Oliver Hirschbiegel

Es gibt eine Linie von Georg Elser zu Edward Snowden.

Der Regisseur Oliver Hirschbiegel über schwäbischen Perfektionismus, Hinrichtungsvideos im Internet, die Arbeit an seinem Film „Elser“ und dessen Titelhelden, den Hitlerattentäter Georg Elser.

Oliver Hirschbiegel

© NFP / Kurt Krieger

Herr Hirschbiegel, Ihr Film „Elser“ erzählt von dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler im November 1939. Warum wollten Sie daraus einen Film machen?
Hirschbiegel: Zunächst war dieser Film nicht meine Idee, ich bin erst später ins Projekt eingestiegen, als die Arbeit am Drehbuch, die Recherche schon längst im Gange war. Aber abgesehen davon: Wir haben nicht so viele wie Georg Elser, eigentlich haben wir nur diesen einen. Als Widerstandskämpfer würde ich ihn nicht nur auf eine Stufe mit Stauffenberg stellen, sondern eigentlich noch höher. Das Stauffenberg-Attentat wurde erst geplant, als längst klar war, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Elser hatte sein Attentat schon seit 1938 geplant, weil ihm klar geworden war, worauf das ganze hinauslaufen würde. Er wollte den Krieg verhindern. Davon ist bisher nicht nur im Film zu wenig erzählt worden, sondern Elser ist gänzlich in Vergessenheit geraten.

Warum ist das so? Im deutschen Nachkriegsgedächtnis sind neben Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Widerstandskämpfer vor allem die Geschwister Scholl präsent.
Hirschbiegel: Ich glaube, das hat mit dem Klassensystem zu tun, auch wenn wir es heute nicht mehr so nennen. Stauffenberg war eben Aristokrat, Mitglied der Offizierskaste. Die Scholls waren Akademiker, hatten einen Akademiker-Background. Diese Schichten haben eine Lobby und denen wird es wohl eher peinlich gewesen sein, dass ausgerechnet ein Arbeiter so früh so schockierend hellseherisch und konsequent genug war, um zu sagen: Diese Leute sind Gift. Die müssen gestoppt werden. Wenn kein anderer das macht, dann mache ich das eben.

Klaus Maria Brandauer hat bereits 1989 den Film „Georg Elser – Einer aus Deutschland“ gedreht…
Hirschbiegel: Der hat mich damals auch wahnsinnig beeindruckt. Ich wusste schon ein bisschen über Elser und fand es irre, dass Brandauer diesen Film gemacht hat. Was da erzählt wird, entspricht dem Wissen der damaligen Zeit. Seither wurde aber sehr viel mehr über diesen Elser herausgefunden und das wird nun auch erzählt. Außerdem: meine Bombe ist besser. (lacht) Wir haben die Bombe präzise nach den Originalplänen nachbauen lassen.

Worum geht es bei den neuesten Forschungsergebnissen vor allem?
Hirschbiegel: Sie räumen mit der Mär auf, dass Elser ein etwas depressiver, psychopathischer Einzelgänger gewesen sei, der sich einfach in einen Wahn reingesteigert hätte. Nun ist die gesamte Familiengeschichte untersucht, bisher unbekannte Protokolle sind öffentlich geworden. Sogar noch in der Vorbereitung auf den Film ist mein Außenrequisiteur im Düsseldorfer Gestapo-Archiv auf Protokolle von Verhören gestoßen, denen damals das näherer Umfeld von Georg Elser unterzogen worden war. Die in Düsseldorf wussten nicht einmal, was sie da hatten.

Zitiert

Ich finde es völlig irre, dass auch in Deutschland immer mal wieder die Diskussion um die Todesstrafe aufflammt.

Oliver Hirschbiegel

Was für ein Mensch war Georg Elser?
Hirschbiegel: Er war ein Freigeist, ein sehr heutiger Mensch, dem Individualität, Freiheit der Bewegung und die Meinungsfreiheit sehr wichtig waren. Ein Abenteurer ist er, auch ein Musiker, der will raus in die Welt und Spaß haben. Er ist ein Frauenheld, ein Stenz, ein cooler Typ, der den Mädchen nicht hinterherlaufen musste. Sie kamen zu ihm.

Was hat Ihn zu einem Widerstandskämpfer werden lassen?
Hirschbiegel: Ich muss da immer an Edward Snowden denken. Wenn der heute erzählt, warum es ihm so wichtig war, mit seinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen sagt er, ohne jede Farbe von Eitelkeit: Ich musste das einfach tun. Es kann nicht sein, dass unsere Bürgerrechte, unsere Freiheiten so beschnitten werden. Dagegen etwas zu tun ist mir zutiefst ein Bedürfnis, auch wenn ich selber mein Leben damit aufs Spiel setze. Da gibt es eine Linie, von Elser zu Snowden.

