Herr Roehler, „Elementarteilchen“ von Michel Houellebecq zählt zu einem der skandalträchtigsten Bücher der vergangenen Jahre. War es die Provokation, die Sie gereizt hat, den Stoff zu verfilmen?
Roehler: Ich fand das Buch großartig. Houellebecq behandelt darin etwas, was es im Prinzip vorher nicht gab. Keiner hat sich jemals derart über den Werteverfall unserer Gesellschaft geäußert. Für mich ist „Elementarteilchen“ vor allem ein Buch, das männliche Befindlichkeiten thematisiert. Houellebecq erzählt das mit einer Ehrlichkeit und Rücksichtslosigkeit, die sich radikal gegen die Gesellschaft richtet und gegen ihn selbst. Das hat mich enorm angesprochen.
Die Verfilmung weicht in einigen Teilen von der Romanvorlage ab, was Ihnen einige Kritik eingebracht hat.
Roehler: Es gibt diesen Dogmatismus, der davon ausgeht, man müsse eine Literaturvorlage sklavisch wortgetreu verfilmen. Als Regisseur musst du dich dann extrem warm anziehen. Es wird immer Stimmen geben, die verurteilen, was du machst, und die dich dafür hassen, dass du zum Beispiel nicht so radikal bist wie der Roman. Das geht aber doch an mir vorbei, weil viele meiner Vorüberlegungen einfach dagegen gesprochen haben. Die einzig mögliche Form, diesen Film zu machen, war für mich, die Figuren ernst zu nehmen. Und wenn du eine Wegstrecke mit ihnen zurückgelegt hast, musst du ihre Geschichte auch irgendwie plausibel weiterführen. Du darfst den Zuschauer nicht enttäuschen, indem du mit dem Houellebecq-Stempel kommst und auch noch den geringsten Hoffnungsschimmer zerstörst. Tatsächlich hätte man den Film, den viele sehen wollten, relativ leicht herstellen können. Du schickst einfach Lars von Trier los, der seine Pornoabteilung beauftragt, die Regisseurin von „Baise-moi“ daranzusetzen, nimmst dann vielleicht noch ein paar Essays von einem Epigonen eines französischen Sozialkritikers dazu und bastelst dir so einen Film zusammen. Das war aber nie unser Anliegen. Wir haben den Film gemacht, den wir machen wollten.
Im Vergleich zu Ihren früheren Filmen wie „Der alte Affe Angst“ wirkt „Elementarteilchen“ sehr viel spielerischer. Woher dieser Optimismus?
Roehler: Das Buch ist ja tendenziell sehr pessimistisch. Das liest man vielleicht ganz gern, im Film nur wird das ganz schnell wahnsinnig beklemmend. In „Der alte Affe Angst“ habe ich so eine Beklemmung bis zum Ende durchgespielt. Dazu stehe ich auch. Mir ist nur das Interesse an dieser Schwarzmalerei und diesen depressiven Stimmungen verloren gegangen. Es ist mir wichtig, mich nicht dogmatisch in eine Richtung zu entwickeln. Ich war allerdings sehr dankbar, „Agnes und seine Brüder“ vorher gemacht zu haben, weil er mir eine klare Richtung vorgegeben hat, wie ich in Zukunft Filme machen möchte. Hätte ich „Elementarteilchen“ davor gemacht, hätte der Film vielleicht genauso düster ausgesehen wie „Der alte Affe Angst“. Bei „Elementarteilchen“ habe ich sehr auf eine emotionale Stringenz geachtet, damit der Zuschauer den Liebesgeschichten folgen kann und die Zärtlichkeit menschlicher Beziehungen deutlich wird. Ich habe einfach Lust an Lebensenergie, die auch ein eher düsterer Film wie „Wild at heart“ haben kann. Das Liebespaar darin hat eine unbändige Lebenslust und Energie und viel von Natalie Wood und James Dean, mit deren Filmen ich mich zurzeit sehr beschäftige. Mit diesem Gegenwarts-Reflexions-Kram und dieser selbstquälerischen, verzweifelten Haltung zur Gesellschaft habe ich nichts mehr zu tun.
Was macht es Ihrer Meinung nach heute denn so schwer, Beziehungen einzugehen?
Roehler: Es ist nicht leicht, sich heute kennen zu lernen. Gerade als Erwachsener hast du eine gewisse Erwartungshaltung, Ansprüche, du hast Enttäuschungen und Frustrationen erlebt. Wenn Menschen heute überhaupt aufeinander zugehen, gehen sie meist sehr vorsichtige Verbindungen ein. Man ist sich bewusst, dass man jederzeit wieder auseinander gerissen werden kann. Davon wollte ich im Film erzählen, aber nicht so, dass es abstößt.
