Herr Leconte, in Ihrem Berlinale-Beitrag „Intimste Fremde“ verwechselt eine Frau auf dem Weg zum Psychiater das Büro und landet stattdessen bei einem Steuerberater. Zunächst merkt Sie nichts von der Verwechslung, dann spannt sich zwischen ihr und dem Steuerberater eine Beziehung – ist der Film für Sie eine Liebesgeschichte?
Patrice Leconte: Eine Liebesgeschichte? Ja, ich denke es geht im Kino immer um Liebesgeschichten. Ein Film kann sich vielleicht manchmal um ein anderes Thema drehen, aber ich denke, letzten Endes wurde das Kino dazu erfunden, Liebesgeschichten zu erzählen. Und ich versuche, diese Liebesgeschichten zu erzählen so gut ich nur kann.
Die Hauptfigur Anna wird gespielt von Sandrine Bonnaire – was schätzen Sie besonders an Ihrer Hauptdarstellerin?
Leconte: Was unglaublich ist bei Sandrine, ist ihr Innenleben, das nach draußen strahlt, ihre Empfindsamkeit, ihre Großzügigkeit. Und dann ist sie aber auch ein ganz normaler, ausgeglichener Mensch. In der Rolle der Anna war sie sehr mysteriös und wir hatten großen Spaß dabei, diese Figur zu entwickeln und dieses Mysteriöse rüberzubringen. Der Zuschauer weiß nicht, ob Anna eine gefährliche Person ist, oder ob Sie eine Gute ist, eine Spionin oder vielleicht eine Figur aus Williams Vergangenheit, diese Ambiguität hat mich sehr interessiert.
Im Französischen Kino gibt es sehr oft sehr mysteriöse Frauen zu sehen – was meinen Sie, woran das liegt?
Leconte: Es wundert mich, dass Sie das so sehen, weil ich selbst denke, dass die Frauen in französischen Filmen viel öfter ganz alltägliche Frauen sind. In meinen Augen sind mysteriöse Frauen viel mehr in amerikanischen Filmen der Fall. Allerdings gibt es unterbewusst in meinem Film auch Referenzen an den amerikanischen Film und die amerikanische Kultur, nehmen wir Hitchcock, den Film Noir, die Detektiv-Filme, wo du nie weißt, was hinter einer Person steckt, ist sie gut oder schlecht, oder sogar beides und ist sie der Mörder? In Frankreich sind wir da meines Erachtens mehr rational. Aber es freut mich, wenn Sie Anna als eine mysteriöse Person sehen, denn das wollte ich schließlich rüberbringen.
Sie haben auch das Drehbuch geschrieben – in welcher Verbindung steht es zu den hervorragenden Schauspielern?
Leconte: Wenn ich ein Drehbuch schreibe, dann denke ich sehr oft an die Schauspieler, die den Part spielen werden – das hilft mir. Bei „Intimste Fremde“ dachte ich aber nur an die Figuren William und Anna – nicht an die Schauspieler, die kamen erst später dazu.
Es war auch wichtig für mich, zwei Schauspieler auszusuchen, die noch nie miteinander gespielt hatten, Sandrine und Fabrice Luchini kannten sich noch nicht und sie sind sehr unterschiedliche Personen. Für mich ist die Arbeit auch ein bisschen wie die eines Chemikers – ich nehme zwei Tropfen Fabrice, zwei Tropfen Sandrine und gucke, was draus wird.
Die Gesichter in Ihrem Film erzählen sehr viel – wie schwer ist es für Sie solch passende Gesichter zu finden?
Leconte: Wenn man einen Film zu Ende gedreht hat und alles gut ging fragt man sich ja nicht, wer vielleicht noch diese Rolle hätte so spielen können. William konnte nur so sein, wie Fabrice ihn gespielt hat und da haben Sie vielleicht Recht, es ist hart, da den richtigen Schauspieler zu finden. Das Casting ist daher für mich ein sehr wichtiger Moment, wo man absolut nichts falsch machen darf, wo man sehen muss, dass die Schauspieler zusammenpassen. Im Fall von „Intimste Fremde“ waren es aber keine übermenschlichen Anstrengungen, die wir leisten mussten, um die richtigen zu finden.
Nach früheren melodramatischen Filmen scheinen Sie mit „Intimste Fremde“ zu einer Art Thriller oder Detektiv-Story übergegangenen.
Leconte: Ich würde da nicht vollständig zustimmen. Sie haben Recht, es gibt da ein Mysterium, weil ich es eben nicht gerne mag, alles sofort zu erzählen. Ich will viel mehr Illusionen beim Zuschauer hervorrufen. Detektiv-Film oder gar Thriller? Vielleicht haben Sie Recht, ich denke aber auch, da ist noch mehr.
Sie erzählen Ihre Liebesgeschichte auf sehr subtile Weise – ist das eine Redaktion auf eine Tendenz, dass französische Filme immer öfter von Sex und Pornographie dominiert sind?
Leconte: Was mich beim Filmemachen interessiert, ist vor allem die Geburt eines Wunsches, von Verlangen, zu gucken, wo eben das Gefühl der Liebe herkommt. Es gibt ganz verschiedene Arten, wie man das im Film machen kann, in diesem Film finde ich, sind die beiden Hauptrollen ja sogar viel nackter, als wenn sie gar keine Kleidung anhätten. Sie sind nackt, weil sie aufrichtig sind und ihre Beziehung ist in gewisser Weise auch ein bisschen erotisch.