Sie erklären im Film Elsers Persönlichkeit auch durch seine Herkunft. Er war Schwabe.
Hirschbiegel: Ganz am Anfang sagt jemand über ihn: „Ich kenne diesen Menschenschlag.“ Ja, die sind schon speziell. Es ist schon interessant, dass der Stauffenberg, die Scholls und der Elser alle Schwaben waren. Es gibt eine Radikalität, die wir zwar alle in uns tragen, aber ich habe das Gefühl, in dieser Region ist die schon besonders ausgeprägt.

Worin besteht diese Radikalität?
Hirschbiegel: Das ist die Faszination an der Schönheit einer Perfektion, die nie zum Ende kommt. Maschinenbau ist dafür ein gutes Beispiel. Da wird man nie wirklich fertig, es geht immer noch besser. Sobald man ein Ergebnis hat, das eigentlich schon sehr zufriedenstellend ist, sagen die: Ja, das kann man aber noch effizienter machen, noch schöner und zuverlässiger. Die Österreicher haben diese Radikalität auch ein bisschen, auch die Schweizer und die Japaner. Aber ich glaube, die Maschine, die diese Radikalität erfunden hat, steht irgendwo im Schwabenland. (lacht)

Elsers Attentat war perfekt geplant und verfehlte Hitler nur durch einen Zufall. Es erstaunt dann schon, wie schlecht er seine Flucht in die Schweiz anscheinend geplant hatte. In Ihrem Film macht er bei seiner Festnahme eine geradezu tölpelhafte Figur.
Hirschbiegel: Ja, da ist er sehr naiv gewesen. Er hat noch nicht mal gewusst, dass es da an der Grenze mittlerweile einen Maschendrahtzaun gab. Er hätte nur einen Kilometer weiter raus aus dem Ort gehen müssen und wäre über die grüne Grenze verschwunden. Dann erzählt er den Grenzern auch noch diese idiotische Geschichte, er wäre vom Trachtenverein. Das hat er ja wirklich so gesagt, das ist belegt. Da denke ich nur: Mein Gott, du bist so brillant und dann passiert dir so was? Aber das macht ihn eben auch menschlich und irgendwie liebenswert.

Warum trug er die Baupläne für seine Bombe bei sich, statt sie unterwegs zu vernichten?
Hirschbiegel: Das kann ich nur interpretieren. Ich vermute, er wollte im Fall des Falles auf diese Weise nachweisen können, dass er der einzige war, der dieser Bombe gelegt hat. Er hat ja komplett allein operiert. Er hatte keine Infrastruktur, kein Netzwerk. Es ist aber auch ein bisschen wie bei Raskolnikow in Dostojewskis „Schuld und Sühne“: Da schlägt die Hybris des Täters durch, der eigentlich das perfekte Verbrechen plant und begeht und dann absurder Weise denkt: Das mit der Flucht ergibt sich halt von selbst. Das funktioniert aber nicht.

© Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller

Regisseur Hirschbiegel mit Darsteller Christian Friedel  © Lucky Bird Pictures, Bernd Schuller


Elser ist in der schwäbischen Gemeinde Königsbronn aufgewachsen. Im ersten Teil Ihres Films erzählen Sie ausführlich vom Leben dort. Das wirkt bisweilen wie ein Heimatfilm.

Hirschbiegel: Das war auch so beabsichtigt. Ich mag das da ja auch, dieses Leben, die Dorffeste im Sommer. Aber dann gibt es eben auch die eine Dorfkneipe, in der sich alle treffen und da machen sich plötzlich die Nazis breit. Das ist genau die Energie, die heute Hooligans ausstrahlen, wenn sie irgendwo geballt reinkommen. Da kann man dann nichts machen, die sind so stumpf, da kriegt man gleich was auf die Schnauze, wenn man versucht, denen was entgegenzusetzen. Also hält man sich lieber raus.

In der Stadt wäre es für Elser möglicherweise leichter gewesen, er hätte sich einfach in eine andere Kneipe verdrücken können?
Hirschbiegel: Auf dem Land werden Leute auf jeden Fall schneller zu Außenseitern, die es dann auch besonders schwer haben. Es gibt was Neues, alle machen mit und wer da nicht mitmacht, wird schnell gedisst. Da muss man besonders viel Mut beweisen. In der Stadt gleicht sich das aus, da gibt es genug Außenseiter.

