Oliver Kalkofe

Schon deprimierend, wenn einen gar keiner mehr verklagt.

Kolumnist Oliver Kalkofe über Erfahrungen mit dem Fernsehen, Comedy nach dem 11. September und den eigentlichen Titel seiner fünften "Onkel Hotte"-CD

Oliver Kalkofe

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Oliver, Du bist einer der eifrigsten Kolumnisten Deutschlands – woher nimmst Du die Inspirationen für die vielen Kolumnen? Sitzt Du den ganzen Tag vor dem Fernseher?
Kalkofe: Um Gottes Willen, das wäre ja schrecklich. Früher bei "Kalkofes Mattscheibe" für Premiere musste ich das tun, und das schlimmste war, ich musste die ganzen schlechten Sachen sehen, ich durfte nichts Gutes anschauen. Bei TV Spielfilm ist es anders, mittlerweile habe ich schon 170 Kolumnen geschrieben, und immer wenn ich denke es fällt mir nichts Neues ein, passiert glücklicherweise etwas schreckliches über das ich schreiben kann. Aber da es immer einen Medienbezug haben muss, schaue ich natürlich viel Fernsehen. Dabei reicht es jedoch, wenn man so zwei- oder dreimal am Tag kurz durch die Programme zappt, denn auf allen Sendern läuft ja eh das gleiche. Es ist nicht mehr so, dass da mannigfaltige Sendungen geboten werden, denn in wenigen Minuten bekommt man mit, was auf allen Sendern läuft, die kopieren sich gegenseitig, was morgens in der Bildzeitung steht, wird den ganzen Tag über auf den verschiedenen Sendern behandelt.

Wie sind die Reaktionen derjenigen, die Du in Deinen Kolumnen ‚abhandelst‘, sind die eher amüsiert oder verletzt?
Kalkofe: Die sind zum größten Teil wirklich freundlich, allerdings hat sich da auch einiges verändert. Als ich anfing, war das noch nicht üblich, und viele haben sich gefragt, ob man so etwas tun darf. Aber mittlerweile haben die meisten gelernt, dass man das mitmachen muss, und spätestens durch Stefan Raab hat sich das als weitere Präsentationsfläche etabliert. Und ist es nicht traurig, dass eine harte Kolumne heutzutage als normal angesehen wird und nicht mehr als Grund, jemandem eins aufs Maul zu geben? (lacht) Und diejenigen, über die man was sagt lachen mit – das will man ja im Grunde auch nicht. Schon deprimierend wenn einen gar keiner mehr verklagt.

Bedeutet das denn für Dich, dass Du immer noch einen Schritt weitergehst und auch gehen musst um noch jemanden zu schocken?
Kalkofe: Nein, ich habe nicht das Ziel mit jedem was ich tue die Leute zu schocken, die Zeit ist einfach vorbei. Nachdem es eine Zeit lang gereicht hat mit einem "Ficken, ficken"-Schild auf die Bühne zu laufen, um sich für einen innovativen Komiker zu halten ist da auch eine Grenze erreicht. Worauf es mir ankommt sind einfach Formulierungen und Vergleiche die passen und möglichst unerwartet sind. Und wenn Leute sagen, man hätte das auch anders, weniger derbe formulieren können, haben die natürlich recht, auf der anderen Seite wäre es aber nicht so lustig gewesen.

Gibt es denn irgendwelche TV-Shows, die Du überhaupt magst? Jeden Abend GZSZ vielleicht?
Kalkofe (lacht): Nee, dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern im Heim! Ich gucke eigentlich keine deutschen Produktionen, weil ich die einfach beruflich sehen muss. Nur gucke ich jeden Abend "Die Harald Schmidt-Show", die Simpsons, Futurama, Akte X, alle Enterprise-Variationen -eigentlich alles, wo man sich in eine andere Welt hereinfinden muss.

