Nilam Farooq

Man vergisst oft, dass man vor allem für das Publikum die Filme dreht.

Bislang war der First Steps Award eine brancheninterne Veranstaltung, am 14. September können nun erstmals alle Filmfans bei der Preisverleihung für Nachwuchs-Filmemacher*innen dabei sein. Durch den Abend führt dann auf prosieben.de Nilam Farooq, die ihr Moderations-Debüt gibt. Im Interview spricht die Schauspielerin über Dreharbeiten mit Corona-Auflagen, die wichtige Stimme des Publikums, einen genderneutralen Schauspielpreis und warum sie über 1000 Videos aus ihrer Youtube-Zeit (fast) gelöscht hat.

Nilam Farooq

© Katja Feldmeier

Nilam, du moderierst am 14. September die Verleihung des Nachwuchsfilmpreises ‚First Steps‘. Ist das deine Premiere als Moderatorin?
Nilam Farooq: Ja, ich habe schon mal eine Laudatio vor großem Publikum gehalten, doch das ist tatsächlich die erste abendfüllende Moderation für mich. Es ist übrigens auch für den First Steps Award eine Premiere: Bisher war es eine brancheninterne Veranstaltung, in diesem Jahr können zum ersten Mal
alle auf prosieben.de live dabei sein.

Wie viel Zuschauer werden vor dir sitzen können?
Farooq: Es wird ein Saalpublikum geben, das allerdings auf ein Minimum beschränkt ist und nur aus den Nominierten und der Jury besteht, etwa 100-120 Personen.
Plus die Leute, die zuhause auf dem Sofa sitzen.

Wünscht man sich für das Debüt vielleicht auch eher ein kleines Haus?
Farooq: Wenn es gut läuft, wünschte ich mir natürlich, dass da sehr viele Leute zuschauen. Ansonsten ist es aber für die Aufregung ganz gut, dass die Verleihung im kleineren Kreis stattfindet.

Bist du auch aufgeregt wegen Kritikern, die gerne mal die Moderation einer Gala verreißen?
Farooq: Nein, das weniger. An Kritiker gewöhnt man sich, die machen ja auch nur ihren Job. Aufgeregt bin ich eher wegen Reaktionen aus dem Netz. Das Internet kann ja auch ein sehr dunkler Ort sein, wo Leute sich nicht gerade zurückhalten oder versuchen, Dinge nett zu formulieren. Da muss ich für mich noch eine gute Möglichkeit finden, das rauszufiltern.

Bist du durch deine mehrjährige Erfahrung als Youtuberin nicht abgehärtet, was das angelangt?
Farooq: Nein, dagegen war ich noch nie abgehärtet, das ist schon immer der schwierigste Part für mich. Ich habe es über die Jahre nie geschafft, mir ein dickes Fell anzueignen.

Zitiert

Ich habe es nie geschafft, mir ein dickes Fell anzueignen.

Nilam Farooq

Es gibt beim First Steps Award in diesem Jahr zum ersten Mal einen Publikumspreis…
Farooq: … was ich sehr wichtig finde. Denn oft vergisst man innerhalb der Branche, dass man vor allem für das Publikum die Filme dreht. Und wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer mitentscheiden können, ist das eine tolle Sache. Man geht dafür auf die Website behindthetree.de, wo man sich erst die Filme angucken und dann abstimmen kann.

Würdest du selbst lieber durch eine Jury beurteilt werden oder durch eine Online-Community?
Farooq: Ich denke, die optimale Lösung ist meistens eine Mischung aus beidem. Ich finde es schade, dass bei
vielen Preisen, die wir in Deutschland haben, oft nur Jury-Mitglieder entscheiden und das Publikum in der Regel außen vor gelassen wird. Seit 2014 gibt es beim Deutschen Filmpreis auch die Kategorie „besucherstärkster Film“ – das ist ein Schritt in die richtige Richtung, solche müsste es meiner Meinung aber noch viel mehr geben.

