Oliver Lück

Plädoyer für mehr Lobkultur

Anti-Aggressivitätstrainer Oliver Lück über seinen neuen Job als „Jugendcoach“ auf Sat1, die Ursachen von Jugendkriminalität und -gewalt, Lob als Dünger für die Seele und warum wir Schnellgerichte wie in New York brauchen

Oliver Lück

© Sat1

Herr Lück, darf man kriminelle und gewaltbereite Jugendliche dazu benutzen, um auf Quotenfang gehen?
Lück: In erster Linie liegen mir die jungen Menschen einfach unglaublich am Herzen. Aggressivität und Gewalt werden in unserer Gesellschaft noch zu wenig thematisiert. Wir beschäftigen uns ungern damit, weil diese Dinge mehr oder minder in jedem von uns stecken. Es fällt uns insgesamt sehr schwer, diese dunkle Seite der Macht in uns zu akzeptieren. Ein wenig Aufklärungsarbeit kann von daher nicht schaden.

Aufklärungsarbeit? Ist es das, was Sie als Anti-Aggressivitätstrainer ins Fernsehen treibt?
Lück: Ich möchte, dass der geneigte Fernsehzuschauer sieht, wie man mit Aggressivität und Gewalt umgehen kann. Die Frage ist doch: Woher kommt die Aggressivität bei dem jungen Menschen, der in der U-Bahn irgendwelche Leute anmacht und nachts einen Busfahrer zusammenschlägt?

Die Jugendlichen, die bei Ihnen mitmachen, dienen also als Veranschaulichungsobjekt für den unaufgeklärten Fernsehzuschauer?
Lück: Ich glaube, für die Jugendlichen, mit denen ich im Rahmen der Sendung arbeite, spielt es gar keine so große Rolle, ob eine Kamera dabei ist oder nicht. Die gucken sich im Internet ja auch an, was das für ein Typ ist, der das macht, und sehen, dass es viele Informationen zu meiner Person gibt. Das heißt, sie wissen, dass sie es mit jemandem zu tun bekommen, der mit der Thematik auskennt und wie sie umgesetzt werden kann.

Und negative Folgen für Ihre Klienten auf Grund dieser Form der Öffentlichkeit befürchten Sie nicht?
Lück: Nein, im Gegenteil. Wir behandeln die Jugendlichen mit hoher Achtung und höchstem Respekt. Sie werden nicht vorgeführt, sie verlieren nicht ihr Gesicht. Es ist mir ganz wichtig, dass auch die Schönheit und Verletzlichkeit ihrer Seele gezeigt wird. Ich möchte gerne aufzeigen, dass jeder Mensch, egal in welcher Situation er sich befindet, aus diesem Kreislauf herauskommen kann – wenn er dazu bereit ist. Es ist dasselbe, wenn Schulen vertuschen wollen, dass es bei ihnen Gewalt gibt. Am Ende stehen die Schulen in der Öffentlichkeit viel besser da, wenn sie ganz offensiv mit dem Thema umgehen und eingestehen, dass es aggressive Schüler und Schülerinnen bei ihnen gibt – und auch versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Was die Einzelklienten angeht, ist das meines Erachtens vergleichbar.

Nun wird das Thema Jugendkriminalität und -gewalt seit geraumer Zeit in der Öffentlichkeit immer wieder kontrovers diskutiert. Eine aus Ihrer Sicht von Sachkenntnis geprägte Debatte?
Lück: Ich finde es immer sehr abgefahren, wenn irgendwelche Leute über das Thema diskutieren, ohne dass sie davon richtig betroffen sind. Wobei das Thema Gewalt den Politikern ja nicht fremd ist. Als Machtmenschen üben sie auch andauernd Gewalt aus – nur auf eine viel subtilere Art und Weise. Je höher der Bildungsstand, desto subtiler ist grundsätzlich die Form von Aggression und Gewalt. Der einfache Jugendliche macht es, indem er jemandem die Stirn auf die Nase prescht, oder schnell mal den Gürtel mit der angeschliffenen Metallschnalle übers Gesicht zieht. Die Menschen mit einem höheren Bildungsstand treffen einen eher psychisch.

Dennoch kommt die Politik ja nicht drum herum, sich des Themas Jugendkriminalität anzunehmen.
Lück: Ja, aber dem Politiker, der in einer Talkshow sitzt und das ganze intellektualisiert, fehlt einfach die Emotion. Und Emotionen gehören dazu. Das ist ja genau das, was ich in meiner Arbeit mache – Emotionen wieder zulassen. Auch negative: Traurigkeit, Ängste, Unsicherheit.