War Elser Pazifist?
Hirschbiegel: Eindeutig, ja. Das geht aus den Beschreibungen der Zeitzeugen und aus den Protokollen hervor. Die Verhörszenen im Film basieren ja im Wesentlichen auf den originalen Protokollen. Er hat Gewalt absolut abgelehnt. Dass sich so jemand dann zu diesem Schritt entschließt, Menschen zu töten um noch Schlimmeres zu verhindern, das zeigt nochmal wie drastisch ihm die Bedrohung durch die Nationalsozialisten vor Augen gestanden haben muss.

Zwei Szenen stechen in „Elser“ durch besondere filmische Mittel hervor. Es gibt eine lange, langsame Kamerafahrt auf eine Frau zu, es ist eine Protokollantin. Sie liest im Flur vor dem Verhörraum ein Buch, während durch die verschlossene Tür die Schreie des Gefolterten zu hören sind.
Hirschbiegel: Es gab da natürlich Protokollanten, aber diese spezielle Frau ist einer rein fiktive Figur. In gewisser Weise ist sie eine Metapher für das Leben in einer repressiven Gesellschaft, in der brutale Dinge passieren. Man weiß auch irgendwie davon, aber man ist eben auch ein Teil dieser Gesellschaft und von ihr abhängig. Ein großer Teil der deutschen Gesellschaft hat damals so funktioniert. Es war ja zu merken, dass plötzlich ein anderer Wind weht. Dennoch haben die meisten weiter gemacht, versucht ihre Berufe zu erhalten, ihr Geld zu verdienen und ihre Familien zu ernähren.

Sie zeigen diese junge Frau in einer sonderbaren Mischung aus Einfühlsamkeit und Kälte.
Hirschbiegel: Sie kennt das Prozedere so eines Verhöres. Der muss man nicht sagen: „Sie können mal kurz rausgehen,“ bevor gefoltert wird. Sie merkt wenn es wieder soweit ist und geht dann einfach vor die Tür. Die Abläufe sind wie ein Ritual. Als Elser einmal nicht mehr schreit, horcht sie auf, irgendwas ist anders. In dem Moment, wo er wieder schreit, ist die Welt wieder in Ordnung und sie liest ihr Buch weiter. Aber man sieht im Laufe des Films eben: Sie ist ein Mensch, inmitten dieser technokratischen Abwicklung. Sie hat eine Befindlichkeit. Ich musste diese Figur unbedingt drin haben. Und die Menschen sind sehr berührt von ihr, gerade weil sie kein klarer, schwarzweißer Charakter ist. Sie geistert wie ein Fragezeichen durch diese Situation.

Das erinnert an jenes Zitat von Hitlers letzter Sekretärin Traudl Junge, das Sie ans Ende Ihres Films „Der Untergang“ gestellt haben: „Es ist keine Entschuldigung, dass man jung gewesen ist…“
Hirschbiegel: Ja. Und wahrscheinlich hat so eine Protokollantin nie darüber geredet, was sie damals gehört und gesehen hat. Wenn sie den Krieg überlebt haben sollte, hat sie das wahrscheinlich bis heute nicht.

Wurde in Ihrer Familie viel über die Nazi-Zeit geredet?
Hirschbiegel: Ne. Ich habe auch nie darüber recherchiert, was in meiner Familie damals los war. Ich weiß, dass es einen Kriminalpolizisten in Mainz gab, der war ein Hirschbiegel. Angeblich hat der Leuten geholfen, aber wir haben ja alle einen Verwandten, der angeblich Leuten geholfen hat.

elser plakatIn der anderen herausragenden Szene geht es um die letzten Minuten von Arthur Nebe, gespielt von Burghart Klaußner. Nebe hatte die Ermittlungen gegen Elser geleitet und wurde im März 1945 wegen angeblichen Verbindungen zum Stauffenberg-Attentat gehängt. Sie zeigen diese Hinrichtung in Echtzeit, gefilmt in einer Einstellung, man sieht nur die Beine.
Hirschbiegel: So ist das eben, wenn ein Mensch auf diese Weise aufgehängt wird. Es dauert zwei Minuten, bis der aufhört zu strampeln. Das steht hier natürlich exemplarisch für die Bestialität des Systems. Auf diese Weise sind Hunderttausende allein in Polen und in Russland zu Tode gekommen, unschuldige Zivilisten, die nur als Vergeltung für erschossene Soldaten aufgehängt wurden. Allein diese Szene zu drehen war schon sehr hart, das ging uns allen an die Nieren. Alle wissen, dass das ein Fake ist. Aber das hatte trotzdem energetisch einen Effekt, der schwer zu ertragen war.

