Herr Wogram, letztes Jahr hat Ihnen das Berliner Jazzfest eine Werkschau gewidmet, in diesem wird Ihnen an gleicher Stelle der Albert-Mangelsdorff-Preis verliehen. Berlin scheint Sie zu lieben…
Nils Wogram: Ich bin darüber sehr erfreut, ja. Beim Jazzfest konnte ich meine Working Bands, mit denen ich über einen langen Zeitraum arbeite, vorstellen. Ich habe auch ein Manifest zur Bedeutung meiner musikalischen Konzepte verfasst. Als ich von der Union deutscher Jazzmusiker dann erfahren habe, dass ich den Preis bekomme, war ich erst mal total überrascht.
Welche Rolle spielen Preise in Ihrer Karriere?
Wogram: Ich versuche, Preise immer gleich als gute Investitionen in die Musik zu stecken. Das kann die Anschaffung eines Flügels zum Komponieren sein, oder die Finanzierung einer neuen CD. Ein Preis ist wie ein Katalysator, mit dem ich etwas machen kann, das ich vorher nicht finanziell stemmen konnte.
Es ist schwierig, im Jazzbereich Geld aufzutreiben, weil die Strukturen noch nicht vorhanden sind. Und wenn es sie doch gibt, sind sie total überlaufen, auch ist der Topf insgesamt zu klein, um substantiell die Szene zu fördern. Deshalb kann man auch nicht mit Preisen rechnen. Ich sehe das eher als Bonus an und freue mich, wenn’s klappt.
Die Verleihung des Preises bestätigt auch, dass sich die Union deutscher Jazzmusiker jungen Musikern öffnet.
Wogram: Bislang wurde der Preis immer für ein Lebenswerk vergeben. Andererseits arbeite ich aber auch schon seit nunmehr zwei Jahrzehnten ernsthaft, ich habe Respekt für die Tradition und vor dem Werk älterer Musiker. Ich hoffe, das kann jeder akzeptieren, denn der Preis steht ja als Anerkennung für Qualität und nicht für irgendeinen Medienhype. Und natürlich stehe ich dahinter, wenn auch die UdJ davon profitiert, weil die einfach verdammt gute Arbeit für alte und junge Jazzmusiker machen.
Was ist es, das Ihnen an den Kompositionen von Albert Mangelsdorff, dem Namensgeber des Preises, gefällt?
Wogram: Auf jeden Fall die Solostücke, die seine mehrstimmige Spielweise mit Harmonien und Formen des Jazz in sich verbinden und damit eine neue Idee mit der Tradition zusammen gebracht haben. Ansonsten habe ich einen ganz anderen Weg des Komponierens eingeschlagen. Mangelsdorff ist auf eine Art konventioneller in seinen Kompositionen, meist benutzt er acht- und viertaktige Formen. Ich bin mehr von Komponisten wie Gil Evans und Alban Berg beeinflusst, die ihre Kompositionen nicht nur als Vehikel benutzen, um ihre instrumentalen Fähigkeiten zu zeigen, sondern bei denen die Kompositionen für sich allein stehen. Durch Mangelsdorff bin ich eher instrumental beeinflusst und weniger kompositorisch.
Welche Spieltechniken haben Sie sich von Mangelsdorff angeeignet?
Wogram: Ich habe früher oft Stücke nachgespielt und mich auf das mehrstimmige Spiel, das Albert kultiviert hat, konzentriert. Das setze ich heute auch ein, nicht so permanent, eher subtiler. Das andere ist die Melodik, wie sie auf dem „Trilogue“-Album zu hören ist und die aus der modernen klassischen Musik stammt. Die Linien begeistern mich heute immer noch, weil sie nicht nur auf Sekunden und Terzen basieren und nicht nur diatonisch, sondern auch atonal sind. Im Jazz kennt man das zum Beispiel von Lennie Tristano.
Es ist schwierig, im Jazzbereich Geld aufzutreiben, weil die Strukturen noch nicht vorhanden sind. Und wenn es sie doch gibt, sind sie total überlaufen.
Wie radikal und kompromisslos war Mangelsdorff?
