Oskar Roehler

Der Film ist aggressiver als ich dachte.

Oskar Roehler über die Kritik an seinem Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen", Quentin Tarantios billigen Trick und die Krankheit der Deutschen

Oskar Roehler

© Petro Domenigg/Concorde Filmverleih

Oskar Roehler, im Mittelpunkt Ihres neuen Films „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ steht Ferdinand Marian, der 1940 im berüchtigten antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ von Veit Harlan die Hauptrolle gespielt hat. Nach der Premiere auf der diesjährigen Berlinale gab es viele Buhrufe. Wie haben Sie das erlebt?
Dabei zu sein, wenn der eigene Film im Berlinale-Palast vor 2000 Leuten zum ersten Mal gezeigt wird, das ist immer auch ein Schlachtfest an einem selbst. Man ist aufgeregt und nervös. Aber schon da habe ich gemerkt, dass der Film letztlich doch agressiver ist, als ich dachte. Ich hatte ihn zuvor nur zu dritt im Schneideraum gesehen und mit der Zeit waren die Zweifel gewachsen, ob der Film nicht doch zu langweilig und fad geworden ist. Aber das hat sich dann während der Premiere erledigt.

In den Zeitungen hagelte es Kritik.
Ich habe diese Welle an Kritiken und Artikeln einfach untersurft, mit anderen Worten: Ich habe das alles gar nicht gelesen. Das macht auch gar keinen Sinn. Jeder, der die Berlinale ein bisschen kennt, weiß, wie gegen Ende des Festivals alle mit den Nerven am Ende sind, Journalisten und Filmemacher. Da hat man weder seinen Grips noch seine Emotionen so richtig beisammen und kann eine rationale Analyse dieser Reaktionen noch gar nicht leisten. Außerdem hatte es mich früher schon schlimmer erwischt, vor allem das, was man mir damals zum Teil bei "Elementarteilchen" um die Ohren gehauen hat. "Was ist das für ein großartiger Roman – und was hat der für einen blöden Film daraus gemacht!" Das hat mich wirklich gekränkt. Was ich dann später an Kritik zu meinem neuen Film gelesen habe, konnte ich zum größten Teil gar nicht anehmen. Das stehe ich, ehrlich gesagt, dann auch drüber.

Moritz Bleibtreu spielt bei Ihnen Joseph Goebbels. "Der tut, was er kann, und weil das nicht viel ist, spielt er den Propagandaminister als prolligen Mafioso", hieß es im Tagesspiegel.
Was da zum Teil über Moritz geschrieben wurde, hat mich allerdings böse geärgert. Wer ihm vorwirft, in der Darstellung von Joseph Goebbels zu dick aufgetragen zu haben, sollte sich mal eine ungekürzte Rede des echten Goebbels ansehen.

Maria Byk, die Frau des echten Ferdinand Marian war bis 1927 mit einem Juden, dem Regisseur Julius Gellner verheiratet. Deren gemeinsame Tochter Johanna musste als Kind eines jüdischen Vaters emigrieren. In Ihrem Film ist Ferdinand Marians Frau eine "Halbjüdin" namens Anna, die deportiert wird und nicht überlebt. Die Tageszeitung taz sah darin den Versuch einer "Ehrenrettung" Marians und bezeichnete "Jud Süß – Film ohne Gewissen" als eine jener "Entlastungsfiktionen, die uns im Kino den Umgang mit dem Nationalsozialismus versüßen." Was halten Sie von dieser Kritik?
"Geschichtsfälschung" wurde mir aus diesem Grund auch vorgeworfen. Aber im Dritten Reich waren sehr viele Künstler, die keine Juden waren, mit einer Jüdin verheiratet. Das war eine ganz exemplarische Situation. Wenn du ein wirklich wichtiger Typ warst, konntest du dann zu wichtigen Leuten gehen oder gleich zum Minister, damit erstmal die Hand schützend über einen gehalten wurde. So sind Geschäftsbeziehungen entstanden, die auf Abhängigkeiten beruhten. Immer gab es ein vages Gefühl von Bedrohung und Unsicherheit. Das war wie in einem Mafiafilm. "Wie bitte? Sie wollen diesen Job nicht machen? Da muss ich mich aber schon wundern…" Die Ohnmächtigkeit in dieser Situation ist das, was mich interessiert hat. Aber klar ist dann eben auch: Man erhofft sich etwas von einem unehrlichen Menschen, der einen für seine Zwecke missbraucht. Wenn du dich mit so jemandem einlässt, musst du auch die Konsequenzen tragen.