Weshalb lassen die Jugendlichen ihre Emotionen nicht zu?
Lück: Weil es ihnen natürlich eine Form von eigener Schwäche vermittelt – und genau das wollen sie ja nicht. Sie wollen nach außen stark sein. Sie wollen zeigen, dass sie etwas zu sagen haben oder dass sie sich nichts sagen lassen. Und da Schwäche zuzulassen, fällt ihnen schwer. Dabei ist es echte Stärke, wenn ich zulassen kann, auch mal schwach zu sein. Dass ich nicht alles kann, dass ich mir auch Hilfe holen darf. Daran krankt unsere gesamte Gesellschaft.

Weil man immer gesagt bekommt: „Du darfst nicht schwach sein, du musst dich immer durchkämpfen“?
Lück: Ja, das ist ein ganz großes Problem. Deswegen auch das Format. Damit habe ich die Möglichkeit, auch Teile der Gesellschaft anzusprechen, die vielleicht ansonsten mit diesem Thema nicht so sehr konfrontiert werden. Und das in absolut realen Geschichten verpackt, wo nichts nachgespielt ist, keine Szene zweimal gedreht wurde – das war mir wichtig. Es ist weniger Doku-Soap, als vielmehr Reportage.

Laut einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ist Jugendgewalt in den letzten zehn Jahren allerdings rückläufig. Ist das Problem weniger groß als es oftmals dargestellt wird?
Lück: Statistiken legt jeder so aus, wie es ihm gerade in den Kram passt. Ich könnte Ihnen jetzt aus Polizeistatistiken hier in Berlin genau das Gegenteil beweisen. Fakt ist zunächst einmal tatsächlich, dass Jugendkriminalität insgesamt zurückgegangen ist, die ist schon seit Jahren rückläufig. In bestimmten Bereichen Deutschlands, vor allem in den Ballungsgebieten, ist sie jedoch gestiegen – vor allem was Nötigungs- und Körperverletzungsdelikte angeht. Dass die Tendenz in Hinblick auf die Anzahl der Straftaten generell nach unten geht, liegt auch daran, dass wir es derzeit in den bestimmten erfassbaren Altersschichten mit den geburtenschwachen Jahrgängen zu tun haben. Deswegen geht natürlich auch die reine Anzahl der Taten runter. Wenn man das jetzt in Quoten rechnen würde, also die Anzahl der real existierenden Kinder und Jugendliche im Verhältnis zu den Straftaten, dann würde sich schon wieder ein ganz anderes Bild ergeben.

Wo sehen Sie generell die Gründe für Jugendkriminalität und -gewalt?
Lück: Es hängt mit den gesamten Lebensumständen zusammen. All die Erfahrungen, die man als Kind gemacht hat, all die Verletzungen, die man erlitten hat – in welcher Form auch immer – spielen eine Rolle: ob nun körperliche oder seelische Verletzungen, Nichtbeachtung, Liebesentzug der Eltern, das Nicht-Kümmern, keine Regeln gesetzt zu bekommen. Ganz viele Klienten sagen mir: Meine Eltern haben mir nie Regeln gegeben, irgendwann habe ich mich ihnen entzogen, denen war’s aber auch egal. Da steckt also auch sehr viel emotionale Kühle dahinter. Das führt dazu, dass sich junge Menschen eben so entwickeln können. Sie entwickeln irgendwann eine Strategie damit umzugehen, ganz oft auch auf Grund dessen, dass sie selber Opfer sind oder waren. Die sozialen Verhältnisse spielen auch oft eine Rolle, ein niedriger Bildungsstand ebenso – ein geringes soziales Niveau birgt auch viele Frustrationen.

Kürzlich hat der erstmals veröffentlichte „Armutsatlas“ verdeutlicht, wie weit die Schere in Deutschland auseinander geht.
Lück: Es ist dabei deutlich geworden, dass wir ein klares Nord-Südgefälle haben. Dass es dabei auch zu Unterschieden bei der Jugendkriminalität kommt, ist nur logisch. Die südlichen Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg haben für Präventivmaßnahmen viel mehr finanzielle Mittel als die östlichen Bundesländer oder Berlin als Armenhaus der Republik. Hier wird gestrichen, gestrichen, gestrichen. Deswegen wird es hier in absehbarer Zeit auch nicht viel besser werden, sondern vielleicht eher noch schlechter. Armut ist kein unwichtiger Faktor für Frustration. Und je größer die Frustration in mir ist, desto höher ist auch die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten.