Kritiker würden jetzt vermutlich entgegnen, dass der normale Zuschauer keinen Sinn für Ästhetik und Filmkultur hat…
Farooq: Das Argument kenne ich natürlich,
teile es aber nicht. Nehmen wir als beliebtes Beispiel Til Schweiger: Von Jurys wird er nicht beachtet, doch seine Filme haben sich sehr viele Menschen angeschaut. Ich finde, das darf man nicht ausblenden. Selbst wenn jemand fachlich keine Ahnung hat – was er auch nicht muss – ist er doch trotzdem der Konsument des Produkts. Und ich finde, diese Meinung kann man am Ende schon mal einfließen lassen. Nicht zu 100 Prozent, denn dann gewinnen nur diejenigen Künstlerinnen und Künslter mit der größten Fanbase oder Filme mit den meisten Besuchern – aber in einem guten Verhältnis. Ich mache Filme für das Publikum, um Leute zu berühren, sie zum Nachdenken oder zum Lachen zu bringen – und nicht, weil ich von einem Kritiker einen Preis verliehen bekommen möchte. Das ist schön und toll, aber vor allem geht es um die Leute da draußen.

Du erarbeitest deine Moderation für First Steps mit einem Co-Autoren. Wie geht ihr dabei mit dem Thema Corona um?
Farooq: Mein Wunsch war, dass wir das so gut es geht ausblenden. Ich denke, die Leute da draußen sind zwischendurch mal ganz froh, wenn Corona einmal nicht thematisiert wird. Dadurch, dass es ein Saalpublikum gibt, kommen wir um bestimmte Hinweise zwar nicht herum, aber die
versuchen wir auf eine unterhaltsame Weise einzubinden.

Wie ist es dir selbst als Schauspielerin in der Corona-Zeit ergangen?
Farooq: Eigentlich hatte ich gehofft, dass 2020 für mich das Jahr der Jahre wird. Am 01. Oktober sollte ursprünglich „Contra“ starten, der neue Film von Sönke Wortmann, in dem ich mit Christoph Maria Herbst die Hauptrolle spiele, doch der wurde auf
den 14. Januar 2021 verschoben. Dann wurden im April Dreharbeiten zu zwei neuen Kinofilmen abgesagt und ich dachte: 2020 ist gelaufen. Mittlerweile hat es sich aber wieder eingependelt. Ich habe sogar schon wieder gedreht und fürs nächste Jahr gibt es ebenfalls einige tolle Projekte.

Welche Auflagen muss ein Drehteam im Moment erfüllen?
Farooq: Als Schauspieler musst du zuerst einen Corona-Test machen, dann fünf Tage in Quarantäne gehen, wieder einen Test machen, und wenn der negativ ist, darfst du drehen. Am Set selbst arbeitet das Team dann nur mit Maske, die Schauspielerinnen und Schauspieler nehmen sie zum Drehen natürlich ab.
Ich weiß auch von Quarantäne-Produktionen, wo Team und Ensemble für die gesamte Drehzeit in ein Hotel gehen und das Set komplett von der Außenwelt abgeschottet ist.

Durch die Test-Zeiträume bist du jetzt weniger flexibel…
Farooq: Richtig.
Wenn man zum Beispiel mehrere Drehtage hat, die nicht aufeinander folgen, sind damit viele Wochen belegt. Aber ich glaube, alle Filmschaffenden sind froh, dass solche Konzepte überhaupt entwickelt wurden, die es einem wieder ermöglichen, zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Als Youtuberin hättest du in der Corona-Zeit den Vorteil, dass du dich als One-Woman-Show um kein Hygiene-Konzept kümmern musst. Hast du in den letzten Monaten mit dem Gedanken gespielt, deinen Youtube-Kanal zu reaktivieren?
Farooq: Nein, überhaupt nicht.
Youtube war für mich eine tolle, besondere und auch anstrengende Phase, für die ich sehr dankbar bin. Aber mein Herz schlägt schon immer fürs Spielen. Youtuberin ist ein ganz anderer Beruf, den ich heute nicht mehr machen möchte.

