aufmerksamkeit erfordert. Das heißt, ich bin so drin in der Materie, dass ich irgendwann gegen Ende der Produktion auch nicht mehr wirklich sagen kann, ob das eigentlich noch gut ist, was ich da gemacht habe.
Sie müssen dann im Interview etwas verteidigen, woran Sie immer noch zweifeln?
Frevert: Ich zweifle ja nicht an allem. Ich denke, ein paar gute Songs sind auf jeden Fall dabei, aber wie das ganze Album wurde, weiß ich dann immer noch nicht. Die ganzen komischen Wendungen, die unerwarteten Geschichten, die wollte ich ja. Ich wollte auch auf die Hörgewohnheiten pfeifen, falsche Fährten legen und manchmal etwas düstere Bilder entwerfen. Trotzdem weiß ich am Ende nicht genau, wir mir das gelungen ist und ob es da draußen genug Leute gibt, die das verstehen, die sich das gerne anhören mögen. Bin ich über das Ziel hinausgeschossen? Solche Fragen stelle ich mir dann in diesem Schwebezustand, in dem ich mich aber auch freue, dass jetzt alle Teilchen zusammen… Ich… Ich weiß gerade nicht…
Sie wirken gerade so, als würde es Sie verlegen machen, über diesen Zustand zu reden.
Frevert: Ich spreche sonst generell nicht so viel über mich. Aber darum geht’s ja heute, bei so einem Interview.
Vermutlich, ja. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Musik?
Frevert: Als ich gerade kurz darüber sinniert habe, hatte ich den Eindruck, dass meine Form von Musik auch berühren soll, dass sie auch was mit Melancholie zu tun hat. Sie macht mit dem Hörer etwas anderes, als: Ich will tanzen oder mitklatschen oder mit dem Kopf nicken. Das ist nicht so einfach im deutschsprachigen Bereich. Ich habe mich selber auch unter Verdacht, dass ich dazu neige, mir in dem Bereich eher englischsprachige Sachen anzuhören.
Brauchen Sie als Hörer eine kleine Distanz zum Wort?
Frevert: Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich höre auch deutschsprachige Sachen, die mich berühren. Es gibt nur nicht so viele.
Aber es ist anscheinend Konsens, dass Musik emotional berühren muss. Wird da die Emotion nicht zwangsläufig zu einem Warenfetisch?
Frevert: Sie meinen das, was RTL2 so gerne macht: Da weint einer! Halt mal mit der Kamera drauf! Die „Power of Emotions“. Aber sowas meine ich nicht. Ich meine nicht Emotionen, die vorgeführt werden, sondern welche, die beim Hörer freiwillig entstehen, beim Hören der Musik. Diesen ganzen Authentizitäts-Emotions-Kram finde ich ganz fürchterlich und das ist auch eine ganz schlimme Industrie. Die arbeitet ja nur damit, was den Hörgewohnheiten entspricht. In diesem System heißt es: Wir sorgen bei dem Zuschauer für Gänsehaut, indem wir hier Register 1, 2 und 3 ziehen.
Wie kann man den wertvollen Moment der „emotionalen Berührung“ vor der Entwertung schützen?
Frevert: Es ist ein Unterschied, ob man etwas darstellt oder vorführt. Wenn man etwas darstellt, gibt man einen Teil, natürlich nur einen ganz kleinen Teil, von sich preis. Aber ich freu mich ja auch, wenn mein Pianist reinkommt und sagt: Hier, mein Streicher-Arrangement ist fertig. Der spielt das ab und ich denke: Hui! Toll! Das berührt mich. Die Frage ist, ob das auch schon Kalkül ist? Kennen Sie die Sendung „Vermisst“? Da werden jahrelang getrennte Familien wieder zusammengeführt.
Bei solchen Formaten möchte man daran glauben, dass Menschen wirklich geholfen wird. Aber die Art der Inszenierung stimmt misstrauisch.
Frevert: Es ist inszeniert, es folgt einem bestimmten Muster. Aber dann steht da tatsächlich eine junge Dame, die sich seit zehn Jahren nichts sehnlicher wünscht, als ihren Vater kennenzulernen. Die treffen sich da und heulen ohne Ende. Die Kamera geht drum rum, nochmal und nochmal, während die beiden einen sehr intimen Moment erleben. Man guckt da zu, schluckt, und könnte doch auch ein bisschen mitheulen, obwohl man im Grunde währenddessen denkt: Das ist doch fürchterlich, diese Kamerafahrt! Wie die denen auf die Pelle rücken…
Ist das der Zustand, den Sie meinten, als Sie Ihr neues Album „Das Paradies der gefälschten Dinge“ nannten?