Vor allem extreme Fälle haben die Debatte zuletzt angeheizt. Warum sind Jugendliche in einzelnen Fällen heute brutaler als früher?
Lück: Die Medien suchen sich natürlich zunächst einmal auch gerne die härtesten Fälle, über die sie intensiv berichten. Aber es stimmt, von der Qualität ist die Gewalt härter geworden. Früher gab es so was wie einen Ehrenkodex. Wenn wir uns in meiner Jugend auf dem Schulhof gekloppt haben, war Feierabend, wenn einer mit den Schultern auf dem Boden lag. Das ist heute anders. Mittlerweile haut der eine dem anderen mit der Stirn ins Gesicht und tritt dann noch dreimal zu. Diese Kompromisslosigkeit in der Ausübung von Gewalt ist teilweise schon erschreckend.

Und woran liegt das?
Lück: Es hat immer mit dem Frustrationsgrad zu tun. Natürlich geht es auch um Geltung, um Macht. Gewisse Drogen und der gestiegene Alkoholkonsum, der die Hemmschwelle senkt, spielen ebenso eine Rolle. Auch das sind Faktoren, die die Qualität der Gewalt beeinflussen.

Sie sagten eben, die Medien suchen sich die härtesten Fälle. Für Ihre Sendung werden Sie sich aber doch auch keine harmlosen Fälle heraussuchen. Und Sie sind doch auch „die Medien“.
Lück: Wir werden einen Durchschnitt zeigen. Die superharten Fälle, die ich normalerweise auch von der Jugendgerichtshilfe oder anderen Auftraggebern kriege, wo es zum Beispiel um Totschlag geht, haben wir nicht dabei. Die sitzen im besten Fall im Knast. Bei uns kommen diejenigen vor, die motiviert sind, aus diesem Kreislauf raus zukommen.

In Zusammenhang mit den finanziellen Möglichkeiten der verschiedenen Bundesländer sprachen Sie von wichtigen Präventivmaßnahmen. Die öffentliche Debatte dominieren teilweise aber ganz andere Maßnahmen, um des Problems Herr zu werden…
Lück: Härtere Strafen, Wegsperren, Erziehungscamps… Ja, Sie haben Recht.

Was halten Sie von Forderungen nach Gesetzesverschärfungen?
Lück: Vollkommener Quatsch. Das Jugendstrafgesetz gibt Richtern, Schöffen und Staatsanwälten genügend Spielraum, um adäquate Strafen auszusprechen. Was viel wichtiger wäre als eine Verschärfung des Strafgesetzbuches, wäre eine schnellere Verurteilung. Wenn ein Jugendlicher jemanden zusammenschlägt, er aber erst 14 Monate später vor Gericht kommt, ist das der totale Schwachsinn. Was folgen müsste, wäre eine sofortige Bearbeitung und Verurteilung, nachdem eine Straftat begangen wurde. Sonst hat er überhaupt keine Ahnung mehr, was da los war und versteht nicht, wofür er verurteilt wird. Da hat jede pädagogische Geschichte, die eingeleitet wird, überhaupt keinen Sinn mehr. Vier Wochen später muss die Sache erledigt sein, mit allem drum und dran.

Ein Bürokratieproblem?
Lück: Es kostet natürlich Geld. Du musst mehr Richter einstellen und mehr Leute in der Verwaltung haben, die eine schnellere Bearbeitung gewährleisten können. Es müsste wie in New York Schnellgerichte geben, wo eine Gerichtsverhandlung ein paar Tage nach einer Tat stattfindet. Allerdings muss der Jugendliche dann auch nicht unbedingt sofort in Knast wandern. Wiedergutmachung wäre eine weitaus sinnvollere Maßnahme, so dass der Täter wirklich kognitiv etwas davon hat, indem er mit seiner Tat arbeiten muss.

Zitiert

Wir sind eine Gesellschaft, die viel verhindert, anstatt viel zu fördern.

Oliver Lück

Welche Präventivmaßnahmen machen Sinn?
Lück: Es geht insgesamt darum, dass wir wieder mehr Lobkultur in unsere Gesellschaft reinkriegen. Derzeit herrscht eine komplette Kritikkultur, wir haben im Prinzip eine kollektive Depression in unserem Land. Aber dafür sind wir Deutschen ja prädestiniert.

