Hi Norrin, mit "Monsters and Angels" hast du gerade dein zweites Album veröffentlicht. Obwohl das Songwritertum in Deutschland nicht besonders verbreitet ist, hattest du bereits mit deiner ersten Platte gute Erfahrungen gemacht, oder?
Radd: Ja, die war damals noch auf dem Label Ulftone erschienen, die hatten bis dahin nur amerikanische Songwriter unter Vertrag. Die Platte hat international sehr gute Reviews bekommen, zumindest für eine deutsche Produktion dieser Art war das ungewöhnlich viel. Da haben sich viele gefragt, wie es sein kann, dass so eine Art von Musik, so eine Produktion aus Deutschland kommt. Es gibt dann drei verschiedene Reaktionen, ungläubiges Staunen, haltlose Begeisterung oder eine Irritation. Manche Leute sind fast schon ein bisschen verärgert, nach dem Motto: Der ist doch Deutscher, wieso macht der solche Platten?
Meinst du damit die Stimmen aus dem Ausland?
Radd: Nein, in England und den USA war die Resonanz komplett normal, ich werde dort als Künstler wahrgenommen. Da wird auch nicht weiter hinterfragt, ob das jetzt besonders deutsch oder undeutsch ist, was ich mache, die nehmen das einfach als originäre Rockmusik wahr. Inzwischen habe ich auch Resonanzen von Leuten, die mich selbst sehr geprägt haben, die mich motivieren, weiter so Musik zu machen, wie ich will. Roger McGwin von den Birds hatte mir geschrieben und Donovan hat mir zur zweiten Platte ein Gedicht geschrieben, weil ihn die Songs so angesprochen haben. Also, ich kümmere mich nicht darum ob bei mir jetzt der Deutsch-Anteil hoch genug ist oder wie amerikanisch man als Deutscher klingen darf.
Was ist für dich bei der Arbeit als Songwriter besonders wichtig?
Radd: Songwriting ist für mich die Vermittlung von Emotionen durch einem Song, aus dem sich jeder etwas anderes mitnehmen kann. Du schreibst den Song aus einer eigenen emotionalen Verfassung heraus, sei die authentisch oder auch fiktiv, jemand anders hört den Song und nimmt ihn in seiner emotionalen Verfassung auf. Das klassische Beispiel: angenommen du hast Liebeskummer und hörst eine bestimmte Platte, dann meinst du, der Sänger versteht dich, der drückt genau das aus, was du empfindest. Im Idealfall wird ein Song so zu vielen verschiedenen Songs – dann ist der Song auch wirklich gelungen und das ist für mich der Reiz am Songwriting.
Welche Unterschiede würdest du nun zwischen deinem ersten und dem neuen Album hervorheben?
Radd: Ich finde, dass "Monsters and Angels" vor allem musikalisch ein Schritt nach vorne ist, weil es auch wesentlich konsequenter produziert wurde. Mein Bemühen war, dass die Platte rauer ist, direkter und vielseitiger. Thematisch gesehen habe ich, wie viele andere Songwriter auch, einen roten Faden, der sich durch meine gesamte Arbeit zieht. So sind es die Abgründe des Zwischenmenschlichen, die in meinem musikalischen Schaffen einen größeren Stellenwert haben als andere Themen wie vielleicht die Völkerverständigung oder die Umweltverschmutzung.
Schließt du solche Themen denn für die Zukunft aus?
Radd: Nein, ich würde nur ausschließen, dass ich als Musiker irgendeine Aufgabe habe, bestimmte Themen zu vermitteln. Ich muss mich nicht für irgend etwas engagieren. Ich drücke einfach aus, was mich beschäftigt und dieser Ausdruck kann sich ändern, je nachdem wie sich meine Lebenssituation ändert. Allerdings kann so etwas bei manchen Songwritern auch zu ganz furchtbaren Resultaten führen. John Lennon zum Beispiel, der hat, als er glücklich verheiratet war, eine ganz schreckliche Platte mit Babygesang gemacht.
Wie entstehen deine Songs?
