Milena und Sara, euer Unverpackt-Laden wirkt etwas kleiner, als man ihn ursprünglich auf den ersten Computergrafiken erahnen konnte. Musstet ihr nach der erfolgreichen Crowdfunding-Phase wieder einen Gang zurückschalten?
Sara Wolf: Nein, das war gar nicht der Grund. Die Immobiliensuche in Berlin war einfach sehr schwer. Und wir haben uns gesagt: Das hier wird unser Pilotladen, da ist es okay, wenn der noch nicht so groß ist. So gehen wir auch ein geringeres Risiko ein.
Euer Kreuzberger Laden ist also eine Art Versuchslabor?
Wolf: Ja, ein Labor für neues Einkaufen ist es tatsächlich. Wir haben aber auch schon sehr viele Produkte, die man für die tägliche Ernährung und Schönheitspflege braucht.
Milena Glimbovski: Wir sind nicht die ersten mit einem Unverpackt-Laden, aber wir haben, glaube ich, das spannendste Sortiment, insgesamt ca. 300 Produkte. Vor allem haben wir Lösungen gefunden, die es bisher so noch nicht gab. Ich kenne zum Beispiel keinen Laden, der Cremes zum Abpumpen anbietet.
Dafür bringt man sich dann eigene Gefäße mit?
Wolf: Ja, Produkte wie Duschgel, Shampoo, Bodylotion oder Lipbalm kann man in sein eigenes Gefäß füllen. Wir haben auch gemeinsam mit einem Industriedesigner eine Station entwickelt, wo man sich Reinigungsmittel abfüllen kann.
Glimbovski: Das Ganze ist nicht nur ein Testlabor für uns, sondern auch für die Hersteller. Die Berliner Firma „Tofutussis“ liefert jetzt zum ersten Mal Tofu im Mehrwegglas aus, das ist auch für die ein wichtiger Test.
Was fehlt euch noch im Sortiment?
Glimbovski: Für eine Käsetheke hat der Platz noch nicht gereicht. Dafür gibt es aber den „Käsesamstag“, das heißt wir haben jeden Samstag einen Verkäufer im Laden, der ordentlich hygienisch und unverpackt den Käse rausgibt. Für Tomatenmark und Sojamilch beispielsweise haben wir noch keine Lösung bzw. keine Hersteller gefunden, die diese Produkte in Mehrwegbehältern oder unverpackt in großen Mengen anbieten. Die müssten ihren Produktionsprozess verändern, wodurch unheimliche Kosten entstehen, die wir unseren Kunden nicht zumuten können.
Wolf: Das war genauso beim Klopapier der Fall: Wir hatten ein perfektes Produkt gefunden, doch der Preis dafür war unzumutbar, da könnte man auch Seide benutzen. Ein ähnliches Problem gibt es bei Taschentüchern. Da verkaufen wir jetzt aber alternativ Stofftaschentücher, damit man sich nicht immer tausende von Tempos kaufen muss.
Was ist mit Fleischprodukten?
Wolf: Da unsere Ladengröße noch ausbaufähig ist, mussten wir zwischen einer Obst und Gemüse- und einer Fleischtheke wählen. Diese beiden Dinge unverpackt im selben Raum zu lagern, ist hygienisch nicht ganz einfach. Wir haben uns dann letztendlich für die Obst- und Gemüsetheke entschieden, da es in der Gegend viele Geschäfte gibt, in denen man Fleischprodukte kaufen kann. Außerdem bin ich der Meinung, dass Fleisch nicht unbedingt ein Produkt des täglichen Konsums sein muss. Ich gönne mir einmal in der Woche ein schönes Stück Fleisch – und das reicht dann auch.
Wie sieht es mit Getränken bzw. flüssigen Lebensmitteln aus?
Wolf: Milch, Bier und Limonade gibt es in ganz normalen Mehrwegflaschen. Außerdem bieten wir verschiedene Öle, Essige, Sirup und auch Schnaps, wie Wodka und Gin an, die man sich selbst abfüllen kann.
Bei uns hat man nicht die Qual der Wahl.
Gab es Hersteller, die sich trotz höherer Kosten an das Experiment herangewagt haben?
Glimbovski: Ja. Ein Hersteller von Zahnpasta-Tabletten war damit einverstanden, uns die Tabletten in großen Mengen abzupacken und die Verpackung dann wieder zurückzunehmen. Dafür bekommen wir allerdings keinen Mengenrabatt auf unsere Bestellung.
Stichwort Lieferantensuche. Musstet ihr einige Hersteller erst überzeugen auf die Verpackung zu verzichten?