Was genau meinen Sie mit Kritikkultur?
Lück: Es wird alles sehr negativ eingeschätzt. Wir sind ein Volk von Menschen, die wenig Optimismus nach außen strahlen, und die auch von ihrer Körpersprache sehr auf Distanz gehen, generell sehr negativ sind. Im Gegensatz zu den Südländern zum Beispiel, die insgesamt viel positiver sind. Sehen Sie hier auf der Straße irgendwen rumlaufen, der lächelt, der fröhlich ist? – das gibt es kaum. Es wird wenig gelobt, es wird viel kritisiert. Wir sind eine Gesellschaft, die viel verhindert, anstatt viel zu fördern. Lob ist Dünger für die Seele. Ich muss auch lernen, mich selber zu loben.

Eigenlob stinkt also doch nicht?
Lück: Das ist eines der Sprichworte, denen ich so gar nicht zustimmen kann. Denn es stimmt einfach nicht. Ohne Eigenlob, ohne Eigenmotivation würden wir, so wie die Gesellschaft heutzutage gestrickt ist, selbst nicht mehr funktionieren können.

Andererseits fordern Sie auch, dass man den Jugendlichen Grenzen setzen muss. Passiert das aus Ihrer Sicht in der Gesellschaft insgesamt zu wenig?
Lück: Ich denke, dass es drei, vier Punkte sind, die einfach ganz defizitär sind und wo zu wenig getan wird – von der Gesellschaft, von den Eltern, von den Pädagogen. Zunächst einmal: Kümmern, kümmern, kümmern. Dass man Vorbild ist – und zwar im positiven Sinne, dass Werte und Normen vermittelt werden…

Das geschieht zu wenig?
Lück: Was mir auffällt ist, dass heute keine Grundregeln mehr gibt und zahlreiche Jugendliche überhaupt keine Anstandsregeln mehr haben. Die wissen nicht, wie sie mit Messer und Gabel essen sollen. Sie löffeln nur noch ihr Zeug, essen nur Fast Food, können nicht Guten Tag und Auf Wiedersehen sagen, können einem nicht in die Augen schauen. Die Körpersprache ist unheimlich negativ und verschlossen. Ich finde solche Grundwerte extrem wichtig, als Vater vermittele ich das meinen Töchtern auch.

Fehlt es an Vorbildern in der Gesellschaft?
Lück: Definitiv. Vorbild zu sein ist harte Arbeit. Es ist anstrengend, weil man sich immer wieder selbst überdenken muss. Das macht doch heute kaum noch jemand. Wer ist denn wirklich bewusst Vorbild? Und wenn du jemand fragst, ob er Vorbild sein will, erntest du ein lautes Stöhnen. Wobei Vorbilder ja auch Fehler machen dürfen. Wichtig ist, wie ich damit umgehe, wenn ich einen gemacht habe und wie ich versuche, ihn zu revidieren.

Noch mal nachgefragt: Inwiefern genau sollten Jugendlichen Grenzen gesetzt werden?
Lück: Es fängt bei Kindern ja schon im Alter von zwei, drei Jahren an, wenn sie in die Bockphase kommen, dass sie Grenzen ausloten und schauen, wie weit sie gehen können. Zum Beispiel wenn es um Süßigkeiten geht oder abends ums Schlafengehen. Schon hier muss ich als Vater oder Mutter Grenzen setzen. Wenn ich die nicht setze, weil es anstrengend ist, ich etwas vielleicht fünfmal wiederholen, mich immer wieder durchsetzen und vielleicht auch mal bisschen lauter werden muss, wird es später umso schwieriger. Ich glaube, zu wenige Menschen haben heute die Kraft, ihren Kindern Grenzen zu setzen, weil sie selber zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind und auf Grund der Ängste und Sorgen, die sie haben, nicht imstande sind, das zu leisten.

Wie weit müssen Sie eigentlich in ihren Coachings gehen, um die Jugendlichen an ihre Grenzen zu bringen?
Lück: Es kommt immer darauf an, inwieweit ein Klient bereit ist, sich zu öffnen und sich mit Punkten konfrontieren zu lassen, die ihm wehtun, die ihm seelisch Schmerzen bereiten. Das ist ganz unterschiedlich.

