Nightmares on Wax

Sampling ist für mich eine Kunstform

George Evelyn alias Nightmares on Wax über seine Raver-Zeit, ein zu perfektes Studio, Sampling-Kultur und einen Brief an Quincy Jones

Nightmares on Wax

© Warp Records

George, das Wetter in Berlin ist heute mal wieder ziemlich grau und verregnet. Wie ist das Wetter in Leeds, dem Ort, wo Nightmares on Wax entstanden ist?
George Evelyn: Ich erinnere mich, als ich dort aufgewachsen bin, war es eigentlich ganz gut. Im Sommer hatten wir sechs Wochen Ferien und da war auch richtig Sommer. Aber das war noch in den 80ern…

Also nicht das wolkige Regenwetter wie in London?
Evelyn: Doch, heute ist es das. Wahrscheinlich hat die Regierung da irgendwie Mist gebaut, mit dem Wetter (lacht). Aber dieses Jahr soll der Sommer gut gewesen sein. England ist ja eigentlich auch ein tolles Land – wenn das Wetter gut ist.

Ich frage natürlich auch nach dem Wetter, weil du vor ein paar Jahren nach Ibiza gezogen bist.
Evelyn: Ja, das war – nach 36 Jahren, die ich in England gelebt habe – eine Familien-Entscheidung. Für mich fühlt sich das aber nicht so an, als hätte ich die Heimat verlassen, es ist viel mehr das Gefühl, dass ich heimgekehrt bin. Ich liebe so vieles an Ibiza, es ist fantastisch dort, wir leben auf dem Land, mitten im Nirgendwo, aber in zehn Minuten kann ich am Strand oder in einem Club sein.

Beeinflusst das Wetter deine Musik?
Evelyn: Ja. Wobei ich dazu sagen muss: Ich hatte mir dort zuerst diesen Traum erfüllt, ein Studio mit viel Sonne. Das hatten wir tatsächlich in unserem ersten Haus auf Ibiza, ein Studio mit großen Fenstern, Blick auf eine große Wiese, auf Palmen. Aber dann war es oft so, dass ich die Arbeit nicht fertig gekriegt habe. Weil ich gesagt habe: Ach, das ist so schön hier, ich gehe erstmal raus und mache später weiter. Mañana, mañana. Das hat nicht funktioniert. Es hat die Musik auch zu ’sauber‘ gemacht.
Jetzt leben wir auf einem alten Bauernhof, da ist mein Studio mitten im Gebäude und hat kein einziges Fenster. Ich bin dort nur von meinem Platten umgeben, das ist meine kleine Höhle, dort weiß ich nicht, ob gerade Tag oder Nacht ist. Perfekt!

Wann bist du kreativer, im Sommer oder Winter?
Evelyn: Für den Prozess des Musikschreibens ist der Winter für mich das Beste. Im Winter produziere ich, im Sommer spiele ich die Musik auf meinen Gigs.
Außerdem: Von den zwei Millionen Menschen auf Ibiza im Sommer bleiben im Winter gerade mal 130.000 übrig – du siehst also fast niemanden. Und es gibt dann diese Zeitblasen, wo du die Zeit ganz einfach vergisst. Das mag ich, denn der kreative Prozess kennt ja auch keine Zeit, du kannst ihn nicht auf eine Uhrzeit festlegen.

Zitiert

Mein Studio hat kein einziges Fenster, ich bin dort nur von meinem Platten umgeben, das ist meine kleine Höhle, dort weiß ich nicht, ob gerade Tag oder Nacht ist. Perfekt!

Nightmares on Wax

Die Musik, die du als Nightmares on Wax veröffentlichst, hat einen sehr warmen Sound. Wie kam es zu diesem Sound?
Evelyn: Also, als das erste Album „A Word of Science“ rauskam, da waren wir zwei 19-jährige Kids, denen man plötzlich angeboten hat, ein Album rauszubringen. Also haben wir alles dort reingeworfen, was uns je beeinflusst hat. Was dabei rauskam, hat damals niemand verstanden. Heute dagegen sagt jeder, dass das Album großartig ist.

Es enthielt noch viele harte Sounds, Breaks – warm und ’soulful‘ wurde Nightmares on Wax erst ein wenig später.
Evelyn: Mein Ziel war es, so eine Verbindung zu schaffen, zwischen diesem rauen industrial-elektronischem Sound und diesem karibischen Feeling, groovy, deep, dubby, soulful. Mit „Soulful“ meine ich jetzt weniger einen Stil, sondern mehr ein Gefühl.

Über den Track „Aftermath“ vom Debütalbum schrieb ein Kommentator auf Youtube, das sei „die Definition britischer elektronischer Musik“.
Evelyn: Ich verstehe das insofern, weil das Ganze damals ja eine richtige Bewegung war. Man hat die Tracks für illegale Raves gemacht, egal ab das jetzt A Guy Called Gerald war, LFO, Forgemasters oder Nightmares on Wax – wir waren alle Breakdancer und ‚Body Poppers‘, wir hatten einen Electro-Hintergrund und den kann man in den Tracks hören. Und sozial passierte sehr viel, die Drogen überschwemmten die Clubs in ganz Großbritannien, es gab viele illegale Raves. Man ist in Auto-Konvois gefahren und hat versucht, die geheime Location zu finden. Ich erinnere mich noch, wie ich damals mit 19 in so einem Auto saß, auf dem Weg zu einem Rave, und zu meinem Kumpel sagte: „Ey, das ist wie eine Revolution!“ Ich dachte mir, so muss es auch in den 60ern gewesen sein. Man fühlte, dass da etwas ausbricht.