Wogram: Mangelsdorff hat seinen eigenen Stil immer radikal gespielt, da hat er niemals Kompromisse gemacht. Aber in was für ein Umfeld er sich damit manchmal begeben hat… Ich denke an musikalisch fragwürdige Projekte wie das mit den „Members of Klaus Lage Band“, bei denen ich mich frage, ob er das selber gut fand oder irgendein Produzent. Das war der Versuch, Jazz und Pop zusammen zu bringen, was weder zu kreativem Jazz noch zu süffigen Schlagern geführt hat. Insgesamt ziemlich blutarm. Heutzutage kümmere ich mich als Musiker eigentlich um alles – also nicht nur, was ich komponiere, sondern auch, mit wem ich das spiele.
Albert Mangelsdorff hat seinen Körper bis zum Umfallen beansprucht. Wie geht es Ihnen?
Wogram: Das ist ein Phänomen bei vielen Musikern, bei mir übrigens auch gerade. Dann sagt man „Bronchitis? Ach, geht schon“. Gesund ist das nicht, aber bevor ich einen Gig oder eine Tour absage, muss schon etwas Hartes passieren. Da betreibt man schon Raubbau am eigenen Körper. Um vom Jazz leben zu können, muss man aber besessen sein, ansonsten geht es künstlerisch und wirtschaftlich den Bach runter.
Da heißt es dann auch, Platten aufnehmen. Von Ihnen, bzw. der Formation „Root 70 with Strings“ ist gerade das Album „Riomar“ erschienen. Ist die Zusammenarbeit mit Streichern ein Aufnahmeprojekt oder haben Sie mit den Musikern schon vorher live gespielt?
Wogram: In diesem Fall war das ein Aufnahmeprojekt. Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass wir wirklich live spielen, weil das eine große Band mit sieben Leuten ist, die auch in New York und London leben. Ich dachte, dass wird vielleicht ein großes Konzert, aber dass wir richtig auf Tour gehen, damit habe ich nicht gerechnet. Dann gab es aber reges Interesse daran, und eine Mäzenin aus Basel hat uns finanziell unterstützt, damit die Musiker jeden Abend bezahlt werden, wir einen Busfahrer haben und was da alles dranhängt. Es wäre sonst unmöglich gewesen, eine Clubtour zu finanzieren.
Nils Wogram & Root 70 with Strings: Riomar
Wie war Ihr Konzept beim Komponieren für Band und Streicher?
Wogram: Ich habe an einen bestimmten Sound gedacht, von dem ich wusste, dass die Musiker den auch spielen können. Deshalb habe ich jedem Streicher ein richtiges Feature gegeben, eine Einleitung oder eine Melodielinie, zum Teil auch mit Raum zum Improvisieren. Größtenteils ist die Musik aber ausnotiert. Mir war von Beginn an klar, wer welches Instrument bedienen wird, wer welche Stärken hat und natürlich, was ich persönlich an dem Instrument mag. Mit der Beschränkung auf drei Streicher bleibt außerdem der Klang lebendig und transparent.
In den letzten Jahren gab es verschiedene Crossover-Ansätze von Jazzmusikern, um in Bereiche der Neuen Musik vorzustoßen…
Wogram: Mir ist das in den letzten Jahren auch aufgefallen, wobei das natürlich nichts Neues ist, das kommt in Wellen. Ich hatte mein Projekt schon vor längerer Zeit geplant und dass es jetzt stattfindet, ist Zufall. Ich sehe „Riomar“ aber nicht als E-Musik oder Crossover, sondern als romantische Jazzplatte mit Einflüssen aus Blues, Folklore und Filmmusik. Ich höre mir gerne E-Musik an, wenn sie streng komponiert ist, von Leuten, die ihr Handwerk wirklich verstehen. Aber ein Stück von Stockhausen zu improvisieren ist schlecht und einfach Quatsch. Ich mag’s lieber, wenn die Stärke der improvisierten Musik rauskommt: Spontaneität und Lebendigkeit. Wenn man sich dessen beraubt, dann wird die Musik blutleer. Andererseits kann man natürlich Neue Musik als Inspirationsquelle nehmen und anfangen zu improvisieren, das funktioniert.
Sehen Sie Ihre Stärken eher in der Improvisation oder der Komposition?