Deine andere Welt war auch "Kalkofes wunderbare Welt des Sports", die aber nur dreimal lief – was ist dann passiert?
Kalkofe: "Kalkofes wunderbare Welt des Sports" war nur auf drei Folgen angesetzt, die sollte nicht weitergeführt werden. Es war aber schon eine längere Zusammenarbeit geplant, andere "wunderbare Welten", die auch aktueller sein sollten. Für die ARD waren die ersten drei aber schon zu viel. Anfangs waren die ganz stolz darauf, dass sie sich was trauen und mal was Neues machen, aber schon nach der ersten Folge gab es intern, unter den einzelnen ARD-Anstalten, so viele Beschwerden, dass nach der zweiten Folge klar war, dass das nicht fortgesetzt wird, sondern einfach zu speziell ist.

Fühlt man sich dann missverstanden, ist man gekränkt, oder freut man sich, auch da ein wenig etwas aufgemischt zu haben?
Kalkofe: Naja, ich hatte es schon erwartet. Denn man kann nicht jemanden holen und ihm sagen: "Schlag die Scheibe ein, aber mach das Glas nicht kaputt." Aber genau das ist passiert, sie haben gesagt, wir holen Kalkofe, wir mögen seine Art, aber genau diese Art wollten sie dann nicht, sondern alles viel netter. Und sie wussten ja, wen sie da einkaufen. Die ganze Zeit wurde mit stolzgeschwellter Brust verkündet, man wäre innovativ und würde sich was zutrauen. Und auch die Resonanzen waren super, wir hatten zum Beispiel das zweitjüngste Publikum der ARD seit Jahren, was bedeutet: unter sechzig. Aber schon bevor es zur Auswertung kommen konnte haben sie gleich nach der zweiten Folge aus internen Gründen die Sache beendet. Und das ist das Traurige, da es bestätigt wie es im Fernsehen zur Zeit läuft. Auch aus der Sicht des Zuschauers: wer da in nächster Zeit was Neues, Interessantes erwartet, wird enttäuscht werden. Jetzt in der ARD haben die zum Beispiel Jörg Pilawa gekauft und senden den völlig kaputt. Der macht da nun wirklich alles, aber nichts Neues, sondern alte Formate – demnächst auch die Tagesthemen.

Nun ist vor kurzem auch ein neues Comedy-Format nach wenigen Folgen eingestellt worden, "Blind Dinner" mit Jürgen von der Lippe, vor einem Jahr die Ingo Appelt Show… Wo liegen Deiner Meinung nach die Gründe?
Kalkofe: Bei "Blind Dinner" lag einfach ein Konzeptfehler vor. Das Traurige daran ist, dass Sat1, egal mit wem der Sender sie zusammenarbeitet, bei schlechten Quoten die Sense rausholt und die Sendung eingestellt wird. Ingo Appelt musste einfach den Sendeplatz für TV Total räumen, und bei der Sendung konnte man nun zweihundert Gründe finden, sie abzusetzen. Beim Absetzen einer Sendung ist das so, dass man mit Leuten zusammenarbeitet, die einem auf die Schulter klopfen, um einem im nächsten Moment – wenn irgendwas nicht stimmt – die Kniescheibe wegzuschießen. Niemand macht mehr Sendungen aus Überzeugung oder wirklichem Interesse, sondern vor allem um seinen Job zu behalten. Und bei jedem Anzeichen von Problemen schwenken die Leute um und machen etwas anderes.