Eine Ihrer Methoden dabei ist der so genannte „heiße Stuhl“.
Lück: Ja, aber jeder heiße Stuhl ist anders. „Heißer Stuhl“ heißt nicht immer laut und aggressiv, sondern kann auch ganz leise, ganz sensibel, beinahe zart sein. Es kommt immer darauf an, wie der Mensch, der da mittendrin sitzt, gestrickt ist. Wovon ich auf jeden Fall ein Gegner bin, ist, dass so ein heißer Stuhl mit richtig harten Nummern durchgezogen wird, bei dem der Jugendliche richtig angemacht und geschubst wird –  als Provokationsübung. Das finde ich menschenverachtend. Man kann verbal durchaus härter werden, man kann jemandem auch auf den Leib rücken. Aber man muss einen Menschen nicht demütigen, um ihn zu ändern.

Nennen Sie doch mal ein Beispiel aus der Sendung.
Lück: In der ersten Folge haben wir einen jungen Mann, 19 Jahre alt, der auf die schiefe Bahn geraten ist. Insgesamt saß er schon zwei Jahre wegen Körperverletzungsdelikten, die er im Alkoholrausch begangen hat, im Knast. Er hat einst mal so ein bisschen der rechten Szene angehört, sich davon aber losgesagt. Er hatte ein vollkommen krankes Umfeld. Eigentlich ist er ein ganz einsamer junger Mann, allerdings mit einem Kreis von falschen Freunden, die eigentlich eher Schicksalsgenossen sind. Das ist bei diesen Jugendlichen oft der Fall – da bildet sich so etwas wie ein Klub der Verlierer.

Jugendliche, die sich gegenseitig runterziehen.
Lück: Sie ziehen sich gegenseitig runter, sie ziehen sich aber natürlich auch gegenseitig hoch. In dem Sinne, dass es weiter runter gar nicht geht. Wenn sie Menschen begegnen, die im Status höher stehen, ist es unangenehm für sie. Deshalb bilden sich diese Schicksalsgemeinschaften von Menschen, die einen relativ niedrigen Status haben, damit sie sich nicht so klein fühlen und damit sie nicht permanent sehen, auf welchem Status sie sich befinden. Denn das tut ja weh, das wollen sie nicht sehen.

Deshalb muss von außen jemand kommen, um ihnen zu helfen, weil sie es selber gar nicht mehr schaffen können?
Lück: Weil sie es auch gar nicht sehen. Die sind ja so in dem Leben drin, dass sie es gar nicht mehr realisieren. Diesem jungen Mann zum Beispiel habe ich in die Augen gesehen und wusste: das ist ein unglaublich liebevoller kleiner Junge. Da steckt eine verletzliche, sensible Seele drin, der sich vollkommen verloren hat und aus diesem Labyrinth einfach nicht mehr herausfindet.

Wie haben Sie sich nun an ihn herangetastet?
Lück: Ich persönlich gehe erstmal komplett ohne Vorurteile an so jemanden heran und respektiere seine Persönlichkeit. Ich nehme den Menschen so wahr, wie er ist – ohne seine Vorgeschichte und versuche erstmal nur die schönen Seiten dieses Menschen zu sehen. Ob das schöne, sensible Augen sind, oder eine gewisse Schüchternheit hinter der Aggressivität steckt – was auch immer. Dann kann ich mit ihnen arbeiten, und wenn sie merken, ich respektiere sie, dann darf ich sie aber auch verurteilen beziehungsweise darf sie auch mit ihren negativen Eigenschaften konfrontieren. Auf der anderen Seite erwarte ich, dass sie mich komplett respektieren, so wie ich bin.

Wie lange dauert es denn, bis Sie das Vertrauen Ihrer Klienten gewonnen haben?
Lück: Im Prinzip brauche ich ein, zwei Tage und wir haben ein relativ sicheres Fundament des gegenseitigen Vertrauens aufgebaut.

Wie schaffen Sie das? Haben Sie eine bestimmte Strategie?
Lück: Eine Strategie eigentlich nicht. Ich versuche sie einfach zu nehmen, wie sie sind. Ich sage ihnen, was ich erwarte und wo die Grenzen sind – das respektieren sie. Wir haben einfach ganz schnell ein Vertrauensverhältnis. Das liegt sicherlich auch daran, dass sie merken, dass ich authentisch bin und dass ich weiß, wovon ich rede. Ich mache den Job schließlich nicht, weil es purer Mammon ist, sondern weil mir die Menschen richtig am Herzen liegen.

