Pan Nalin

Ich bin ein geborener Mystiker.

Regisseur Pan Nalin über seinen Film „Valley of Flowers“, Dämonen, Aberglaube, japanische „Spirit Cafés“ und die Schwierigkeit, in Tokio zu drehen

Pan Nalin

© Pandora Film GmbH

Herr Nalin, Ihr Film handelt von einer ganz besonderen Liebe. Diese Liebe lebt von und mit übernatürlichen Kräften, sie wäre ohne Spiritualität nicht entstanden. Besonders im Westen sind viele Menschen in der Regel sehr skeptisch gegenüber okkulten Dingen. Was vermuten Sie, wie ihr Film hier aufgenommen wird?
Pan Nalin: Ich denke, das variiert von Publikum zu Publikum. Ich kann lediglich berichten, was ich bei den Gesprächen nach den Vorstellungen bisher beobachten konnte. Im Allgemeinen gibt es zwei Arten von Zuschauern, die meinen Film mögen: die einen sind von allem fasziniert, das mit Mystik, Buddhismus, Religion oder Yoga zu tun hat; die andere Gruppe ist im Allgemeinen etwas jünger und sehr fasziniert von manga-ähnlichen Erzählweisen, Fabeln und Übersinnlichem. Einmal hatten wir den Zuschauerraum voller junger Leute, die von einem Manga Club kamen. Sie liebten den Film leidenschaftlich, aber eben anders als die erste Gruppe. Sie kümmern sich nicht wirklich darum, was Spiritualität bedeutet oder woher sie kommt, sie betrachten es einfach als eine besondere Liebesgeschichte.

Was ist der Film für Sie? Nur eine Liebesgeschichte…?
Pan Nalin: Wissen Sie, für mich ist die ganze Geschichte ein Mythos und seit dem Moment, an dem ich mit diesem Thema in Berührung gekommen bin, ist es für mich Mystik oder Exotik. Ich bin ein geborener Mystiker, es ist einfach Teil meines Lebens. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, habe in Theateraufführungen oft Sadhus (hinduistische Mönche) gespielt. Es war ein sehr wichtiger Bestandteil meines Heranwachsens und es fasziniert mich sehr – die Logik, die verschiedenen Arten zu Denken, die ganze Annäherung an das Leben an sich, es ist sehr anders.
Aber die Liebesgeschichte ist für mich das wichtigste, die Spiritualität und die buddhistische Geschichte sind sozusagen nur der Hintergrund. Ich meine, wir bezeichnen den Film „The Da Vinci Code – Sakrileg“ ja auch nicht als einen christlichen Film, oder? Also möchte ich auch meinen Film nicht als buddhistischen Film bezeichnen. Die Religion war eher eine Hintergrundinformation für mich, der Charakter, mit dem ich mich beschäftigte, war eben zufällig auch ein geborener Buddhist und daher diese Verbindung…

Auch wenn Sie meinen, dass die Religion keine große Rolle spielt, dennoch ist der Film geprägt von Übersinnlichem. Glauben Sie, eine Liebe braucht diese Kräfte?
Pan Nalin: Ich wollte diese Liebesgeschichte von einem asiatischen, orientalischen Blickwinkel aus betrachten. Das Paar in meinem Film hat eine sehr dunkle Seite: er ist ein Bandit, sammelt durch seine Taten ununterbrochen schlechtes Karma, dann trifft er auf einen entflohenen Dämon in Gestalt einer wunderschönen Frau, die beiden verlieben sich – wenn zwei derartige Energien sich treffen, dann ist alles möglich. Diese übernatürliche Dimension fasziniert mich sehr.
Zusätzlich wollte ich die Geschichte wenigstens einen Schritt näher an moderne Menschen von heute heranführen, da kam für mich nur Japan in Frage. Daher finden der letzte Teil und die Auflösung des Ganzen im heutigen Tokyo statt. Und es ist überraschend realitätsnah geworden.

Wie meinen Sie das – realitätsnah?
Pan Nalin: Wenn man nach Tokyo geht, wird man schnell feststellen, dass fast jede Person dort abergläubisch ist, alle haben einen Glücksbringer oder Dämonenabweiser bei sich – sie wollen sich selbst aber als eine sehr gebildete, fortschrittliche Gesellschaft projizieren, daher erzählen sie keinem davon, reden einfach nicht darüber. Wenn wir ehrlich sind, würde es doch als unglaublich unseriös gelten, wenn Minister, Anwälte oder Politiker ihre Geschäfte mit okkulter Hilfe leiteten! Der ehemalige französische Premierminister Jacques Chirac zum Beispiel hatte einen persönlichen Astrologen, aber erst sehr spät gab er öffentlich zu, dass er ihn regelmäßig konsultierte. Die Frage ist nicht, ob Astrologie funktioniert oder nicht. Es ist ein Weg von vielen, es liegt in der menschlichen Natur, fortwährend die Zukunft abzuwägen und sich somit sicherer im gegenwärtigen Leben zu fühlen. Vielleicht ist es eine Lüge, vielleicht ist es aber auch einfach dein Weg.