Würdest Du denn nach diesen Erfahrungen noch mal zum Fernsehen gehen?
Kalkofe: Sobald ich jemanden finde, der Lust dazu hat, und bereit ist das Risiko einzugehen würde ich das natürlich tun, da es höchste Zeit ist, wieder etwas wie "Kalkofes Mattscheibe" zu machen. Ich habe aber nicht vor, viele Kompromisse einzugehen. Da hätte ich schon wieder ein paar Angebote, aber das will ich nicht. Dann lasse ich das lieber und mach andere Sachen wie zum Beispiel eine neue CD oder ein neues Buch. Und über die CD freue ich mich wirklich, das ist die erste Onkel Hotte-CD seit vier Jahren. Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass ich noch eine machen würde, der ist ja nicht wirklich sympathisch, und teilweise ein wenig eklig, so dass ich eine Pause von ihm gebraucht habe. Aber jetzt hatte ich um so mehr Spaß an der CD, und sie ist bis zur letzten Sekunde voll mit Hotte und nichts anderem. Lustig nur auch hier, dass wir unseren lyrischen und poetischen Titel "Im Wald der wichsenden Wichtel" aufgrund von Protesten der Händler nicht durchsetzten konnten, sondern die CD nun "Planet der Zwerge" nennen mussten. Verrückt oder? Überall stehen in den CD-Läden die CDs von lebendigen Wichsvorlagen und jetzt, wo wir dieses Wort im Titel haben, weigern sich die Händler das aufzustellen. Mein neues Buch hat mit der CD eigentlich ja gar nicht direkt etwas zu tun. Ich wollte schon lange mal ein "Onkel Hotte"-Märchenbuch machen, da Märchen ja nun mal zum Vorlesen da sind, mit Bildern, die man sich ansieht, und darüber lachen kann. Ich denke das ist einfach das perfekte Weihnachtgeschenk, da alle Hotte-Klassiker darin enthalten sind. Und wenn man an Heilig Abend nach der Bescherung dieses Buch rausholt, eine Geschichte daraus vorliest, oder mit Blockflötenbegleitung das eine oder andere Lied singt, ist das der beste Weg das immer noch da rumsitzende, sabbernde Verwandtenpack endlich loszuwerden. So kann man sich dann doch noch einen schönen Heilig Abend machen.

Nun kommt Deine CD und das Buch in einer Zeit, in der einige Leute bereits vom Ende der Spaßgesellschaft reden. Was entgegnest Du denen?
Kalkofe: Ich denke es ist absolut falsch, jetzt eine neue Moral auszurufen und gar vom Ende der Spaßgesellschaft zu reden. Mal ganz davon abgesehen, dass ich unter der Spaßgesellschaft nicht Comedy, sondern dieses krampfhafte, witzig-fröhliche "Wir sind immer so cool drauf"-Gefühl verstehe, was bei mir das genaue Gegenteil, nämlich einen Brechreiz auslöst! Aber dass man nun nicht mehr lachen darf, keine Bilder mehr von Hochhäusern zeigen darf, beim Anblick einer New York -Postkarte anfangen muss zu weinen, man keine Actionfilme mehr sehen darf, davon halte ich nichts. Früher haben wir gelacht, wenn Außerirdische das Weiße Haus weggebombt haben, nun ist es auf eine furchtbare Weise Realität geworden, und natürlich war das ein Schock. Aber wenn wir jetzt bestimmte Sachen nicht mehr sagen, nicht mehr tun dürfen und anfangen uns von oben eine Moralglocke über den Kopf hängen zu lassen, die im schlimmsten Fall ja genau das Gegenteil bringt, kann uns so etwas passieren wie früher die Bücherverbrennung – nur dass jetzt öffentlich die Videokassetten verbrannt werden. Ich denke einfach, dass es in eine Richtung geht die nicht mehr gesund ist. Und man kann nicht so tun als wäre durch dieses Ereignis die ganze Vergangenheit negiert. Sonst wird hier bald alles so vereinfacht und glattgebügelt, dass wir nächste Woche alle in "Stars and Stripes"- Unterwäsche herumlaufen. Was sich auf jeden Fall gezeigt hat, ist dass sich in diesen Tagen wirklich die Spreu vom Weizen getrennt hat. Wenn man allein mal Stefan Raab und Harald Schmidt vergleicht: Raab macht eine Woche Pause, stammelt dann ein paar ganz peinliche Worte in die Kamera und macht dann mit seinen Banalitäten so weiter als wäre nichts passiert. Das finde ich absolut unehrlich. Schmidt dagegen macht eine Woche länger Pause, bringt dann aber auch das Thema, was uns zu neunzig Prozent interessiert. Natürlich gibt es gewisse Grenzen, so ist jetzt der falsche Zeitpunkt für Flugzeugwitze oder Hochhäuserkalauer, denn das finde ich daneben und nicht lustig.