Großbritannien wurde zur wichtigsten Produktionsstätte für elektronische Musik…
Evelyn: …und das, obwohl es eigentlich nur eine kleine Insel ist. Rückblickend muss ich da echt sagen: Wow! Ich meine, wenn man sich überlegt, wann elektronische Musik in den USA explodiert ist – das war 25 Jahre später.

Der Track „Aftermath“ ist unlängst wieder aufgetaucht, auf einer Mix-CD des Electro-Produzenten „Fake Blood“.
Evelyn: Ja, es ist interessant, was mit den alten Sachen geschieht. In den letzten drei Jahren wurden wir häufig gefragt, ob wir das erste Album für Remixe freigeben. Aber wir haben das bislang abgelehnt. Weil wir das Erbe bewahren wollten und weil es keinen Sinn machte. Nächstes Jahr allerdings sind es 25 Jahre Nightmares on Wax, aus dem Anlass werden wir wahrscheinlich etwas mit dem Back-Katalog machen.

Du hast gerade das siebte Studioalbum „Feelin‘ Good“ veröffentlicht. Wie hat sich für dich das Musikproduzieren in den letzten Jahren verändert?
Evelyn: Ich war eine Zeitlang davon getrieben, immer alles noch besser zu machen, immer das beste Equipment zu haben – doch das ist mir heute egal. Mir sind die Basics jetzt sehr wichtig, die Erfahrung, und da muss der Prozess gar nicht zwingend ein anderer sein.
Natürlich hat sich das Aufnehmen durch die Technik verändert, da haben sich die Dinge beschleunigt. Aber für mich ist das Wesentliche, auf die Basics zurückzugehen und für mich eine gute Verbindung zwischen DJing und Produzieren herzustellen.

Nightmares on Wax: Feelin‘ Good

 

Benutzt du heute mehr Software oder mehr Hardware bzw. Instrumente?
Evelyn: Es ist ungefähr ein 50/50-Verhältnis. Ich benutze immer noch Sampler, aber genauso auch analoges Equipment. Und ich arbeite mit Live-Musikern zusammen. Es soll eine schöne Balance sein zwischen beidem, und ich denke, auf „Feelin‘ Good“ ist diese Verbindung so eng wie noch nie. Es gibt in jedem Track dieses Live-Gefühl, aber es hat eben auch dieses Sample-basierte und HipHop-Elemente.

Sampling ist also nach wie vor eine wichtige Grundlage für dich?
Evelyn: Ja, ich liebe das Sampling, das ist für mich eine Kunstform. Ich mag es, eine Klangidentität selber auszugraben, Klänge zu finden und sie dann zu schichten und zu manipulieren. Ich könnte mich natürlich auch bei irgendwelchen Sound-Datenbanken bedienen, aber das ist so einfach, deshalb klingen auch viele Sachen auf Beatport so gleich. Das würde mich nicht so sehr reizen.

Hattest du eigentlich irgendeine musikalische Ausbildung?
Evelyn: Nein. Ich bin zwar auf eine Musikschule gegangen, um Schlagzeug zu lernen, aber das habe ich nur zwei Wochen lang ausgehalten. Der Lehrer mochte mich nicht. Wir lernten Paradiddles, was mir sehr leicht fiel, aber der Rest der Klasse war langsamer als ich. Also bin ich zum nächsten übergegangen, und das hat den Lehrer irritiert.
Ich bin eigentlich froh, dass das so gekommen ist. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, … durch so eine Ausbildung entstehen ja auch Grenzen im Kopf. Ich kann keine Noten lesen, ich kenne die Tonarten nicht, ich weiß nur, wie es richtig klingt. Ich weiß, was ich fühle und was sich richtig anfühlt.

Einer deiner erfolgreichsten Tracks war „Les Nuits“, der auf einem Sample von Quincy Jones basierte. War es schwierig, dieses Sample zu lizensieren?
Evelyn: Ich musste damals einen Brief schreiben. Das war 1995, wir hatten „Smokers Delight“ bereits fertig, aber bis zur Veröffentlichung verging noch ein Jahr, weil wir erst noch das Sample clearen mussten. Ich musste dem Verleger von Quincy Jones in einem Brief erklären, warum ich dieses Sample benutzen will. Also habe ich aufgeschrieben, was diese Musik für mich bedeutet und wie sehr mich Quincy Jones durch bestimmte Songs inspirierte. Er gehört zu den Produzenten, die ich am meisten schätze.
Wir bekamen dann die Genehmigung, aber ob er selbst meinen Brief gelesen hat, weiß ich nicht.
Die Platte mit „Summer in the City“ hatte ich übrigens schon viel früher entdeckt, ich konnte sie nur noch nicht samplen. Damals habe ich noch den Sampler Casio Sk-1 benutzt, mit dem man maximal 1,6 Sekunden samplen konnte. Deswegen habe ich manche Platten zum Samplen mit viel höherer Geschwindigkeit abgespielt, um sie in den Sampler zu bekommen. Doch von „Summer in the City“ bekam ich auch auf diese Weise nie die vollen zwei Takte hinein. Da habe ich dann beschlossen: Sobald ich mir einen besseren Sampler leisten kann, ist das die erste Platte, von der ich samplen werde.

Ein Kommentar zu “Sampling ist für mich eine Kunstform”

  1. Max Flash |

    Nix geht über die frühen Sachen! Interessantes Interview, macht mehr DJs und Themen aus der Clubszene.

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