Die alten Videos von dir sind auf Youtube nicht mehr verfügbar. Wie viele Videos hast du gelöscht?
Farooq: Gelöscht habe ich keins, sondern nur auf ‚privat‘ gestellt. Das waren über 1000 Videos…

Bei einer Reichweite von über 1 Million Follower verzichtest du damit auf gewisse Einnahmen.
Farooq: Das ist so, ja. Aber das tue ich ganz bewusst. Ich war immer Schauspielerin, bin es heute – und man macht es den Leuten auch einfacher, wenn man das klar kommuniziert. Ich werde mittlerweile als das wahrgenommen, was ich gerne sein möchte, deswegen war dieser Schritt absolut richtig.

Du hast in einem anderen Interview erwähnt, dass dir Leute jetzt unvoreingenommener gegenübertreten. Kannst du ein Beispiel nennen?
Farooq: Ja, als ich zu Sönke Wortmann zum Casting gegangen bin. Ich bekam die Rolle und beim ersten Treffen für den Film stellte sich raus, dass Sönke gar nichts von meinen Youtube-Aktivitäten gewusst hatte. Das hat mich gefreut,
denn so war klar und das sagte er mir auch, dass er mich nicht aufgrund einer Follower-Zahl besetzt hat, sondern weil ich abgeliefert habe.

Laut Umfragen rangiert bei den Berufswünschen von Kindern Youtuber ganz weit oben. Was denkst du darüber?
Farooq: Ich würde einem Kind sagen: ‚Wenn es dein Traum ist, musst du den verfolgen, aber sei dir bewusst, dass eine Karriere auf Youtube sehr viel mit Glück zu tun hat.‘ Ich finde es eigentlich besser, das erst mal als Hobby zu machen und dann zu schauen, wo die Reise hingeht. Ich würde niemandem empfehlen, alles stehen und liegen zu lassen, nur um Youtuberin oder Youtuber zu werden.
Genauso verhält sich aber auch mit allen anderen Berufen, zu denen einfach Glück dazugehört.

Zurück zu „First Steps“. Wo hast du deine ersten wichtigen Schritte im Filmgeschäft gemacht?
Farooq: Eine wichtige Schule war für mich die „Soko Leipzig“, wo ich 2012 angefangen habe. Dort war ich plötzlich Kommissarin in einem Krimi-Format, habe mit vielen Kolleginnen und Kollegen gespielt, viele Regisseurinnen und Regisseure kennen gelernt, 100 Drehtage im Jahr gehabt. Aus dieser Zeit habe ich sehr viel für meinen Beruf mitgenommen.

Bei der First Steps Award-Verleihung 2019 sagte der deutsch-iranische Regisseur Faraz Shariat („Futur Drei“), dass Künstler mit Migrationshintergrund in Deutschland „nicht Teil des nationalen Narrativs“ sind. Stimmst du ihm zu?
Farooq: Ja, wobei ich denke, dass das insgesamt in der Gesellschaft ein Problem ist. Was man in der Filmbranche sieht, ist davon nur eine Verlängerung. Dieses Problem muss auch thematisiert werden. Eine Lösung habe ich allerdings nicht, ansonsten würde ich mich wahrscheinlich auf einen hohen politischen Posten bewerben.

Aber du hast vielleicht eine Idee, wo man ansetzen könnte…
Farooq: Im Grunde genommen geht es
für mich um Menschlichkeit. Die darf nicht verloren gehen. Werte wie Respekt, Toleranz, dass es egal ist, welche Hautfarbe oder Religion man hat – dass es heute Menschen gibt, die dieses Konzept des Miteinander überhaupt anzweifeln, geht nicht in meinen Kopf. Von daher plädiere ich immer für Respekt und Toleranz. Ich weiß allerdings bei manchen Menschen nicht, ob dieser Appell noch etwas bringt.

