Herr Toscani, haben Sie eigentlich jemals ein Foto von Papst Johannes Paul II. gemacht?
Oliviero Toscani: Nein, nie. Ich bin wahrscheinlich auch der größte Atheist, mit dem Sie jemals gesprochen haben. Für mich ist Religion eine der lächerlichsten Sachen überhaupt, eine anti-rechtstaatliche Gemeinschaft, die gegen Gesetze verstößt, Frauen diskriminiert… Ich verstehe zum Beispiel auch gar nicht, wie unsere Frauen diese Situation so akzeptieren.
Meinen Sie damit jetzt insbesondere das katholische Italien?
Toscani: Nein, das ist auf der ganzen Welt so. Wir haben in Italien nur das große Problem, dass wir den Vatikan hier haben.
Wie haben Sie denn den Medien-Overkill anlässlich der Papst-Wahl empfunden?
Toscani: Nun, die Kirche will natürlich ihr Produkt verkaufen, den ganzen Mist, an den die Leute glauben. Und auch die Medien wollen ihr Produkt verkaufen. Um die Belange der Gesellschaft kümmern sich die Medien ja auch nur dann, wenn es sich gut verkauft.
Haben Sie einen Fernseher?
Toscani: Nein. Aber auch wenn man keinen hat, wird man ja ständig mit dem Fernsehen konfrontiert, egal ob man das will, oder nicht. Das ist wie mit dem Verkehr: auch wenn du selbst kein Auto hast, wirst du ständig in den Verkehr und die Umweltverschmutzung hineingezogen. Fernsehen ist wie schlechte Luft, oder anders: wie Kokain und Heroin.
Weil es die Zuschauer abhängig macht?
Toscani: Ja, und weil es die direkte Erfahrung mit den Dingen aufhebt. Du denkst, du siehst etwas, aber dabei siehst du etwas, was schon jemand anders für dich gesehen hat. Man kann das Fernsehen auch mit dem Dritten Reich vergleichen, weil alle Leute glauben sollen, was der Fernseher sagt. Das Fernsehen bestimmt die moderne Gesellschaft, wir Zuschauer sind die Abhängigen und das Fernsehen ist der große Diktator.
Was ja besonders in Italien…
Toscani: Nein, das ist doch überall so. In Italien wird diese Diktatur nur gerade etwas mehr begünstigt, man ist schon einen Schritt weiter gegangen. Das Fernsehen verteidigt immer die Macht derjenigen Person, die dahintersteht. Und Berlusconi, der ist ja eigentlich kein Diktator, schließlich wurde er gewählt. Aber darüber hat eben auch das Fernsehen entschieden. Genauso ist das doch in Deutschland, wenn Wahlen sind. Nur ist es in Italien gerade sehr offensichtlich. Wobei es ja auch sein gutes hat, wenn diese Prozesse offen sichtbar sind.
Bekannt sind Sie vor allem geworden mit Ihren zahlreichen Werbekampagnen für die Kleidungsfirma Benetton. Viele der von Ihnen fotografierten Motive haben damals für Aufruhr gesorgt und den Begriff „Schock-Werbung“ geprägt – haben Sie die Reaktionen auf Ihre Arbeit eigentlich jemals gekümmert?
Toscani: Also, ich arbeite nicht für irgendeinen bestimmten Meinungskonsens, ich kümmere mich nicht darum, was die Leute mögen oder nicht mögen. Ich muss ja erst mal mich selber zufrieden stellen und das allein ist schon eine sehr schwierige Angelegenheit. Ich kümmere mich nicht darum, wenn die Leute etwas nicht mögen, was ich mache. Und noch weniger kümmert es mich, wenn sie meine Arbeit mögen.
Aber stimmt es, dass damals viele Benetton-Filialen schließen mussten, aufgrund der negativen Reaktionen auf Ihre Werbung – und Sie aber trotzdem weitergemacht haben?
Toscani: Nein. In der Zeit, die ich für Benetton gearbeitet habe, ist die Firma zwanzig mal größer geworden und die Marke wurde eine der wichtigsten der Welt. Neider haben da vielleicht anderes behauptet. Aber so ist das wenn ihr Name sehr bekannt ist, dann zieht das auch viele Kritiker an.
Und wie stehen Sie zu den aktuellen Werbemotiven der Firma Benetton?
Toscani: Also, für mich sieht das heute alles wieder so nach Hitler-Jugend aus. Das kommt eben davon, wenn man den Marketing-Manager entscheiden lässt, wie die Werbung aussehen soll. Dann bekommt man den Hitler-Jugend-Look, jeder soll blond und schön aussehen, mit blauen Augen usw. So war das schon, als ich angefangen habe, Werbung zu machen und ich fand diese Sichtweise der Werbung von Anfang an krank. Und deshalb habe ich dann versucht, das Gegenteil in der Werbung zu zeigen.
Für mich ist Religion eine der lächerlichsten Sachen überhaupt.
1995 haben Sie ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Die Werbung ist ein lächelndes Aas“, eine Art Abrechnung mit der herkömmlichen Werbewelt. Zehn Jahre später hat sich die Werbung eigentlich nicht besonders gewandelt. Hätten Sie gerne etwas verändert?
Toscani: Nein, ich will nichts verändern. Ich gucke mir nur an, was für eine Welt mich umgibt und ich arbeite an meiner eigenen Vision. Ich habe in der Werbung sehr viel gesehen, was mit meiner Vision und mit meiner Mentalität und Meinung nicht übereinstimmte. Trotzdem bin ich nicht da, um die Welt zu verändern.