Frevert: Ich will nicht das Fass aufmachen, dass das jetzt gesellschaftskritisch gemeint ist. Das kann man so interpretieren, aber ich habe mir für diese Frage eine kleine schmucke, kompakte Begründung zurechtgelegt: Das Paradies steht für die Musik. Die ist ein bisschen offener, größer geworden. Die gefälschten Dinge sind die Texte, die mit dem doppelten Boden. Die erzählen komische Geschichten und gehen manchmal noch so um die Ecke. Das Ganze beschreibt also das Zusammengehen von Musik und Text.
Und Sie sind der Gott, der das Paradies erschaffen hat?
Frevert: (Lacht) Ach, eigentlich wollte ich gerne das Wort Paradies im Titel haben. Das war einfach so ein Gefühl. Aber nur Paradies geht nicht. Das wäre dann ja schon eher im Bereich der Volksmusik.
Ich weiß von meinen Hörern, dass sie eher zurückhaltend sind.
Um über Ihre neue Plattenfirma Grönland Records zu sprechen: Sie gehört bekanntlich Herbert Grönemeyer. Hat er Sie angerufen und gesagt: Hallo Niels, hier ist Herbert?
Frevert: Nee. Ich war vorher bei Tapete Records unter Vertrag. Guter Laden. Gute Leute. Freunde. Aber der Vertrag war abgelaufen. Ich hatte schon vor der letzten Platte angekündigt, dass ich was neues ausprobieren will, woanders hin möchte und auch schon schon ein paar Angebote bekommen. Aber eine Plattenfirma habe ich selbst angeschrieben, das war Grönland. Es war mein Wunschlabel, das kann ich ruhig so sagen.
Das Label zeichnet sich durch eine interessante Mischung aus, die man unter dem Namen Grönemeyer nicht vermuten würde. Auch Krautrock und elektronische Club-Musik sind da vertreten.
Frevert: Ja. Und vor allem bringen sie nicht so viele Platten raus. Es ist eine kleine Firma, die sehr professionell arbeitet, das fand ich gut. Für die großen Firmen habe ich nicht die Nerven. Da müsste ich mich komplett umstellen, ein Management dazwischen schalten und so weiter. Das kam für mich nicht in Frage.
Die Erfahrung haben Sie mit Ihrer früheren Band Nationalgalerie und Ihrem ersten Solo-Album schonmal gemacht.
Frevert: Ja, genau. Ich wollte aber auch weg vom Indie-Geschäft. Also habe ich Grönland angemailt und gefragt: Könnte das von Interesse sein. Die haben sich sehr schnell und sehr freundlich zurückgemeldet. Ich fand es aber auch super, dass ich noch andere Angebote hatte. So war es tatsächlich das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir aussuchen konnte, zu welcher Plattenfirma ich gehe. Damit will ich jetzt auch nicht angeben oder so. Aber es war einfach ein gutes Gefühl zu wissen: Du landest nicht auf der Straße.
Gab es auch ein Meeting mit dem Chef?
Frevert: Ich wurde dann eingeladen, damit wir uns auch nochmal kennenlernen. Guter Typ, der Herbert. Der macht es einem ganz einfach, normal mit ihm umzugehen. Er ist ja schon sehr bekannt. Ein Megastar. Wir hatten uns schonmal getroffen vor 18, 20 Jahren. Ich habe ja früher in dieser erwähnten Band gespielt und wir waren im Vorprogramm von Herbert, im Bochumer Ruhrstadion. War toll. Damals haben wir auch schonmal „Tach“ gesagt. Aber das ist so lange her, ich habe gar nicht gewagt, ihn daran zu erinnern.
Sie waren mit Nationalgalerie jung und erfolgreich, dann haben sie sich aufgelöst. Was war das Problem?
Frevert: Viele Dinge sind zu früh gekommen, man war noch gar nicht darauf vorbereitet. Man war immer so gehetzt, musste bestimmten Vorstellungen entsprechen und hat das gar nicht hingekriegt. Die Platten sind nie so geworden, wie man das eigentlich wollte. Es ging immer darum: Wann ist die nächste Party? Und jetzt kann ich das alles selbst gestalten. Mittlerweile bin ich auch in der Lage, ein Album ungefähr so klingen zu lassen, wie ich mir das vorher erhofft habe. Und auch wenn ich jetzt auf Tour gehe, denke ich nicht an die Party danach, sondern: Was muss ich machen, damit das Konzert möglichst gut wird?
Sie haben den Nationalgalerie-Pop-Rock zunächst gegen eine Singer-Songwriter-Innerlichkeit getaucht, die an Nick Drake erinnerte. Nun schließen Sie auch pathetische Pop-Elemente ein, wie man sie von Rufus Wainwright oder dem mittleren Scott Walker kennt.