Hast du selbst solche Anfeindungen auch erlebt?
Farooq: Was das Thema Migrationshintergrund anbelangt, habe ich über die Jahre recht viel Glück und wurde gut behandelt. Vielleicht auch, weil die Herkunft meiner Eltern, Polen und Pakistan, eine sehr ungewöhnliche Kombination ist. Da habe ich mehr Interesse erlebt, als dass Leute es verurteilt haben. Ich habe aber gewisse Vorwürfe erlebt, wenn es um die Frauen-Thematik ging.

In welcher Form?
Farooq: Dass ich als Frau bestimmte Klischees bediene, dass man nicht gleichzeitig gut aussehen und Grips im Hirn haben kann. Dass man nicht ernst genommen wird, weil Leute es nicht zusammen kriegen, dass eine Frau sich sowohl für Schminke als auch für Politik interessieren kann. Dazu der Umstand, dass du als Frau schlechter bezahlt wirst…

Hast du diese mangelnde Gleichberechtigung auch in Drehbüchern entdeckt, die man dir geschickt hat?
Farooq: Absolut! Ich habe es
bei Kollegen auch schon mitbekommen, dass Rollen umgeschrieben bzw. umbesetzt wurden.

Wie siehst du vor diesem Hintergrund die Entscheidung der Berlinale, die Schauspiel-Preise in Zukunft nicht mehr nach Geschlechtern getrennt zu vergeben?
Farooq: Schwierige Frage. Intuitiv würde ich sagen: Der Schritt bringt wenig, wenn die meisten Filme weiterhin so besetzt werden, dass Männer
teilweise die interessanteren Rollen bekommen. Wenn sich daran nichts ändert, wird es eher zum Problem, wenn diese Unterteilung nicht mehr vorhanden ist. Ich denke, um wirklich etwas zu verändern, müsste man eher bei Drehbüchern und der Rollenverteilung ansetzen und nicht als erstes bei den Preiskategorien.

Noch eine Internetfrage: Für Bewertungen im Netz gibt es auf Facebook und Youtube unterschiedliche Systeme, Facebook erlaubt nur einen Daumen nach oben, Youtube auch den nach unten. Welches System bevorzugst du?
Farooq: Grundsätzlich denke ich: Wenn man nichts Gutes zu sagen hat, sollte man die Klappe halten, vor allem, wenn es ungefragt ist – das wäre also näher am Prinzip von Facebook. Andererseits gibt es bei Youtube Inhalte, wo ich es wichtig finde, dass man sehen kann, dass die Community sie ablehnt.
Am liebsten ist mir aber ehrlich gesagt der Austausch in den Kommentaren. Wenn ich die lese gibt mir das meistens einen besseren Eindruck, wie gut oder schlecht etwas war.

Bist du heute noch beeinflusst davon, wie viele Menschen ein Posting von dir gesehen oder geliked haben?
Farooq: Ich gucke da schon drauf. Andererseits merke ich, dass es mich gar nicht mehr juckt, wenn zum Beispiel meine Follower-Zahl auf Instagram schrumpft. Bei so etwas bin ich heute sehr gelassen.

Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Farooq: Ein Glücksbärchi. Ich bin so ein Harmonie- und Gute-Laune-Typ. Und wie ein Glücksbärchi in einer Welt zu leben, die befreit ist von Hass und Neid, und wenn irgendwo Negativität aufkommt, einfach Glücksstrahlen rauszuschießen – das gefällt mir.

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INFO: 21. First Steps Award, live aus dem Holzmarkt Berlin, am Montag 14. September ab 19 Uhr auf prosieben.de. Nominierte Filme im Stream gibt es auf behindthetree.de.

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