Houellebecq ist im Gegensatz zu Ihnen da weitaus pessimistischer.
Roehler: In der ersten Hälfte des Romans habe ich über diesen finstereren Humor noch unheimlich viel gelacht und die Schilderungen des familiären und politischen Hintergrunds haben mich sehr beeindruckt. An die Seele ging mir aber, welche Rückschlüsse Houellebecq daraus zieht. Die Utopie, die er entwickelt, hat für mich etwas von l’art pour l’art. Beim Schreiben haben wir gemerkt, dass wir damit nicht wirklich viel anfangen konnten und auch nicht wussten, was wir den Zuschauern hätten mitgeben sollen – geklonte Wesen, die sich beim Sonnenuntergang an den Händen halten und dazu helles Glockengeläut? Das hätte die Ernsthaftigkeit und das Anliegen des Films ad absurdum geführt. Wir haben einfach keine Möglichkeit gefunden, die Utopie so umzusetzen, dass sie den Film nicht unglaubwürdig macht.
Die Frustration der Männer ist ein großes Thema des Romans – worin besteht die Ihrer Meinung nach genau?
Roehler: Zuerst einmal geht es um diesen Minderwertigkeitskomplex, einen zu kleinen Penis zu haben. Daran hängt Houellebecq wahnsinnig viel auf. Ich finde das nicht uninteressant, weil er sich damit gegen den Perfektionswahn unserer Gesellschaft wehrt. Durch den Paradigmenwechsel in der Politik und in der Kultur ist alles entweiht. Wie nervend und zwanghaft das alles war, siehst du zum Beispiel daran, dass du in jeder Frauenzeitschrift nachlesen konntest, wie oft man Sex haben muss, wenn man seit fünf Jahre zusammen ist. Du bist ständig Vergleichen zwischen dir selbst und einem Idealbild ausgesetzt gewesen. Houellebecq hat sich extrem dagegen gewehrt und diese Haltung als vollkommen regressiv entlarvt.
Moritz Bleibtreu, Martina Gedeck, Nina Hoss, Franka Potente – für „Elementarteilchen“ haben Sie die erste Riege deutscher Schauspieler verpflichtet. Wie schwierig ist es, wenn so viele Größen aufeinander treffen?
Roehler: Man muss in jedem Fall sehr deutliche Absprachen treffen. Außerdem sind die Verträge härter, das geht von der Auswertung der Fotos und Nacktszenen bis zu dem Punkt, dass wie in den USA für Frauen eine maximale Drehzeit von zehn Stunden pro Tag vereinbart wird. Das hat mittlerweile einen sehr professionellen, fast schon amerikanischen Standard. Wenn diese Dinge aber erst einmal geklärt sind, spielen sie eigentlich auch gar keine so große Rolle mehr. Jeder ist bereit, sein Bestes zu geben, und solange man sich einigermaßen miteinander verständigt, funktioniert das auch. Du bekommst ja auch wahnsinnig viel geschenkt. Ich mag auch gar nicht diese Dankbarkeit mancher Schauspieler, die zu einem als Regisseur aufblicken. Diese Art von Ergebenheit finde ich viel beklemmender, als wenn ich es mit eigenständigen Individuen zu tun habe, die vielleicht auch eine gewisse Eitelkeit mitbringen. Man agiert immerhin auf Augenhöhe
„Ich habe nicht genügend Phantasie, um selber ein Drehbuch zu schreiben.“
Man nehme ein Buch und streiche alles was einem persönlich daran nicht gefällt. Für Regisseure sicher eine schöne Chance, sich einmal ins Bild zu begeben.
„Wir haben den Film gemacht, den wir machen wollten.“
…und nicht den, den Houellebecq vielleicht gewollt hätte, Herr Roehler.
„Mit diesem Gegenwarts-Reflexions-Kram und dieser selbstquälerischen, verzweifelten Haltung zur Gesellschaft habe ich nichts mehr zu tun.“ – Aber warum verfilmen Sie dann Houellebecq? Diejenigen, die diesen Autor lieben, schätzen gerade das pessimistische, schwarzmalerische, sinnentleerte in seinen Texten.
Wirklich schade. Ich mochte die Philip Harel Verfilmung von „Ausweitung der Kampfzone“. Sie passt zu Houellebecq, ich glaube er war auch einverstanden damit.