Mr. Metheny, Sie haben sich in den letzten Monaten ein „Orchestrion“ bauen lassen, eine Ansammlung diverser Instrumente, die Sie alle gleichzeitig mit Gitarre und Fußpedalen steuern können. Was hat Sie an der Entwicklung des Orchestrions am meisten fasziniert?
Metheny: Da gibt es viele Dinge. Es war schon ein sehr langer Weg bis hierher, ich habe die Instrumente in Auftrag gegeben, dann eine CD aufgenommen und ich habe dabei unglaublich viel gelernt. Ich habe die Erfinder getroffen, mit ihnen an den Instrumenten gearbeitet – das hat viel Spaß gemacht, all diese Dinge zu erfahren über die Technik, um dann für diese Instrumente zu schreiben. Am Ende ging es vor allem um das musikalische Resultat und das war auch der Teil, der mich am meisten befriedigt hat. Es war eine richtige Herausforderung, diese Plattform zu nutzen, um etwas zu erzählen, was die Qualität hat, die mir auch bei anderen Projekten wichtig ist.
Sehen Sie das Orchestrion denn als ein Instrument, auf dem Sie – auch nach der aktuellen Tour – weiterhin spielen werden?
Metheny: Ja, ich denke, dass es weitergehen wird. Es ist für meine Arbeit eine so reichhaltige Quelle an interessanten Dingen – ich verstehe es jetzt auch viel besser als zu dem Zeitpunkt, als ich die Arbeit daran begonnen habe.
Ich konnte das Orchestrion das erste Mal im April 2009 ausprobieren, da musste ich das Spiel dann sehr schnell lernen. Jetzt habe ich sechs Monate Erfahrung damit und ich weiß viel mehr darüber, was die einzelnen Instrumente können. Es gibt auch noch Ideen für weitere Instrumente, die man hinzunehmen könnte, mit denen die Entwickler aber noch nicht fertig geworden sind, weil die Konstruktion zu schwer war.
Sie spielen auf der Bühne im Prinzip auch jetzt ‚nur’ Gitarre – was mussten Sie neu dazulernen?
Metheny: Die Art, wie ein Instrument reagiert. Den Instrumenten ist es ja im Prinzip egal, ob sie die Steuerungsinformation von einer Gitarre, einer Tastatur oder von einer Software bekommen. Sie warten nur auf Instruktionen und die müssen sehr spezifisch sein, angepasst daran, was sie gut können. Das ist der Schlüssel zu dem Ganzen. Das ist wie ein Bandmusiker, der das eine besonders gut, das andere nicht so gut kann und man für ihn die Musik so schreiben muss, dass man das Beste aus ihm rausholt.
Müssen Sie auf der Gitarre jetzt besser spielen?
Metheny: Um den Instrumenten Anweisungen zu geben muss ich auf eine sehr spezielle Art und Weise spielen, ich kann mir keine Schlampigkeit erlauben. Und was ich in diesem Rahmen spiele… – ja, da muss ich besser spielen, denke ich. Du musst noch eine Stufe mehr überwinden, damit die Dinge anfangen zu schweben.
Würden Sie dieses Projekt eigentlich Jazz nennen?
Metheny: Das ist eine Frage, bei der man in den nächsten 50 Jahren wohl noch des öfteren um eine Antwort ringen wird. Und eigentlich kämpfe ich bei dieser Schlacht schon seit 35 Jahren an der Front.
Ich bin weniger am Jazz als Begriff für eine bestimmte Form interessiert als am Jazz als einem Prozess. Ich interessiere mich für den Impuls, etwas zu kreieren – da ist der Jazz eine unglaubliche Plattform, von der aus man starten kann. Für mich ist Jazz eine Teilmenge von Musik, und nicht umgekehrt Musik eine Teilmenge von Jazz.
Wie meinen Sie das?
Metheny: Es gibt so eine Art imperialistische, traditionelle und konservative Sichtweise, dass Jazz die Nr. 1 ist, wo so gedacht wird a la „Der Jazz muss sauber bleiben“. Wenn ich jetzt aber an Jazz denke und die Musiker, die ich am meisten mag, stelle ich fest, dass wirklich jeder von ihnen mit der Form experimentiert hat. Es gibt nicht einen Musiker, den ich mag, der nur eine Version von dem gespielt hat, was jeder andere vorher auch gespielt hat. Ich wüsste noch nicht mal, ob man überhaupt jemand findet, der im Jazz von Bedeutung ist, dessen Position mehr die der Konservierung und weniger die der Ausweitung der Form war.
Ich weiß nicht, ob ich das Orchestrion-Projekt jetzt als Jazz bezeichnen würde, ich kann nur sagen, dass in dieser Musik sehr viel Information steckt und dass sie absolut auf einer Jazz-Perspektive basiert.
Improvisieren Sie denn auf dem Orchestrion?