Wolf: Ich glaube, prinzipiell haben die Hersteller ziemlich schnell gemerkt, ob sie Lust auf unser Konzept haben oder nicht. Bei den meisten kleineren Unternehmen war es kein Problem auf die Verpackung zu verzichten. Die Firma Creme Kampagne aus Berlin zum Beispiel, die für uns die Kosmetik herstellt, hat gleich zugesagt, weil sie Lust drauf hatte das mit uns gemeinsam zu machen.
Ist in eurem Laden ohne Verpackungen überhaupt noch Platz für Werbung und Marketing?
Glimbovski: Das Entscheidende ist: Bei uns hat man nicht die Qual der Wahl. Es gibt keine zehn verschiedenen Joghurts zwischen denen man sich entscheiden muss. Das heißt, die Produkte müssen sich auch nicht voneinander abheben, es gibt keinen Bedarf an Marketing. Auf unseren Warenschildern, die größer sind als im herkömmlichen Supermarkt, wird natürlich neben der Herkunft und den Zutaten des Produktes auch der Hersteller stehen. Extra Werbetafeln wird es aber nicht geben.
Ist die Entscheidung für einen verpackungslosen Supermarkt automatisch auch die Entscheidung für Einfalt?
Wolf: Nicht zwangsläufig. Das Prinzip ‚Ein Hersteller – ein Produkt‘ war aber eine ganz bewusste Entscheidung von uns. Wir haben uns mit der Lebensmittelbranche und zukünftigen Trends auseinandergesetzt und es ist klar zu erkennen, dass die meisten Kunden mit zu viel Auswahl eben auch hadern. In unserem Laden kuratieren wir die Produkte quasi für unsere Kunden, wir treffen eine Vorauswahl.
Aber es gibt doch sicherlich Produkte bei denen auch ihr gerne die Auswahl habt?
Glimbovski: Natürlich, bei Cremes zum Beispiel. Seit Monaten probiere ich verschiedene Marken und war immer unzufrieden. Dann habe ich die Creme aus unserem Laden getestet und war begeistert. Jetzt brauche ich gar keine Auswahl mehr, weil ich genau das Richtige für mich gefunden habe.
Wolf: Und warum sollten wir das nicht auch bei anderen Produkten schaffen? Ich bezweifle auch, dass die Wahl, die man in konventionellen Supermärkten angeblich hat, so real ist. Schließlich hält man sich dabei oft nur an so oberflächlichen Eigenschaften wie Farbe und Form fest, wobei man auch durch die Werbung beeinflusst ist.
Sind die Bedingungen für ein Konzept wie eures in Deutschland gut oder sind viele gesetzliche Bestimmungen hinderlich?
Wolf: Ich glaube, im Vergleich zu anderen Ländern, sind in Deutschland die Auflagen relativ streng. Aber wenn man es in Deutschland geschafft hat, dann schafft man es überall.
Glimbovski: Man hat es hier oft mit einem kleinen Ämterdschungel zu tun. Man muss zum Bauamt, oder wenn man eine Waage aufstellen will, muss man erstmal zum „Eichamt“ usw.
Wolf: Mich hat überrascht, dass wir in unserem kleinen Laden sechs Waschbecken benötigen, um alle Auflagen zu erfüllen. Teilweise finde ich die Vorschriften gerechtfertigt, teilweise ist es aber auch wieder typisch deutsche Bürokratie und man fragt sich, warum das alles in anderen Ländern auch so viel einfacher geht.
Zum Beispiel?
Glimbovski: In einem „Unverpackt“-Laden in London wurden Wurst, Käse und andere Produkte zusammen in einer Theke angeboten. Da könnte ich jetzt aus dem Stehgreif Verordnungen aufzählen, warum das in Deutschland so nicht geht. Andererseits macht das auch Sinn: Wenn der Käse mit der Wurst zusammen ist, kann es eine bakterielle Beeinflussung geben.
In Deutschland wurde bereits per Gesetz versucht, Müll zu vermeiden. Wie bewertet ihr heute die Einführung des Dosenpfand?
Wolf: Ich denke, die Einführung war schon sinnvoll. Man sieht es ja daran, dass man heute fast keine Getränkedosen mehr auf der Straße findet. Und die meisten Flaschen kommen so ja auch wieder in Umlauf. Wir bevorzugen das natürlich, wenn etwas mehrmals benutzt wird, bis es nicht mehr verwendbar ist.
Wo sollte die Politik noch weitere Maßnahmen ergreifen?
Glimbovski: Zum Beispiel könnte man Plastiktüten teurer machen oder bei den Mogelverpackungen härter durchgreifen, wo viel weniger drin ist, als einem vorgetäuscht wird. Und bei Mehrfachverpackungen wäre es sinnvoll, dass man den Herstellern eine Maximalmenge an Verpackung vorschreibt.
Wolf: Ein Problem ist auch, dass man bei Nicht-Bio-Produkten nicht sehen kann, was es für Kosten für die Umwelt verursacht. Da könnte der Staat mehr Transparenz einfordern.