In den letzten Jahren wurde in Deutschland immer wieder um die vermeintlich "korrekte" Darstellung der Nazi-Zeit in Spielfilmen gestritten. In "Der Untergang" erschien manchen die Darstellung Hitlers "zu menschlich", über Moritz Belibtreus Goebbels haben wir gerade geredet. Ist fiktionaler Film als Mittel der Geschichtsbetrachtung in Deutschland überhaupt gewünscht?
Nun, was offensichtlich akzeptiert wird, sind Dokumentarfilme und die wahnsinnig biedere Herangehensweise, wie man sie aus den TV-Events kennt. Krankenschwester verliebt sich in Feuerwehrmann. Der hat aber viel zu tun, weil gerade Dresden bombardiert wird. So haben die Nazis auch schon in ihren Unterhaltungsfilmen gearbeitet. Damals verliebte sich ein Funkermädchen in einen Fliegeroffizier, um dann zu zeigen, wie gut die deutsche Luftwaffe drauf ist. Das sind noch immer gängige Erzählmuster, die heute allerdings vor einem ungleich harmloseren Hintergrund bedient werden.

Sie haben eingangs erwähnt, die Wirkung Ihres neuen Films hätte Sie überrascht. Welche Szenen sind Ihnen da besonders aufgefallen?
Wenn nach der Premiere von "Jud Süß" der Bombenalarm losgeht und es im Dachzimmer zur Szene mit Gudrun Landgrebe kommt – da weiß man nicht, findet sie den Sex jetzt so geil oder die Bomben, die auf die Stadt fallen. Man kann sich streiten, ob das gut oder schlecht ist. Ich fand das dann plötzlich doch überraschend gut.

Haben Sie auch Schwächen bemerkt?
Natürlich. Das ist ja das Schreckliche, dass man jeden Film immer noch besser machen könnte. Das stellt man dann im Nachhinein fest, wenn man nochmal den Abstand hat, über alles nachzudenken. Wir steigen zum Beispiel nach der Premiere von "Jud Süß" erst sehr spät wieder in die Geschichte Marians ein, an einem Punkt, wo er schon total fertig ist. Es wäre vielleicht besser gewesen, das Kapitel dazwischen nicht auszulassen, um Marian die Chance zu geben, auf einer anderen Ebene über sein Tun nachzudenken. Aber im großen und ganzen bin ich zufrieden damit, dass es eben nicht der Film geworden ist, der von mir im Vorfeld wohl auch ein bisschen erwartet worden war. Es ist nicht das handelsübliches Biopic, aus dem man dann rausgeht und sagt: Ach ja, das war also das Leben von Ferdinand Marian. Und schon hat man’s wieder vergessen.

Zitiert

Krankenschwester verliebt sich in Feuerwehrmann. Der hat aber viel zu tun, weil gerade Dresden bombardiert wird - so haben die Nazis auch schon in ihren Unterhaltungsfilmen gearbeitet.

Oskar Roehler

In Erinnerung bleibt zum Beispiel, dass Sie nach Kriegsende Marian mit einigen Überlebenden aus einem Konzentrationslager konfrontieren. Sie erkennen ihn und werden zum Lynchmob, treten ihn zusammen…
Der Vorwurf, der mir wegen dieser Szene gemacht wurde, war, ich würde das Klischee vom "jüdischen Rachegott", das auch im originalen "Jud Süß"-Film bemüht wird, gewissermaßen bestätigen. Aber ich stehe zu der Szene, weil es für mich menschlich absolut nachvollziehbar ist, wie die Gruppe reagiert. Ich habe mit dieser Szene ein Problem wegen der Besetzung. Das ist eine Gruppe von Achtzigjährigen mit fiesen Visagen, die zum Teil auch feist waren, dicke Bäuche hatten, wie in einem "Clockwork Orange"-Film und sich überhaupt nicht für die Darstellung Überlebender aus einem Konzentrationslager eignen. Aber die Zeit für eine vernünftige Komparsenauswahl war einfach zu knapp.