Metheny: Ich kann damit frei spielen, was ich aber bei der Studioaufnahme nicht gemacht habe, weil ich keine Platten mag, die so einen Demonstrations-Charakter haben.
Ich habe musikalisch mein generelles Thema aufgegriffen, meine Art von Stil, von Harmonien und Melodien, das Gebiet von Musik, das ich seit über 30 Jahren erforsche. Ich denke die Leute werden die Musik auch sofort identifizieren können mit meinem Stil. Wobei man dazu sagen muss: Jeder Musiker, dem man diese Plattform gibt, wird mit ganz verschiedenen Ergebnissen rauskommen. Insofern funktioniert das Orchestrion wirklich wie ein Musikinstrument.
Wie viele Stimmen können Sie gleichzeitig spielen…
Metheny: Es ist nicht unbegrenzt, aber ich könnte beispielsweise die 88 Tasten auf dem Klavier gleichzeitig spielen. Genauso die Marimba mit 57 Tönen, oder das Vibraphon mit 37 – man könnte alle gleichzeitig spielen, wenn man will.
Aber Sie haben nur zehn Finger.
Metheny: Ja, aber es gibt andere Möglichkeiten, wie ich die Instrumente zum Spielen bringe. Ich kann eine Software benutzen, die bewirkt, wenn ich eine bestimmte Note spiele, dass dann jeder installierte Hammer anschlägt. Oder aber auch nur zwei.
Das Orchestrion-Projekt erweckt den Eindruck, dass Sie gerne über die Grenzen des Gitarrenspiels hinauswollen – ist das Ihre Motivation?
Metheny: Also, ich muss sagen, dass ich mir selbst gar nicht so viel Gedanken um die Gitarre mache, sie ist für mich nicht viel mehr als ein Werkzeug. Oder sagen wir es so: Wenn Sie zum Beispiel ein Gebäude sehen und dann den Ingenieur fragen, ob er beim Bau einen elektrischen oder einen normalen Schraubenzieher verwendet hat – dann wird Sie der Ingenieur zurückfragen: Was spielt das für eine Rolle? Sehen Sie nicht das fertige Gebäude? Für mich ist die Gitarre nur ein Werkzeug, um eine Information zu generieren – und diese Information ist musikalisch. In meinem Fall spielt es keine Rolle ob Gitarre oder Klavier oder was auch immer – die Idee kommt zuerst. Welches Instrument, das steht auf meiner Prioritätenliste viel weiter unten.
bei dem Wort „Gitarre“ an etwas anderes denkt
In den 80er Jahren hat die kanadische Instrumentenbauerin Linda Manzer für Sie eine Gitarre mit 42 Saiten angefertigt. Sie sagte, Ihr Wunsch sei damals eine Gitarre mit „so vielen Saiten wie möglich“ gewesen. Was steckt hinter so einem Wunsch?
Metheny: Ich habe ein Interesse am Klang. Natürlich ist der Kern meiner Arbeit, meine normale Gitarre zu spielen. Es ist auch schön, ein Duo-Konzert mit einem Bassisten zu geben und den ganzen Abend Jazz-Standards zu spielen, das liebe ich auch. Doch gleichzeitig gibt es einen Teil von mir, der immer fragt: Ja, aber? Was sonst könnte man noch machen? – Und diesem Impuls widerstehe ich nicht, sondern ich gehe ihm nach, weil er mich zu interessanten Dingen führt.
Aber welche Rolle spielt dann noch die traditionelle Vorstellung von einer Gitarre?
Metheny: Es ist ja so, dass jeder bei dem Wort „Gitarre“ an etwas anderes denkt. Für manche ist das Andrés Segovia, für jemand anderen Eddie van Halen, für den nächsten Jimi Hendrix oder Wes Montgomery – diese Flexibilität finde ich wirklich aufregend. Wenn Sie in ein Musikinstrumenten-Museum gehen, können Sie sehen, wie die Leute über Jahrhunderte daran herumgebastelt haben, was die Gitarre eigentlich ist. Es gibt Millionen verschiedene Formen, verschiedene Saiten-Konfigurationen, es gibt Gitarren mit zwei Saiten und welche mit 12. Das mag ich an diesem Instrument, dass es alles sein kann. Wenn Sie jetzt aber sagen „Saxophon“ – da haben wir doch alle mehr oder weniger das gleiche Bild im Kopf.
Bezieht sich Ihre Faszination mehr auf das Musikalische oder auf das Technische?
Metheny: Also, für mich funktioniert es so: Wenn ich eine neue Palette von Klangmöglichkeiten habe, bringt mich das dazu, meine Vision von Musik auszudehnen. Und es geht nur um die Musik! Das Technische verschwindet dann eigentlich ganz schnell. Die Technik ist für mich wie ein Trampolin – wenn ich erst mal in der Luft bin, dann ist das der Moment, in dem die Handlung stattfindet.
