Oleg Panfilow

Die russische Zivilgesellschaft hat keinen eigenen Willen.

Oleg Panfilow über die Rolle des neuen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew, über das schwierige Verhältnis der russischen Bevölkerung zu Redefreiheit und die russische Presselandschaft

Oleg Panfilow

© cjes.ru

Herr Panfilow, Sie sind Vorsitzender des „Russischen Zentrums für Journalismus in Extremsituationen“, einer Tochter des „Russischen Journalistenverbandes“. Was genau macht Ihre Organisation?
Panfilow: Wir möchten Journalisten helfen, die unter extremen Bedingungen in Ländern der ehemaligen Sowjetunion arbeiten, in denen es keine oder nur eine eingeschränkte Pressefreiheit gibt. Wir überwachen Verletzungen der Rechte von Journalisten und führen Statistiken darüber.
Wir kämpfen nicht gezielt für irgendwen wie zum Beispiel die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. Unsere Aufgabe besteht vielmehr darin, Journalisten beizubringen, für sich selbst zu kämpfen und unabhängig zu sein. Diesbezüglich folgen wir einem japanischen Sprichwort: „Man reiche dem Hungrigen keinen Fisch, sondern man gebe ihm eine Angel.“

Welche Erfahrungen machen Sie täglich in Moskau?
Panfilow: Als jemand, der sich mit Pressefreiheit befasst, gehen mir zum Beispiel Offizielle aus dem Weg. Man hält uns für Verrückte, die in Russland etwas erreichen wollen, was niemals existierte.

Sie sagten, dass unter Jelzin ein kleiner Grad an Pressefreiheit aufgekommen war, der von Putin jedoch wieder zerstört wurde. Was wird sich nun unter Medwedews Präsidentschaft ändern?
Panfilow: Gar nichts. Putins Politik war für die jeweiligen Machthaber sehr gut, von daher wird Medwedew auf keinen Fall die bestehenden Propagandasysteme zerstören, die Putin in den vergangenen acht Jahren errichtet hat. Ohnehin verfolgt Putin nur ein Ziel: die Rückkehr ins Präsidentenamt in vier oder in acht Jahren, vielleicht sogar früher. Und die Propagandamaschinerie wird ihm diese Rückkehr ermöglichen. Nur mit gezielter Propaganda wird es möglich sein, der russischen Bevölkerung eine Rückkehr Putins anzukündigen und sie über die Gründe aufzuklären.

Wer ist Medwedew in ihren Augen? Eine Marionette Wladimir Putins und der Oligarchen oder doch ein unabhängiger Vertreter der „Liberalen“ im Kreml, die regelmäßig konträre Positionen gegenüber den Vertretern des Militärs oder des Geheimdienstes einnehmen?
Panfilow: Wenn Medwedew in den Spiegel guckt, erblickt er Wladimir Putin. Er ist eine exakte Kopie, ein Klon Putins.

Professor Angelika Nußberger, Direktorin des Instituts für Ostrecht an der Universität Köln, spricht von einer „gelenkten Demokratie“ in Russland, aus der die russische Zivilgesellschaft den Ausweg selbst finden müsse. Möchte das die russische Zivilgesellschaft überhaupt?
Panfilow: Die russische Zivilgesellschaft hat keinen eigenen Willen. Es ist unmöglich, eine funktionierende Zivilgesellschaft in einem kommunistischen System zu entwickeln. Davor gab es das russische Imperium, das ebenfalls die Entwicklung einer Zivilgesellschaft nicht zuließ. Und nach fünf Generationen, die den Kommunismus erlebt haben, ist nicht davon auszugehen, dass sich nun in wenigen Jahren eine funktionierende Zivilgesellschaft entwickelt.

Der Radiosender „Echo Moskau“ berichtete kürzlich, dass ein „Marsch der Nicht-Einverstandenen“, der für den 6. Mai in Moskau angesetzt war, verboten worden wäre. Wie sieht die Lage der Opposition in Russland aus?
Panfilow: So ziemlich jeder Oppositioneller, jeder mögliche Teilnehmer des Marschs, wurde gezielt eingeschüchtert oder eingesperrt.

„Das Internet hat die Funktionen der Institutionen einer demokratischen Gesellschaft übernommen“, sagt der Moskauer Internetjournalist Dmitri Vinogradov.
Panfilow: Das stimmt sicherlich. Gerade deshalb fürchten die russischen Behörden das Internet, da zum Beispiel in der Ukraine die Orangene Revolution überhaupt erst durch das Internet ermöglicht wurde. Es war die einzige Informationsquelle der Revolutionäre. In der Realität sieht es jedoch so aus, dass es in Russland für eine derartige Revolution überhaupt keine Basis gäbe.

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Putin hat nur ein Ziel: die Rückkehr ins Präsidentenamt in vier oder in acht Jahren, vielleicht sogar früher.