Interessanter Weise verweigert diese Szene dem Zuschauer einen ungebrochenen moralischen Gewinner.
Das kann man als Problem ansehen, wenn man eine ganz bestimte Dramturgie erwartet. Dann möchte man mit einer positiven Identifikationsfigur aus dem Film entlassen werden, die "Größe" zeigt. Aber ich muss sagen, das hat mich alles überhaupt nicht gestört. Wenn Marians "Opfer" in diesem Moment "Größe" gezeigt hätten, hätte man ihn über diese Haltung wohlfeil rehabilitert und dann hätte ich von der Kritik noch zehnmal mehr um die Ohren gekriegt, in dem Fall wohl zu Recht. Mich hat eher der Schlussmonolg gestört. Der war zu eindeutig, nach dem Motto "Du bist schuld!". Das war für mich ein Punkt, wo ich dachte: Ach scheiße, warum habe ich das nicht anders gemacht? Man muss aufpassen, dass einem am Ende keine Platitüden passieren, im Sinne einer Moral, die jeder eh schon kennt.

Wie kann man das vermeiden?
Ich finde meinen Film auf keinen Fall unentschieden. Er positioniert sich ganz klar. Aber wenn man einen Film plant, muss man sich überlegen, was man für ein Genre bedienen will und wie man mit den Erwartungen spielen kann, die der Zuschaur an dieses Genre hat. Ob du ihn mit protestantischem Ernst machst, wie "Das weiße Band" oder mit einer besonders trashig ironischen Ästhetik, wie "Inglorious Basterds" –  du musst ihn auf eine andere Ebene hieven, wenn du einen Film machen willst, der über das typische Biopic hinausgeht, das zwar behauptet, zu zeigen "wie es war" aber dabei moralisch total simpel gestrickt ist. Ich empfinde die erste Hälfte meines Film als sehr stark, weil sie zeigt, wie das System immer mehr die Schrauben anzieht, wie Marian immer mehr in Bedrängnis gerät. Am Ende hätte ich mir gewünscht, dass es eher um verschiedene Möglichkeiten von Schuld geht und nicht nur um Schuldzuweisungen.

Quentin Tarantinos "Inglorious Basterds", "Das weiße Band" oder auch die Verfilmung von "Der Vorleser" haben zuletzt auf sehr unterschiedliche Weise sehr deutlich Position zur Nazi-Zeit bezogen, ohne, dass man als Zuschauer das Gefühl hatte, nur Platitüden präsentiert zu bekommen.
"Inglorious Basterds" ist für mich ein gelungener Coup, wo mir aber die Prämisse nicht gefallen hat. Unter dem Vorwand, ein paar "gute" Juden auf Rachefeldzug zu schicken wird da eine Gewaltorgie losgebrochen, die sich legitimiert, weil es die bösen Nazis trifft. Das ist ein billiger Trick. Genausogut hätte Tarantino "Die glorreichen Sieben" nochmal drehen können, ohne Nazideutschland als Marketinggag zu gebrauchen. Ich fand den Film auch an sich nicht wirklich gut. Er fällt ziemlich auseinander. Das mögen Leute gut finden, die denken, sie wären besonders cool oder modern, aber für mich hatte das nichts. "Der Vorleser" fand ich super. Der hat mich emotional total reingezogen und diese philosophische Parabelwirkung entfaltet, die ich mir von so einem Film wünsche.