Und ich bin immer interessiert an einem neuen Trampolin. (lacht) Wenn mir jemand sagt: Ich habe hier ein neues Trampolin, mit dem springst du zwei Meter höher als mit dem alten – dann will ich definitiv das neue auch ausprobieren.
Das heißt, Sie sind eigentlich nie zufrieden mit Ihrem Instrumentarium.
Metheny: Nein, ich bin nie zufrieden, das ist sicher.
Ist es auch wichtig für Sie, ein Pionier zu sein?
Metheny: Hmm… ich denke, wenn man sich in unerforschte Gewässer begibt, ist das auf jeden Fall anders, als wenn man eine Landkarte vor sich hat. Man entwickelt eine Art Forscher-Mentalität. Und die kann sehr fruchtbar sein. Sie betrachten die Dinge einfach anders wenn Sie nicht wissen, wohin Sie gehen.
Das Orchestrion ist nun sehr umfangreich – was kann da noch für ein nächstes Trampolin kommen?
Metheny: Ich habe schon ein paar andere Ideen, ich habe mir aber angewöhnt, nicht darüber zu sprechen, solange sie nicht fertig sind. Wenn ich jetzt anfangen würde, über all die Dinge zu reden, die ich noch machen will, besteht die Gefahr, dass ich eines Tages in einer Irrenanstalt ende – die Leute denken ja jetzt schon, dass ich verrückt bin (lacht). In der Zeit, in der ich das Orchestrion entwickelte, hat meine Frau wirklich gedacht, dass ich den Verstand verloren habe. Erst als sie die Musik gehört hat, hat sie verstanden wovon ich spreche – viele andere haben es aber überhaupt nicht verstanden.
Wie können Sie verhindern, dass die Leute es aber auch in den Konzerten missverstehen und denken, sie sind Zeuge einer Technologie-Show?
Metheny: Ich denke, die Musik spricht am Ende für sich selbst. Ich bin sehr stolz auf die Musik und ich glaube nicht, dass da jemand die These aufstellen wird, dies sei etwas anderes als ernster musikalischer Ausdruck. Was das anbelangt bin ich schon sehr selbstsicher.
Im Januar 2010 wurde Django Reinhardts 100. Geburtstag gefeiert. Mich bringt das zu der Frage, ob Sie sich vorstellen könnten, mal ein Album aufzunehmen, im Gitarrenstil der 30er, 40er oder 50er Jahre?
Metheny: Ich denke, das ist nicht möglich. Und wann immer ich Leute höre, die das versuchen, funktioniert es nicht. Das ist ein Problem, das ich mit Jazz generell habe, wenn jüngere Jazz-Musiker versuchen, in einem älteren Stil zu spielen – das funktioniert nicht, das kann man nicht machen.
Warum?
Metheny: Damals haben die Leute anders gesprochen, sie haben sich anders bewegt, die Instrumente waren anders, die Luft war anders, der Geruch – es war einfach anders. Und Jazz ist eine Form, die es erfordert, mittendrin zu sein, in der Zeit, in der du lebst.
Ich denke auch, dass das nicht nur auf den Jazz zutrifft, sondern auf Pop-Musik generell. Wenn ich Rock’n’Roll-Musiker höre, die versuchen in einem Stil einer früheren Ära zu spielen – das funktioniert einfach nicht. Du musst nach vorne gucken, nicht zurück.
Sie haben 2007 in einem Interview gesagt, die USA wären nicht das Land, in dem man am Jazz sehr interessiert sei. Wird Jazz in Ihrer Heimat noch immer zu wenig geschätzt?
Metheny: Ja, das ist immer noch wahr. Bis jetzt hat sich nichts verbessert (lacht) Ich wünschte ich könnte Ihnen etwas anderes sagen, aber nein, es hat sich nicht wirklich etwas verändert.
Macht Sie das traurig?
Metheny: Es ist traurig, aber wissen Sie, ich schaue dann auf andere Entwicklungen. Ich nehme jetzt seit 35 Jahren Platten auf, als die erste „Bright Size Life“ 1975 erschien, wurden im ersten Jahr gerade mal 2000 Exemplare weltweit verkauft, kaum jemand hat dem Beachtung geschenkt. Heute sagen die Leute dazu „das ist ein Klassiker“ oder „eine der besten Trio-Platten überhaupt“, inzwischen wurden glaube ich eine Millionen Exemplare verkauft. Das hat aber 35 Jahre gebraucht. Aber die Noten sind die gleichen. Wir fanden es damals sehr gut, was wir mit dem Trio gemacht haben – aber 1974/1975 war Jazz eben auch noch nicht das große Ding. Es braucht einfach seine Zeit. Das sollte einem aber jetzt nicht so viele Sorgen machen, sondern man sollte einfach versuchen, gut zu spielen.