Radd: Die aktuelle Platte ist relativ diszipliniert und geplant entstanden. Ich hatte mir vorher einen Zeitrahmen gesetzt und mir gesagt, zu dem Datum gehe ich ins Studio und ab da gebe ich mir genau drei Wochen, die Songs zu schreiben. Ich hatte zu dem Zeitpunkt genügend emotionales Material, das ich verarbeiten wollte. Ich habe die Songs in meiner Wohnung geschrieben. Zuerst habe ich mir für jeden der zwölf Songs in der Wohnung einen anderen Platz gesucht. Dann habe ich für jeden Song weiße Blätter genommen und erst mal das drauf geschrieben, was mir schon eingefallen war. Manchmal war das nur der Titel, eine Akkordfolge, oder es war ein ganzer Refrain. Die nächsten Tage bin ich dann zwischen den Blättern hin- und hergewandert, immer wenn mir etwas einfiel, habe ich hier und dort einen Song vervollständigt. Nach einer Woche wirst du aber verrückt dadurch, dass du immer nur im Kreis läufst. Da habe ich mich noch weiter diszipliniert und mir gesagt, ich arbeite jetzt jeden Tag nur noch an einem Zettel, bis der Song fertig ist – selbst wenn es weh tut, oder ich kein Bock habe. Nach zweieinhalb Wochen hatte ich die Songs dann zusammen.
Und wie viele Zigarren hast du in diesen Wochen ver(b)raucht?
Radd: Das waren schon einige Dutzend, vor allem auch während der Studioproduktion.
Einfach aus Genuss?
Radd: Nein, das hat dann auch viel mit dem emotionalen Stress zu tun, wenn ich mich hinsetze und schreibe. Man ist ja permanent konzentriert, man denkt immer nach, ob der neueste Einfall jetzt gut oder schlecht ist.
Nun, die Zigarren bekommst du ja gesponsert.
Radd: Ja, aber welcher Musiker arbeitet heute nicht mit Sponsoren zusammen? Der Normalfall ist ja Fusel oder Zigaretten – bei mir sind’s die Zigarren. Ich rauche in der Tat sehr gerne Zigarren und ich verkehre seit Jahren in einem schönen Berliner Zigarrengeschäft. Der Chef ist ein netter, vornehmer Herr mit Krawatte, der hat in seinem Laden ein Hinterzimmer, da kann man sich – wenn man mal kein Bock auf die Welt da draußen hat – hinsetzen und schön seine Zigarre rauchen. Manchmal gehe ich einfach zum Schwatzen dahin. Und da der Herr Herzog meine Karriere seit längerem verfolgt hat er eben gefragt, wie er sich engagieren könnte.
Wie wichtig ist es für dich, in Zukunft auch mal in den USA aufzutreten?
Radd: Also, ich bin jetzt nicht derjenige, der dem Country mit Hut und Line-Dancing nacheifert, ich habe auch nicht diese naive Amerikagläubigkeit, wie es bei vielen deutschen Country-Fans der Fall ist. Sicher kommen bei mir wesentliche Einflüsse aus den USA, trotzdem heißt das für mich nicht sofort "Amerika, gelobtes Land der Musik". Allerdings fällt mir generell auf, dass die Populärmusik dort und in Großbritannien eine ganz andere Einbindung in die Alltagskultur hat als hierzulande. Musik hat in Deutschland nicht so einen Stellenwert im Leben der Leute. In den USA dagegen triffst du Fernsehredakteure oder Ärzte, die können dir die Diskographien der Stones oder Birds bis in den letzten Stammbaum runterdeklinieren – versuch das mal in Deutschland. Selbst Leute, die hier in der Branche arbeiten, jemand der bei einem Major-Label arbeitet, der bekommt vielleicht bei Tina Turner feuchte Augen, hat noch drei andere Platten im Regal – das war’s dann aber auch schon. Ansonsten interessiert der sich vielleicht mehr für Surfen oder Segeln.
Was für Platten findet man bei dir im Regal?
Radd: Hauptsächlich Musik aus dem klassische Zeitalter der Rockmusik aus den 50ern und 60ern, jede Menge Rock’n’Roll-Platten, daneben viele alte Soul-Platten und natürlich das klassische Songwritertum aus den 60ern, Beatles, Birds und aus den späteren Jahrzehnten Platten von Musikern, die diese Fackel weitergetragen haben.