In Japan scheinen sich also Modernität und Aberglaube bzw. spiritueller Glaube nicht unbedingt auszuschließen?
Pan Nalin: Nein. In Japan gibt es zum Beispiel eine Menge sogenannter „Spirit Cafés“, wo Menschen hingehen, um sich mit den Toten zu unterhalten. Man geht rein, setzt sich an einen Tisch und wenn der Kellner kommt, sagst du zum Beispiel, ich möchte mit meinem Urgroßonkel sprechen. Zehn Minuten später kommt der Kellner dann zurück und antwortet, dass dein Onkel jetzt da sei und du mit ihm sprechen könntest, und dann kann man ernsthafte Konversation betreiben.

Was kostet das?
Pan Nalin: Ich weiß es nicht, aber es ist wirklich sehr ernst für die Menschen dort, sehr viele gehen in diese Cafés, aber gleichzeitig ist es auch ein riesiges Tabu! Es ist komplett privat, denn alle haben Angst. In den Cafés ist es sehr dunkel, sie wollen nicht gesehen werden, sie haben Angst, dass sie ausgelacht werden.
Ausgehend von diesen Erfahrungen, die ich in Japan gemacht habe, gibt es da für mich diese extrem moderne Gesellschaft, die gleichzeitig an Geister und an Dämonen usw. glaubt – jede Strasse hat einen Oni (japanisch für Dämon) oder etwas Ähnliches. Natürlich kann man Spiritualität bzw. Aberglaube verleugnen, sich versuchen, ihm zu entziehen, aber ich behaupte, es ist Teil unseres Lebens.

In ihrem Film geht es auch um das viel diskutierte und umstrittene Thema der Sterbehilfe – ein Mann macht in Japan viel Geld damit, dass er Menschen zu einem frühzeitigen Tod verhilft, er selbst hingegen kann nicht sterben. Auf der einen Seite scheint es ja immer ein Traum der Menschen zu sein, so alt wie möglich zu werden, die Japaner werden im Durchschnitt sehr alt. Wird sich das in Zukunft ändern? Scheint das hohe Alter nicht mehr wünschenswert?
Pan Nalin: In Großstädten scheinbar ja. Tokyo hat die höchste Selbstmordrate der Welt. Es gibt da einen Wald außerhalb von Tokyo, der als Selbstmord-Wald (Suicide Forest) bekannt ist, wo jeden Tag Polizei und Sanitäter vor Ort sind und warten, denn sie wissen genau, es wird wieder ein toter Körper gefunden werden.
Jeden Tag! Und es gibt keine Chance, es zu verhindern oder aufzuhalten. Dieser Wald ist mittlerweile eine Legende. Man muss sich das mal durch den Kopf gehen lassen, wir reden hier vom Jahre 2007! Auch am Tag unserer Dreharbeiten gab es wieder einen solchen Vorfall. Es gab da eine Frau, die sich das Leben nehmen wollte, aber sie hatte nicht genug Mut, daher suchte sie Gleichgesinnte übers Internet und fand vier Frauen, die sich ihr anschlossen. Sie nahmen sich ein Auto, dazu eine Menge Sake (Reiswein) und einige Musikinstrumente und hatten ein richtiges Fest, bevor sie sich alle das Leben nahmen. Am Tag unserer Dreharbeiten war diese Geschichte in allen Medien Japans, besonders die Nutzung des Internets wurde heiß diskutiert. Diese Frau hatte alles sozusagen öffentlich angekündigt und man fragte sich, ob es nicht genug Menschen mitbekommen hatten oder ob sie es alle nicht ernst genommen hatten? Diese Frauen waren allesamt in der Mitte ihres Lebens, sie waren alle zwischen 45 und 50 Jahren alt.

In „Valley of Flowers“ gibt es auch eine wunderbare, sehr alte japanische Frau, die auf ihre eigene Art zeigt, dass sie es gar nicht begrüßt, dass zwei ihrer Familienmitglieder gerade Sterbehilfe geleistet wird…
Pan Nalin: … ja, das war eine ganz besondere alte Lady, sie stammte von Okinawa, dort leben die meisten Menschen über Hundert! Eines Tages fragte ich sie: Wie ist die Einwohnerzahl von Okinawa? Und sie erwiderte nur: Von den Lebenden oder von den Toten? Ich dachte, die machte Witze, aber nein, sie meinte das völlig ernst. Sie erzählte mir, dass sie mit ihren Toten leben und sie auch zählen würden. Das erklärte für mich so einiges. Sehr oft nennen die Leute in ihren Gebeten die Anzahl der lebenden Japaner, zusätzlich werden aber auch eine Halbe Milliarde Geister erwähnt. Man kann es esoterisch nennen oder mystisch oder idiotisch, aber das ist so ein wichtiger Bestandteil des Lebens! Es war jedenfalls sehr normal für diese alte Lady. Ich finde, bei jungen Menschen heute äußert sich das in dieser Obsession für Horrorfilme, wie „Der Ring“ zum Beispiel, oder eben in diesen Mangas, wo auch Geschichten von Geistern erzählt werden, die nicht frei sind usw.