Frevert: Da will ich nicht widersprechen. Am wichtigsten ist, dass man eine Ahnung hat, was man will, dass man weiß, wie man das umsetzen kann und sich mit tollen Leuten umgibt, die einem dabei helfen. Das kann ich mittlerweile. Bei „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ wollte ich zum Beispiel ganz bewusst eine akustische Platte machen, fast nur mit Gitarre, die dann auch noch meistens gezupft ist. Es sollte nicht konstruiert klingen, sondern meinem Bedürfnis entsprechen, es genauso klingen zu lassen und meiner Fähigkeit, das auch umzusetzen.
Es gibt Stimmen, die sagen, wenn es Nationalgalerie heute noch geben würde, wären sie noch erfolgreicher als damals.
Frevert: Das weiß ich nicht, das hätte ich so nicht behauptet. Das steht sogar in der neuen Presse-Info, glaube ich. Das hätte ich verhindern sollen…
Die Musik, die Sie jetzt als Solo-Künstler machen, kann man allerdings auch als durchaus anschlussfähig an heutige Hörgewohnheiten bezeichnen. Ich würde daher gerne einen Ihrer Texte mit denen jüngerer deutschsprachiger Kollegen vergleichen.
Frevert: Aha?
Gemeinsam haben die Texte, dass sie mit popkulturellen Referenzen arbeiten. In einem Song heißt es: „An dem Tag als Kurt Cobain starb, lagst du in meinen Armen. Das war die schönste Zeit.“
Frevert: Das habe ich schon gehört, das ist aus einem Song von Bosse. Ich glaube das Bosse-Publikum ist sicher etwas jünger als meins. Trotzdem geht es in dem Song um die gute alte Zeit. Ich habe auf meiner vorletzten Platte auch so einen gehabt, der hieß „Niendorfer Gehege“. Da treffe ich einen Freund…
Dort heißt es „Ich war ein Jahr jünger als Du, wir flippten zusammen zu ‚I was made for loving you’“…
Frevert: Genau.
Und dann laden sie diesen Freund ein und singen: „Hier ist genug Platz für krumme Gedanken“. Wäre bei Bosse auch Platz für „krumme Gedanken“ oder sind es genau diese Gedanken, die Niels Frevert bisher weniger erfolgreich machen als zum Beispiel Bosse.
Frevert: Ich glaube nicht, dass so ein Satz einen weniger erfolgreich macht. Denn es gibt genug Leute da draußen, die sowas gut finden. Man muss sie nur erreichen. Und das ist nicht so einfach. Ich weiß es von meinen Hörern, die sind eher zurückhaltend. Haben Sie mal gesehen, wie wenig Fans oder Freunde ich bei Facebook habe? Da darf ich ich ja gar nicht drauf hinweisen. Das ist absurd wenig. Ich ahne, dass einige meiner Hörer sowas wie Facebook gar nicht interessiert. Die konsumieren gar nicht so viel und kaufen auch nicht so viele Platten. Von denen gibt es noch mehr, aber es ist schwer, an die ranzukommen. Da muss man auch ein bisschen Geduld mitbringen.
Man könnte auch fragen, warum verkaufen Sie nicht so wenig Platten wie der Berliner Songwriter Hans Unstern? „Du springst in den Chorus, aus allen Wolken, thoughtdreams be my parachute“ singt er in seinem „Cover Songs“. Ist textliche Abstraktion unverkäuflich?
Frevert: Ich überlege gerade, was passieren würde, wenn die Assoziationsketten, die Hans Unstern anbietet, komplett auf Englisch gesungen würden? Damit hat man im Englischen nicht solche Probleme, auch nicht in den USA.
Man kann darüber streiten, was Unstern da meint oder zitiert. Aber man könnte es auch so stehen lassen und sich am Rätsel erfreuen ohne es lösen zu müssen.
Frevert: Wenn wir ungefähr die Mitte von Bosse und Hans Unstern nehmen, dann gibt es da ja so Bands, die heißen Element Of Crime oder Tocotronic. Da denke ich schon: So klein ist das Land ja auch nicht, als dass es nicht auch genug Platz hätte für Leute, die so recht eigen unterwegs sind und ein bisschen was Sperriges mit sich bringen. Die sind sicherlich nicht nur komplett auf den großen Erfolg aus oder würden deswegen ihre Inhalte vernachlässigen. Und die können ganz gut damit leben.
Im Gegensatz zu Niels Frevert, der nebenbei noch im Hamburger Club Übel & Gefährlich jobben muss?
Frevert: Es braucht eben manchmal Zeit. Das ist kein Zweckoptimismus. Ich glaube, dass es eine Menge Leute gibt, die meine Musik noch nicht kennen, aber gut finden würden. Auch wenn sich das jetzt anhört, wie das Pfeifen im Wald. Ich mache mir auch nur so bedingt darüber Gedanken. Man muss dann einfach auf Tour gehen und nochmal eine Platte rausbringen. Und ja, ich möchte, dass mehr Leute zu meinen Konzerten kommen und hoffe, dass das mit dieser Platte passiert. Mal gucken.
Ein geglücktes, kenntnisreiches Interview…danke