In anderen Ländern hat man die Supermärkte durch Selbstbedienungskassen bequemer gemacht. Wird bei euch jetzt wieder alles komplizierter?
Glimbovski: Der Kunde bringt seine Behälter mit, dann wird zuerst das Gewicht der Behälter bestimmt und am Ende wiegen wir die Produkte an der Kasse ab. Langfristig wären Selbstbedienungskassen natürlich klasse, aber für unseren ersten Laden war uns diese Investition noch zu hoch.
Wolf: Auch hier müssen wir testen, wie der Kunde auf das Kauferlebnis reagiert. Erst wenn wir das Kaufverhalten einschätzen können, können wir entscheiden, ob man dem Kunden am Ende auch das Abwiegen überlässt.
Haben sich große Supermarktketten schon interessiert gezeigt an eurem Konzept?
Glimbovski: Noch nicht, aber wir sind uns sicher, dass das noch kommt. Was das Einsparen von Verpackungen angeht, könnten wir sie auch gut beraten, schließlich geht es nicht nur um die Verpackungen, die man am Ende im Laden sieht. Bereits während der ganzen Produktions- und Lieferkette fällt sehr viel unnötiger Müll an.
Wolf: Auf die Markenvielfalt werden die Supermärkte aber bestimmt nicht so einfach verzichten, da hängen ja auch Gelder und Verträge mit den Herstellern dran. Wir rechnen aber fest damit, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis man in jedem Supermarkt eine Abteilung findet, in der man unverpackt einkaufen kann. In anderen Ländern wie Italien ist das ja heute schon Realität.
Ein Blick in die Zukunft: Wo ist euer Konzept im Idealfall in zehn Jahren?
Wolf: Eigentlich sollte es dann in jeder Stadt einen „Unverpackt“- Laden geben. Wir erwarten gar nicht, dass jeder dort jeden Tag einkauft, aber im Idealfall gehört es dann zum wöchentlichen Einkaufsritual einfach dazu, einige Produkte unverpackt zu kaufen.
Was ist dafür unmittelbar der nächste Schritt? Werdet ihr in Berlin weitere Läden eröffnen?
Glimbovski: Ja, dafür gibt es Pläne, wir wollen als nächstes auf eine Größe von 100 bis 200 Quadratmeter. Wann genau das sein wird, können wir aber noch nicht sagen. Nur so viel: Wir haben schon wieder begonnen, neue Immobilien zu besichtigen.
Wolf: Langfristig ist das Ziel, mehrere Läden zu eröffnen, auch damit es sich irgendwann für die Hersteller lohnt, etwas an ihren Prozessen zu verändern.
Euer Crowdfunding-Projekt hat euch viel Aufmerksamkeit gebracht. War dieser Hype auch manchmal hinderlich?
Wolf: In manchen Situationen waren die ganzen Erwartungen, die dadurch auf einen einprasseln, einfach sehr hoch.
Glimbovski: Man hat ja selbst schon einen enormen Anspruch an das eigene Konzept, aber wenn man dann plötzlich noch den 37.000 Facebook-Fans gerecht werden muss, lastet natürlich noch mehr Druck auf einem. Da ist es wichtig, den Hype nicht zu nah an sich rankommen zu lassen.
Euer erster Laden befindet sich auf der hochfrequentierten Wiener Straße. Habt ihr keine Angst, dass die Leute euch in den ersten Wochen die Bude einrennen?
Wolf: Na, das hoffen wir doch, das war schließlich unser Ziel. Aber wie unser Konzept letztendlich bei den Leuten ankommt, warten wir positiv gestimmt ab.
Glimbovski: Aufgrund unserer Lage werden wir auch ein großes Mainstreampublikum ansprechen, was sich sonst vielleicht nicht für nachhaltigen Konsum interessieren würde.
Wie hat sich euer eigenes Konsumverhalten in den letzten Jahren verändert?
Wolf: Bei mir hat sich nicht viel verändert. Ich war schon immer ein bewusster Konsument was Essen angeht und Verpackungen waren mir schon immer ein Dorn im Auge. In meiner WG wird so wenig weggeschmissen wie irgendwie möglich. Was in den letzten Jahren etwas zurückgegangen ist, ist mein Fleischkonsum.
Glimbovski: Ich versuche heute zum Beispiel weniger online zu kaufen, was letztendlich weniger Verpackungen und weniger CO2-Ausstoß bedeutet. Und ein paar unserer Mitarbeiter kaufen nur noch Secondhand ein. Der Trend zur Sharing Economy breitet sich immer weiter aus. Man teilt das Auto, die Wohnung oder die Firma – man muss ja nicht immer gleich alles selbst haben und besitzen.
Aha.