Videos von echten Hinrichtungen sind heute jederzeit für jeden im Internet verfügbar.
Hirschbiegel: Im Prinzip ist diese Szene eine Wiederholung von Szenen, die ich im Internet gesehen habe. So pervers das ist, man muss sich damit beschäftigen, wenn man zu so einem Thema recherchiert. Und das Grauenhafteste, was ich da gesehen habe, war eben die Hinrichtung eines Mannes, den man nur von hinten sieht. Im Iran werden Leute heute noch so aufgehängt, langsam an Kränen hochgezogen. Da stehen dann viele Leute drum herum und filmen das mit ihren Telefonen. Die Kids können sich das dann im Internet angucken, ohne Kontext. Die zappen rum: Guck mal, hier ist noch einer. Aber wenn man „Elser“ bis dahin gesehen hat, hat man diesen Mann ja kennengelernt. Man hat gesehen, dass er viele Farben hat, man sieht auch, dass der Angst hat. Er weiß genau, was jetzt passiert.

Welche Folgen hat dieser ungehinderte Zugang zu Bildern drastischer Gewalt?
Hirschbiegel: Ich finde es völlig irre, dass auch in Deutschland immer mal wieder die Diskussion um die Todesstrafe aufflammt. Das hat sicherlich auch mit der medialen Präsenz von Gewalt zu tun. Vor einiger Zeit gab es doch eine Umfrage unter den Jurastudenten einer Universität in Deutschland mit dem Ergebnis: Ein Drittel dieser Studenten hielt die Todesstrafe für eine richtige Lösung. Das ist unfassbar. Ich bin mit einer ganz klaren Linie aufgewachsen: Gewalt, Folter, Todesstrafe sind keine Optionen. Und plötzlich lebe ich in einer Zeit, in der darüber diskutiert wird, in welchen Fällen Folter eventuell legitim sein könnte. Da kriege ich Zustände.

Über den adäquaten Umgang mit Bildern wird auch im Zusammenhang mit Filmen über die Nazi-Zeit immer wieder diskutiert.
Hirschbiegel: Es ist immer ein schmaler Grad, den man da geht. Es gilt, nicht in Voyeurismus abzugleiten. Der Film muss eine Haltung haben. Und am Ende zählt dann eben das Publikum. Das muss man erreichen und das wurde zum Beispiel beim „Untergang“ sehr massiv erreicht. Wir hatten fast fünf Millionen Zuschauer in Deutschland. Das bedeutet, dass dieser Film mit seiner Message zu diesem Zeitpunkt nötig war und die Tatsache, dass ich immer noch in meinem eigenen Land dafür angefeindet werde, zeigt mir, dass diese Diskussion noch lange nicht vorbei ist. Je mehr Filme zu diesem Thema gemacht werden und je unterschiedlicher deren Perspektiven sind, umso besser.

Sie meinen mit „Anfeindungen“ jene Kritik, dass die Darstellung von Hitler in „Der Untergang“ zu „menschlich“ geraten sei?
Hirschbiegel: Ja. Die beruht aber auf einem doppelten Missverständnis. Zum einen zeigte sich hier ein falsches Verständnis von Demokratie, zu der eben keine Dogmen sondern die freie Meinungsäußerung, die Freiheit der Künste und die Freiheit des Denkens gehören. Zum anderen ist es ein Missverständnis, wenn man glaubt ein ein Volk jahrzehntelang zu dem Glauben verdammen zu können, dass Hitler kein Mensch, sondern ein Monster gewesen sei, dass irgendwelche von der Hölle entsandten Kreaturen Deutschland ins Elend getrieben hätten. Das zeugt von einer etwas naiven moralische Selbstüberschätzung.

Ist Ihnen Moral wichtig?
Hirschbiegel: Wichtiger denn je, wenn Sie mich fragen. Was ist eigentlich eine ethische Haltung? Diese moralische Frage scheint immer mehr in Vergessenheit zu geraten. Stattdessen schwirren unüberlegte Zitate und Kommentare durchs Netz und werden unreflektiert abgedruckt. Das finde ich schon erschreckend.

Der 1957 in Hamburg geborene Oliver Hirschbiegel zählt seit seinen Kinoerfolgen „Das Experiment“ (2001) und vor allem seit dem oscarnominierten Historiendrama „Der Untergang“ (2004) zu den erfolgreichsten Filmregisseuren Deutschlands. Sein Studium mehr

Ein Kommentar zu “Es gibt eine Linie von Georg Elser zu Edward Snowden.”

  1. Beate Hermann |

    Kommt jetzt jeden Sonntag , der Tatort mit Untertiteln ? Ihr zwingt die Zuschauer umzuschalten ! Die Krönung war der arabische Asylant mit Cuttermesser , pfui schämt Euch !

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