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Inwieweit ist die Situation der Pressefreiheit in Russland mit der in China vergleichbar?
Panfilow: Es gibt in Russland natürlich kein kommunistisches System mehr. Auch der Staat hat trotz allem nicht die gleiche Kontrolle über das Mediensystem wie in China. Das einzige, was bei beiden Staaten gleich ist, ist die Tatsache, dass die Journalisten das Prinzip der Redefreiheit nicht richtig verstehen.

"In Russland gibt es keinerlei Kontrolle über das russische Segment des Internet“, antwortete Wladimir Putin im Oktober letzten Jahres auf eine Frage nach Zensur nach chinesischem Vorbild.
Panfilow: Die Regierung würde gerne das Internet kontrollieren, aber anders als in China gibt es in Russland keine regierungseigenen Internetprovider. Daher gibt es auch keinen direkten Eingriff in die Verbreitung von Informationen auf Webseiten.

Viele Russen heißen laut Umfragen Zensur gut. Warum?
Panfilow: Um überhaupt beurteilen zu können, ob Zensur gut oder schlecht ist, benötigen die Bürger erstmal eine Meinung zur Redefreiheit.
Das Wort „Zensur“ taucht zum allerersten Mal in der russischen Verfassung von 1993 auf. Von daher wissen die meisten Menschen in Russland gar nicht, was Zensur und Redefreiheit bedeuten. In Russland hat es de facto nie die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung gegeben, weder zu Zeiten des Russischen Reiches oder zu Sowjetzeiten noch heutzutage. Für einen Europäer ist das Recht der freien Meinungsäußerung ein fester Bestandteil des Grundgesetzes. Sie bedeutet für einen Europäer auch, dass man die Möglichkeit besitzt, Informationen von offiziellen Quellen zu erhalten. Für einen Russen bedeutet Redefreiheit, dass man als Bürger das Recht hat, die Dinge auszusprechen, die die Machthaber vertreten.

Der Journalist Iwan Safronow, der Spekulationen zufolge illegalem Waffenhandel Russlands mit Syrien und dem Iran auf der Spur war, starb im März 2007 nach einem Sturz aus dem Fenster eines Moskauer Appartementhauses. Laut der Ermittler war es Selbstmord.
Panfilow: Ich kannte Iwan Safronow und weiß, dass es kein Selbstmord war. Er war kein Mensch, der Selbstmord begehen würde.

Warum glauben Sie nicht an einen Selbstmord? Medienberichten zufolge soll er vor seinem Tod eine schlimme Krankheitsdiagnose erhalten haben…
Panfilow: Überlegen Sie mal, er geht vorher im Supermarkt einkaufen, kauft frisches Gemüse und Brot und springt dann aus dem Fenster? Noch dazu sprang er aus dem Fenster im fünften Stock, obwohl sich sein Appartement im zweiten Stock befand. Das ist alles vollkommen unlogisch.
Die Aufklärungsrate bei Morden an Journalisten in Russland liegt fast bei Null, und der Fall Safranow wird auch nicht aufgeklärt werden. Safronow ist ein weiteres Opfer in einer Reihe mutiger Journalisten, die aufgrund ihrer Arbeit ihr Leben lassen mussten.

Der „Moskowskij Korrespondent“, eine Moskauer Boulevardzeitung, wurde eingestellt, weil er angeblich nicht rentabel war. Zuvor hatte die Zeitung im April ausführlich über eine bevorstehende Scheidung Wladimir Putins und eine mögliche Heirat mit einer Sportgymnastin berichtet.
Panfilow: (lacht) Von 35.000 Zeitschriften und Zeitungen in Russland sind 34.900 unrentabel. In Russlands Presse dominieren Infotainment-Themen und es gibt Boulevardmedien genau wie in Deutschland oder England, die gezielt und aggressiv solchen Themen nachgehen.
Die Zeitung versuchte etwas bis dahin Ungewöhnliches: Sie versuchte, Details aus Putins Privatleben an die Öffentlichkeit zu bringen, da es solche Details bisher nicht gab. Im Endeffekt handelte es sich bei dem Artikel um eine Ente.
Ich glaube jedoch nicht, dass es sich bei der plötzlichen Einstellung des „Moskowskij Korrespondent“ um eine politische Entscheidung handelt.

Der Journalistin Natalia Morar wurde die Einreise nach Russland verweigert mit der Begründung, sie sei „eine Gefahr für die nationale Sicherheit Russlands“. Morar ist Moldawierin, Sie sind Tadschike. Befürchten Sie nicht, dass auch Ihnen die Einreise nach Russland verweigert werden könnte?
Panfilow: Ich selber bin journalistisch kaum noch aktiv, da ich einfach keine Zeit habe. Außerdem wird unsere Organisation eher als unpolitisch und daher nicht als innenpolitische Gefahr betrachtet. Allein schon deshalb, weil die Mehrheit unserer Mitglieder nicht über die russische Staatsbürgerschaft verfügt.

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