Dein Musikerdasein spiegelt sich also mehr oder weniger in deinem Plattenschrank wieder.
Radd: Ja klar, ich glaube anderen Musikern auch gar nicht, wenn die behaupten, sie würden privat ganz andere Musik hören, als sie selbst machen, das ist dann wohl eher der Drang, nicht als unterbelichteter Künstler dazustehen. Ich stehe natürlich zu meinen Wurzeln, bin aber auch offen für elektronische Sachen, die neue Single von Primal Scream beispielweise, da ist nicht eine Gitarre drauf, aber supergeil. Gegen moderne elektronische Musik habe ich überhaupt nichts, nur bin ich auch nicht bemüht, manchen neuen Bands künstlich hinterher zu laufen um einen Eindruck der Hippness zu erwecken. Denn eins ist wohl klar: dieses Jahr rennen Tausende Leute zu "Peaches", den "White Stripes" oder den "Strokes" – an die wird sich in zwei Jahren niemand mehr erinnern.
Wobei für diesen künstlichen Hype ja die Plattenfirmen Verantwortung tragen und nicht unbedingt die Musiker selbst.
Radd: Durchaus, ich bin ja auch weniger aus moralischen Gründen gegen solche Entwicklungen, sondern viel mehr, weil diese Entwicklungen keinen Sinn machen. Da wird etwas mit viel Power an die Wand geklatscht und dann geguckt, ob es kleben bleibt. Es hat sich in den letzten Jahren schon einiges verändert in der Musikindustrie, es werden immer weniger Platten verkauft, die Plattenfirmen schicken ihre Leute reihenweise nach Hause. Ein Musiker kann sich daher bei einem Major auch nur noch schwer entwickeln. Früher war es für einen Künstler mit Vertrag bei einem Major-Label noch normal, dass die mit ihm einen Drei-Alben-Deal gemacht haben. Beim ersten hat man geguckt was passiert, beim zweiten hat man gehofft, dass es sich entwickelt, und spätestens die dritte Scheibe musste sich verkaufen. Heute produziert der Künstler ein Album und wenn sich das nicht verkauft, dann war’s das halt. Ich für mich habe daraus meine Konsequenz gezogen und produziere meine Platten in wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Trotzdem habe ich einen relativ hohen Produktionsstandard, einen sehr guten Vertrieb, und was die Promotion anbelangt, mache ich mir kaum Sorgen. Ich bin auch ohne Major schon im Rolling Stone gewesen oder im Musikexpress. Letzten Endes liegt es dann doch an der Musik, und daran, inwieweit man es schafft, sich von dem üblichen Geschäft unabhängig zu machen. Ich will, dass meine Musik gehört wird und dass mir dabei nicht allzu viele Leute reinquatschen.
Wie viele Gitarren hast du?
Radd: Im Moment sind es nur noch 10 glaube ich, früher hatte ich noch über 20. Das waren zwar sehr gute Gitarren, aber ich habe mit der Zeit gemerkt, dass ich ein paar davon nie benutzt habe. Und bevor die nur noch Staubfänger gewesen wären, habe ich sie verkauft, da hat dann jemand anders wieder etwas davon. Und die 10, die ich jetzt insgesamt noch habe, das sind sehr schöne Instrumente, die auch alle eine Geschichte haben und die ich teilweise sehr lange gesucht habe.
Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Radd: Ich bin Silversurfer, der hat mich als Kind immer sehr begeistert, denn Melancholie bei einem Superhelden, das gab’s nicht sehr oft. Ich war ein sehr ängstliches Kind und wie viele ängstliche Jungs saß ich mit acht, neun Jahren in meinem Zimmer und habe Superhelden-Comics gelesen. Mit denen kann man sich gut identifizieren, weil die auch immer eine schwache Seite haben, sie haben die Eltern verloren oder irgend etwas schreckliches ist ihnen passiert, woraus dann ihre Kraft erwächst und sie zu Übermenschen werden lässt.