Wogram: Für mich ist es wichtig, dass ein Stück eine ganz spezifische Stimmung hat, und wenn die Musiker sich damit auch wirklich identifizieren und das ausleben, dann wird auch im Geist des Stückes darüber improvisiert und nicht einfach irgendwas gespielt. Ich habe das Gefühl, dass das im Zuge der Abstraktion ein bisschen verloren gegangen ist, vielleicht auch dort, wo es mehr um den Solisten als um das Stück geht. Das muss zurückkommen: der Geist des Stückes, der auch in der Improvisation vorhanden ist.
Was inspiriert Sie beim Komponieren?
Wogram: Ganz verschiedene Dinge. Ich mache mir Notizen zu Inspirationsquellen, über Orte, Situationen, Texte oder Lektürezitate, die mir etwas suggerieren. Die Idee zum Stück „Vacation Without Internet“ kam mir durch eine Anzeige, in der eine Firma eben genau dafür warb: Ferien ohne Internet. Anschließend habe ich mir überlegt, wie so ein Stück klingen muss, mit einer fröhlichen, leichten Stimmung. Ich arbeite aber nicht nur außermusikalisch, sondern auch konkret an technischen Herausforderungen, die mich interessieren, an Melodien oder Tempi. „Seeing The Old In The New“ ist durch Filmmusik von Serge Gainsbourg inspiriert, bei der ich eine Stimmung aufgegriffen habe und diese dann versucht habe, in einem eigenen Stück zu verarbeiten.
Komponieren Sie auch unterwegs oder nur Zuhause in Zürich?
Wogram: Ich komponiere aus der Erinnerung heraus und auch durch einen Filter. Das heißt, eine Idee kommt manchmal Monate oder auch Jahre später zurück. Das ist nicht so überdreht, dass man nicht sofort ein Stück aus einer bestimmten Situation machen will.
Ein Freund von mir ist vor vier Jahren gestorben, und ich schreibe ihm erst jetzt ein Stück, ich weiß nicht, warum das passiert, das braucht einfach seine Zeit, um durch den Körper und den Geist zu gehen und dann kommt es raus.
„With Strings“ war früher ein Strategie im Plattengeschäft, um mehr Hörer zu erreichen. Haben Sie sich solche Alben vorher angehört und wenn ja, welche ertragen Sie davon am wenigsten?
Wogram: Wenn es musikalisch funktioniert, ist von meiner Seite aus alles legitim. Charlie Parker zum Beispiel hat sich damals riesig darüber gefreut, mit einem Streichorchester zu spielen, und er spielt wirklich göttlich und vor allem überraschend auf dem Album, überhaupt nicht romantisierend. Ja, die Streicher sind kitschig, aber die Arrangements sind gut gemacht, hollywoodmäßig eben. Clifford Brown dagegen ist eher ein bisschen klebrig… Ach, insgesamt kommen wohl alle anderen Aufnahmen, die in diese Richtung gemacht worden sind, nicht an Charlie Parker ran. Sein Album war definitiv ein Vorbild, ich wollte diese melancholische Stimmung haben. Daneben habe ich auch Mendelssohn und Händel gehört, da gibt es auch Momente auf dem Album, wo diese Einflüsse aufflackern. Von der Grundstimmung haben mir als Vorbilder auch die Alben „Sketches of Spain“ und „Kind of Blue“ von Miles Davis gedient.
Was ich dagegen überhaupt nicht haben kann, ist Fahrstuhl-Jazz, der so richtig schleimig ist, trieft und die übelste Seite des Kommerzes und Kapitalismus zeigt.
Gibt es schon ein neues Album, von dem wir noch nichts wissen?
Wogram: Das nächste Album ist tatsächlich schon eingespielt, aber noch nicht gemastert. Die Besetzung ist ein Posaunenquartett. Mir macht das mittlerweile auch nichts mehr aus, dass ich heute etwas aufnehme und erst ein Jahr später veröffentliche. Für mich ist nur wichtig, dass der Prozess von der Aufnahme bis zur Fertigstellung des Projektes schnell geht, also innerhalb eines Monats, dann steckt da Energie drin. Dann ist da auch wieder Platz und Zeit, damit sich neue Gedanken entwickeln und reifen können. Das ist wichtig fürs Komponieren.