Sie haben für diesen Film sehr unterschiedliche und in ihrer Art extreme Drehorte ausgewählt: Ladakh und Tokyo – zum einen die einsamen Weiten des Himalaya und zum anderen eine der größten Metropolen der Welt. Können Sie sagen, welcher Drehort die größere Herausforderung war?
Pan Nalin: Japan war sehr viel schwieriger! Ladakh war auch sehr anstrengend, aber wir kannten diese Schwierigkeiten schon von früheren Dreharbeiten (für „Samsara“ z.B.). Wir wussten, dass wir in solche Höhenunterschieden zu tun hatten, dass wir mit Tieren arbeiten würden und wir wussten auch, dass es sich weniger um normale Dreharbeiten handelte, als vielmehr um eine Bergexpedition.
Aber Tokyo! Als aller erstes ist eine verdammt teure Stadt und dazu ist es eine unfreundliche Stadt für alle Filmemacher, seien es Ausländer oder Japaner. Man kann in Filmen nur sehr selten das richtige Tokyo sehen und als ich dort war, begriff ich auch warum: man braucht die Genehmigung von jedem einzelnen Hausbesitzer und Architekten, der es entworfen hat! Es ist schlicht und einfach nicht möglich, die komplette Skyline von Tokyo zu filmen. Daher finden die meisten Dreharbeiten außerhalb von Tokyo statt oder an anderen Orten und tun dann nur so, als wäre es in Tokyo. Jedes Gebäude in Tokyo hat ein Copyright, man kann es also ohne Genehmigung nicht “vervielfältigen”. Man kann die Skylines von Berlin, Paris, London, New York und so weiter zur Genüge sehen, aber Tokyo kann man in Filmen nicht sehen.

Glauben Sie, dass man nicht möchte, dass Tokyo gefilmt wird, oder sind es lediglich die Hausbesitzer, die damit Geld machen wollen?
Pan Nalin: Natürlich ist es auch das Geld. Man versucht jetzt aber auch, dieses System zu verbessern. Eigentlich ist es eine sehr japanische Angelegenheit. Privatheit ist für die Japaner sehr wichtig. Im Allgemeinen sind sie eher übervorsichtig und sehr auf Selbstschutz bedacht.

Wann haben Sie mit der Arbeit an dem Drehbuch begonnen?
Pan Nalin: Das Drehbuch habe ich vor circa fünf Jahren geschrieben. Damals habe ich gerade auf die finanzielle Unterstützung für meinen ersten Film gewartet, was sehr lange gedauert hat, also dachte ich mir, warum nicht an einem weiteren Film arbeiten? Und damals habe ich gerade dieses Buch gelesen, „Liebeszauber und Schwarze Magie“ von Alexandra David-Néel. Das inspirierende Highlight in diesem Buch war für mich, als sie auf nur zwei Seiten eine Begegnung mit einem Banditen beschreibt und dieser ihr seine Liebesgeschichte erzählt. Genau diese Geschichte ist im Film zu sehen: ein Bandit überfiel in den Bergen eine Karawane, alle rannten davon, nur dieses überwältigend schöne Mädchen blieb zurück, und der Bandit dachte sich, eine Nacht kann sie ja bei mir bleiben, morgen werde ich sie wegschicken, aber sie weigerte sich zu gehen! Seine Reaktion darauf war, dass sie wohl eine Morallose sei, die schon mit vielen Männern geschlafen hätte, aber zu seiner Überraschung war sie noch Jungfrau! Und da begann das wirkliche Interesse und die Liebe… Für mich war das eine wirklich gute Quelle der Inspiration.

Wer ist diese Alexandra David-Néel? Kannten Sie ihre Bücher schon lange oder war es eher ein Zufall?
Pan Nalin: Ich kannte alle ihre Bücher seit langer Zeit, denn ich möchte gern irgendwann einmal einen Film über ihr Leben drehen. Sie war eine außergewöhnliche Abenteurerin, die 101 Jahre alt wurde. Sie war die erste weiße Frau, die in den frühen 1920ern die verbotene Hauptstadt von Tibet, Lhasa, betrat. Insgesamt hat sie 13 Jahre im Himalaya und in Tibet verbracht und viele magische und mystische Erfahrungen gesammelt, die für weiße Reisende damals verboten waren. Als sie 1924 nach Frankreich zurückkehrte, wurde sie sofort zur Berühmtheit. Später hat sie viele Bücher geschrieben. Man kann wirklich sagen, dass diese Frau für die westliche Welt zum Auslöser der Entdeckung des Buddhismus wurde!

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