Mit Ihrer Vision verknüpfte sich gewissermaßen auch die Hoffnung, dass die Werbeindustrie eines Tages die Werbung mit sozialem oder politischem Engagement verbindet.
Toscani: So eine Vision ist wie ein Gemälde. Das hängt an der Wand, man kann es sich angucken… Und dann sagen vielleicht manche Leute: „ein interessant Bild“ oder „dieses Bild regt mich zum nachdenken an“ – oder eben nicht.
Aber haben Sie nicht auch versucht, Kollegen zu motivieren, die Art und Weise, wie Werbung gemacht wird, zu verändern?
Toscani: Nein. Ich habe nur gesehen, dass in der Werbewelt auf eine ganz bestimmte Art und Weise gearbeitet wird, eine Art, die ich als sehr begrenzt empfinde. Ich habe also versucht, einen anderen Weg zu gehen und dass das möglich war, konnte ich mit Benetton ja beweisen.
Haben Sie Hoffnung, dass die Werbung eines Tages Ihrer Vision etwas näher kommt?
Toscani: Irgendwann vielleicht, ja. Aber …wissen Sie, Bob Dylan hat auch Songs geschrieben, die die Leute zum Nachdenken angeregt haben. Und trotzdem hat er die Welt nicht verändert.
Was sagt die Werbung heutzutage über eine Gesellschaft aus?
Toscani: Die Werbung spiegelt heute exakt das wider, wie die Gesellschaft gerne sein möchte. Ich selbst verstehe zum Beispiel eine Gesellschaft viel besser durch ihre die Werbung als meinetwegen durch einen Zeitungsartikel. Wenn ich durch die Welt reise, dann verstehe ich ein Land viel besser, wenn ich mir die Werbeplakate anschaue, als wenn ich deren Zeitungen lese. Die Werbung zeigt, was eine Land produziert und was es gerne konsumieren möchte… das ist sehr einfach zu verstehen. Die Werbung ist die Sprache der Produktion und des Konsums – und das sind zwei der wichtigsten Tätigkeiten in der gesamten Menschheitsgeschichte. Produzieren und konsumieren bedeutet Arbeit und Kultur und an dem Konsum eines Landes erkennt man sehr gut den Grad von Kultur den ein Land hat.
Und wo sehen Sie die Gründe für die einseitige, zum Teil auch diskriminierende Weise, wie die Frau in der Werbung dargestellt wird?
Toscani: Also, Sex ist immer noch ein großes Tabu, sogar für eine entwickelte Kultur wie die unsere, und das macht es zu einem interessanten Thema.
Nur, dass sexistische Darstellungen von Männern in der Werbung eigentlich nie zu finden sind.
Toscani: Nein, die gibt es nicht so häufig, weil die Medien in der Hand von Männern sind, und die hätten ein Problem damit.
Aber wenn man in Deutschland in die Medienwelt guckt: MTV wird hierzulande von einer Frau geleitet.
Toscani: Das ist vielleicht eine Frau, die ein Mann sein will. Alle Business-Frauen sind doch eigentlich Männer ohne Penis. Ich glaube nicht an diese Frauen, für mich sind das auch keine Frauen.
Und an was für Frauen glauben Sie?
Toscani: Es gibt schon welche, die auch richtige Frauen sind. Sicher nicht die Frauen in der Werbung und der Werbeindustrie. Aber zum Beispiel gab es drei Frauen, die im Komitee für den Friedensnobelpreis waren, und den Papst als Kandidaten abgelehnt haben – an solche Frauen glaube ich. Weil die haben sich gesagt: jemand der so über Frauen und Abtreibung redet, so einem können wir nicht den Friedensnobelpreis geben. Solche Frauen brauchen wir!
Und wo finden wir die?
Toscani: Es gibt nicht so viele. Die meisten ziehen es leider vor, schön zu sein statt intelligent, sie ziehen Schönheit der Intelligenz vor. So ist das halt – und fragen Sie mich nicht, warum. Ich bin immer nur ein Reporter gewesen, jemand der die Dinge beobachtet, ich bin da, um mir die Probleme anzuschauen, aber nicht, um sie zu lösen.
Wo Sie gerade von sich als Reporter sprechen: Ihr Vater hat als Nachrichtenreporter gearbeitet und teilweise auch aus Krisengebieten berichtet – sind Sie mit der Kamera selbst auch in Krisengebieten gewesen?
Toscani: Ja, ich habe das gemacht, ich war in Äthiopien, im Kosovo, Jugoslawien… aber ich habe schnell begriffen, dass das beim Stand der Medien, wie wir ihn heute haben, gar nicht notwendig ist. Ich habe zum Beispiel für Benetton dieses Foto gemacht von den blutigen Klamotten eines getöteten Soldaten. Das war meine Form der Reportage, das war der Weg, den ich für mich gefunden hatte, diese Dinge zu transportieren. Man muss nicht unbedingt ins Gefängnis gehen um nachzuempfinden, was Freiheit ist, man kann auch einen anderen Weg finden, das zu erklären. Und außerdem, ich finde es fast wichtiger, wenn man den Krieg in seinem eigenen Land betrachtet, der zu Hause auf der Straße zwischen den Menschen jeden Tag stattfindet, der in der eigenen Familie stattfindet, in der Schule, in deinem Büro auf deinem Arbeitsplatz. Denn das sind ja die eigentlichen Kriege in unserer Gesellschaft.