Ein Zitat von Dir aus der TV-Spielfilm: "Die Kluft wird immer größer. Die sogenannten Intellektuellen werden immer stärker versuchen, sich vom Rest zu distanzieren, und umgekehrt. Die einen werden langweiliger und die anderen blöder." Welche Seite nimmst Du denn ein?
Kalkofe: Eigentlich hoffe ich, dass ich so pingpong-mäßig hin- und herspringe. Ich möchte gerne Comedy machen, bei der man sich etwas denken kann, aber auch nicht muss. Es gab früher immer den Unterschied zwischen lustigem Hanswurst und politischem Kabarett. Das eine war lustig, das andere nicht. Ich glaube nicht, dass das heute noch so ist, heute kann man mehrschichtige Sachen machen, mit Onkel Hotte zum Beispiel: Man kann über ihn viel nachdenken, muss man aber nicht, man kann auch einfach über den alten Sack lachen, der da rumrotzt. Das ist ähnlich wie beim Radio. Es gibt den Megahitmarathon, wo zweihundert mal in der Stunde derselbe Satz wiederholt wird, daneben gibt es aber auch das immer größer werdende Bedürfnis nach Infokanälen. Es gibt einfach keine Mitte mehr, keine Mischung. Die einen geben sich dem hin, hören auf nachzudenken, hören auf etwas zu erwarten, und irgendwann wird das normal, die Hörer gewöhnen sich dran. Andere dagegen werden sich in das andere Extrem flüchten. Und das ist einfach Schade. Die Kluft wird größer zwischen den Klugen und den Dummen. Von daher mache ich meine Sachen für alle, und hoffe einfach, dass es noch genug in diesem Mittelfeld gibt, die an beiden Seiten Spaß haben, die sich an lustigen Sachen freuen, aber dann auch mal ins Nachdenken kommen. Das ermöglicht mir natürlich auch die Kolumne.

Stichwort Deutscher Comedy-Preis Anfang November Köln. Du warst dabei, hattest Du Deinen Spaß?
Kalkofe: Oje, das war eine ganz traurige Veranstaltung. Da waren neunzig Prozent der deutschen Comedians – da eine Bombe und es wäre das Ende der deutschen Spaßgesellschaft gewesen, diese Chance hat der Islam verpasst. Aber ich glaube die Bombe wurde selbst gezündet, alle Komiker saßen da und waren entsetzt. Denn die Show erinnerte ganz stark ans ZDF von 1974, und alle die aufgetreten sind, hatten unser vollstes Mitleid, schließlich kennt jeder die Situation, vor einem großen Friedhof aufzutreten.

Letzte Frage: Angenommen das Leben ist ein Comic – welche Comicfigur bist Du?
Kalkofe: Spiderman, ganz klar. Ich bin ein ganz großer Comicfan und als Kind wollte ich immer entweder Batman oder Spiderman sein. Batman hat sich das ja alles selbst beigebracht, der hat keine Superkräfte, sondern ist einfach ein Genie in Chemie, Physik, Mathe, er ist Multimillionär, ein As in Sport – das war mein ursprünglicher Lebensplan. Dann bin ich in die Schule gekommen, und habe festgestellt, dass ich in Sport ein Komplettversager war, eine Niete in Chemie und unteres Mittelmaß in Mathe und Physik. Auch mit den Millionen hat es noch nicht so geklappt. Von daher lasse ich mich lieber wie Spiderman von einer radioaktiven Spinne beißen und hätte dann doch noch eine Chance zum Superheld zu werden. Und man sagt ja, wenn man wirklich etwas will, klappt das auch. Von daher bin ich ganz optimistisch!

Ein Kommentar zu “Schon deprimierend, wenn einen gar keiner mehr verklagt.”

  1. Gurke |

    Selbst im Jahre 2022 wird Dich auch keiner verklagen, weil du einfach nur interessant bist. Mögest du mit dem kleinen linken Fanclub glücklich werden

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