Was sicherlich auch mit Ihrer eigenen Biographie eine Menge zu tun hat, oder?
Lück: Ja, in verschiedenen Bereichen schon. Ich habe ein ganz wundervolles Elternhaus gehabt. Später habe ich dann aber eben auch schlechtere Zeiten gehabt, wo ich einfach ein bisschen abgesackt bin. Mit Ende 20 hatte ich zwei sehr dunkle Jahre.

Abgesackt heißt genau?
Lück: Es gab Situationen, wo der Sunnyboy aus bestem Hause keine Strategien hatte, mit Tiefschlägen oder Niederlagen umzugehen. Weil er es nie gelernt hatte! Mit 28 habe ich Tiefschläge erlitten, die ich überhaupt nicht verkraften konnte, so dass ich psychisch in ein ziemlich tiefes Loch gefallen bin. Ich bin mit einer Droge in Kontakt gekommen, die mich sofort weggeballert hat – von Null auf Hundert. Vorher hatte ich nie Drogen konsumiert, auch Alkohol war nie ein Thema. Aber das war dann meine Strategie gegen meine Verzweiflung, meine Traurigkeit. Ich bin eineinhalb Jahre ziemlich abgerutscht, geschäftlich ist alles in die Hose gegangen. In dieser Zeit habe ich sehr viel erlebt, habe mich jedoch immer wie ein Zuschauer gefühlt, der von oben herab eine andere Welt betrachtet, die durchaus seinen Reiz hatte. Ich als eigentlich gut Erzogener, auf dem Tennis- und Sportplatz aufgewachsener junger Mann, lernte plötzlich eine ganz andere Seite des Lebens kennen. Leute mit Waffen, Menschenhandel, Gewalt, Drogenhandel…

Sicherlich aber nur für eine gewisse Zeit eine interessante Perspektive.
Lück: Na logisch. Vor allem, wenn du irgendwann innerhalb von 36 Stunden Mengen konsumiert, die andere in ein paar Wochen konsumieren. Wenn überhaupt. Das war schon heftig.

Haben Sie später alleine da rausgefunden oder hat Ihnen dabei auch jemand geholfen?
Lück: Natürlich hat mir jemand geholfen. Ein Teil der Familie hat mich damit konfrontiert, was aus mir geworden war. Der Leidensdruck wurde immer größer, die Trennung von meiner Frau kam hinzu. Ein sehr schlimmes Erlebnis hat mich dann irgendwann dazu gebracht hat, zu einer Beratung zu gehen und sehr schnell zu handeln. Und so bin ich da dann raus gekommen und habe noch mal ganz von vorne angefangen, noch einmal studiert und mich hoch gestrampelt.

Wie oft scheitern Sie dabei, die Jugendlichen, mit denen Sie arbeiten, auf einen besseren Weg zu bringen?
Lück: Etwa 70 Prozent schlagen mit meiner Hilfe einen guten Weg ein. Ich bin gespannt, was das TV-Format mit sich bringt. Denn durch die Doku-Serie habe ich zum Teil noch viel größere Möglichkeiten. Ich kann viel effektivere Übungen machen, mit viel besseren Settings. Auch weil ich mehr Leute drum herum habe, die sich im Hintergrund darum kümmern, was mich ansonsten sehr viel Zeit kosten würde. Zudem kann ich gewährleisten – was ich im normalen Leben nicht immer kann –,  dass wir die Klienten in gute Hände geben können. Das war meine Grundbedingung, bevor ich für das Format zugesagt habe. Es darf nicht sein, dass die Klienten nach unserem Coaching, das echt an die Nieren geht, in ein Loch fallen.

Wie lange dauert so ein Coaching?
Lück: Die Coachings gehen immer vier bis fünf Tage, von morgens bis abends, teilweise auch die Nächte durch. Das ist sehr intensiv, sehr zeitaufwändig. Im normalen Leben biete ich das auch über meine Coaching-Firma. Der Vorteil bei so einem intensiven Coaching ist, dass ich einerseits die Zeit habe, um Vertrauen aufzubauen, um sie dann andererseits sehr schnell an ihre Grenzen bringen zu können.

Und die Kamera ist permanent dabei?
Lück: Nein, es gibt auch Momente, wo ich stopp sage, weil man einfach mal unter sich sein muss. 

Ein Kommentar zu “Plädoyer für mehr Lobkultur”

  1. Ujggu |

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