In dieser Verfilmung von "Der Vorleser" gibt es einen Satz, der in der Buchvorlage nicht vorkommt. Ein junger Student sagt dort zu einem deutschen Professor in einer Vorlesung: Selbst wenn viele von Euch erst 1945 erfahren haben sollten, welche Verbrechen in Eurem Namen verübt worden sind: Warum habt ihr Euch dann nicht alle umgebracht? Der Tod Ferdinand Marians sieht am Ende Ihres Films so aus, als würden Sie diesem Studenten zustimmen.
Das würde ich so nicht wollen und das Ende war auch anders gemeint. Marian ist am Ende im Grunde sehr desolat. Er hat viele Gründe, sein Auto gegen einen Baum zu lenken. In seiner Bühnenpartnerin hatte er einen emotionalen Halt gefunden, der wegzubrechen drohte, als sie sich in einen Amerikaner verliebt. Diese Wendung hat mir schon im Drehbuch gefallen. Da bricht eine neue Zeit an, die Amis sind da, es gibt neue Musik. Er war jahrelang mit dieser Frau unterwegs und als er realisiert, dass er sie liebt, ist es zu spät. Man kann diesem Ende von mir aus vorwerfen, dass es der Geschichte nicht gerecht wird, aber wenn du Zäsuren erzählst, wie die von 1945, dann passiert in kürzester Zeit unheimlich viel, was einfach mit der Dynamik des Lebens unter extremen Umständen zu tun hat und sich so auch der üblichen erzählerischen Dramaturgie entzieht. Wenn er am Ende gegen den Baum fährt, weil ihm als älter werdender Mann mit seiner Liebe auch der letzte Halt verloren ging, ist das für mich schlüssiger, als wenn er sich umbringen würde, weil er in einem Nazifilm mitgespielt hat. Das Leben zeichnet sich eben nicht in erster Linie durch historische Kontinuität oder Logik aus, sondern durch Entscheidungen von Menschen, die mal mehr, mal weniger rational gefällt werden. Und das spiegelt auch der Film wieder.

Christoph Schlingensief, mit dem Sie einige Drehbücher zusammen geschrieben haben, hatte auf der Berlinale verkündet: „Wenn „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ so lustig ist, wie „Opfergang“ oder „Mutters Maske“ von Veit Harlan, dann hat er den Goldenen Bären verdient!“ In vielen Szenen hat Ihr Film tatsächlich Züge eines echten Harlan-Meldorams. Wollten Sie den Regisseur von "Jud Süß"  mit seinen eigenen Waffgen schlagen?
Das denkt man vielleicht ein bisschen, weil sich diese sepiafarbene Ästhetik manchmal so anfühlt. Ich kann das aber so nicht sagen. Ich wollte ursprünglich in Schwarzweiß drehen und dem ganzen einen Charme verpassen, wie ihn die amerikanischen B-Pictures der 50er und 60er Jahre oft hatten. Diese typische Studioatmosphäre, wie die Kamera choreografiert ist – wenn man in so einem Kontext diese ganzen pathetischen Harlan-Figuren stellt, hat man offenbar trotzdem das Gefühl, einen Harlan-Film zu sehen. Ich wollte in den Stil von Harlans Zeit schon reigehen, aber eben mit anderen Mitteln. Ich habe eher an einen amerikanischen Film wie "Opfer der Unterwelt" von 1950 gedacht, als an Veit Harlans "Opfergang" von 1944. (lacht)

Abschließende Frage: Wenn man das "Dritte Reich" als eine Krankheit bezeichnet, sind wir Deutschen dann geheilt?
Wir sind schon sehr demokratisch und wollen damit nichts mehr zu tun haben. Was noch übrig geblieben ist von diesem Schubladendenken, das diese Zeit geprägt hat – das haben andere Staaten auch. Jedes Land hat seine Tradition und sicher ist auch in unserer noch eine Spur vom Dritten Reich enthalten. Was das genau ist, habe ich noch nicht analysiert. Aber letztlich glaube ich, dass sich diese düsteren Zeiten mit der Studentenbewegung der 68er wirklich verzogen haben – und mit der Fußballweltmeisterschaft 2006. Das war die zweite Stufe zur totalen Befreiung. (lacht)

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